Sonntag, 22. Dezember 2024
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Medizin

Geschlechter-sensible Gesichtspunkte bei Schmerzen

von Dr. rer. nat. Carola Göring und Prof. Dr. med. Esther Pogatzki-Zahn

Geschlechter-sensible Gesichtspunkte bei Schmerzen
Deutlich mehr Frauen als Männer leiden unter chronischen Schmerzen. Was bedeutet das für die Prävention und Behandlung?  Das erläutert Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn aus Münster. Es gibt einerseits biologische Unterschiede im schmerzverarbeitenden System, diese werden bisher jedoch nicht medikamentös adressiert. Andererseits gibt es auch Unterschiede in den psychosozialen Aspekten der Schmerzverarbeitung. Hier gibt es Handlungsmöglichkeiten – auch in punkto Prävention. Interessanter Aspekt: Die Schmerzstärke korreliert nicht immer damit, wie stark der Schmerz das Leben beeinträchtigt.
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Was erwartet Sie in der dritten Folge des Podcasts „GENDERMED – Geschlechter-sensible Medizin“?

Dies sind die Highlights (Minuten:Sekunden)
 
  • 02:01 Werden Frauen in der Schmerzmedizin falsch behandelt?
  • 03:00 Welche Arten von Schmerz gibt es?
  • 05:18 Wie entstehen chronische Schmerzen?
  • 08:41 Welche Unterschiede gibt es bei Schmerzen zwischen Männern und Frauen?
  • 18:49 Was sind die Ursachen für postoperative Schmerzen?
  • 21:48 Opioide in der Schmerztherapie: Was sind die Gefahren? Wirken Opioide bei Männern anders als bei Frauen?
  • 39:17 Chronische Schmerzen: Welche Gender-Aspekte sollten Beachtung finden?

Hören Sie rein!

 
Journal Med · Geschlechter-sensible Gesichtspunkte bei Schmerzen

Shownotes zur Podcast-Folge „Geschlechter-sensible Gesichtspunkte bei Schmerzen“

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Transkript zur Podcastfolge: „Geschlechter-sensible Gesichtspunkte bei Schmerzen“

(Es gilt das gesprochene Wort)

