Samstag, 29. Juni 2024
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Medizin
Vielversprechende Forschungsfortschritte

Neue Hoffnung für die Parkinson-Therapie

von Birgit Frohn

Neue Hoffnung für die Parkinson-Therapie
© Zerbor – stock.adobe.com
Die jüngsten spannenden Erkenntnisgewinne in allen Bereichen der Parkinson-Forschung stimmen zuversichtlich, dass die Patient:innen in absehbarer Zeit von effektiven innovativen Therapien profitieren können. Mit der Entwicklung neuer Wirkstoffe, die kausal in den Krankheitsprozess eingreifen, könnte sich das Fortschreiten verlangsamen oder sogar stoppen lassen.
Sie ist nicht nur die weltweit zweithäufigste, sondern auch die am schnellsten zunehmende neurodegenerative Erkrankung: Morbus Parkinson betrifft inzwischen rund 400.000 Deutsche. Bei der Mehrheit von ihnen wird die Diagnose im Alter von Ende 50 bis Ende 60 gestellt. Allerdings gibt es auch weit jüngere Betroffene.

Lixisenatid: Diabetes-Medikament mit Potenzial

Nach Jahren des Stillstands gibt es inzwischen „schöne Fortschritte in der Forschung“, sagte Prof. Dr. Joseph Claßen, erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) sowie Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Leipzig, bei einer Pressekonferenz im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Parkinson und Bewegungsstörungen. „Brandneue Studien bringen neue Hoffnung für die Therapie“.

Eine davon ist die LIXIPARK-Studie (1) zur Auswirkung des GLP1-Rezeptorantagonisten Lixisenatid. Der Effekt von Diabetes-Medikamenten bei Parkinson wird schon seit Längerem untersucht. Die aktuelle Studie ist jedoch die erste multizentrische klinische Studie, die Anzeichen für eine Wirksamkeit liefert. Eingeschlossen waren 156 Proband:innen in einem frühen Stadium mit leichten bis mittelschweren Parkinson-Symptomen. Alle von ihnen nahmen bereits Standardmedikamente wie Levodopa oder entsprechende andere Arzneimittel ein. Eine Hälfte der Studienteilnehmer:innen erhielt ein Jahr lang den Wirkstoff Lixisenatid, die andere ein Placebo. Nach den 12 Monaten zeigte sich in der Placebo-Kontrollgruppe wie erwartet eine Verschlechterung der Symptome. Auf einer Skala zur Bewertung des Schweregrads (MDS-UPDRS; Movement Disorder Society–Unified Parkinson’s Disease Rating Scale), die misst, wie gut die Betroffenen Sprechen, Essen und Gehen können, hatte sich ihr Befund um 3 Punkte verschlechtert. In der Verum-Gruppe änderte sich die Punktzahl auf dieser Skala hingegen nicht.

Diese Daten zeigen laut Prof. Claßen, dass „sich die Krankheit mit Lixisenatid wirklich bremsen lässt – in einem zwar geringen, indessen statistisch signifikanten Umfang“. Problematisch sind nach seinen Worten allerdings die Nebenwirkungen wie vor allem Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Bei den davon in der Studie betroffenen Proband:innen musste deshalb die Dosis reduziert werden. „Der Diabetes-Wirkstoff ist also kein besonders gut verträgliches Medikament, birgt jedoch das Potenzial, tatsächlich in den Krankheitsverlauf einzugreifen“. Wobei noch unklar ist, worauf der positive Effekt bei Parkinson beruht. „GLP-1-Medikamente sind dafür bekannt, dass sie Entzündungen reduzieren; möglicherweise hängt damit ihre Wirkungsweise zusammen“. Wissenschaftlich interessant, so Prof. Claßen weiter, ist zudem die in der aktuellen Studie nicht untersuchte Frage, ob GLP-1-Medikamente vor dem Verlust von Dopamin-produzierenden Neuronen schützen und vielleicht den Ausbruch von Parkinson verhindern können. „Das wären sehr wichtige Ziele, denn Parkinson lässt sich bisher nicht ursächlich behandeln“.
 
