Donnerstag, 26. Dezember 2024
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Medizin

Ein Blick auf die Kardiologie durch die Geschlechterbrille

von Dr. rer. nat. Carola Göring und PD Dr. med. Ute Seeland

Ein Blick auf die Kardiologie durch die Geschlechterbrille
Fast alle Hausärzt:innen wünschen sich mehr Zeit für das Anamnese-Gespräch mit ihren Patient:innen. Denn bereits hier kann man viele Faktoren erfassen, die das Risiko oder auch den Verlauf für verschiedenste Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflussen. In der neuen Folge des Gendermed-Podcasts erläutert PD Dr. med. Ute Seeland, Berlin, kurzweilig und prägnant relevante Geschlechterunterschiede bei häufigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder Vorhofflimmern und natürlich auch bei Risiko- und Schutzfaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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Vorab verraten wir Ihnen ein paar Details: Weibliche Herzen haben mehr Herzmuskelzellen als männliche Herzen. Noch eine für die Praxis wichtige Info: Viele Medikamente können die QTC-Zeit – messbar im EKG – verlängern. Das kann zu lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen vom Typ Torsade-de-Pointes-Tachykardien führen und tritt bei Frauen häufiger auf als bei Männern (ab 28:47).

Was erwartet Sie in der sechsten Folge des Podcasts „GENDERMED – Geschlechter-sensible Medizin“?

Dies sind die Highlights (Minuten:Sekunden)
 
  • 00:46 Vorstellung der Interviewpartnerin PD Dr. Ute Seeland
  • 01:38 Relevanz der sprechenden Medizin für eine geschlechtersensible hausärztliche Versorgung
  • 04:01 Diversitätsfaktoren: Definition und Relevanz für die Praxisarbeit
  • 07:11 Was sollten Hausärzt:innen zu Geschlechteraspekten beim Herzinfarkt wissen?
  • 12:33 ANOKA, INOKA, MINOKA: Unterkategorien der koronaren Herzerkrankung mit unterschiedlicher Behandlung?
  • 16:14 Geschlechterspezifische Unterschiede bei Herzinsuffizienz
  • 28:40 Geschlechterspezifische Unterschiede bei Herzrhythmusstörungen
  • 31:15 Geschlechterspezifische Unterschiede bei Vorhofflimmern
  • 33:15 Geschlechterspezifische Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • 42:02 Geschlechterspezifische Unterschiede in der Prävention
  • 45:42 PD Dr. Ute Seelands Zugang zur geschlechterspezifischen Medizin
  • 47:10 Die Zukunft der geschlechtersensiblen Medizin

Hören Sie rein!

GENDERMED – ein Podcast von journalmed.de · Gendermedizin: Ein Blick auf die Kardiologie durch die Geschlechterbrille

Shownotes zur Podcast-Folge „Ein Blick auf die Kardiologie durch die Geschlechterbrille“

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Transkript zur Podacastfolge: „Ein Blick auf die Kardiologie durch die Geschlechterbrille“

(Es gilt das gesprochene Wort)

Patientin oder Patient. Das macht einen Unterschied. Medizinjournalistin Dr. rer. nat. Carola Göhring erklärt Geschlechter-sensible Aspekte der Medizin gemeinsam mit Expert:innen hier im GenderMED-Podcast von journalmed.de.

Dr. Carola Göring: Liebe Hörerinnen und Hörer, schön, dass Sie reinhören. Heute spreche ich mit einer tollen Expertin über das Thema Herz und Geschlecht. Was ist für die Praxis wichtig? Ich bin Carola Göring und mein Gast heute ist Frau Privatdozentin Dr. Ute Seeland aus Berlin. Hallo, Frau Dr. Seeland, schön, dass Sie dabei sind.

PD Dr. med. Ute Seeland: Hallo Frau Göring, vielen Dank für die Einladung.

Dr. Carola Göring: Bevor wir jetzt zum fachlichen Teil kommen, möchte ich Ihnen, Frau Dr. Seeland, kurz vorstellen. Sie hat als erste Person in Deutschland in dem Fach Innere Medizin geschlechtersensible Medizin habilitiert. Sie ist Wissenschaftlerin und Dozentin an der Charité in Berlin und sie ist erste Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für geschlechtersensible Medizin (DGesGM) und sie ist Vorsitzende der Arbeitsgruppe Sex und Gender in der Kardiologie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Seit dem Sommersemester ist sie Gastprofessorin für Frauen und Geschlechterforschung an der Universität Mainz. Ihren spannenden Lebenslauf mit viel mehr Details und den einzelnen Forschungsschwerpunkten habe ich in den Shownotes verlinkt. Ebenso die Homepage der DGesGM. Habe ich jetzt noch was Wichtiges zu Ihrer Person vergessen, Frau Dr. Seeland?

PD Dr. med. Ute Seeland: Ich denke nicht.

Dr. Carola Göring: Es gibt eine Redewendung, „Aus dem Herzen sprechen“. Bei unserem Thema Herz und Geschlecht denke ich da gleich an die sprechende Medizin. Wie wichtig ist die sprechende Medizin, wenn es um eine geschlechtersensible hausärztliche Versorgung geht?

PD Dr. Ute Seeland: Zunächst einmal ist es fantastisch, wie viele Ärztinnen und Ärzte und Studierende sich für die geschlechtersensible Medizin interessieren. Je nach Arbeitsplatz gibt es natürlich unterschiedliche Fragen und Bedürfnisse an die geschlechtersensible Medizin. Aber eines ist fast allen gleich, das Bedürfnis, mehr Zeit zu haben für das Anamnese-Gespräch. Zum Glück ist 2020 die sprechende Medizin gestärkt worden. Das heißt, diese Leistung wird mit mehr Punkten in diesem einheitlichen Bewertungsmaßstab System, diesem EBM System, bewertet. Das ist natürlich prinzipiell schon mal richtig gut. Nun ist es aber auch so, dass wir diese Zeit nutzen sollten und die Zeit ist natürlich immer noch eigentlich viel zu kurz. Aber aus meiner Erfahrung heraus lohnt es sich, zumindest beim Erstkontakt mit Patientinnen und Patienten, sich ein paar Minuten länger zu nehmen. Also vielleicht 25 Minuten. Warum ist das wichtig? Geschlechtersensible Medizin schaut ja nicht nur auf das biologische Geschlecht, sondern sie schaut auch auf das soziokulturelle Geschlecht, was im Englischen als „gender“ bezeichnet wird. Und diese Interaktion von beidem, das ist das Eigentliche, was wir erfassen wollen und was uns weiterbringt.

Also was meine ich damit, dass man jetzt ein bisschen mehr Zeit braucht? Wofür? Ganz konkret brauchen wir mehr Zeit, zum Beispiel um die Schwangerschaftsanamnese zu erheben. Weil, das fällt manchmal doch hinten runter. Und das ist aber ganz wichtig, weil Schwangerschaft, Diabetes, Schwangerschafts-Hypertonie, das sind ja alles Risikofaktoren, die man erst neuerdings kennt, die auf lange Sicht auch kardiovaskuläre Erkrankungen auslösen können. Aber auch Verhütung ist zum Beispiel so ein Thema. Das sollten wir nicht nur den Frauenärzten überlassen, aber natürlich ist das deren Hauptthema. Aber wenn wir wissen, dass eine Frau zum Beispiel die Pille nimmt und wenn wir wissen, dass diese auch einen Einfluss haben kann auf die Blutdruckregulation, dann bringt uns das schon weiter. Wenn wir uns fragen, warum hat denn die Dame jetzt vielleicht etwas erhöhten Blutdruck? Zu diesen weiteren Anamnese-Fragen gehören all die Fragen zu den Diversitätsfaktoren.