Patientin oder Patient. Das macht einen Unterschied. Medizinjournalistin Dr. rer. nat. Carola Göhring erklärt Geschlechter-sensible Aspekte der Medizin gemeinsam mit Expert:innen hier im GenderMED-Podcast von journalmed.de.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Willkommen zum GenderMED-Podcast. Ich bin Carola Göring und spreche heute mit einer Anästhesistin und Schmerzforscherin über Schmerzen. Und wie immer wollen wir Geschlechter-sensible und praxisrelevante Aspekte im Gespräch herausarbeiten. Herzlich willkommen, Frau Professor Pokatzky Zahn.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Schönen guten Tag, Frau Göring.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ich stelle Sie kurz unseren Hörer:innen vor, Frau Professor Esther Pokatzky Zahn ist Professorin in der Abteilung für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerzmedizin des Universitätsklinikums Münster. Sie leitet dort den Akutschmerz-Dienst und die Arbeitsgruppe Translationale Schmerzforschung. Ihre Forschungsgruppe befasst sich insbesondere mit der Erforschung der Mechanismen von akuten und anhaltenden Schmerzen nach Operationen. Darüber hinaus ist sie aktiv an Schmerz-Registern, zum Beispiel dem Painout-Register, und anderen Initiativen im Zusammenhang mit akuten Schmerzen. Ein weiterer Aspekt ihrer Forschung sind auch Geschlechter-abhängige Aspekte bei Schmerzen. Die Links zur Kurz-Vita von Frau Professor Pokatzky Zahn und zu den genannten Registern finden Sie natürlich in den Shownotes. Frau Professor Pokatzky-Zahn, habe ich was Wichtiges zu Ihrer Person vergessen?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Nein, das ist schon eine sehr nette Einleitung gewesen. Ich bedanke mich ganz herzlich, und das ist tatsächlich auch richtig, dass ich mich seit mehreren Jahren, eigentlich seit fast 10 Jahren, unter anderem auch mit der Geschlechter-sensiblen Forschung im Rahmen von Schmerzen und Schmerzmechanismen beschäftige. Und das ist ein wirklich sehr spannendes Thema, und ich freue mich, dass Sie sich auch diesem Thema angenommen haben.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ja, sehr schön. Dann steigen wir gleich ein. Chronische Schmerzen stellen ja wirklich ein großes gesundheitliches Problem weltweit und auch in Deutschland dar. Und Fakt ist, dass deutlich mehr Frauen als Männer unter chronischen Schmerzen leiden. Jetzt starte ich ganz provokant: Werden die Frauen falsch behandelt?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Na ja, das können wir vielleicht am Ende dieses Podcasts ein wenig näher beleuchten. Ich würde erst mal sagen, sie werden anders, vielleicht besser behandelt als sie jetzt behandelt werden. Und wir können uns vielleicht anschauen, was das Anderssein hier bedeutet. Im Rahmen von der Schmerzbehandlung und auch von den Schmerzmechanismen. Denn in der Schmerzmedizin behandeln wir heute – und das ist relativ anders als noch vor 20 Jahren – die Patienten nach Mechanismen. Und da werden wir vielleicht gleich sehen, dass Frauen ein wenig andere Mechanismen mitbringen, wenn es zu chronischen Schmerzen kommt, als Männer.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Da haben Sie ja schon wichtige Aspekte angesprochen. Jetzt gehen wir noch mal ganz zurück auf Start: Jetzt frage ich erst mal, was ist Schmerz und was für verschiedene Schmerzarten oder-komponenten gibt es überhaupt?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Im Großen unterscheiden wir akute von chronischen Schmerzen. Sie haben schon benannt, dass die chronischen Schmerzen das große Problem darstellen. Ich beschäftige mich aber auch mit der Chronik von Schmerzen, also von dem Übergang von akuten Schmerzen zu chronischen Schmerzen. Und deswegen müssen wir ganz klar definieren, was akute Schmerzen sind und was chronische Schmerzen sind. Die Unterscheidung ist wichtig. Also akute Schmerzen kann man zum Beispiel nach einer Verletzung oder nach einer Operation haben. Die gehen in der Regel erst mal wieder weg. Nach 2, 3 Wochen sollten sie eigentlich gering bis nicht mehr vorhanden sein. Und die chronischen Schmerzen sind die Schmerzen, die entweder gar nicht erst weggehen oder wiederkommen nach einer Erkrankung oder bleiben nach einer Erkrankung. Dazu gehören postoperative Schmerzen, dazu kann aber zum Beispiel auch ein Bandscheibenvorfall gehören oder eine andere akute Erkrankung, die in der Regel wieder ganz gut ausheilt, aber bei einigen Patienten eben dann zu chronischen Schmerzen führen. Chronische Schmerzen sind definitionsgemäß die Schmerzen, die mindestens 3 Monate lang anhalten oder immer wiederkehren.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Eine ganz wichtige Definition. Ist es denn auch noch wichtig zu unterscheiden, ob das jetzt ein Entzündungsschmerz ist oder ob jetzt mehr die Nerven betroffen sind?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Das ist auch ein weiterer, ganz, ganz wichtiger Aspekt. Wir unterscheiden sowohl bei akuten als auch bei chronischen Schmerzen nozizeptive von neuropathischen Schmerzen. Das muss ich vielleicht ein ganz klein wenig erklären. Sie haben gerade genannt die Entzündungsschmerzen. Also da würde man jetzt ganz grob auch mal den postoperativen Schmerz drunter fassen. Und wenn Sie den Bandscheibenvorfall sich vorstellen und da ist ein Nerv betroffen, dann haben wir einen ganz anderen Schmerz, dann haben wir einen neuropathischen Schmerz. Und dieser Schmerz hat eine andere Charakteristik für den Patienten. Wenn er den Schmerz beschreibt, beschreibt er ihn anders als den entzündlichen Schmerz. Und die Mechanismen, die dazu führen, dass diese Schmerzen entstehen, sind auch unterschiedlich. Und das bedeutet, dass auch die Therapie unterschiedlich sein muss.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Das ist ja schon mal wirklich sehr spannend. Weil Sie eben sagten, dieser Übergang, Sie erforschen auch diesen Übergang von den akuten zu den chronischen Schmerzen. Wie entstehen denn überhaupt die chronischen Schmerzen? Und hier interessieren mich also vor allen Dingen auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja, das ist ein ganz spannendes Thema. Und wenn wir das alles schon wüssten, ach, dann wären wir so so viel weiter und hätten wahrscheinlich auch schon viel bessere Therapien und vor allem auch präventive Therapien, die es verhindern würden, dass Patienten chronische Schmerzen führen. Aber ich kann mal ein paar Dinge aufzählen und dann würde ich auch gleich auf die Geschlechter-sensiblen Faktoren kommen, die dazu führen, dass Schmerzen chronisch werden. Der allerwichtigste Aspekt dabei, den ich ganz von Anfang an betonen möchte, ist, dass nicht ein Aspekt alleine dazu führt, dass chronische Schmerzen entstehen. Es ist immer ein – wir nennen das multifaktorieller Prozess. Und diese Faktoren sind ganz grob gesehen 3 Bereichen zuzuordnen. Der eine ist der biologische. Also wir haben gerade gesagt, die Nervenverletzung bei zum Beispiel dem Bandscheibenvorfall oder auch einer großen Operation, wo große Nerven betroffen sind.
Das ist der biologische Aspekt. Dann kommt der psychologische Aspekt dazu. Wir alle können uns nicht dagegen wehren, dass, wenn man Schmerzen hat, auch in irgendeiner Weise davon belastet werden oder wenn wir mit Belastungen reingehen, natürlich diese Belastungen auch im Umgang mit unseren Schmerzen mitnehmen. Also ganz vorsichtig gesagt, wäre zum Beispiel ein Patient, der sehr große Angst mitbringt oder sehr große Aspekte der Katastrophisierung, nennen wir das. Dann sind das Patienten, die eher schon mal einen Aspekt mitbringen, der sich vielleicht, wenn andere Aspekte noch dazukommen, so auswirkt, dass die Chronifizierung eher da ist. Es gibt aber auch Aspekte, ist übrigens sehr spannend bei den psychologischen und bei anderen Aspekten auch, die protektiv sein können. Wir nennen das Resilienz-Faktoren, also zum Beispiel jemand, der sehr optimistisch ist und immer als Persönlichkeitsmerkmal sehr positiv in die Zukunft blickt, hat vielleicht auch einen Resilienz-Faktor, der ein kleiner Baustein sein kann, dass er eben einen protektiven, also einen schonenden Mechanismus, mit sich bringt und eher vielleicht weniger Schmerzen entwickelt. Ich habe also den somatischen, den psycho-, und den wir nennen das biopsycho- und den sozialen Aspekt. Und der soziale Aspekt kann jemand sein, der sehr große Unterstützung in seinem sozialen Umfeld erhält, der ein stabiles Umfeld hat, was die Arbeit bedingt, was die soziale Aktivität bedingt, das ist auch eher ein protektiver Faktor. Und jemand, der sowieso schon in einer sehr schwierigen Situation steckt, die er vielleicht auch gar nicht selbst verantwortet, sondern die, in die er hineingeraten ist, für den ist es manchmal viel schwieriger, mit dann noch einem schwierigen Aspekt wie Schmerzen umzugehen. Und das zusammen, also niemals als Einzelaspekte, sondern zusammen. Sie müssen sich das vielleicht vorstellen wie ein Wasserglas, in dem immer mehr Faktoren reinkommen, die irgendwann das Wasserglas zum Überlaufen bringen. Und das ist dann die Chronifizierung der Schmerzen.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ich finde es total spannend, weil wenn ich höre bio-psychosozial, dann denke ich natürlich auch gleich an Geschlecht, weil das spielt ja auch alles da eine Rolle.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: So, und jetzt könnte man meinen, dass Frau und Mann in diesem Glas noch einen Aspekt dazu bringt. Also Sie haben eingangs gesagt, es gibt mehr Frauen, die chronische Schmerzen haben. Ich sage immer ungern leiden, weil nicht alle leiden unter chronischen Schmerzen, aber viele leiden unter Schmerzen. Und es sind in Deutschland wirklich eine Vielzahl von Menschen, die chronische Schmerzen entwickeln und haben und teilweise auch wirklich darunter sehr, sehr leidvoll ihr Leben verbringen. Und darunter sind mehr Frauen als Männer, wenn man Umfragen macht und wenn man sich die Statistiken anguckt. Und jetzt könnte man, wie gesagt, denken, die Frau ist dann ein Punkt in diesem Wasserglas und das ist tatsächlich wahrscheinlich auch so. Aber dann ist die Frage „Warum ist Frau-Sein ein Risikofaktor für die Entwicklung chronischer Schmerzen? Und wenn Sie sich das Wasserglas gerade angucken, ich nehme das jetzt mal als bildlichen Aspekt, und wir haben schon bestimmte Punkte genannt. Aus bio-psychosozialem Grund kann man sich natürlich schon sehr klare Vorstellungen machen, dass in all diesen 3 Bereichen Frauen möglicherweise etwas mitbringen. Und wenn man an den Bio-Aspekt denkt, denkt man natürlich sofort bei Frauen an Hormone. Zweiter Punkt an Chromosome. Das sind ja die großen Unterschiede, die wir haben zwischen Männern und Frauen. Und wahrscheinlich sind beide Aspekte auch wirklich relevant. Und wir können, wenn sie möchten, auch gleich noch auf einzelne Faktoren kommen.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ja, gerne.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Der zweite Aspekt ist, dass wir alle wissen, dass Frauen andere psychologische Mechanismen zum Teil zumindest mitbringen, um mit Aspekten umzugehen, die im Leben vielleicht schwierig sind. Und das heißt nicht, dass das schlecht ist, was Frauen machen oder gut ist, was Männer machen, sondern dass das natürlich evolutionär sich auch herausgearbeitet hat, dass es günstig ist, wenn man so mit Dingen umgeht, die in seinem Leben passieren. Nur für den Schmerz ist das vielleicht etwas ungünstiger. Das ist jetzt vielleicht nicht ganz das schöne Beispiel, aber man sagt ja Frauen immer nach, die können ganz gut Multitasking, sie können ganz gut organisieren, aber vergessen dann vielleicht sich selber in diesem Moment. Das ist für den Prozess, der zum Beispiel Familien organisiert, sehr wertvoll. Aber wenn es darum geht, auf seine Gesundheit zu achten, ist es eben so, dass Frauen das auch vernachlässigen, auf Aspekte zu achten, die später dann für den Schmerz eine große Rolle spielen. Und das heißt, primär ist es nicht die Frau, sondern Aspekte, die die Frau in der psychosozialen Entwicklung mit sich bringt. Und das ist ein ganz spannender Aspekt. Also die Chromosomen können wir nicht beeinflussen, die Hormone können wir auch nur bedingt beeinflussen, aber wir können den Umgang mit Schmerz und die Therapieaspekte, die vielleicht bei Frauen anders sein sollten als bei Männern, beeinflussen. Und dazu ist es sehr gut zu wissen, was – aber ich möchte das nachher auch noch ein klein wenig relativieren – was bei Frauen und Männern unterschiedlich ist. Und wir wissen zum Beispiel, dass in den letzten Jahren, wenn wir Befragungen von Patienten zum Beispiel uns angucken, bezüglich Schmerzen und der Häufigkeit, dass Männer leicht zunehmen in der Häufigkeit.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Interessant.Ja

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja, das ist interessant, oder?

