Krankenhauseinweisungen aufgrund von Stürzen kann um 20% reduziert werden
Jährlich gebe es in Deutschland eine halbe Million Krankenhauseinweisungen, die unmittelbar auf einen Sturz zurückzuführen sind. Viele ältere Menschen versterben an den Folgen. „Durch eine frühzeitige Prävention – also gezielter Vorsorge – könnten wir die Zahl der Einweisungen um 20% reduzieren“, so Becker. Dafür haben die Expert:innen nun neue Empfehlungen aufgestellt, die sämtliche soziodemografischen Unterschiede der Weltbevölkerung berücksichtigen. Veröffentlicht wurde die neue Leitlinie heute im Rahmen des Kongresses der European Geriatric Medicine Society (EuGMS) in London.
„World Falls Guidelines“ enthalten Empfehlungen zur Sturzprävention
Die aktuelle Herausforderung: Stürze und sturzbedingte Verletzungen kommen bei älteren Erwachsenen häufig vor – mit oftmals negativen Auswirkungen auf die funktionelle Unabhängigkeit und Lebensqualität. Damit einher gehen in der Gruppe der Über-65-Jährigen eine steigende Krankheitshäufung, eine erhöhte Sterberate sowie steigende gesundheitsbezogenen Kosten. Zudem sind bisher gültige Präventions- und Behandlungsrichtlinien uneinheitlich. Mit den jetzt veröffentlichen „World Falls Guidelines“ stellen die Expert:innen eine Reihe von evidenz- und konsensbasierten Empfehlungen zur Sturzprävention und -behandlung für ältere Erwachsene zur Verfügung, die insbesondere den medizinischen Fachkräften neue Möglichkeiten bieten.
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Empfehlungen zur Sturzprävention für Deutschland: Jährliche Hausarzt-Befragung und Ganganalyse
Insbesondere für Industrieländer wie Deutschland ergeben sich nun diese Empfehlungen: Alle älteren Erwachsenen sollten wesentlich umfänglicher als bisher zur Sturzprävention und körperlichen Aktivität beraten werden. Mindestens einmal im Jahr sollte der Hausarzt betroffene Patient:innen nach Stürzen oder Sturzrisiken befragen. Zur Untersuchung sollte auch eine Ganganalyse gehören. „Wir wissen: Unterschreitet das Schritttempo 0,8 Meter in der Sekunde, steigt das Sturzrisiko“, so Becker, Leiter der Forschung zur Mobilität des Menschen am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart und Leiter des Bereichs Digitale Geriatrie am Universitätsklinik Heidelberg. „Außerdem sollten Menschen mit Demenz oder Parkinson unbedingt Zugang zu systematischen Trainingsprogrammen erhalten.“ Betroffene sollten eine gezielte Physiotherapie und Übungsprogramme durchlaufen. Insbesondere für ältere Menschen in Gemeinschaftseinrichtungen wie Pflegeheimen soll es eine auf den individuellen Gesundheits- oder Krankheitszustand zugeschnittene Prävention für das Sturzrisiko geben. „Personen mit hohem Risiko sollte eine umfassende multifaktorielle Bewertung angeboten werden, um eine personalisierte und fachübergreifende medizinische Behandlung zu gewährleisten. Damit ließe sich das zukünftige Sturzrisiko dieser Personen erheblich reduzieren“, so Clemens Becker.
Multifaktorielles Risiko-Assessment der Sturzprävention: Jede ältere Person wird untersucht
Weitere Empfehlungen der neuen globalen Sturzleitlinie umfassen Einzelheiten zu Bewertungs- und Interventionskomponenten sowie -kombinationen. „Uns war es wichtig, einmal genau zu definieren, was medizinisch als Sturz oder auch schwerer Sturz klassifiziert werden kann und wie dann mit den Betroffenen genau umgegangen werden sollte“, so Clemens Becker. „Von einer schlanken bis umfassenden Bewertung des Gesundheitszustandes eines Patienten ist ja grundsätzlich alles möglich.“ Der Konsens der beteiligten Autoren: Jede ältere Person – auch jene ohne erkennbare Verletzungen – mit Gebrechlichkeitserscheinungen oder Schwierigkeiten, selbstständig aufzustehen, wird tiefergehend untersucht. „Bisher wurden die Menschen nur bei Verletzungen oder wiederholten Stürzen umfassender untersucht“, erklärt Becker. Wie solch ein multifaktorielles Risiko-Assessment genau auszusehen hat, wird in der neuen Leitlinie genau ausgeführt. „Ein Hausarzt sollte 3 bis 6 Monate im Anschluss den Zustand des Patienten erneut prüfen.“
Nationaler Aktionsplan: Geriatrische Ambulanzen für präzise Sturzprävention
Die neuen Empfehlungen zur Sturzprävention und -behandlung berücksichtigen insbesondere die folgenden Aspekte: Einen personenzentrierten Ansatz, der die Perspektiven älterer Erwachsener einschließt – auch in Bezug auf Betreuer und andere Interessensgruppen. Vorhandene Lücken in früheren Leitlinien sollen geschlossen werden. Jüngste Entwicklungen im Bereich der elektronischen Gesundheitsdienste werden mit einbezogen. Und Standorten mit begrenztem Zugang zu Ressourcen – dazu zählen Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen – werden implementiert. „Damit ist uns methodisch eine Rundumbeleuchtung der Sturzprävention und -behandlung gelungen, die sämtliche Bevölkerungsschichten auf dem Globus einbezieht“, so Becker. Wichtig sei das, da Stürze bei älteren Menschen vor allem in einkommensschwachen Kreisen vorkämen. Der Stuttgarter Mediziner plädiert dafür, dass nach dem Vorbild der geriatrischen Rehabilitation nun verstärkt in geriatrische Institutsambulanzen als Anlaufstelle für ältere Patienten investiert werden sollte: „Es wird höchste Zeit, das in Deutschland voranzubringen. Diese Ambulanzen müssen entsprechend finanziert und ausgestattet werden, um mit präzisen Präventions- und Behandlungsprogrammen den Menschen zu helfen. Dafür brauchen wir jetzt einen nationalen Aktionsplan“, fordert Becker.