Dr. Carola Göring: Diversitätsfaktoren. Da haben Sie mir jetzt ein Stichwort gegeben. Was versteht man genau darunter und warum ist es wichtig, die in der Praxis zu adressieren?

PD Dr. Ute Seeland: Alter, Ethnizität oder Herkunft, wie man es gerade sagen möchte. Das sind natürlich ganz wichtige Einflussfaktoren, wenn ich mich um geschlechtersensible Medizin mit Diversitätsfaktoren kümmere. Warum bringt uns das Alter weiter? Weil viele Dinge, gerade zum Beispiel wenn ich an die Sexualhormone denke, sich über die Lebenszeitspanne, verändern. Und um eine grobe Einteilung jetzt ganz konkret für die Praxis zu haben, bietet es sich an, einfach mal kurz nachzudenken. Hat denn diese Person, die da gerade vor mir sitzt, einen Hormonstatus, der eher zur Prämenopause gehört, zur Perimenopause, zur Postmenopause oder ist es vielleicht sogar ein Schwangerschaftszustand?

Und bei den Männern ist es natürlich auch wichtig zu wissen, sind wir in der Andropause, oder im Übergang zur Andropause, vor 40, nach 40? Das sind oft so zumindest grobe Anhalte, die man durch die Anamnese herausbekommt oder dann schon mal ins Kalkül ziehen kann. Bezüglich Familienstand, auch da ist es immer wichtig, mal nachzufragen, genauso wie Bildung. Auch Religion kann einen großen Einfluss haben auf Krankheitsverläufe, auch auf Therapieadhärenz zum Beispiel. Dann ist es natürlich auch immer wieder wichtig zu wissen, in welcher Rolle befindet sich gerade diese Person und welche Identität hat sie? Also kommt sie eigentlich mit dem Geschlecht, was durch die Geburt zugeschrieben worden ist, zurecht? Und kommt sie eigentlich mit ihren Rollen, die sie in der Gesellschaft hat, zurecht, weil jede von uns und jeder von uns spielt sozusagen am Tag mehrere Rollen und das hat alles was damit zu tun, um Krankheit, Krankheitsverlauf, wirklich zu verstehen.

Dr. Carola Göring: In der Anamnese. Was ist noch wichtig, wenn man die verschiedenen Geschlechter berücksichtigt?

PD Dr. med. Ute Seeland: Was ich unheimlich hilfreich finde für die Anamnese, wenn eine Person vor mir sitzt, die sich irritiert fühlt, wenn man sie mit einem bestimmten Pronomen anspricht, dass man dann auch ganz klar fragt, „Wie möchten Sie angesprochen werden?“. Lieber einmal mehr fragen als einmal zu wenig. Die Transgenderpersonen, mit denen ich gesprochen habe, von denen ich das weiß, haben das mit einem eindeutigen „Ja“ beantwortet, weil ein offener Umgang und eine direkte Ansprache zum Beispiel, „Wie möchten Sie denn angesprochen werden mit Frau, mit Mann, mit Sie, mit Er oder mit gar keinem von diesen Pronomen?“ Dann ist das eine sehr, sehr gute und wichtige Basis für die Ärztin/Arzt-Patientin/Patient-Beziehung und Transgenderpersonen sind dafür sehr dankbar.

Dr. Carola Göring: Ja, das sind ja schon sehr, sehr viele Aspekte, die Sie da genannt haben. Wir reden ja heute über geschlechtersensible Medizin und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und die geschlechtersensible Medizin begann ja quasi mit der Entdeckung, die ja auch das Paradebeispiel dafür ist, dass der Herzinfarkt bei Frauen mit anderen Symptomen häufig einhergeht als bei Männern. Was sollte jeder Hausarzt, jede Hausärztin, zu Geschlechteraspekten beim Herzinfarkt wissen?

PD Dr. Ute Seeland: Also zunächst einmal ist es so, dass tatsächlich die Geschlechterunterschiede ja schon bereits in der Zelle beginnen. Das bedeutet, dass wenn man die Kardiomyozyten, also die Herzmuskelzellen, differenziert zu den anderen Arten von Zellen, die sich im Herzen befinden, wie zum Beispiel den Fibrozyten, das sind diese Bindegewebszellen, oder den anderen vaskulären Zellen, dann gibt es eine sehr, sehr schöne Arbeit in Nature veröffentlicht, die tatsächlich die weiblichen und die männlichen Herzen mal richtig auseinandergenommen hat. Da haben die Autorinnen und Autoren gesehen, und die haben es auch geschrieben, dass sie ganz überrascht darüber waren, dass tatsächlich die weiblichen Herzen mehr Kardiomyozyten im linken und rechten Ventrikel, das sind die Kammern, haben, im Vergleich zu männlichen Herzen. Ein bisschen hätten wir uns das schon denken können, weil wir haben doch in der Echokardiographie häufiger mal festgestellt, dass die sogenannte Ejektionsfraktion, das heißt diese Auswurfleistung, die wir vom Herzen messen, dass die bei den Frauen tatsächlich ein bisschen höher ist, also im Durchschnitt bei 64% liegt und bei Männern bei 62%. Das ist jetzt nicht so wahnsinnig viel, aber – sagen wir mal – es passt ins Bild.

Und jetzt haben Sie mich gefragt nach dem Herzinfarkt. Der Herzinfarkt ist natürlich wahnsinnig gut untersucht. Und tatsächlich ist es aber so, dass wir durch den Blick, den geschlechtersensiblen Blick sehr, sehr viel mehr dazugelernt haben, gerade hinsichtlich der Pathophysiologie. Und deshalb spreche ich persönlich sehr gerne von myokardialen Ischämien. Weil, wenn man Herzinfarkt sagt, dann denkt man immer an diesen klassischen Herzinfarkt, diese Obstruktion der Koronararterien, der Herzkranzgefäße. Aber tatsächlich ist es so, dass wir schon mindestens seit dem Jahr 2000 wissen, dass 33% der Frauen und Männer, die sich in der Notaufnahme vorstellen, gar nicht diese klassische Brustschmerz-Symptomatik mit Ausstrahlung in den linken Arm haben, sondern vielfältigere Symptome. Und zu diesen Symptomen gehören auch welche, die man so vorher gar nicht so unbedingt mit einer Myokardischämie in Verbindung gebracht hat. Und tatsächlich ist aufgefallen, dass das mehr Frauen sind als Männer, die eben diese anderen Symptome schildern und dass diese Personen oft 7 Jahre älter sind und dass diese Personen oft einen Diabetes haben.
Welche Symptome sind das? Das ist vor allem die Luftnot und die sehr starke Müdigkeit. Frauen berichten häufig, dass sie einfach ihren Alltag nicht mehr bewältigen können, die Kinder nicht mehr gut versorgen können. Und das sind immer Alarmglocken. Aber es gibt natürlich auch die Symptome, dass sie sagen, sie haben einen Druck im Brustbereich, aber der hält in Ruhe viel länger an.

Dr. Carola Göring: Jetzt darf ich gleich 2 Dinge fragen. Erstens, warum ist das so? Kann man sich das erklären, warum die Symptome anders sind bei einigen Personen? Und eben das ist die zweite Frage: Können Sie irgendwie beziffern, wie viel mehr Frauen als Männer diese, sage ich jetzt, nicht-typischen Herzinfarkt Symptome haben?