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ja, das hat wahrscheinlich was mit diesen unterschiedlichen Rollenmodellen zu tun, dass die sich verschieben.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Richtig. Also das heißt, wenn sich die Rollenverständnis zwischen Männern und Frauen verändern, und eben diese Aufteilung in bestimmten Rollenfunktionen sich angleichen, könnte es sein, dass sich auch die Häufigkeit angleicht von Aspekten, die für den Schmerz eine Rolle spielen. Es wäre natürlich schön, wenn dann der Schmerz bei allen runter ginge, aber wahrscheinlich ist es so ein Entgegenkommen von Faktoren, die zum einen bei Frauen vielleicht dazu führt, dass sie weniger chronische Schmerzen entwickeln und bei Männern dazu führt, dass sie stärker mehr chronische Schmerzen entwickeln. Im Grunde ist es aber für uns eine Chance zu identifizieren, welche Faktoren wirklich eine Rolle spielen, um die dann in der Therapie und vielleicht sogar in der Prävention schon mit aufzunehmen und behandeln zu können.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Vielleicht können wir da gleich später wirklich, wenn es auch noch mal um um praktische Tipps geht, noch mal drauf eingehen.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Richtig.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Sie sagten ja eben, dass das Schmerz-verarbeitende System bei diesen beiden unterschiedlichen Schmerzarten, dem neuropathischen Schmerz und dem nozizeptiven, unterschiedlich ist zwischen Frauen und Männern. Können Sie das noch mal vielleicht kurz erläutern? Eben periphere Peripherie, Rückenmark, Gehirn. Wie läuft das ab? Ganz grob gesagt. Und wo sind die Unterschiede?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja. Okay. Also, Sie wünschen sich von mir einen kleinen Parforceritt durch die Neurophysiologie des Schmerzes. Das mache ich jetzt ganz kurz und wirklich nur grob. Und das ist aber auch nicht ganz uninteressant im Rahmen von Gender-Unterschieden. Also ganz grob und in 2 Minuten erklärt, entstehen Schmerzen in der Peripherie, also da, wenn wir eine Operation haben, wo wir rein schneiden, wenn wir eine Entzündung haben, wo die Entzündung entsteht, wenn wir eine Nervenverletzung haben, wo die Nervenverletzung entsteht. Das heißt, das ist der primäre Mechanismus. Es gibt auch andere Mechanismen, aber das ist primär so, wie wir uns vorstellen können. Und in der Haut zum Beispiel und im Muskel. Überall in diesen Geweben haben wir kleine Sensoren, die nennen wir Notizeptoren, die nehmen diesen Schmerz auf. Aber würde es da aufhören, würden wir keinen Schmerz empfinden, denn Schmerzempfindung entsteht erst im Gehirn und das Leid, was Sie vorhin am Anfang genannt haben, entsteht auch im Gehirn, und dazwischengeschaltet, zwischen der Peripherie und dem Gehirn, ist das Rückenmark. Das Rückenmark ist so eine Art Relaisstation, also von der Haut oder dem Muskel zum Rückenmark. Dort entsteht eine Umschaltung. Und dann geht es hoch zum Gehirn. Und dann empfinden wir Schmerz. Und jetzt wäre alles sehr simpel, wenn das die einzige Richtung wäre. Wir nehmen aber von dem Gehirn auch noch zusätzlich rückwärts zum Rückenmark wieder eine Richtung wahr, die wir nicht wahrnehmen aktiv, sondern unser Nervensystem, was dazu führt, dass der Schmerz geringer oder stärker wird. Also man kann quasi, das kann man auch aktiv machen, seinen Schmerz selber unterdrücken durch Hirnaktivitäten. Das ist das deszendierende System. Und noch ein letzter, ganz wichtiger Aspekt, den alle, sowohl die Patienten als auch die Ärzte, natürlich wissen, aber der so entscheidend ist: Es gibt im Gehirn kein Schmerzzentrum! Alles was im Gehirn passiert, passiert in Arealen, die auch wichtig sind für andere Aspekte, und zusammengesetzt daraus entwickelt sich Schmerz ,und zusammengesetzt daraus entwickelt sich chronischer Schmerz. Und das macht es so wichtig zu verstehen, warum zum Beispiel psychosoziale Faktoren so einen großen Einfluss auf den Schmerz haben, wie zum Beispiel das limbische System, was bei vielen anderen Aspekten, also Gefühle, Emotionen, auch unter anderem in Depression und Angstzustände involviert sind. Ja, alle diese Hirnareale sind auch für den Schmerz wichtig. Und das heißt, wenn wir da einen Aspekt haben, der anders ist als bei anderen, und da wissen wir, dass Frauen und Männer zum Beispiel anders reagieren, kann das dafür verantwortlich sein, dass die Chronifizieung von Schmerzen anders verläuft als bei anderen. Und das ist so entscheidend. Erstens, dass psychosoziale Aspekte eine Rolle spielen, ganz indirekt, möglicherweise nicht durch den Patienten beeinflussbar, aber durch Therapiemaßnahmen beeinflussbar und vielleicht auch durch den Patienten. Wenn wir das ganz geschickt und sehr gut geleitet machen, um eben den chronischen Schmerz zu beeinflussen, und ganz klar niemals unabhängig von diesen Faktoren zu betrachten.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Verstehe. Und wo in diesem System liegen jetzt die Unterschiede zwischen den Geschlechtern?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Und es könnte nicht anders sein, dass sie überall liegen. Sie liegen in der in der Peripherie, bei den Nozizeptoren. Da wissen wir, dass bestimmte Rezeptoren, die auch zum Beispiel für Entzündungenschmerzen wichtig sind, bei Frauen und Männern zum Teil sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Ein wahrscheinlich größerer Unterschied ist im Rückenmark und wir wissen dort, dass gar nicht vielleicht nur die Neurone, sondern eben auch zum Beispiel die Mikroglia – das sind eigentlich die Zellen, von denen man früher gedacht hat, die stabilisieren nur die ganzen neuronalen Systeme – dass die unterschiedlich sind und unterschiedlich reagieren auf Schmerzreize bei Männern und Frauen. Und das ist vielleicht auch ein Grund, warum es so lange gedauert hat, dass man Gender-Unterschiede und Mechanismen für Gender-Unterschiede gefunden hat. Weil das sind nicht immer nur die Neurone, sondern eben auch andere Systeme, die da eine Rolle spielen. Und im Rückenmark, in dieser Relaisstation sind es wahrscheinlich ganz viele Mikroglia-Faktoren. Und im Gehirn hatte ich ja schon benannt, ganz grob Hirnareale, die etwas anders bei Frauen und Männern organisiert sind. Also nicht komplett anders, aber etwas anders. Und es gibt sogar Hirnareale. Das hat man an freiwilligen Probanden mal untersucht, die bei Männern und Frauen auf Schmerzreize völlig anders reagieren. Und sie hatten vorhin selber schon genannt, diese deszendierende Hemmung. Da scheint ein sehr großer Unterschied zwischen Männern und Frauen zu sein, wenn Schmerzreize auf den Organismus, auf die Frau, auf den Mann, treffen und dort organisiert werden, so dass es, das würde ich jetzt einfach gerne schon mal so formulieren, wahrscheinlich diese deszendierende Hemmung ist, die bei Frauen und Männern einen deutlichen Unterschied, vor allem, wenn ein akuter Schmerzreiz und dann ein subakuter, vielleicht dann chronisch werdender Schmerz auf die Person trifft.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Da frage ich Sie später noch mal danach, wie man das beeinflussen kann.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja, ja.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt, Frau Professor Pokatzky-Zahn, ist ja der postoperative Schmerz, und der kann ja von einem akuten, der ja normal ist nach einer OP, in einen chronischen übergehen. Und wie das funktioniert, haben Sie ja auch eben ganz anschaulich erläutert. Wie viele Menschen in Deutschland betrifft das denn, die nach einer OP einen chronischen Schmerz entwickeln?