 

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Prasinezumab als weiterer Hoffnungsträger

Der monoklonale Antikörper Prasinezumab, der aggregiertes Alpha-Synuclein bindet, entpuppte sich als potenziell krankheitsmodifizierende Therapie für bestimmte Untergruppen bei der Parkinson-Krankheit im Frühstadium. Zunächst enttäuschte der seit längerem im Fokus stehende Wirkstoffkandidat: In der vorangegangenen Phase-II-Studie PASADENA (2) über 52 Wochen versus Placebo verfehlte er den primären Endpunkt. In einer aktuell veröffentlichten Post-hoc-Analyse (3) wurden dann gezielt Subgruppen untersucht. Nach den Worten von Prof. Claßen zeichneten sich alle von ihnen durch eine besonders rasche motorische Progression aus. Bei ihnen zeigten sich klinisch relevante Vorteile zur Reduktion des Fortschreitens motorischer Symptome. „Dieser Effekt ist ein starkes Ergebnis“, so  Prof. Claßen. Und liefert gute Gründe, um den Therapieansatz mit Prasinezumab weiter intensiv zu erforschen.

KI zur besseren Früherkennung von Parkinson

Zum Zeitpunkt der Diagnose sind bereits 60% der Nervenzellen in der Substantia Nigra untergegangen. Deshalb zielen aktuelle Studien auch darauf ab, das Absterben von Dopamin-Neuronen möglichst noch vor dem ersten Auftreten der Symptome zu stoppen. Essentiell, um frühzeitig eingreifen zu können, ist eine verbesserte Früherkennung. Dabei wird die künstliche Intelligenz laut Prof. Claßen künftig eine wichtige Rolle spielen. „Hierzu gibt es bereits viele wissenschaftliche Arbeiten“. So konnte eine große britische Studie mit über 103.000 Proband:innen zeigen, dass über eine Woche am Handgelenk getragene Bewegungssensoren bis zu 7 Jahre vor der klinischen Diagnose auf einen beginnenden Morbus Parkinson hinweisen können (4). Auch KI-gestützte Sprachanalysen tragen zur besseren Früherkennung bei: Personen mit einem höheren Schweregrad sprachlicher und akustischer Auffälligkeiten haben ein größeres Risiko, eine neurodegenerative Erkrankung wie Parkinson zu entwickeln (5). Zudem können KI-unterstützte Apps am nächtlichen Atemmuster einer Person erkennen, ob eine Parkinson-Erkrankung vorliegt und wenn ja, in welchem Schweregrad (6).

Technologie-gestützt zur optimierten Therapie

Prof. Dr. Alexander Storch, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Rostock, untersuchte mit seinem Team, inwieweit Wearables zur objektiven Bewertung der Motorik beitragen können (7). Dazu trugen die Proband:innen Akzelerometer am Handgelenk. Bei der Auswertung der Daten ergaben sich moderate Korrelationen des digitalen Tagebuchs mit der klinischen Untersuchung. „Deshalb ist die Anwendung im Monitoring möglich, auch in Studien und digitalen Sprechstunden“. Die zeitliche Korrelation auf Stundenlevel erwies sich jedoch laut Prof. Storch als eingeschränkt.

Anlass zu Optimismus geben zudem Neuroprothesen bei schweren Gangstörungen wie Freezing of Gait. Erstmals wurde die Implantation von epiduralen Elektroden im Rückenmark an einem Parkinson-Patienten untersucht (8). Der 61-jährige ist über drei Jahrzehnte erkrankt und hatte mehrfach täglich Stürze aufgrund seiner Gangstörungen. Durch die elektrische Stimulation des Rückenmarks mittels TEES (Targeted Epidural Spinal Stimulation) wurden alle wesentlichen Gangparameter erheblich verbessert und die Sturzfrequenz dramatisch gesenkt. Aktuell läuft hierzu die Studie STIMO-PARK über einen Follow-up-Zeitraum von drei Jahren. Ähnlich erfolgreich verlief die Untersuchung eines roboterassistierten Ansatzes mit soften Prothesen (9). Bei dem 73-jährigen Probanden wurden deutliche Verbesserungen der Gangquantität und -qualität über mehrere Tage hinweg beobachtet. „Diese vielversprechenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass technologiebasierte Lösungen künftig einen Wendepunkt bei Freezing of Gait einleiten werden“.
 
 

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Comeback der Stammzellen

Die restaurative Therapie mittels Stammzelltransplantation erlebt laut Prof. Storch eine Renaissance. Ansätze mit induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs, Induced pluripotent stem cells) und insbesondere embryonalen Stammzellen erweisen sich derzeit als aussichtsreichste Zellquellen. „Konklusive Ergebnisse dazu sind allerdings erst in einigen Jahren zu erwarten“, so der Rostocker Neurologe.