PD Dr. Ute Seeland: Genau, jetzt gehen wir schon sehr ins Detail. So wie ich Ihre Frage verstehe, ist es wichtig zu erklären, dass von der Pathophysiologie her es eben eher eine langstreckige Veränderung der Herzkranzgefäße gibt und dass diese häufiger bei Frauen, das heißt nicht, sie kommen auch bei Männern natürlich vor, aber häufiger bei Frauen entdeckt worden sind als Ursache eben für diese Symptomatik. Wenn man dann die Herzkatheter-Untersuchung macht, findet man eben keine beschriebene Engstelle, die man aufdehnen kann. Und diese Symptomatik, die nennen wir halt mikrovaskuläre Erkrankungen, die auch noch verschiedene andere Ursachen sozusagen zu dieser Durchblutungsstörung führen können, also wie zum Beispiel Spasmen. Das sind krampfartige Veränderungen der Gefäße oder auch tatsächlich Regulationsstörungen. Und das nennen wir dann funktionelle Störung, Regulationsstörungen der kleinen und mittleren Arterien im Herzen. Also wir haben ja nicht nur die Großen, sondern auch die Kleinen und Mittleren, die ganz, ganz wichtig sind, um die Durchblutung des Herzmuskels zu regulieren. Und tatsächlich, wenn die nicht adäquat sich erweitern oder wieder verengen, dann kommt es genauso zu Durchblutungsstörungen.

Und tatsächlich haben diese Erkenntnisse, die vor allem auch aus Los Angeles stammen, von der Frau Professor Noel Bayrey Merz dazu geführt, dass sich neue Vokabeln in der medizinischen Landschaft ausgebreitet haben. Und das ist die ANOKA, die INOKA und die MINOKA. Das sind die Abkürzungen dafür, dass man sagt okay, diese Person hat eine Angina-pectoris-Symptomatik, eine Brustschmerzsymptomatik, hat aber nicht diese klassischen Verengungen, Verschlüsse der Koronararterien, hat aber trotzdem diese Schmerzen. Und das liegt eben dann daran, dass diese mikrovaskulären Störungen, diese Schmerzen auslösen und die INOKA ist dann die Ischämie, also die nachgewiesene Durchblutungsstörung durch diagnostische Mittel und MINOKA ist dann der Herzinfarkt tatsächlich, der eben auch durch diese anderen pathophysiologischen Ursachen ausgelöst werden kann.

Dr. Carola Göring: Das ist ja spannend, jetzt dürfen unsere Hörerinnen und Hörer auch noch Vokabeln lernen … Was hat das denn, nein anders gefragt, zu diesen 3 neuen Unterkategorien der Herzerkrankung – werden die dann auch unterschiedlich behandelt?

PD Dr. Ute Seeland: Das ist eine sehr gute Frage, weil genau, wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir tatsächlich darüber forschen, welche Medikamente denn dort eingesetzt werden können. Im Moment ist es so, dass man die Risikofaktoren behandelt. Tatsächlich, eine richtig spezielle Therapie für diese funktionellen Herzerkrankungen haben wir noch nicht, aber wir müssen sie erst mal verstehen.

Was aber wichtig ist, tatsächlich ist die Krankenhaus Mortalität mit 23% sehr viel höher gegenüber von 9%, wenn diese unspezifischen Symptome genannt werden. Die Diagnostik ist auch eine andere und das hat sehr lange gedauert, bis sich das in einzelnen Herzkatheterlaboren durchgesetzt hat. Das heißt, wenn eine Frau auf dem Kathetertisch behandelt wird bzw. die Diagnostik durchgeführt wird und die Kolleginnen und Kollegen sehen keine Verengung der Herzkranzgefäße, dann ist es ganz häufig dazu gekommen, dass man gesagt hat, „Oh, ich glaube, Sie haben gar nichts am Herzen. Ich glaube, Sie sollten vielleicht doch noch mal gucken, ob Sie nicht einen Orthopäden, eine Orthopädin oder eine Psychiaterin, einen Psychiater aufsuchen. Und tatsächlich weiß man eben heute durch diese Arbeiten aus der geschlechtersensiblen Medizin, dass man dann eine weitere Diagnostik gleich hinterher anschließen kann mit so einem sogenannten Acetylcholin-Test und einem Adenosin-Test, um diese Reaktionen, um diese funktionellen Störungen der Kranzgefäße diagnostizieren zu können. Das heißt, in der Diagnostik sind wir schon ein bisschen weiter, aber die Therapie, da basiert das noch auf den Risikofaktoren.

Dr. Carola Göring: Ja, das ist wirklich sehr interessant, ein breites Forschungsfeld. Was von diesen vielen Aspekten, die Sie jetzt gerade genannt haben, ist denn jetzt wirklich für die Patientinnen und den Patienten bzw. für die hausärztlich tätigen Kolleg:innen wichtig?

PD Dr. Ute Seeland: Ganz wichtig ist es, dass wenn eine Herzdiagnostik abgeschlossen ist, aber die Personen sich wieder vorstellen mit ähnlichen Symptomen – und das haben wir mal systematisch untersucht in einer Studie. Es sind tatsächlich 60% derjenigen, die vor dieser Herzkatheter-Untersuchung Symptome hatten, dann keine Diagnose bekommen haben, hatten dann weiterhin Symptome. Das heißt, es lohnt sich dann wirklich noch mal mit den Kolleginnen und Kollegen zu telefonieren und zu überlegen, ob man nicht diese funktionelle Katheterdiagnostik, die inzwischen auch übrigens bezahlt wird, noch mal macht. Was wir in dieser Studie auch herausgefunden haben, das ist, dass ein Teil von diesen Frauen und Männern, und es waren eben überwiegend Frauen, Vorhofflimmern hatten.

Vorhofflimmern ist eine häufig verbreitete Rhythmusstörung und tatsächlich ist es noch nicht gelungen, in den Studien die Symptomatik wirklich so zu erfassen, dass man sagen kann, „Okay, eine Person kann jetzt genauso sagen, jetzt habe ich Vorhofflimmern oder nicht.“ Es ist eher so, dass dieses Vorhofflimmern asymptomatisch ist häufig. Und diese Diskrepanz sag ich mal, dass man es nicht merkt, dass man das so nicht spürt. Aber man spürt eben, dass die Leistung nicht mehr so gut ist, dass man eher Luftnot bekommt, dass man halt nicht mehr so den Sport auf hohem Niveau machen kann. Das merkt man dann schon. Und dann gibt es doch so unspezifische Symptomatiken, die dann dazu führen, dass man dann wahrscheinlich auch auf dem Herzkatheter-Tisch landet.

Dr. Carola Göring: Zum Vorhofflimmern kommen wir gleich noch einmal. Die Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind ja wahnsinnig vielfältig und wir können auch gar nicht alle behandeln. Jetzt möchte ich das Thema wechseln. Wirklich zur Herzinsuffizienz. Auch eine Erkrankung, die sehr viele Menschen betrifft. Gibt es da Geschlechterunterschiede, Frau Dr. Seeland?