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja, wir haben ungefähr in Deutschland 16 Millionen Operationen pro Jahr, davon sind ungefähr 7 Millionen vollstationär und größere Operationen. Und es betrifft eher die größeren Operationen. Und es betrifft nicht jeden Patienten nach einer größeren Operation, sondern das haben wir ja gerade schon skizziert. Es müssen bestimmte Faktoren zusammenkommen, die dann dazu führen, dass ein Patient nach einer bestimmten Operation dann die Schmerzen behält, beziehungsweise einen chronischen Schmerz aus dieser akuten Schmerzsituation entwickelt. Das muss nicht immer der gleiche Schmerz sein, der in der akuten Phase war. Aber es entwickelt sich in der Regel aus einem akuten Schmerz heraus. Es gibt bestimmte Operationen, bei denen wir wissen, dass das deutlich häufiger ist. Das sind zum Beispiel große thoraxchirurgische Eingriffe, wenn man eine pulmonale Metastase eines Karzinoms hat oder ähnliches. Das sind große Eingriffe an der Brust bei Frauen. Und diese Operationen können auch chronische Schmerzen machen. Und dann gibt es auch viele andere Operationen, bei denen das etwas geringer häufig ist, aber auch noch vorkommt. Und wenn Sie da Zahlen hören wollen, haben wir selber große europäische Studien gemacht, in denen wir bei ungefähr im Mittel 15% der Patienten nach 1 Jahr noch starke beeinträchtigen Schmerzen gefunden haben. Und das waren in der Regel dann diese Operationen, die ich genannt hatte, plus noch große orthopädische Operationen.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Das ist ja beachtlich.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn:  Das ist beachtlich. Und das sind alles Operationen, die nicht vermeidbar sind. Sie wissen ja, wenn man einen Tumor hat, dass man sich tatsächlich in der Regel auch operieren lassen muss. Und die Diskussion mit den chirurgischen Fachkollegen ist hier im Gange und dort gibt es ja mittlerweile auch minimal-invasive chirurgische Methoden – Jede größere Verletzung hat ein größeres Risiko als kleinere Verletzungen. Wir versuchen, mit den Chirurgen nervenschonende Operationstechniken zu favorisieren. Das ist absolut im Kommen. Das ist wirklich, wirklich gut. Aber wir sehen trotz all diesen Techniken, dass wir trotzdem das Risiko bei einigen Operationen nicht so reduzieren können, wie wir das gerne hätten. Und da sehen wir dann wieder die Schwierigkeit, dass es ein multifaktorielles Geschehen ist, was ich anfangs skizziert habe.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ich habe ein bisschen bei der Vorbereitung noch gelesen, dass die Opioide wohl auch eine wichtige Rolle spielen, also vor der OP, während direkt, ich weiß nicht. Können Sie dazu noch was sagen, dass man versucht, das zu sparen und mehr Regionalanästhesien zu legen?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja, Diese Daten kommen aus den USA. Die USA hat ein großes Problem mit Opioiden. Das wissen alle Ärzte. Dort nennen wir das mittlerweile Opioid-Epidemie. Dort ist wirklich ein riesiges Problem mit einer Vielzahl von Patienten, die Langzeitopioide einnehmen. Und wir wissen sogar, dass einige dieser Patienten das nach der Operation begonnen haben und dann auf dieser Opioidtherapie geblieben sind. Teilweise weil sie Schmerzen haben, teilweise aber auch, obwohl sie wenig oder wenig opioidsensitive Schmerzen hatten. Das ist ein großes Problem. Und dann das Problem, was sie skizziert haben ist, müssen diese Patienten ja möglicherweise wieder operiert werden, gehen mit diesen Opioiden in die Operation und haben und das ist leider der Nachteil dieser Opioide. Diese Opioide, vor allem bei Langzeitgabe, verändern die Reaktion auf andere Analgetika, vor allem eben auch wieder Opioide. Das heißt, man braucht dann deutlich mehr, um den gleichen Effekt zu erzielen und man hat manchmal sogar die Gefahr, dass man mit Opioiden gar nicht mehr eine ausreichende Schmerztherapie machen kann. Also wir müssen 2 Dinge vermeiden: Das eine ist Langzeitgabe nach und nach Operationen und überhaupt Langzeigabe von Opioiden bei nicht Tumor-bedingten Schmerzen. Dafür gibt es glücklicherweise in Deutschland eine sehr, sehr gute Leitlinie, die sogenannte LONTS-Leitlinie, die gerade wieder aktualisiert worden ist und eben auch gerade für niedergelassene Ärzte eine sehr schöne Richtlinie darstellt, wie und vor allem nicht nur was man macht, sondern was man auch machen kann, um eben diese Langzeitgabe zu vermeiden. Und der zweite Aspekt ist, dass wir mittlerweile, wie Sie schon sagten, Regionalanalgesieverfahren einsetzen bei den Patienten, die operiert werden müssen, obwohl sie Opioide haben und bei denen wir eben Sorge haben, dass postoperativ diese Schmerzen dann schwierig zu therapieren sind. Und jetzt noch das i-Tüpfelchen. Das sind auch die Patienten, die dann eher chronifizieren.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Und kann man in diesem Zusammenhang auch den Einfluss von Geschlecht noch irgendwie dazu bringen?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Also, wenn wir 2 Patienten sehen, einen Mann und eine Frau, die Opioide nehmen und operiert werden, sehen wir nicht so viele Unterschiede. Bei 100 Männern und 100 Frauen sehen wir kleine Unterschiede, die aus meiner Sicht aber nicht ganz so klinisch relevant sind. Aber wir sehen Unterschiede, was Männer und Frauen im Umgang mit Opioiden angeht. Ich hatte das vorhin kurz angedeutet. Ich bin jemand, der sich mit Gender-Unterschieden bei Schmerzen und auch Operationen beschäftigt. Aber gerade in diesem Zusammenhang, den Sie jetzt genannt haben, aber auch in anderen Aspekten, ist es für mich ganz wichtig zu sagen, dass der Gender-Unterschied ein Aspekt ist, aber es auch noch andere Punkte gibt. Und ich möchte gerne, wenn wir diesen Podcast beenden, nicht, dass der Gender-Aspekt der wichtigste ist, der im Gedächtnis hängen bleibt, um Patienten zum Beispiel nach einer Operation zu behandeln, sondern dass wir alle dieses Glas vor Augen haben, dass der Genderunterschied ein Aspekt ist. Und ich habe gerade diesen Punkt genannt. Wenn ich bei 100 Patienten 100 Frauen vergleiche und 100 Männer vergleiche, kann ich im Mittel einen Unterschied sehen. Also die Frauen haben stärkere Operationen, Schmerzen nach Operationen, die Frauen mit Opioiden haben stärkere Schmerzen als die Männer mit Opioiden nach Operationen. Aber es sind auch andere Faktoren, die noch eine Rolle spielen. Und ich schaue mir beim einzelnen Patienten immer alle diese Faktoren an, also bei der Frau und beim Mann weiß ich, dass diese Tendenzen zu Unterschieden bestehen, und die sind signifikant, wenn ich mir Studien angucke. Aber wenn ich mir den einzelnen Patienten angucke, schaue ich mir alle bio-psychosozialen anderen Aspekte auch an, um den Menschen zu behandeln und den Menschen als Frau und als Mann. Und natürlich, und da werden wir ja gleich auch noch ein bisschen drüber reden, gibt es vielleicht Therapiemaßnahmen, die für den Fall für die Frau besser sind, oder idealer sind als für den Mann. Aber es gibt nicht die Therapie für die Frau und die Therapie für den Mann, weil es eben andere Faktoren sind, die auch noch eine Rolle spielen. Und das ist eben in diesem Opioid geschehen. Ein ganz wichtiger Aspekt das, dass wir das und auch bei allen anderen Aspekten eigentlich, dass wir das nicht vergessen und dass wir wissen, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Und wir werden ja vielleicht gleich auch noch auf spezifische Faktoren eingehen, die man da vielleicht als Ziel anvisieren kann.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ja, dann machen wir das doch gleich.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Sie haben ja so viele Infos zum postoperativen Schmerz gegeben. Genau. Und jetzt können wir eben mit Blick auf unsere Hörer:innen, die ja eben hauptsächlich als niedergelassene Ärzt:innen arbeiten, diese Sachen auf die praktische Anwendung vielleicht noch mal abklopfen. Genau.
 
Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Genau. Also ich werde Ihnen jetzt kein Medikament nennen, das ein Männer-Medikament ist und was ein Frauen-Medikament ist. Aber was wir alle wissen, die Studien sind aber vor vielen, vielen Jahren gemacht worden, auch zum postoperativen Schmerz. Und diese Studien sind in der Regel damals an Männern gemacht worden. Warum ist das so? Wenn wir Substanzen Männern geben, brauchen wir uns um viele Dinge nicht zu kümmern. Zum Beispiel müssen wir Männer nicht fragen, ob sie schwanger sind. Dann fallen sie nämlich raus. Wir müssen keinen Schwangerschaftstest machen, was kostet. Wir müssen auch keinen Hormontest machen, denn es gibt Hinweise darauf, dass wenn Frauen in bestimmten Zyklusphasen sind, dass sie anders reagieren auf Operationen oder auch auf Schmerzmittel. Das heißt, wir müssen all diese Dinge nicht bedenken. Deswegen sind alle Männer, also alle diese Studien, ob die Substanzen wirken, an Männern gemacht worden oder viele dieser Studien, und auch die Dosierungen sind an Männern gemacht worden. Aber wir wissen, dass die Verstoffwechselungen bei Frauen möglicherweise andere sind als bei Männern. Das ist der erste Hinweis, das heißt, wenn ich eine Dosis gebe, von einer Substanz ist, die für Männer vielleicht gut, aber für Frauen nicht immer das, was Frauen brauchen. Deswegen ist mein erster Hinweis immer schon mal, dass wir uns bei den Dosierungen nur an Richtlinien halten. Also natürlich dürfen wir keine Obergrenzen überschreiten, aber dass wir die Dosierung eben bei Männern und Frauen vielleicht und vor allem bei Frauen auch immer mal schauen, ob die Dosierung auch die richtige für diese Frauen ist.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Vielleicht darf ich hier noch was dazu sagen, weil ich hab gelesen, dass der Goldstandard für die Schmerzmessung ja immer noch die VAS-Skala, also die individuelle Beurteilung ist. Der oder die Patientin sagt selbst mein Schmerz ist hier einzuordnen. Also das würde ja zu dem Punkt passen. Das heißt, Ihre Kolleg:innen müssten halt immer ückfragen, wie hoch ist der Schmerz, wie geht es Ihnen mit der Dosierung, oder?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Auch da macht die Schmerzmedizin gerade einen Wandel durch.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Aha.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Wie stark sind Ihre Schmerzen auf einer Skala von 0 bis 10; 0 heißt kein Schmerz, 10 – und das ist sehr unterschiedlich – könnte zum Beispiel sein der stärkste Schmerz, den Sie sich vorstellen können, das ist sind so die üblichen Anker, nennt man das. Da wird dann der Schmerz eingeschätzt. Und wir wissen, dass Frauen in der Regel nach Operation die Schmerzen stärker einschätzen als Männer. Aber wir wissen auch, dass Frauen etwas verlässlicher Schmerzen einschätzen als Männer, zum Beispiel, wenn man sie mehrmals hintereinander fragt. Wir wissen übrigens auch, dass, wenn man Frauen und Männer nach einer Operation – diese Studie haben wir zusammen mit einer Bochumer Klinik gemacht – dass, wenn Männer Frauen befragen, die Schmerzeinschätzung der Patienten anders ist, als wenn Frauen Männer oder Frauen befragen. Beim gegengeschlechtlichen Befrager ist der Schmerz immer höher als beim gleichgeschlechtlichen Befrager. Das ist wirklich ein spannendes Phänomen. Das zeigt schon, dass diese Befragung nur eine semiobjektive Einschätzung von Schmerz ist. Da spielen immer ganz viele Aspekte eine Rolle. Zum Beispiel die Erwartungshaltung. Wer steht da vor mir? Was erwarte ich von dem und was erwartet der von mir?
Und das zeigt schon, wie schwierig diese Einschätzung über die Skala ist, die Sie auch genannt haben. Und wir sind heute aus 2 Gründen nicht mehr so sehr fixiert auf diese Skala, unter anderem eben vielleicht auch aus diesen Beeinflussbarkeiten dieser Einschätzung. Bei chronischen Schmerzpatienten ist diese Einschätzung auch nicht mehr die einzige Regel und darf es auch nicht sein. Denn viel wichtiger ist, wie beeinträchtigt ist ein Patient durch den Schmerz? Das fragt man dann auch Patienten „Was ist das Ziel einer Therapie, wenn Sie sich einer Therapie unterziehen?“ Und dann sagen vielleicht ältere Patienten, ich möchte wieder mit meinem Enkel draußen spazieren gehen oder auf den Spielplatz gehen können. Ich möchte wieder schwimmen gehen können oder ich möchte wieder arbeiten gehen können. Oder ich möchte wieder mit meiner Freundin ins Kino gehen können. Das heißt, wie hoch ist die Lebensqualität von Patienten? Und das ist ein viel wichtigeres Maß als wie hoch ist der Schmerz. Und beim akuten Schmerz ist es etwas anders. Diese Skala ist schon ein wichtiger Aspekt. Aber wir haben noch einen ganz anderen Aspekt und auch das ist wieder Beeinträchtigung. Aber das ist zum Beispiel die Beeinträchtigung bei der Physiotherapie. Wenn ich eine Operation hatte und habe starke Schmerzen, aber kann meine Physiotherapie trotz dieser Schmerzen durchführen, sind erstens die Patienten häufig viel zufriedener, das Ergebnis der Operation ist viel besser und der Patient kommt viel schneller wieder auf die Beine. Das heißt nicht, dass er die Zähne zusammenbeißen muss, aber jeder Mensch hat ein unterschiedliches Level an Schmerz, das er hat, um trotzdem etwas zu tun, was notwendig ist. Sei es zum Beispiel Physiotherapie, Laufen, Aufstehen aus dem Bett oder so etwas. Und deswegen nehmen wir diese mehrere Faktoren, die für uns ein wichtiger Aspekt sind, um dann zu entscheiden, ob dieser Patient mit dem Patienten zusammen mehr Schmerztherapie braucht oder gar nicht mehr Schmerztherapie braucht. So, das zeigt diese Einschätzung ist sehr subjektiv. Frauen schätzen eher etwas stärker die Schmerzen ein. Das kann auch sein, dass sie stärkere Schmerzen haben, aber wir wir sind gar nicht mehr so fokussiert auf diese einzige Schmerzerfassung mittels dieser Skala, sondern nehmen andere Aspekte und andere Aspekte zum Teil sehr viel wesentlicher in den Fokus.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ja, ich glaube, das war jetzt auch ein ganz wichtiger Hinweis auch auf die Lebensqualität. Aber wir waren ja bei diesen praktischen Aspekten, da möchte ich jetzt auch noch mal zurückkommen. Sie hatten angefangen mit der Dosierung und gesagt, man soll sich an die Richtlinien halten, aber das mit Augenmaß machen.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Genau, flexibel sein, für Dosierungen, die eben prinzipiell erst mal bei Männern identifiziert worden sind. Dann gibt es natürlich Dinge, die wir nicht anders machen können. Also wir haben bestimmte Medikamentenportfolios. Und es gibt eben auch bestimmte Rezeptoren und bestimmte Mechanismen, die unterschiedlich bei Männern und Frauen sind. Und interessanterweise, und das ist jetzt das, was die Forschung bringen muss, gibt es noch kein Medikament, was auf Grundlage dieser Entwicklungen, dieser Identifizierung von Mechanismen entwickelt worden ist, um Schmerz speziell bei Frauen zu therapieren und Schmerz speziell bei Männern zu therapieren. Unter anderem habe ich diese Mikroglia genannt. Diese Faktoren sind fassbar und das sind bestimmte Proteine, die man jetzt als Zielfaktor nehmen könnte. Aber da ist jetzt – und das ist ganz normal – die Entwicklung 10 Jahre hinterher, weil jetzt müssen erst Substanzen entwickelt werden, die als Targets dieser Frauen und Männer spezifische Dinge adressieren. Aber was? Also? Medikamente gibt es nicht, die unterscheiden können. Aber es gibt möglicherweise Therapiemaßnahmen, die nicht medikamentös sind, die wir hier unterscheiden können. Und da wissen wir und oder untersuchen unter anderem Dinge, die machbar sind. Ich sage Ihnen jetzt mal etwas, was eigentlich ganz simpel ist, aber in der Umsetzung trotzdem schwierig ist. Wir haben eine Untersuchung gemacht bei postoperativen Patienten und Patientinnen und haben denen Hormone abgenommen und haben geschaut, ob unter bestimmten Hormonkonstellationen die Frauen und die Männer unterschiedliche Schmerzintensitäten haben. Und interessanterweise war es so, dass Frauen, die nicht die Pille nehmen in der Lutealphase, also die zweite Phase im Zyklus, etwas stärkere Schmerzen haben als in der anderen Phase. Jetzt wäre es natürlich total cool, wenn wir die Operationen zeitlich so setzen könnte, dass man eben diese Phase nimmt, um zu operieren, weil wahrscheinlich in dieser Phase die Frauen weniger Schmerzen haben als in der anderen Phase der Männer.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Das ist eine coole Idee.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ist eine coole Idee, ne? Ist aber ganz schwierig natürlich umzusetzen. Der zweite Aspekt, den wir untersucht haben ist, „macht Testosteron den Unterschied bei Männern?“, weil wir wollten natürlich auch irgendwie den Männern was Gutes tun – und da waren die Effekte relativ gering. Das macht wahrscheinlich klinisch keinen großen Unterschied. Und dann wäre es natürlich auch spannend, wenn es noch so Mechanismen gäbe – und daran arbeiten wir gerade – die nicht medikamentös sind. Wir machen Untersuchungen zum Beispiel mit Virtual Reality, Hypnose oder solchen Aspekten. Und wir wissen, dass im großen, also wenn sie Männer Frauen in eine Gruppe tun, da schon ein Effekt ist, der aber in vielen Studien relativ klein ist. Und unsere Vermutung ist jetzt, dass wir möglicherweise Subgruppen haben, die gut reagieren auf sowas, und Subgruppen haben, die weniger gut auf so was reagieren. Und da könnte der Aspekt Gender eine Rolle spielen. Und das wäre natürlich auch ein guter Aspekt, um zu sagen, wenn etwas wirkt bei einer Frau, aber beim Mann nicht, oder umgekehrt, brauchen wir den Mann gar nicht zu belasten mit dieser Therapie und umgekehrt. Im Moment sind wir aber noch nicht so weit. Was wir aber schon sagen können, ist, dass der Umgang mit Schmerzen bei Patientinnen und bei Patienten zum Teil unterschiedlich ist. Beispiel: Nach Zahn-Operationen hat man Frauen und Männer nach den Schmerzen gefragt und die Frauen hatten stärkere Schmerzen als die Männer, wie wir das in der Literatur finden. Und dann hat man die Beeinträchtigung, also wie waren Sie davon affektiert, was Ihre Schmerzen anbelangt. Und interessanterweise waren die Männer mehr affektiert als die Frauen. Die haben, obwohl sie geringere Schmerzen hatten, eine stärkere Belastung durch die Schmerzen empfunden. Und das heißt, wir müssen diese Belastung, die die Männer hatten, besser verstehen lernen, um zu sagen, das geht wieder in diese Richtung. Nicht nur die Schmerzintensität behandeln, sondern den ganzen Menschen behandeln. Was belastet den Mann und wie können wir das therapieren? Wir arbeiten auch mit Musik und mit Ablenkung und mit solchen Dingen, dass wir da Therapiemöglichkeiten finden, die eben zum Beispiel Männer und Frauen präferieren. Was ich, was man auf den Weg geben kann, ist, was neue Untersuchungen unter anderem auch aus Deutschland gezeigt haben, ist, dass Hypnosesuggestionen zum Beispiel bei Männern und Frauen wahrscheinlich ganz gut wirken. Dass wir Ideen haben, dass man bei Frauen – wenn wir über die Prävention von chronischen Schmerzen sprechen – bestimmte physiotherapeutische Maßnahmen möglicherweise etwas anders anwenden. Also ich sage jetzt mal der Unterschied zwischen Ausdauer und Krafttraining und solchen Aspekten, dass man da vielleicht auch Unterscheidungen macht. Aber letztendlich, und das ist wirklich meine Hauptmessage, ist der Gender-Aspekt dann nur einer in diesem Glas von vielen, der dazu führt, zu entscheiden, was wir bei einem Patienten an Therapiemaßnahmen anwenden. Und die zweite Message ist, dass wir wissen, dass Männer weniger früh, also später, überhaupt anfangen, wenn sie Schmerzen haben, darüber zu sprechen, dass sie Schmerzen haben. Also das wissen wir auch schon aus relativ älteren Untersuchungen, und das müssen wir jetzt in der heutigen Zeit auch noch mal prüfen. Wir haben vorhin über diesen Gender-Wandel gesprochen, dass wir lernen müssen bei Männern eher nachzufragen nach bestimmten Aspekten, die bei Frauen in der Anamnese häufig von selbst kommen.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Was wäre das?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Das wären so Aspekte wie, ‚das belastet mich‘ oder ‚ich habe schon öfter darüber nachgedacht, was ich dagegen tun kann, ich habe mir auch schon Hilfe geholt‘ ‚ich bin auch schon in einer in eine Selbsthilfegruppe gegangen‘ oder solche Aspekte. Und wie gesagt, ich bin sicher, dass ich das in den nächsten Jahren noch deutlich ändern wird. Dass bei Männern häufig kommt: „Ja, ich habe das schon seit 2 Jahren, aber so angegangen bin ich das Problem noch nicht. Also, dass wir im Gespräch mit Patienten und da sind ja häufig Patienten, die schon chronifiziert sind. Wenn wir uns mit diesen Patienten intensiv unterhalten, merken, dass sie vielleicht sogar genauso betroffen sind, aber auf eine andere Weise, und es vor allem auch anders adressieren. Und das kann eben, wie gesagt, der Grund dafür sein.
Und da gibt es eine sehr schöne Studie bei Fibromyalgie-Patienten, die vor einigen Jahren herausgearbeitet hat, dass doch mehr Männer auch betroffen sind, als wir gedacht haben und dass die Schwere der Belastung und Betroffenheit bei dieser Erkrankung bei Männern doch nicht so deutlich unterschiedlich ist wie bei Frauen. Also wir haben früher immer gedacht, viel mehr Frauen und es sind immer noch mehr Frauen sind betroffen. Und die sind dann auch noch schwerer betroffen. Und wenn wir objektivere und bestimmte Fragen stellen, die uns dann die richtigen Antworten geben, merken wir, dass die Unterschiede doch nicht ganz so groß sind.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Das ist ja interessant

