Ältere Generation profitiert von den verbesserten Lebensbedingungen nach dem zweiten Weltkrieg
Wer heute in Rente geht, hat statistisch gesehen weitaus mehr Lebensjahre vor sich als seine Großeltern. Die ältere Generation profitiert von den verbesserten Lebensbedingungen nach dem zweiten Weltkrieg: weniger schwere körperliche Arbeit, bessere Ernährung, gute medizinische Versorgung und mehr Gesundheitsbewusstsein. „Bereits Anfang der 1980er Jahre stellte der amerikanische Mediziner James Fries die These auf, dass aufgrund der insgesamt besseren Lebensumstände die Erkrankungsraten sinken und das Auftreten von Krankheiten und Behinderungen sich nach hinten in spätere Lebensphasen verschiebt“, erklärt Prof. Dr. Siegfried Geyer, Leiter der Medizinischen Soziologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Von dieser positiven Perspektive ausgehend untersuchte Prof. Geyer gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe, wie sich der Gesundheitszustand unterschiedlicher Altersgruppen in der Bevölkerung entwickelte.
Verbesserter Gesundheitszustand setzt sich bei der jüngeren Generation nicht fort
Prof. Geyer und sein Team beschäftigen sich bereits seit 2014 mit dem Thema „Kompression und Expansion der Morbidität“. Für die Übersichtsarbeit werteten die Forschenden nationale und internationale Studien aus und stellten eigene Recherchen an. Außerdem nutzten sie Daten der AOK Niedersachsen, die eine breite Sozialstruktur abbilden. „Wir haben uns den Zeitraum von 2005 bis 2019 angeschaut und zu verschiedenen Zeitpunkten Kohorten gleichen Alters miteinander verglichen“, so Prof. Geyer. Das überraschende Ergebnis: Der sich früher über Jahre verbessernde Gesundheitszustand der Älteren setzt sich bei den später geborenen Generationen nicht fort. Diese Entwicklung findet sich beispielsweise auch für die USA.
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Ältere: Bessere Gesundheit und längeres Leben
Der Gesundheitszustand der heutigen älteren Generation, also der Menschen, die bis in die 1950er und 1960er Jahren geboren wurden, hat sich deutlich verbessert: Alle Arten von Herzkreislauferkrankungen nahmen ab oder verschoben sich in ein höheres Lebensalter. Das gleiche gilt auch für
Schlaganfälle und
Lungenkrebs, primär bei Männern. Parallel zum Rückgang des Nikotinkonsums verringerte sich von 2006 bis 2017 die Lungenkrebsrate bei Männern um 31%. Auch demenzielle Erkrankungen treten in der Altersgruppe seltener oder später auf. Für die genannten Erkrankungen fand bei dieser Generation also eine deutliche Morbiditätskompression statt. „Es gibt bildungs- und einkommensabhängige Unterschiede, aber insgesamt hat die ältere Generation deutlich an Gesundheit gewonnen“, betont Prof. Geyer.
Jüngere: Schon früh Adipositas und Typ-2-Diabetes
Zu den Erkrankungen, deren Rate über alle Altersgruppen hinweg stieg, gehört
Typ-2-Diabetes. Hier stellten die Wissenschaftler:innen eine Morbiditätsexpansion fest. Besorgniserregend ist, dass die Erkrankung immer häufiger schon im frühen Erwachsenenalter auftritt. „Das ist mit einer verlängerten Erkrankungsdauer und einem erhöhten Risiko für Komorbiditäten verbunden“, stellt Prof. Geyer fest. Das zeige sich bereits in den Altersgruppen der 18- bis 45-Jährigen. Alarmierend ist auch die Entwicklung von Adipositas in jungen Lebensjahren. So hat sich der Anteil adipöser Menschen im Alter zwischen 25 und 55 Jahren im Zeitraum von 2004 bis 2020 fast verdoppelt. Er stieg von insgesamt 12,7 auf 23,4% an. Adipositas begünstigt wiederum Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall und Fettleber.
Herausforderungen für Sozialsystem, Gesundheitsbranche und Wirtschaft
„Die These der Morbiditätskompression von James Fries hat sich in unserer Untersuchung nur für die heute ältere Generation bestätigt. Sie ist wesentlich gesünder als die Generation ihrer Eltern und Großeltern. Diese positive Entwicklung setzt sich aber bei den später Geborenen nicht fort“, fasst Prof. Geyer die Ergebnisse der Übersichtsarbeit zusammen. Bei der jüngeren Generation sei eine Morbiditätsexpansion festzustellen. Der schlechtere Gesundheitszustand gehe zudem einher mit einer demografischen Verkleinerung der Gruppe jüngerer Menschen. Dies könne enorme Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme und die Wirtschaft haben. „Die Krankheitsfälle werden zukünftig zunehmen und die Gesundheitskosten steigen“, befürchtet der Medizinsoziologe.
Gesundheitsrisiken durch Sitzen und hochkalorische Ernährung
Um dem entgegenzuwirken, müssten die Arbeitsbedingungen einzelner Berufsgruppen stärker ins Blickfeld rücken. Früher galten hauptsächlich körperliche Belastungen und Schadstoffexpositionen als Gesundheitsrisiko. Heute hingegen ergeben sich Risiken aus überwiegend sitzender Tätigkeit. Und auch
bei der Ernährung läuft vieles falsch. Denn während durch die veränderte Lebensweise der notwendige Kalorienbedarf über die Jahre stetig gesunken ist, ist der tatsächliche Kalorienverbrauch ständig gestiegen.