PD Dr. Ute Seeland: Die Herzinsuffizienz auch superspannend. Zum einen ist es so, dass wir sehr starken Einfluss von den Sexualhormonen auf das Renin-Angiotensin-System haben, vor allem vom 17-Beta-Östradiol. Das Renin-Angiotensin-System ist ein zentrales System, was man erkannt hat, was sowohl für die Bluthochdruck Erkrankung wichtig ist, als auch für die Herzinsuffizienz, um das zu erklären. Und wenn man weiß, dass das Östrogen an vielen Stellen des Renin-Angiotensin-Systems eingreift, dann kann man sich vorstellen, dass bei den Menschen jetzt mal Östrogen-kompetenten Menschen, dass die eine andere Regulation haben als die, die dieses Östrogen nicht so haben. Schon alleine daraus kann man schließen, dass es Geschlechterunterschiede gibt.

Zusätzlich ist es so, dass tatsächlich einzelne Proteine aus diesem System, die Genorte auf dem X-Chromosom liegen. Das heißt, auch dort haben wir einen genetischen Geschlechterdimorphismus. So nennen wir das, wenn auf genetischer Ebene sich Unterschiede detektieren lassen. Das heißt, das sind schon mal Unterschiede.

Dann kommt dazu, dass historisch gesehen die Herzinsuffizienz immer so definiert worden ist, dass es eine Pumpschwäche ist, also eine Einschränkung der Ejektionsfraktion, eine Einschränkung der Kontraktion des Ventrikels. Das war die Definition über Jahrzehnte. Und dann hat man irgendwann festgestellt okay, es ist eigentlich nicht nur die Einschränkung der Kontraktion, die zu Symptomen führt, sondern es ist genauso die Ausdehnung des Ventrikels, der Herzkammer. Die ist genauso wichtig, um das Herz mit Blut zu füllen. Und wenn diese Ausdehnung eingeschränkt ist, dann kommt es auch zu Symptomen. Und dann musste man eben auch hier wieder die geschlechtersensible Brille aufsetzen und hat gesehen, dass tatsächlich Männer häufiger diese eingeschränkte Ejektionsfraktion haben und Frauen häufiger diese erhaltende Ejektionsfraktion, aber eben diese sogenannte diastolische Relaxations-Störung …  und da steht bei den Frauen eben diese Luftnot bei Belastung im Vordergrund. Tatsächlich ist das etwas, was auch im Alter ganz physiologisch entsteht, diese „Weniger-Leistung“ usw. und das abzugrenzen, ab wann ist das jetzt pathologisch und wann nicht? Und da gibt es jetzt diesen Begriff der HFpEF (Heart Failure with preserved Ejection Fraction), Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion abgegrenzt zur HFrEF (Heart Failure with reduced Ejection Fraction), das ist die Herzinsuffizienz mit nicht erhaltener Ejektionsfunktion.

Dr. Carola Göring: Das ist ja total spannend. Was heißt das dann für die Praxis? Wie kann man diese beiden Formen der Herzinsuffizienz unterscheiden?

PD Dr. Ute Seeland: Tatsächlich ist es so, dass 2003 meine ich, war das zum ersten Mal in einer großen Studie nachgewiesen werden konnte, dass die diastolische Funktionsstörung prognostisch relevant ist und dass sie häufiger bei Frauen vorkommt. Wie man die diagnostiziert? Das ist tatsächlich so, dass wir den Stresstest brauchen. Und die Algorithmen, die vorher in den Leitlinien beschrieben worden sind, die hatten eigentlich auf den Stresstest verzichtet. Und 2016, meine ich, war es dann die erste Leitlinie, die diesen Stresstest beschrieben hat, also mit aufgenommen hat, um diese diastolische Dysfunktion zu messen. Und sie ist eigentlich ganz einfach zu messen mithilfe der Echokardiographie, die ja sowieso gemacht wird. Es ist nur so, man muss einfach andere Messparameter erheben. Und diese zusätzlichen Messparameter zu erheben, das darf man nicht vergessen und das sollte man eben in die Routinediagnostik eigentlich mit reinnehmen. Aber wenn es nicht bezahlt wird durch die Krankenkassen, dann ist es natürlich auch immer ganz verständlich, warum diese Diagnostik dann nicht gemacht wird. Also auch hier wieder der Appell, geschlechtersensibel zu denken.

Und wir haben dazu eine Studie gemacht – und die hat gezeigt, dass man indem man den Taillen-Umfang misst, also Zentimetermaß einmal, wenn der über 80 Zentimeter ist bei Frauen und dazu noch die sogenannte Pulswellengeschwindigkeit erhöht ist über 9,7 Meter pro Sekunde. Das ist ein Biomarker, den wir jetzt neu mit etablieren wollen in die Routinediagnostik, weil er doch sehr viel Aussagen hat, und zwar zur Gefäßalterung. Die Gefäßelastizität spielt nämlich eine wesentliche Rolle, wenn wir uns über die Pathophysiologie unterhalten, bei der Herzinsuffizienz auch und beim Bluthochdruck. Das heißt, diese Dinge und postmenopausales Alter, dann kann man die getrost bzw. sollte man unbedingt diese Frauen zu einer Kardiologin, einem Kardiologen, mit der Bitte schicken, diese diastolischen Funktionsparameter in der Echokardiographie zu messen.

Dr. Carola Göring: Also verstehe, bei Frauen eben vor allen Dingen auf den Taillenumfang achten und die eingeschränkte Pulswellengeschwindigkeit.

PD Dr. Ute Seeland: Genau. Bei Männern kann man natürlich genauso auf den Taillenumfang achten, über 90 darf der dann sein. Der Taillenumfang ist nichts anderes als ein Surrogat-Parameter für das viszerale Fett. Das ist das, was metabolisch aktiv ist und was zu den kardiovaskulären Risikofaktoren gehört.

Dr. Carola Göring: Gut, aber wenn man die Diagnose hat, Frau Dr. Seeland, wie sieht dann die Therapie aus?

PD Dr. Ute Seeland: Ja, das ist total spannend, weil erst in diesem Jahr ist tatsächlich zum ersten Mal eine Therapieform nachgewiesen worden in den großen Studien, die auch die HFpEF, also die Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion, positiv beeinflusst hinsichtlich Mortalitätsdaten.
Das muss man sich mal überlegen. Das heißt, wir haben bisher sehr gute Medikamente gehabt, um die Herzinsuffizienz mit der reduzierten EF (Ejektionsfraktion) zu behandeln. Und diese Medikamente hatten aber auch das Problem, dass sie sehr viel häufiger an den Männern und am männlichen Geschlecht untersucht und entwickelt worden sind. Das heißt, da haben wir ganz häufig Studien gehabt, wo 70% Männer eingeschlossen worden sind und 30% Frauen, und damit die Daten nicht geschlechtergerecht getrennt ausgewertet worden sind. Das ist heute auch noch nicht der Fall. Aber wir haben jetzt viel mehr Kenntnisse aus der Versorgungsforschung und konnten doch jetzt einige Nebenwirkungen, die bei dem einen Medikament zum Beispiel mehr bei den Frauen auftreten oder bei den Männern, identifizieren.