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja, das ist wirklich super interessant. Genau.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Wir haben jetzt noch ganz wenig über Prävention eigentlich gesprochen und sind schon weit, weit, weit fortgeschritten in der Zeit. Wirklich? Vielleicht noch mal ganz kurz Risikofaktoren zu Infizierung und Präventionsmaßnahmen möglichst praktisch dargestellt.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja. Das erste ist, Vermeidungshaltung ist ganz schlecht. Das hört sich jetzt so simpel an, wenn man gesund und schmerzlos ist, hat man Lust aktiv zu sein, nicht alle, aber viele bewegen sich gerne. Und dann ist das alles sehr einfach. Wenn man Schmerzen hat, ist es häufig so, dass man vermeidet, dass diese Schmerzen entstehen. Und leider ist es eben so, dass bestimmte Maßnahmen wie zum Beispiel Physiotherapeutin, Maßnahmen dann eben Schmerzen verursachen. Und lange Jahre ist ja gedacht worden, dann darf man eben diese Physiotherapeuten-Übungen solange nicht machen, bis der Schmerz wieder weg ist. Und im schlimmsten Fall sage ich mal, hat man das dann noch mit Opioiden behandelt. Ich bin jetzt kein Physiotherapeut, aber wir arbeiten natürlich viel mit Physiotherapeuten zusammen und es ist ganz wichtig, dass man dem Patienten die Angst nimmt, dass bei den physiotherapeutischen Maßnahmen – und ich hatte das anfangs schon mal gesagt, es muss alles angeleitet und betreut werden in diesem Zusammenhang – dass dort eben die Angst genommen wird und die Sorge, dass der Schmerz alles wieder schlimmer macht. Und das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Der zweite Aspekt ist, Physiotherapie und Exercise ist ja ein ganz wichtiger Aspekt zur Prävention. Das wissen wir alle. Und spätestens wenn wir dann in so eine Risikozeit kommen, wie zum Beispiel nach einer Operation, da wäre es natürlich viel schöner, wenn wir schon vor der Operation dafür gesorgt hätten, dass nach der Operation nicht alles wieder aufgeholt werden muss, was vor der Operation versäumt worden ist. Es gibt so etwas wie PreHab. Im Moment ist noch nicht ganz klar, ob das wirklich wirkt. Aber zum Beispiel bei sehr alten Patienten zeichnet es sich heraus, dass möglicherweise eine Muskelstärkung vor der Operation schon dafür sorgt, dass nach der Operation auch der Schmerz und die Chronifizierung möglicherweise positiv beeinflusst wird, also weniger stark ist. Also Physiotherapie ein ganz wichtiger Aspekt. Und wir müssen lernen, hier die Patienten und auch da ist Gender. Aber auch andere individuelle Faktoren sind eben wichtig, um diesen Patienten adäquat zu behandeln.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ganz kurz grätsch ich noch mal rein. Sie sagten PreHab, also pre-Rehabilitation, richtig?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Richtig, ganz richtig. Also, die Beweise dafür fehlen leider noch, weil das ganz komplexe Studien sind. So, und noch komplexer sind natürlich Studien, in denen wir nicht nur einen Physiotherapeuten haben oder einen Arzt oder einen Psychologen oder Pflegepersonal oder vielleicht noch einen Pharmazeuten, oder wer auch immer sich mit diesem Patienten beschäftigt, sondern wir nehmen das ganze Paket. Ich hatte am Anfang gesagt, bio-psychosozial ist für die Entwicklung von chronischen Schmerzen ganz entscheidend. Und dann ist es doch ganz logisch, dass wir nicht nur mit Opioiden oder regional Analyseverfahren oder mit Physiotherapie etwas erreichen, sondern dass wir ein Paket schnüren müssen für diese Patienten, die ein erhöhtes Risiko haben und eine Prävention machen müssen. Und dazu gibt es tolle erste Daten aus Finnland, aus Kanada, die die ersten Ideen generiert haben, um zu sagen „Wenn wir die alle an einen Tisch bringen, mit dem Patienten arbeiten lassen und nicht nur im Krankenhaus, sondern auch wenn er entlassen ist – und das ist ein wirklich wichtiger Aspekt für die niedergelassenen Ärzte, die sind ja häufig sehr alleingelassen mit den Patienten, die chronifizieren und wissen nicht, was sie mit denen machen sollen – dass ein spezielles Team mit ihnen zusammen diesen Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus weiter behandelt und weiter nicht täglich, aber weiter schaut, ob diese Risikofaktoren dazu führen, dass eine Kodifizierung bevorsteht und dann sofort eingreifen beziehungsweise diese Prävention schon durchführen.“ Und wir haben in Deutschland ein ganz, ganz großes Projekt mit der deutschen Schmerzgesellschaft zusammen bewilligt bekommen. Es gibt hier in Deutschland wirklich wunderbare Möglichkeiten, zu untersuchen, ob so ein Konzept wirklich effektiv ist. Also eine wirkliche Prüfungsstudie. Und diese Prüfungsstudie führen wir gerade in 6 Universitätskliniken in Deutschland durch, mit einem richtig riesengroßen Team von Wissenschaftlern, Klinikern, das in jeder Klinik untersucht. Und die Daten sammeln wir und werten sie am Ende der Studie aus. Auch Krankenkassen sind beteiligt an dieser Studie, was ich hervorragend finde, weil wir ja im gesamten Gesundheitssystem schauen müssen, was effektiv ist und auch Langzeiteffekte effektiv ist. Und wir schauen uns alle zusammen dann an, ob so ein Konzept und wir nennen das interdisziplinär oder multimodal, mit vielen Disziplinen eine Prävention machen kann. Und ich hatte Ihnen vorhin die Zahl ja genannt der Patienten, die operiert werden in Deutschland:16 Millionen Operationen. Und wenn wir den einzelnen Patienten sehen, ist das ganz, ganz traurig, wenn er chronische Schmerzen entwickelt. Aber wenn wir die große Zahl der Patienten ansehen, ist es eine Belastung für den Patienten. Aber es ist auch eine Belastung für das Gesundheitssystem, und es ist eine Belastung, auch indirekt durch zum Beispiel Arbeitsausfall und so weiter. Und wenn man frühzeitig verhindern oder vermindern kann, dass Chronifizierung entsteht, dann haben wir wirklich, wirklich ganz viel geschafft. Und es gibt auch noch andere Projekte in Deutschland, die sich mit so subchronifizierten Patienten nicht nach Operationen, sondern nach anderen Ereignissen gerade beschäftigen. Und auch diese Projekte werden gerade durchgeführt, um Prävention frühzeitig im Gesundheitssystem zu etablieren. Und ich glaube, dass wir in Deutschland verstanden haben, dass nicht nur Therapie wichtig ist, sondern dass auch Prävention wichtig ist. Und das ist leider in der Versorgungslandschaft schlecht abgebildet, weil es eben schwierig ist, das zu finanzieren. Ein Krankenhaus, das Prävention macht, ist für die Gesellschaft sehr, sehr lukrativ. Aber per se erst mal wird das ja nicht finanziert und das versuchen wir unter anderem auch mit diesen Projekten der deutschen Schmerzgesellschaft zu erreichen. Und in all diesen Projekten haben wir auch Faktoren, die Gender-sensibel sind, mitintegriert und schauen uns am Ende auch Gender-Aspekte an, und da würde ich gerne das Augenmerk hinlenken, weil wir ja im Moment, das haben Sie gesehen, keine Medikamente haben, die wir einsetzen können. Wir können vielleicht noch die Frauen in bestimmten Zyklus-Phasen operieren, aber ansonsten ist in den Gender-Aspekten doch eher etwas wenig spezifisch therapeutisch. Aber wir versuchen auch eben die Gender-Aspekte herauszuarbeiten und die Ergebnisse sind noch nicht da und es ist noch viel Arbeit bis dahin. Aber das ist vielleicht etwas, was in der Zukunft dann auch deutlich werden kann.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ja, das war jetzt ja von Ihnen schon eine tolle Zusammenfassung und ein Ausblick. Und wir reden jetzt schon ziemlich lange. Deswegen würde ich jetzt gerne auch allmählich zum Ende kommen, und zum Ende gibt es immer eine persönliche Frage noch an Sie, Frau Professor Pogatzky Zahn, was motiviert Sie, sich mit all diesen Fragen von der Erforschung der chronischen Schmerzen zu beschäftigen und auch diesen interessanten Gender-Aspekten? Wie sind Sie darauf gekommen und was hält sie sozusagen bei der Stange?

