Erhöhte Infektanfälligkeit und verlängerte Rekonvaleszenz
Die besondere Schutzbedürftigkeit älterer Menschen und von Personen mit verschiedenen Grunderkrankungen oder unter Immunkompetenz einschränkender Dauertherapie ist gegenüber viralen ARE-Erregern in 2 Aspekten zu sehen. Erstens sind sie anfälliger für eine Infektion und eine daraus folgende akute Erkrankung nicht nur der oberen, sondern auch der unteren Atemwege. Damit einhergehend steigt auch das Risiko für bakterielle Superinfektionen, die mitunter in Pneumonien überzugehen drohen und meist eine Hospitalisierung notwendig machen. Und 2. sind sie gebrechlicher, was nicht nur die Komplikationsträchtigkeit einer ARE erhöht, sondern auch die Rekonvaleszenz aufgrund verminderter Reserven und Kompensationsfähigkeit verlängert.
Kardiovaskuläre Risiken und Exazerbationsgefahr bei COPD
Am höchsten ist das ARE-Gefährdungspotenzial für Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen, zu denen auch der Typ-2-Diabetes zählt, da er als Risikoäquivalent für einen Myokardinfarkt im Vergleich zu einem bereits durchlittenen Herzinfarkt ohne Diabetes mellitus gilt. Das liegt daran, dass kardiovaskuläre Erkrankungen per se mit einem erhöhten inflammatorischen Status im Endothel der großen und kleinen Gefäße einhergehen und somit auch mit einer grundsätzlich gesteigerten Koagulabilität verbunden sind (siehe hierzu:
Influenza-Impfung ist auch eine Impfung gegen Myokardinfarkt). Des Weiteren sind Personen mit chronischen Atemwegserkrankungen vor allem dann in hohem Maße gefährdet, wenn ihre Lungenfunktion eingeschränkt ist, wie es bei vielen Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) der Fall ist. Für sie stellt sich das ARE-Risiko in doppelter Hinsicht dar. Zum einen als akute lebensbedrohliche Gefährdung und zum anderen als gesteigertes Risiko für eine Exazerbation mit dem Potenzial für eine anhaltend verschlechterte Prognose bei abermals weiter eingeschränkter Lungenfunktion.
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Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
Was ist COPD? Welche Symptome können auftreten und wie erfolgt die Behandlung? Ist eine COPD heilbar? Das und mehr erfahren Sie hier!
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Verbesserter Schutz vor Influenza durch weiterentwickelte Vakzinen
Um den Impfschutz besonders gefährdeter Personen gegenüber
Influenza zu verbessern, wurden die herkömmlichen Vakzinen weiterentwickelt. Zum einen handelt es sich bei diesen Impfstoffen um den
Hochdosis-Impfstoff Efluelda® mit 4-fach erhöhter Menge an Antigen gegenüber dem Standard.
Zum anderen wurde die Immunogenität des Impfantigens durch Zugabe des Adjuvans MF-59 gesteigert, wie es bei Fluad
® der Fall ist. Das in den 1980er Jahren entwickelte und bereits seit mehr als einem viertel Jahrhundert zugelassene Adjuvans beruht in seiner Wirkung auf einer unspezifischen Aktivierung des innaten Immunsystems. Auf die gezielt und gewollt gesetzte Entzündungsreaktion an der intramuskulären Injektionsstelle im M. deltoideus folgt eine vielfach erhöhte Rekrutierung von Monozyten aus der Blutbahn, die unter dem Einfluss des gleichzeitig mit der Impfstoffzubereitung applizierten Antigens zu einem guten Teil zu dendritischen Zellen differenzieren. Nach Wanderung über die Lymphgefäße treiben diese Antigen-präsentierenden Zellen bevorzugt in den Lymphknoten ein Immunpriming von Lymphozyten des adaptiven Immunsystems voran. Und dies mündet schließlich in eine besonders ausgeprägte Aktivierung der spezifischen Immunantwort sowohl auf zellulärer (CD8+ T-Zellen) wie auch auf humoraler (Antikörper) Ebene. Neben einer stärkeren Immunogenität schließt dies nicht nur eine breitere Immunantwort ein, mit der auch heterologe Influenzastämme im Sinne einer Kreuzreaktivität besser adressiert werden können, sondern auch eine länger anhaltende Immunantwort, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die gesamte Influenza-Saison abdeckt – auch bei frühzeitiger Impfung bereits im Spätsommer/Herbst.
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Neuer Grippe-Impfstoff steht ab 2025 zur Verfügung
Erschienen am 12.11.2024 • Die STIKO empfiehlt einen neuen verstärkten Grippe-Impfstoff für Ältere. Ärzt:innen können diesen ab Frühjahr 2025 bestellen. Mehr dazu hier!