Prinzipiell ist das natürlich auch wieder ein eigener Podcast, die Pharmakotherapie, weil es doch sehr viele Unterschiede gibt zwischen den Medikamenten. Aber diese SGLT2-Inhibitoren, die sind die ersten, die tatsächlich auch bei der HFpEF  eingesetzt werden können. Das heißt aber auch, dass wir jetzt Erfahrungen sammeln müssen, natürlich bezüglich der Nebenwirkungen. Man kennt schon ein paar Nebenwirkungen. Das sind vor allem Harnwegsinfekte und Genitalinfekte. Und wenn man sich die Anatomie der Frau überlegt und die des Mannes, dann weiß man auch, dass das hat sich auch in den Statistiken schon gezeigt, dass Frauen tatsächlich häufiger unter diesen Nebenwirkungen leiden. Und gerade bei der älteren Bevölkerung, wo sowieso Inkontinenz, manchmal auch tatsächlich Windeln und alle möglichen Dinge, die da prädestinieren, dass man eine Infektion im Genitalbereich bekommt, dann ist es vielleicht nicht ganz so günstig, diese Medikamente einzusetzen. Daran sieht man auch wieder, dass der Genderaspekt halt auch ganz, ganz groß ist, weil der soziokulturelle Einfluss und wo ich mich gerade befinde und welches Alter ich gerade habe und welche Umstände gerade zutreffen, muss man natürlich sehr differenziert mit den Medikamenten umgehen muss. Aber prinzipiell ist es natürlich tatsächlich eine große Überraschung, weil dieses Medikament ist eigentlich für die Diabeteserkrankung entwickelt worden und ist natürlich jetzt von den Kardiologinnen und Kardiologen sehr gerne aufgenommen worden, weil sie einfach sehr gute Ergebnisse zeigt bei Frauen und Männern mit Herzinsuffizienz und auch mit koronarer Herzerkrankungen.

Dr. Carola Göring: Sehr interessant ist das. Und auch sehr wertvolle Hinweise – Dankeschön. Ich habe kürzlich gelesen in einem Review, dass gerade bei der Herzinsuffizienz viele der üblichen 4 Medikamente bei Frauen zu hoch dosiert werden, dass die mit der Hälfte der Dosierung etwa auskommen. Wie sehen Sie das? Ist das was, was Sie für die Praxis empfehlen würden?

PD Dr. Ute Seeland: Ja, tatsächlich. Sie sprechen gerade die Fantastic Four an. Diese Fantastic Four. Die sollen ja jetzt schon bei, also im Krankenhaus, gegeben werden. Das sind die ACE-Hemmer oder die ARNIs. Das sind die Betablocker, die Aldosteronantagonisten und tatsächlich diese SGLT2-Inhibitoren, die wirklich sehr gute Daten haben.

Aber allein schon an der Fülle der Medikamente können Sie sich denken, dass das natürlich nichts ist, was man jetzt allen einfach so verschreiben sollte bzw. geben sollte, auch wenn das das Ziel ist, natürlich. Aber man muss erst mal die Medikation, die im Krankenhaus gegeben wird, dann natürlich auch in der Hausärzt-Praxis dann weiterführen und dann wird man in der Versorgung natürlich auf Dauer auch sehen, wer welche Medikamente am besten verträgt. Also das ist sicherlich ein ganz, ganz wichtiger Schritt, den wir sowieso aus der geschlechtersensiblen Sicht sehr, sehr wichtig finden, ist, die Daten aus der Versorgung zu erheben, nach dem Geschlecht getrennt auszuwerten und dann Studien noch mal neu zu bewerten. Und dazu gehören eben auch diese Fragen nach der Dosierung.

Die Fragen nach der Dosierung, das ist ein ganz schwieriges Thema aus der Hinsicht, weil bisher ja immer gefordert wird – und was ja natürlich auch eine Rationale hat – dass man nur diese Dosierungen als Zielwerte einsetzt, die in den Studien auch geprüft worden sind. Wenn man aber davon ausgeht, dass meistens nur eine Dosierung, manchmal, wenn man Glück hat, 2 Dosierungen in den Studien geprüft worden sind, überhaupt, und dann noch nicht mal nach den Geschlechtern getrennt ausgewertet worden sind, dann ist es etwas schwierig für die Hausärzte und Hausärzte, diese Medikamente so zu dosieren, dass sie auch für jeden passen und für jede.

Da haben wir natürlich Möglichkeiten, dass wir uns überlegen, okay, was wollen wir denn erreichen? Und dass wir diese Zielwerte mit einem Medikament besser erreichen können als mit einem anderen. Und das, was wirklich häufig auffällt, und das deckt sich mit dieser Studie, das ist eine retrospektive Analyse gewesen, also  keine prospektive Studie. Und da hat man tatsächlich für einen großen Teil, zum Beispiel auch für die Medikamente, die ins Renin-Angiotensin-System eingreifen, gefunden, dass die Hälfte der Dosierung bei Frauen reicht. Und wenn man jetzt sich noch mal überlegt, was ich vorhin gesagt habe, dass es einen Einfluss gibt von dem Östrogen auf dieses Renin-Angiotensin-System und dass es den Geschlechterdimorphismus auf genetischer Ebene gibt, dann verwundert das uns als geschlechtersensible Mediziner:innen natürlich nicht. Und das ist eben ein guter Hinweis, ein gutes Indiz, eine gute Ausgangslage, um immer wieder die Arzneimittelfirmen darauf aufmerksam zu machen. Doch bitte, bitte genügend Frauen, Männer und tatsächlich, wenn möglich natürlich auch diverse Geschlechter. Und da haben wir noch gar nicht gesprochen, das heißt mit einzubeziehen und die Daten nach den nach der Geschlechtervielfalt auch zu trennen.

Dr. Carola Göring: Das verstehe ich sehr gut. Können Sie denn noch sagen, wie die Hausärzt:innen mit dieser Situation umgehen sollen? Da gibt es ja die Leitlinien, da soll man sich ja an bestimmte Dosierungen halten. Darf man da einfach niedriger einsteigen? Oder was wäre Ihre Empfehlung?

PD Dr. Ute Seeland: Offiziell darf man das natürlich nicht empfehlen, weil man muss sich an die an die Studienlage halten. Aber dadurch, dass wir ja jetzt auch die Empfehlung mit den Fantastic Four haben, dass man niedrig dosiert reingeht, und das darf man natürlich mit jedem Medikament machen, erst mal niedrig dosiert anfangen und dann langsam auftitrieren. Da ist ja überhaupt nichts gegenzuhalten. Das heißt, es geht hier –  das, was ich meinte – mehr um die Zieldosierungen, die Dosierungen, unter denen dann auch zum Beispiel die Effekte nachgewiesen worden sind, wie Mortalitätssenkung oder so... Das heißt, ich würde immer erst mal mit einer geringeren Dosierung beginnen und dann engmaschig kontrollieren.

Dr. Carola Göring: Hm. Ja, vielen Dank, Frau Seeland, noch für diesen wirklich praktischen Hinweis. Wie ich schon sagte, es gibt ja so viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein auch ein ganz wichtiges Krankheitsbild sind die verschiedenen Herzrhythmusstörungen. Was gibt es da für wichtige geschlechtersensible Aspekte?

PD Dr. Ute Seeland: Bei den Herzrhythmusstörungen finde ich persönlich sehr wichtig, die Medikamente zu kennen, die eine sogenannte gute QTC-Zeitverlängerung machen im EKG. Warum ist das wichtig? Einfach deshalb, weil das alle Medikamente sein können, die auch gar nicht unbedingt mit einem kardiovaskulären System zu tun haben. Das können auch Antibiotika zum Beispiel sein. Es gibt jetzt auch eine größere Studie, die das noch mal systematisch untersucht hat. Und der Grund ist, dass diese QTC-Zeit, das ist ja im Prinzip nichts anderes als eine Zeit, die einen Teil des Aktionspotentials in der Zelle beschreibt. Und diese Aktionspotenziale brauchen wir sozusagen als Taktgeber für den Rhythmus. Und wenn man weiß, dass das Östrogen zum Beispiel einen Einfluss hat auf diese Kaliumkanäle, die dort beeinflusst werden. Da Frauen schon per se eine verlängerte QTC- Zeit haben im Vergleich zu Männern. Dann ist es auch klar, wenn man dann Medikamente gibt, die diese QTC-Zeit noch weiter erhöhen und wir Schwellenwerte haben, sagen wir mal von 500 Millisekunden, dass Frauen diesen Schwellenwert eher erreichen. Und dann kann es nämlich zu diesen sehr gefährlichen, lebensbedrohlichen Torsade-de Pointes-Tachykardien kommen. Das ist der Punkt. Die wollen wir natürlich verhindern.