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja. Also, das ist... Ich finde es eine ganz witzige Frage. Natürlich ist immer der Frauen-Bias der, der wahrscheinlich denken lässt, dass man sich mit Gender-Aspekten beschäftigt. Und natürlich ist das nicht ganz abwegig. Ich habe vor 18 Jahren habilitiert. Also ich habe damals eben meine Forschungsarbeiten zu dem Zeitpunkt zusammengefasst und habe gemerkt, dass dieses Feld der Gender-Medizin in der Schmerzforschung, als ich mir die Daten angeguckt habe, wirklich ein Feld war, dass 18 Jahre her, was wirklich damals überhaupt nicht bearbeitet worden ist. Und ich habe dann in meiner Antrittsvorlesung diesen Aspekt mit aufgenommen und adressiert und bin dann von vielen gefragt worden, wie denn der Stand der Dinge ist. Habe den dann zusammengetragen und war wirklich schockiert, war wirklich schockiert, wie wenig es dazu gab. Und habe dann angefangen, erstens meine eigenen Studien, die ich dann auch gemacht habe, dahingehend auszuwerten, wenn möglich, was die Gender-Aspekte anbelangt. Wir haben zum Beispiel ein großes internationales Projekt gehabt, bei dem ich dann eben für diese Aspekte auch verantwortlich war. Und wir haben dann diese großen Unterschiede bei Gender in der postoperativen Medizin gesehen und haben das dann weiterverfolgt. Und so bin ich zu diesem Thema gekommen. Also die Anfragen zu diesem Thema sind sehr groß und ich glaube auch, dass das relevant ist und sein wird. Und vor allem, wenn wir jetzt in die Therapieforschung gehen, einen ganz weiten Schritt noch mal machen könnten. Ich bin trotzdem immer vorsichtig. Sie haben das in all meinen Ausführungen gehört, dass ich immer den Gender-Aspekt in Zusammenhang mit anderen Aspekten sehen möchte. Und das, glaube ich, ist auch mein Anliegen, den Gender-Aspekt als einen wichtigen, aber als nicht einzigen wichtigen Aspekt hier zu formulieren. Und vielleicht ist das auch noch ein Antrieb, sehr objektiv an dieses Thema herangehen zu wollen und letztendlich dann am Ende die Aspekte und die Therapiemaßnahmen zu identifizieren in den nächsten 18 Jahren, die vielleicht noch da mir bleiben. Das würde ich mir wünschen. Vielen Dank!

