Viele Neugeborene sind in den ersten Lebenstagen von einer leichten Gelbsucht betroffen, die sich meistens von selbst wieder zurückbildet. „Doch im Schatten einer harmlosen Gelbsucht kann sich eine Gallengangatresie entwickeln, ein irreversibler Verschluss der ableitenden Gallenwege, der binnen weniger Wochen zu einer Zerstörung der Leber bei den neugeborenen Kindern führt“, erläuterte Prof. Dr. Claus Petersen, leitender Oberarzt in der Klinik für Kinderchirurgie.
Die Erkrankung ist selten, aber die häufigste Ursache für eine Lebertransplantation im Kindes- oder Jugendalter. „Die einzige Chance, diese Entwicklung aufzuhalten, liegt in einer rechtzeitigen Diagnose“, sagte Dr. Omid Madadi-Sanjani, der das Pilotprojekt in der Kinderchirurgie leitet. „Neben der gelblichen Farbe von Haut und Augen kann ein entfärbter Stuhlgang ein Frühzeichen der Erkrankung sein.“ Einige Länder wie etwa die Schweiz haben daher Vergleichskarten der Stuhlgangsfarbe als Früherkennungstest eingeführt. Die Techniker Krankenkasse war seit Beginn an dem Pilotprojekt beteiligt und hat unter anderem die Stuhlkarten finanziert. „Uns hat das Projekt mit seinem fachlich fundierten und zugleich praktikablen Ansatz sofort überzeugt", erklärte Inken Holldorf, Leiterin der TK-Landesvertretung Niedersachsen. „Zwar wird bereits heute im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung U3 auch die Stuhlfarbe der Neugeborenen mit den Eltern besprochen. Dadurch, dass diese Untersuchung jedoch erst zwischen der dritten und achten Lebenswoche stattfindet, kann es für den Erhalt der Leber der Neugeborenen zu spät sein. Wir sind daher zuversichtlich, dass wir durch diese Art des Zusammenwirkens von Geburtskliniken, niedergelassenen Kinderärztinnen und Kinderärzten sowie den Eltern eine deutliche Verbesserung der Versorgung der betroffenen Kinder erreichen können. Es ist aus unserer Sicht wichtig, gerade bei seltenen Erkrankungen wie der Gallengangatresie, frühzeitig zu informieren und aufzuklären. Andernfalls besteht die Möglichkeit, dass die Krankheiten durch das System rutschen. Auch hier soll das Projekt einen Beitrag leisten. Wir sind gespannt, wie die Stuhlkarten angenommen werden. Kommt die wissenschaftliche Begleitung zu einem positiven Ergebnis - wovon wir ausgehen - plädieren wir für einen bundesweiten Einsatz dieser Karten, zum Vorteil für die schwersterkrankten Kinder und deren Eltern.“
Auch die Ärztekammer Niedersachsen ist an dem Projekt beteiligt. „Eine zentrale Aufgabe der Ärztekammer ist die Förderung von Gesundheitsvorsorge und Prävention. Von daher war eine Beteiligung an diesem innovativen Projekt für uns selbstverständlich. Die am Projekt teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte sind allesamt unsere Mitglieder und wurden seitens der ÄKN frühzeitig auf das Projekt hingewiesen und um Mitarbeit gebeten. Als Pädiater sehe ich in diesem Projekt eine große Chance, die Frühdiagnostik der Gallengangatresie zu verbessern und zugleich Eltern wie auch behandelnden Kinderärzten mehr Sicherheit zu geben im Falle einer verlängerten Neugeborenengelbsucht, bei der automatisch immer auch an den Ausschluss einer Leberausscheidungserkrankung gedacht werden muss“, ergänzte Dr. Gisbert Voigt, Vorstandsmitglied der Ärztekammer und niedergelassener Kinderarzt.
Wenn der Farbvergleich mit der Stuhlkarte auffällig ist, wird der Kinderarzt eine Blutuntersuchung veranlassen und das Bilirubin bestimmen. Gibt es hier ebenfalls Auffälligkeiten, sollte das Kind sofort an ein ausgewiesenes Zentrum für pädiatrische Gastroenterologie und Hepatologie überwiesen werden. Da die Ursache der Gallengangatresie bisher nicht bekannt ist, erfolgt die symptomatische Therapie ausschließlich chirurgisch: Bei der so genannten Kasai-Operation werden die zerstörten ableitenden Gallenwege durch eine Darmableitung ersetzt. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Faktor Zeit. „Wird das Kind in den ersten 60 Lebenstagen von einem qualifizierten Team operiert, können heute etwa 50 Prozent der Kinder langfristig mit ihrer eigenen Leber überleben“, betonte Dr. Madadi-Sanjani. Alle anderen erhalten früher oder später eine Lebertransplantation, die zwar ihr unmittelbares Überleben sichert, aber auch mit vielen lebenslangen Einschränkungen verbunden ist.
Medizinische Hochschule Hannover
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