Und eine Studie, jetzt gerade aktuell erschienen aus 21, da wurden mal die Daten aus den USA analysiert zu unerwünschten Arzneimitteln. Und da waren es zwar 0,04% der Fälle, die überhaupt mit einer Torsade-de-Pointes-Tachykardien, die dort aufgeführt sind. Das klingt jetzt nicht viel, aber wenn man betroffen ist, dann ist es natürlich wesentlich. Und wenn man das weiß, wo die Ursachen sind, dann kann man die natürlich vermeiden. Und es waren 56% Frauen betroffen und 34% Männer. Und der Rest, das waren diverse Geschlechter bzw. keine Angaben zum Geschlecht. Und die 4 Medikamente, die dort genannt wurden oder 5, die vor allem prädestinieren für diese Torsade-de Pointes-Tachykardien. Wenn man die vielleicht im Hinterkopf behält, ist das nicht schlecht. Das ist einmal das Amiodaron. Dann ist es das Furosemid, das Methadon, das Citalopram und das Loperamid, das heißt Medikamente, die man durchaus häufiger mal einsetzt in der hausärztlichen Praxis. Und wenn man dann ein EKG schreibt und die QTC-Zeit überprüft, dann ist man auf der sicheren Seite. Von daher finde ich das eine ganz, ganz wichtige Information.

Dr. Carola Göring: Ja, ein super Tipp. Auf der sicheren Seite sein ist immer gut. Sie haben eben schon das Vorhofflimmern angesprochen. Was gibt es da für geschlechtersensible Unterschiede? Ach, Blödsinn. Sie haben eben schon das Vorhofflimmern angesprochen. Gibt es da in. Gibt es da Geschlechterunterschiede?

PD Dr. Ute Seeland: Nun, beim Vorhofflimmern ist es so, dass wir überlegen müssen, welche Trigger gibt es denn? Und tatsächlich sind wir da in den Studien noch nicht komplett. Sagen wir mal, wissen wir das einfach noch nicht.

Und das ist übrigens dieses Gender Data Gap. Davon haben viele bestimmt schon mal gehört. Es gibt ganz, ganz viele Themen, da wissen wir es einfach nicht. Das liegt unter anderem daran, weil an Frauen häufig weniger Daten erhoben worden sind und sowieso auch von nicht in die Auswertung und in die Konsequenzen eingeflossen sind. Aber was wir eben wissen, zum Beispiel beim Vorhofflimmern, bei Männern ist es häufiger durch Alkohol getriggert. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Ich glaube, das wissen auch die allermeisten Hausärzt:innen. Und bei Frauen ist es so, dass wir tatsächlich so nach Unfruchtbarkeit und nach Fehlgeburten fragen sollten, weil das sind tatsächlich anamnestische Hinweise, die im Zusammenhang stehen mit Schlaganfall. Ob da der Link über das Vorhofflimmern jetzt jedes Mal dabei ist, kann ich nicht sagen. Aber was den Schlaganfall angeht, da wäre es mir vielleicht wichtig, noch zu sagen, dass man Frauen zum Beispiel im Alter so zwischen 54 und 76 Jahren, so die Studienlage, wenn die eine Unfruchtbarkeit haben oder mehrere Fehlgeburten oder Totgeburten in der Anamnese, dass sie dann ein erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall haben, also 11%. Das klingt jetzt nicht so wahnsinnig viel, aber wer betroffen ist und gerade von Schlaganfall, das ist nun mal so was von limitierend in der Lebensqualität, sodass wir da auch, finde ich, alle anamnestischen Hinweise unbedingt benutzen sollten, um das zu verhindern. Da würde ich empfehlen, wirklich dringend aufzuklären und natürlich auch regelmäßig zu untersuchen auf kardiovaskuläre Risikofaktoren, um diese gefährdeten Personen zu identifizieren.

Dr. Carola Göring: Ja, Frau Dr. Seeland, Sie haben eben schon gesagt, Alkohol ist ein Risikofaktor für Vorhofflimmern. Zumindest bei Männern. Bleiben wir doch bei den Risikofaktoren. Es gibt ja viele Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Was gibt es für spezifische Aspekte?

PD Dr. Ute Seeland: Die Risikofaktoren, die ja in der Anamnese nicht fehlen dürfen, das sind die Schwangerschaftserkrankungen. Da hatten wir ja ganz am Anfang schon mal kurz drüber gesprochen. Schwangerschaftsdiabetes und Schwangerschafts-Hypertonie, die nachweislich, gerade auch die Präeklampsie, mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko in späteren Jahren einhergehen. Das heißt, jährliche Kontrollen der Risikofaktoren sind hier sehr wichtig.

Autoimmunerkrankungen, überhaupt entzündliche Erkrankungen, auch aus dem rheumatologischen Formenkreis gehören genauso zur Anamnese dazu, weil die auch nachweislich mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko gerade bei Frauen assoziiert sind.

Bei Männern sollte man immer mal wieder nach der erektilen Dysfunktion fragen, da wir wissen, dass die erektile Dysfunktion tatsächlich gar nicht mal so selten ist, erst einmal, und zweitens ein Hinweis auf kardiovaskuläre Erkrankungen darstellen kann und häufig mit dem metabolischen Syndrom assoziiert ist.

Diese weiteren Risikofaktoren, wie zum Beispiel der Lipidstoffwechsel, da wissen wir ja, dass das HDL zum Beispiel bei Frauen höher liegt als bei Männern. Dass das LDL auch gerade in der Peri-Menopause sehr schwanken kann. Aber prinzipiell ist es natürlich so, dass erhöhte LDL-Spiegel mit Statin-Therapien sehr gut therapiert werden können und müssen und dass diese Statin-Therapien tatsächlich auch eine kleine Herausforderung manchmal darstellen. Gerade wenn sich Nebenwirkungen einstellen, wie zum Beispiel Muskelbeschwerden. Das ist eine sehr häufige Nebenwirkung, aber da gibt es sehr gute Leitlinien und Empfehlungen, wie man dann damit umgeht, so dass man dann doch einen großen Teil von Frauen und Männern, die nicht mit der ersten Statingabe zurechtkommen, doch noch mal abholen kann und umstellen kann auf andere Medikamente bzw. mit der Dosierung noch mal anders umgehen. Da gibt es also sehr gute Möglichkeiten, doch fast alle zu behandeln, die einen erhöhten LDL-Spiegel haben.

Dr. Carola Göring: Stimmt es, dass Frauen häufiger Nebenwirkungen unter einer Statin-Therapie haben, das wird ja glaube ich sehr diskutiert derzeit?

PD Dr. Ute Seeland: Tatsächlich ist das so. Deshalb sind wir auch sehr froh, dass es jetzt eine Vielfalt von Medikamenten gibt, die auch den Lipidstoffwechsel sehr positiv beeinflussen, so dass man nicht unbedingt auf die Statine angewiesen ist.