Bringt Genforschung den Durchbruch bei Parkinson?

Auf jedem Fall ist sie auf dem Weg dorthin. Denn die technischen Fortschritte haben der genetischen Ursachenforschung einen bedeutenden Schub gegeben. „Das Feld wurde in den letzten 20 Jahren revolutioniert und viele verantwortliche Gene identifiziert“, sagt Prof. Dr. Kathrin Brockmann, Oberärztin und Leiterin der Parkinson-Ambulanz am Universitätsklinikum Tübingen und Vorstandsmitglied der DPG. Denn inzwischen ist belegt, dass auch genetische Faktoren an der Entstehung von Morbus Parkinson beteiligt sind. Neben Mitochondrien-Defekten durch Mutationen auf den Genen PINK1 und PRKN erweisen sich pathologische Veränderungen im GBA1-Gen als relevant. Letztere sind derzeit laut Prof. Brockmann der wichtigste genetische Faktor: „Zehn Prozent aller Patienten weltweit sind davon betroffen“. Die GBA1-Mutation ist verantwortlich für die schnellere Progression zur Parkinson-Demenz und einen durchschnittlich zehn Jahre früheren Krankheitsbeginn. Kinase-überaktive Patient:innen sind ein weiteres Target der Genforschung: Derzeit läuft der Versuch, diese Überaktivität mit dem Kinase-Inhibitor LRRK2 zu reduzieren.
 
Ausblick auf eine neue, biologische Definition
Demnächst basiert die Definition der Parkinson-Krankheit auf biologischen Faktoren. Denn die bisherige primär klinische Bewertung wird dem komplexen Krankheitsbild nicht mehr gerecht. Die neue Klassifikation beruht auf rein biologischen Merkmalen. Grundlage ist der Nachweis des Biomarkers alpha-Synuclein, der Nachweis von Neurodegeneration und der Nachweis von genetischen Varianten.
 
Quelle: Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) „Parkinson-Update 2024: Neues aus Forschung, Diagnostik und Therapie“ im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Parkinson und Bewegungsstörungen am 24.04.2024.
Literatur:

(1) Meissner W.G. et al. Trial of Lixisenatide in Early Parkinson's Disease. N Engl J Med. 2024; 390(13): 1176 - 1185. doi:10.1056/NEJMoa2312323
(2) Pagano G, Taylor KI, Anzures-Cabrera J et al. Trial of Prasinezumab in Early-Stage Parkinson's Disease. N Engl J Med. 2022; 387(5): 421 - 432. doi.org/10.1056/NEJMoa2202867
(3) Pagano G, Taylor KI, Anzures Cabrera J et al. Prasinezumab slows motor progression in rapidly progress-ing early-stage Parkinson’s disease. Nat Med 2024; 30: 1096 -1103. doi.org/10.1038/s41591-024-02886-y
(4) Schalkamp A.K. et al. Wearable movement-tracking data identify Parkinson's disease years before clinical diagnosis. Nat Med. 2023; 29(8): 2048 - 2056. doi:10.1038/s41591-023-02440-2
(5) Šubert M. et al. Spoken Language Alterations can Predict Phenoconversion in Isolated Rapid Eye Movement Sleep Behavior Disorder: A Multicenter Study. Ann Neurol. 2024; 95(3): 530 - 543. doi:10.1002/ana.26835
(6) Yang Y. et al. Artificial intelligence-enabled detection and assessment of Parkinson's disease using nocturnal breathing signals. Nat Med. 2022; 28(10): 2207 - 2215. doi:10.1038/s41591-022-01932-x
(7) Löhle M. et al. Application of single wrist-wearable accelerometry for objective motor diary assessment in fluctuating Parkinson’s disease. npj Digit. Med. 6, 194 (2023). https://doi.org/10.1038/s41746-023-00937-1
(8) Mizrahi-Kliger A, Ganguly K. Spinal stimulation for unfreezing gait in Parkinson’s disease. Nat Med 29, 2713 - 2715 (2023). https://doi.org/10.1038/s41591-023-02604-0
(9) Kim J. et al. Soft robotic apparel to avert freezing of gait in Parkinson’s disease. Nat Med 30, 177-185 (2024). https://doi.org/10.1038/s41591-023-02731-8



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