„Wir brauchen unbedingt eine Bedarfsplanung, die auf tatsächlich erhobenen Daten aufbaut und die eine zielgerichtete primäre Patientensteuerung in den Fokus rückt“, unterstreichen Dr. Torben Brod, Sprecher der DIVI-Sektion Strukturen in der Klinischen Akut- und Notfallmedizin, und Dr. Dr. Vera Pedersen, stellvertretende Sprecherin der Sektion. Mit dem aktuellen Eckpunktepapier werde versucht, Missstände punktuell zu bekämpfen, ohne dass bereits in Expertenempfehlungen formulierte Vorschläge konsequent aufgegriffen würden.
Es braucht valide Daten aus der ambulanten wie klinischen Notfallversorgung
Die sektorenübergreifende Harmonisierung und Betrachtung der jeweiligen Daten ist heute wichtiger denn je, ist man sich in der DIVI einig. Es braucht zum einen den Datensatz der Notfallversorgung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sowie zum anderen den Datensatz der Notaufnahmen. „Für den Bereich der Notaufnahmen kann das AKTIN-Notaufnahmeregister ein Anknüpfungspunkt für eine solche Dateninfrastruktur sein“, erklärt DIVI-Präsident Walcher. „Für die ambulante Versorgung fehlen uns die Daten. Gerne entwickeln wir als DIVI hier gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung einen interoperablen Datensatz.“ Hierbei müssten auch die Daten der präklinischen Notfallversorgung integriert werden, um einen Datentransfer über alle Sektorengrenzen hinweg sicherzustellen, ergänzt Bernhard Gliwitzky, stellvertretender Sprecher der DIVI-Sektion Notfall- und Katastrophenmedizin.
Alle glücklich zu machen, sei nach wie vor ein schwieriges Unterfangen – sollte aber immer das Ziel sein, unterstreicht DIVI-Präsident Walcher. „Aber erst mit Kenntnissen über das tatsächliche Geschehen können wir die Reformpläne auch wirklich dahingehend überprüfen, ob sie Rettungsdienst, KV, Notaufnahmen und Klinik entlasten können, wie auch gleichzeitig die Patientenversorgung qualitativ verbessert wird.“
Konkret kommentiert die DIVI die Inhalte des Eckpunktepapiers:
- Die Patientensteuerung soll durch Ausbau und Stärkung der Terminservicestellen (TSS, Rufnummer 116117) sowie durch Vernetzung mit den Rettungsleitstellen (Rufnummer 112) verbessert werden.
Die DIVI begrüßt diesen Vorschlag. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass dies zu einer substanziellen Verbesserung der Patientensteuerung führen wird, da keine verpflichtende Nutzung der vernetzten Leistelle (TSS + Rettungsleitstelle) vorgesehen ist und der Patient somit weiterhin selbst die Versorgungsebene auch unter Umgehung der TSS/116 117 bzw. 112 festlegen kann. Der Vorschlag der Regierungskommission vom Februar 2023 sieht eine Steuerung „ausschließlich“ durch die Integrierten Leitstellen vor. Diesen fordert die DIVI unbedingt umzusetzen.Allerdings sind die Versorgungsbereiche in puncto Qualifikation, Leistungsspektrum und Verfügbarkeit bis heute nicht verbindlich definiert. Bleiben unverbundene Parallelstrukturen nebeneinander bestehen, bleibt das System ineffizient und unwirtschaftlich.
- Die bundesweit einheitliche notdienstliche Akutversorgung der KVen soll durch die Konkretisierung des Sicherstellungauftrages in § 75 Abs. 1 b SGB V gestärkt werden.
Die konkrete gesetzliche Verankerung des Sicherstellungsauftrages durch die KVen ist zu begrüßen. Jedoch hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bereits darauf hingewiesen, dass eine Ausweitung ihres Versorgungsauftrages nicht funktionieren wird. Die DIVI fordert deshalb, gemeinsam nach Alternativen zu suchen, die nicht nur auf dem Papier vielversprechend klingen.
- Als sektorenübergreifende Behandlungsstruktur sollen Integrierte Notfallzentren (INZ) bzw. Integrierte Kindernotfallzentren (KINZ) deutschlandweit eingerichtet werden.
Positiv zu sehen ist, dass die Leitung des INZs sowie die Verantwortung für die Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit und damit der Entscheidung über die Behandlung im Notdienst des INZ, dem Krankenhaus obliegt sowie dafür eine gesonderte fallbezogene Vergütung im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) vorgesehen ist. Ein dauerhafter und zukunftsweisender Reformvorschlag wäre jedoch die Vereinigung dieser Parallelstrukturen zu einem unter Leitung des Krankenhauses stehenden Zentrums für Akut- und Notfallmedizin (vgl. auch Punkt 2).
Derzeit wird mit einem INZ auf 400.000 Einwohner geplant. Hier droht eine substanzielle Unterversorgung, warnt die DIVI auch unter Bezugnahme auf ein Gutachten der GKV (Bedarfsgerechte Planung und Ausstattung von Integrierten Notfallzentren – Vorschläge des GKV-Spitzenverbandes). Zudem werden die im Eckpunktepapier genannten Öffnungszeiten der Notdienstpraxis in INZs zu keiner substanziellen Entlastung der Notaufnahmen führen. Diese zeitliche Regelung könnte für manche Orte sogar eine Verschlechterung gegenüber dem heutigen Status quo bedeuten.
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Vieles geht in die richtige Richtung. Aber noch nicht alles!
DIVI-Präsident Felix Wacher fasst aus den zahlreichen Gesprächen der vergangenen Tage auch für seine Sektionssprecher zusammen: „Das vorgelegte Eckpunktepapier unseres Gesundheitsministers greift bereits zahlreiche Eingaben der verschiedenen Expertentreffen aus den letzten zwölf Monaten auf. Vieles geht bereits in die richtige Richtung. Aber eben noch nicht alles! Grundsätzlich ist dringender Handlungsbedarf geboten, um Notfallpatienten zukünftig zielgenauer behandeln und versorgen zu können und damit Überversorgung und Unterversorgung zu minimieren. Patienten müssen in die für sie am besten geeignete Behandlungseinrichtung gelangen. Hierbei spielen – neben dem niedergelassenen Bereich der KV – die Notaufnahmen der Krankenhäuser und die Rettungsdienste eine zentrale Rolle.“
Aus Sicht der DIVI bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber im Referentenentwurf die drei Versorgungsbereiche in der Notfallmedizin klug und sektorenübergreifend miteinander vernetzt. Die fehlenden interoperablen Daten umfangreich zügig zu erheben, sehen die Experten der Sektion Strukturen in der Klinischen Akut- und Notfallmedizin, der Sektion Notfall-und Katastrophenmedizin wie auch das DIVI-Präsidium für das Gelingen des Reformvorhabens als unerlässlich an. Nur mit diesen Daten können die Patientenströme sowie mögliche Fehlallokationen identifiziert und entsprechend nachgesteuert werden.
Der Schritt in die richtige Richtung ist getan. Jetzt sollten noch einige Steine aus dem Weg gerollt werden, um den Weg einer optimalen gemeinsamen Patientenversorgung freizumachen.
Quelle: Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)