Dr. Carola Göring: Wie sieht es aus mit Diabetes als Risikofaktor – gibt es da Geschlechterunterschiede?

PD Dr. Ute Seeland: Der Diabetes-Typ-2 ist tatsächlich assoziiert mit einem kardiovaskulären Risiko, was 2,3- bis 3-fach erhöht ist bei Frauen im Vergleich zu gesunden Personen. Wenn man das mit der Lebenserwartung ausdrückt, dann ist es so, dass wenn eine Frau eine Diabeteserkrankung hat, im Vergleich zu einer gesunden Frau, die Einbuße an Lebensjahren ungefähr bei 11 Jahren liegt.

Carola Göring: Ui, das ist viel.

PD Dr. Ute Seeland: Ja, das ist wirklich viel, bei Männern eher bei 10 Jahren. Der Unterschied klingt jetzt nicht so groß, aber es gibt einen Unterschied. Und noch drastischer ist es tatsächlich bei der Kombination mit einer Niereninsuffizienz. Da hatten wir jetzt noch gar nicht drüber geredet. Das ist übrigens auch ein ganz wichtiger Faktor, wenn wir uns über geschlechtersensible Medizin unterhalten.

Wir müssen uns bewusst sein, dass die Nierenfunktion im Alter doch deutlich abnimmt und tatsächlich bei Frauen schneller abnimmt als bei Männern. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt, der auch Einfluss hat auf Pharmakokinetik, Pharmakodynamik, bzw. auf die Wirkung und die Dosierung der Medikamente – und ein nicht zu unterschätzenden Risikofaktor tatsächlich darstellt. Das heißt die Nierenprotektion, die war eigentlich lange überhaupt gar kein Thema, weil man es eigentlich auch nicht so richtig wusste. Was sollte man denn tun? Aber es ist ein riesiges Forschungsfeld, was immer bedeutender wird und wenn man sich überlegt, dass wenn eine Frau eine chronische Nierenerkrankung hat und damit allein schon eine verminderte Lebenserwartung von 6, 6,5 Jahren hat, Männer von 5, 5,5 Jahren, dann die Kombination von Diabetes und Niereninsuffizienz tatsächlich eine Lebenserwartungs-Reduktion von bis zu 16 Jahren bei Frauen bedeuten kann und bei Männern bis zu so 14, 15 Jahren. Das ist schon bedeutend. Und daher ist es so wichtig, die Diabeteserkrankung frühzeitig zu behandeln und immer die Niere mit im Blick zu haben.

Dr. Carola Göring: Verstehe. Wir haben jetzt noch gar nicht über die Hormontherapien gesprochen. Also vielleicht einerseits im Sinne der Verhütung der Pille bei jungen Frauen und andererseits die Hormontherapie, Hormonersatztherapie in den Wechseljahren. Wie sieht es da aus mit dem kardiovaskulären Risiko?

PD Dr. Ute Seeland: Tatsächlich ist die Pille natürlich ein Segen für viele Frauen, keine Frage. Und da will auch niemand daran rütteln. Aber wir dürfen die Frage stellen und wir müssen sie auch stellen, ob die Pille auch wirklich von jeder Frau gleich gut vertragen wird. Und ich finde immer, dass man die Frauen aufklären muss, einfach über potenzielle Risiken. Und dazu möchte man natürlich Frauen gerade identifizieren, die ein erhöhtes Risiko haben könnten, unter der Pille in ihrem Leben vielleicht eine Bluthochdruck-Erkrankung zu entwickeln. Was wir wissen ist, dass viele Frauen und oder 1/3 der Frauen unter der Pille eine Blutdruckerhöhung so bis zu 8 Millimeter Hg haben. Das ist so der Grenzwert, den ich noch tolerieren würde. Ich würde aber schon noch mal genauer hingucken bei den Frauen, die halt mehr als diese 8 Millimeter Hg unter der Pille entwickeln. Und meistens sind das auch Frauen, die zusätzlich andere Risikofaktoren haben, und mit denen man gemeinsam drüber nachdenken sollte über alternative Verhütungsmethoden.

Tatsächlich ist es auch so, dass ich eine Studie dazu gemacht habe bzw. eine retrospektive Datenanalyse, wo ich gesehen habe, dass die Pille diesen Augmentations-Index, also einen dieser vaskulären Biomarker, die einem einen Hinweis darauf geben, ob die Funktion der kleinen und mittleren Arterien so funktioniert, wie man sich das vorstellt, oder ob die eingeschränkt ist, und das hat wieder dann was mit der Gefäßalterung zu tun. Und unter der Pille kann es bei ein paar Frauen dazu kommen, dass diese Augmentations-Index erhöht ist und das ist ein Hinweis darauf, dass ich auch mit diesen Frauen darüber sprechen würde, ob es nicht alternative Methoden gibt. Ja.

Dr. Carola Göring: Der Verhütung.

PD Dr. Ute Seeland: Ja!

Dr. Carola Göring: Sehr wichtiger Hinweis auch. Wenn ich jetzt die Risikofaktoren, die Sie so aufgezählt haben, noch mal so vor meinem Auge ablaufen lassen, fehlt mir noch der Bluthochdruck.

PD Dr. Ute Seeland: Ja, der Bluthochdruck ist natürlich einer der stärksten Risikofaktoren, tatsächlich, für Frauen und Männer. Bei Frauen eben, wie ich gerade gesagt habe, da muss man tatsächlich gerade diese ganzen soziokulturellen Aspekte auch mit einbeziehen. Das heißt, man hat früher lange ignoriert, dass Stress, psychischer Stress zum Beispiel, ein Risikofaktor ist. Inzwischen wissen wir, dass es ein Risikofaktor ist und dass auch Blutdruck sich erhöhen kann darunter. Das heißt, die Medikamente, die entwickelt worden sind für die Bluthochdruck-Erkrankung, helfen dann in diesem Fall natürlich nicht wirklich so optimal. Und das ist immer wieder das Gleiche, dass man doch einfach sehr viele Genderaspekte auch mitdenken muss, die auch zu Bluthochdruck-Erkrankungen führen können. Und dazu gehören einfach auch solche Anamnesen, die sich mit häuslicher Gewalt beschäftigen, die Diskriminierung jeglicher Art miteinbeziehen und die einfach mal so ein bisschen über den Tellerrand der reinen Kardiologie gucken.

Denn es ist ja einfach so, dass Bluthochdruck tatsächlich bis ins letzte Detail noch nicht wirklich verstanden ist. Und es liegt wahrscheinlich daran, dass man diese Interaktion mit den biologischen Faktoren und den soziokulturellen Gegebenheiten sehr stark hier beleuchten muss und als Ursachen mit in Betracht ziehen.

Dr. Carola Göring: Ich glaube. Ich bin mir sicher, Sie haben die wichtigsten Risikofaktoren und vor allen Dingen auch die Geschlechteraspekte bei den Risikofaktoren jetzt aufgezählt, Frau Dr. Seeland. Und wenn man das Risiko kennt, kann man ja vorbeugen. Was sind da aus Ihrer Sicht wichtige Präventionsmaßnahmen?