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Ja, vielen Dank, Frau Professor Pogatzky-Zahn für dieses spannende Gespräch über Schmerzen, vor allen Dingen Chronifizierung und auch Gender-Aspekte. Mir ist da jetzt besonders hängengeblieben, dass vieles, was ich so geglaubt habe, wie zum Beispiel diese, dass man diese Schmerz-Skala nimmt zur Beurteilung von chronischen Schmerzen, dass das überhaupt nicht mehr stimmt.

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ja überhaupt nicht. Ist nicht richtig, aber genau.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Gut, und dass sich wirklich viele Unterschiede, wenn man genauer hinguckt, tatsächlich nivellieren zwischen den Geschlechtern. Und das finde ich auch sehr spannend. Vielen herzlichen Dank! Alles Gute für Sie und auf Wiederhören!

Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn: Ich danke Ihnen ganz, ganz herzlich für dieses Gespräch, Frau Göring. Und ich wünsche allen, dass diese Aspekte jetzt vielleicht ein bisschen im Ohr mitklingen. Dankeschön.

Dr. rer. nat.  Carola Göring: Und jetzt geht der Ball an Sie, liebe Hörer:innen! Hat es Ihnen gefallen oder weniger? Schreiben Sie uns oder schicken Sie uns eine Sprachnachricht. Vielleicht haben Sie auch Themenvorschläge. Die Kontaktdaten finden Sie in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal, sagt Carola Göring!

Dieser Podcast wird Ihnen präsentiert von journalmed.de, dem ärztlichen Fortbildungsportal für Praxismanagement, Neurologie, Kardiologie und Gastroenterologie. Den Journalmed GenderMed-Podcast gibt es bei den üblichen Streamingdiensten und natürlich direkt auf journalmed.de. Neue Folgen gibt es alle 14 Tage dienstags. Abonnieren Sie uns und hören Sie rein. Dieser Podcast dient ausschließlich der neutralen Information, Fortbildung und Unterhaltung. Er ersetzt nicht die fachliche Beratung durch Ärzt:innen oder Apotheker:innen.

Quelle: journalmed.de


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