PD Dr. Ute Seeland: Protektive Faktoren – das ist ein Lieblingsthema von mir, weil eigentlich mag ich das gar nicht so viel über Risikofaktoren reden, sondern ich mag viel lieber über die Faktoren reden, die zu einem gesunden Altern führen und überhaupt zu einer langen Gesundheit. Und dazu gehören sicherlich solche Dinge wie Bewegung. Und da gibt es sehr, sehr viele gute Studien inzwischen dazu, dass die Bewegung einen ganz, ganz wichtigen Effekt hat auf den gesamten Körper. Und damit ist immer die Frage verbunden, wie viel soll ich mich denn eigentlich bewegen? Und diese 150 Minuten in der Woche sind, glaube ich, so ein ganz guter Anhalt, so dass man sich auch selbst motiviert, regelmäßig was zu tun. Sportliches bzw. schnelles Laufen bei Frauen … tatsächlich hat sich gezeigt, dass sie sehr viel lieber motiviert werden, wenn Musik dazu gespielt wird. Also all diese Sachen wie Zumba und Gymnastik mit Musik usw. Das motiviert einfach mehr, weil doch sehr, sehr viel auch über Motivation geht. Tatsächlich muss man von den Studien her die Männer nicht ganz so häufig motivieren. Die machen das dann doch schon ein bisschen eher von alleine. Wobei ich mir da nicht so ganz sicher bin, ob die Studien so gut gemacht sind, weil man hört ja häufig von den Frauen „Ich habe genug in meinem Haushalt zu tun, da bewege ich mich genug.“ Ich glaube, dass da einiges an Bewegung noch nicht richtig erfasst ist teilweise. Das ist auch so etwas, das man durch die geschlechtersensible Sichtweise einfach neue Ideen bekommt, wo man denn noch wo was untersuchen kann und sollte.

Das andere ist die gesunde Ernährung. Da ist es ja auch sehr hochinteressant, dass ja doch häufig die Frauen für die Ernährung in der Familie zuständig sind. Aber die besten Köche sind Männer. Ja, das heißt, das ist ein Thema, was uns alle betrifft. Und da fehlt oft natürlich dann auch die Zeit, sich gesund zu ernähren. Aber die müsste man sich eben theoretisch nehmen. Und es gibt eine Studie, da hat so ein Computeralgorithmus das mal hochgerechnet, wenn man mit 20 Jahren beginnt, sich wirklich gesund zu ernähren, und wir alle wissen, dass es halt diese mediterrane Kost ist, dass man dann doch tatsächlich bis zu 8 Lebensjahre auf seinem positiven Konto hat. Und das könnte doch eine Motivation sein.

Natürlich Rauchen, Nikotinabusus. Das ist ganz klar belegt, dass man möglichst viel daran tun sollte, nicht zu rauchen und tatsächlich tun sich da Frauen manchmal schwieriger, mit dem Rauchen aufzuhören auf Dauer.

Dr. Carola Göring: Hmm …Protektiver Faktor Hormontherapie in der Peri-Menopause?

PD Dr. Ute Seeland: Auch ein ganz ganz wichtiges Thema. Tatsächlich ist es so aus meiner Sicht, dass die Studien, die bisher bekannt sind, natürlich absolut zu respektieren sind. Diese Women Health Initiative Studie zum Beispiel, die eben gezeigt hat, dass wenn man mit der Therapie 10 Jahre nach der Menopause beginnt, dass das keinen Benefit hat, kein protektiver Faktor ist für kardiovaskuläre Erkrankungen, sondern ganz im Gegenteil die Krebsstatistik erhöht hat. Das heißt aber auf der anderen Seite, wenn man früh genug beginnt und dazu gibt es inzwischen auch ganz gute Studien, dass man dann nicht in diesen Risikobereich kommt … maximal 10 Jahre, sagt man im Moment, früh genug anfangen. Und natürlich nur bei den Frauen, die wirklich massive Probleme haben in der Menopause mit der Umstellung. Aber dann zeigen die neuesten Daten, dass es machbar ist.

Dr. Carola Göring: Wir haben jetzt doch schon sehr lange geredet, Frau Dr. Seeland. Und zum Schluss wird es immer etwas persönlicher. Daher die klassische Frage schon hier im GenderMed-Podcast: Wie sind Sie auf die geschlechtersensible Medizin gekommen und was motiviert Sie, sich in diesem großen Ausmaß zu engagieren?

PD Dr. Ute Seeland: Ja, drauf gekommen bin ich tatsächlich damals, das war in Homburg. Da habe ich Laborforschung gemacht und da ging es um Herzinsuffizienz-Forschung. Und da ist mir aufgefallen, als ich da verschiedene Tiermodelle untersucht habe, dass ich irgendwie die Daten nicht reproduzieren konnte, wenn ich einfach weibliche und männliche Mäuse, so wie es gerade zur Verfügung stand, genommen hatte. Und diese fehlende Reproduzierbarkeit, die es mir dann irgendwann aufgefallen und da habe ich dann das überlegt, woran das liegen könnte. Und das andere ist, dass ich die die Techniken, es gibt halt bestimmte Techniken, mit denen man Herzinsuffizienz experimentell erzeugen kann. Auch diese Techniken, die hatten unterschiedlichen Einfluss auf die Größe des Ventrikels usw. und die diastolische Dysfunktion und so. Und da bin ich auf die Idee gekommen, dass es vielleicht an den Geschlechterunterschieden liegen könnte. Und ich hatte dann die Möglichkeit, an die Charité zu wechseln, ans Institut für Geschlechterforschung in der Medizin, und da wurde mir das dann jeden Tag immer klarer, wie wichtig denn diese Unterschiede sind und dass sie einfach auch mein eigenes Denken sehr bereichert haben und neue Räume geöffnet.

Dr. Carola Göring: Ja, vielen Dank. Und jetzt wirklich die allerletzte Frage. Wagen Sie einen Blick in die Zukunft, wie wird die geschlechtersensible Medizin in 10 Jahren aussehen?

PD Dr. Ute Seeland: Ich bin da ganz klar. Und zwar ist es logisch, dass ich sage, dass die geschlechtersensible Denkweise und die Berücksichtigung dieser weiteren Diversitätsfaktoren, die wir ja jetzt auch alle mit angesprochen haben, dass das die Zukunft ist, sowohl die Zukunft in den Hausarztpraxen als auch die Zukunft in den Kliniken als auch in der generellen medizinischen Forschung.

Und dieser Wandel, dass wir diesen Wandel erreichen, da müssen wir die gesamte Gesellschaft mitnehmen. Und dieser gesellschaftliche Diskurs über diese Geschlechterunterschiede trägt dazu bei, dass wir weiterkommen im Denken, dass wir natürlich auch besser werden, uns weiterentwickeln. Das ist ein Prozess, in dem wir uns gerade befinden. Und den Skeptikerinnen und Skeptikern sage ich dann halt eben auch immer, dass wir auch mal Gelerntes vergessen dürfen, um neue Räume zu schaffen und neues Wissen zuzulassen und dem positiv entgegen zu sehen. Denn zu jedem Lernen gehört auch ein Vergessen. Ich kann alle verstehen, die sagen, „Wieso sollen wir jetzt die ganze Medizin revolutionieren?“, aber es ist die Zukunft.

Dr. Carola Göring: Vielen Dank, Frau Dr. Seeland. Sie haben uns jetzt mitgenommen in das breite Feld der Geschlechterunterschiede bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und haben es geschafft, einerseits einen tollen Überblick zu geben über das wirklich komplexe Feld und andererseits so viele praktische Hinweise zu geben, die sowohl ihre Kolleg:innen als auch die Patient:innen beherzigen können. Das finde ich wirklich toll. Dankeschön.

PD Dr. med. Ute Seeland: Sehr gerne.

Quelle: journalmed.de


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