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Validität der Impfeffektivität bei Influenza äußerst limitiert
Genaue Aussagen über die klinisch messbare und darüber hinaus auch eindeutig auswertbare Effektivität von Impfstoffen gegen Influenza zu treffen, ist nur mit sehr hohem Aufwand möglich, der aber allein deshalb kaum lohnenswert erscheint, weil er über die Momentaufnahme hinaus kaum allgemeingültige Aussagen erlaubt. Denn aufgrund der hohen Variabilität der Influenzaviren nicht nur von Jahr zu Jahr, sondern auch innerhalb einer Saison und aufgrund der stets entsprechend veränderten, aktuellen Impfstoffzusammensetzung ist ein wesentliches methodologisches Kriterium für qualitativ hochwertige Wirksamkeitsstudien in der Medizin von vornherein nicht erfüllbar: die Reproduzierbarkeit. Dies kommt ganz offensichtlich zum Ausdruck in der großen Bandbreite an Wirksamkeitsdaten, die in europäischen und US-amerikanischen Studien in den Saisons 2010/11 bis 2019/20 ermittelt wurden. Demnach konnten durch Influenza-Impfungen jeweils zwischen 20 und 60% laborbestätigte Influenza-bedingte Arztkonsultationen verhindert werden. Für ältere Erwachsene lässt sich daraus laut Robert Koch-Institut (RKI) über einen Zeitraum von mehreren Jahren eine mittlere Vakzine-Effektivität von 41% errechnen (1). Solche Durchschnittswerte machen zugleich deutlich, dass trotz der Unmöglichkeit, die Effektivität einer Influenza-Vakzine für die bevorstehende Saison vorhersagen zu können, im Nachhinein aber doch allgemeine Wirksamkeitseinschätzungen getroffen werden können, die auch einen Vergleich zwischen verschiedenen Impfstrategien erlauben.
Hochdosis-Impfstoff jahrelang priorisiert
Dennoch gibt es Studien mit hervorragendem prospektivem, randomisiertem, multizentrischem und aktiv-kontrolliertem doppelblindem Design, die eine wirklich valide Einschätzung der Effektivität von Influenza-Impfstoffen bieten. So hatte eine vergleichende Auswertung der laborbestätigten Influenza-Erkrankungen in 2010/11 und 2011/12 nach Influenza-Impfung mit Hochdosis- vs. Standardvakzine eine absolute Minderung der Erkrankungsraten von 1,9 auf 1,4% ergeben, was einer relativen Risikominderung um 24,2% entsprach (2). Um diese Resultate hervorzubringen, war ein enormer Aufwand mit beinahe 32.000 Teilnehmern in 126 Forschungszentren der USA und Kanada nötig. Von den Ergebnissen dieser tatsächlich herausragenden Studie hat der Hochdosis-Impfstoff bis zuletzt allein dadurch profitiert, dass er über mehrere Jahre hinweg als einziger Influenza-Impfstoff für Personen ab 60 Jahre von der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim RKI empfohlen wurde.
Gleichwertigkeit der adjuvantierten Vakzine mit dem Hochdosis-Impfstoff anerkannt
Das hat sich jetzt mit der kürzlich aktualisierten STIKO-Empfehlung grundlegend geändert. Denn mittlerweile erkennt auch dieses Expertengremium die Studienlage der adjuvantierten Influenza-Vakzine als mindestens ebenbürtig an (3). Diese beruht auf einem Head-to-Head-Vergleich der Wirksamkeit des Hochdosis-Impfstoffes mit der adjuvantierten Vakzine über einen Zeitraum von 3 Influenza-Saisons von 2017 bis 2020 (4). Diese Studie hat den Vorzug, dass sie mit ihrem Wirksamkeitskriterium der Krankenhauseinweisungen gegenüber den bislang erfassten Arztkonsultationen einen wesentlich härteren Endpunkt gewählt hat. Darüber hinaus legte eine retrospektive Analyse von Kaiser-Permanente-Daten (n = 495.119) der Influenza-Saison 2022/23 in den USA eine Überlegenheit der adjuvantierten Vakzine gegenüber dem Hochdosis-Impfstoff nahe. Dieser nicht direkt vergleichenden Beobachtung zufolge konnten Influenza-bedingte Hospitalisierungen nach Impfung mit der adjuvantierten Vakzine um 61,6% reduziert werden. Unter Impfschutz mit dem Hochdosis-Impfstoff lag die entsprechende Reduktion der Fälle an Hospitalisierungen aufgrund PCR-bestätigter Influenza bei 25,1% (5).
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Influenza-Impfung bei über 60-Jährigen – mehr als nur Infektionsprophylaxe
Erschienen am 11.10.2024 • Die Influenza-Impfung mit Hochdosis-Vakzine schützt über 60-Jährige vor schweren Infektionen und kardiovaskulären Komplikationen. Mehr dazu hier!
Erschienen am 11.10.2024 • Die Influenza-Impfung mit Hochdosis-Vakzine schützt über 60-Jährige vor schweren Infektionen und...
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Auch bei RSV bietet ein adjuvantierter Impfstoff Vorteile
Zur Beurteilung der Effektivität der Impfstoffe gegen
RSV ist derzeit überhaupt kein unmittelbarer Vergleich möglich, da keine direkte Vergleichsstudie angestrebt wurde. Da die adjuvantierte
RSV-Vakzine Arexvy® aber dasselbe Adjuvans enthält wie der mittlerweile gut dokumentierte inaktivierte Impfstoff gegen
Herpes Zoster Shingrix®, lassen sich Analog-Schlüsse hinsichtlich der Impfstoff-Effektivität auch gegen RSV ziehen. So trägt das Adjuvanssystem AS01B (eine Mischung aus Monophosphoryllipid A von Salmonella minnesota Stamm R595, Liposomen und Saponin QS-21 von Quillaja saponaria, Molina, Fraktion 21) zu einer vielfachen Verstärkung der Immunogenität bei. Im Vergleich zum reinen gE-Impfstoff sowie zu anderen traditionell genutzten Adjuvanssystemen führt dies bei Herpes Zoster zu einer vielfach stärkeren Antwort vor allem des T-Zell-vermittelten zellulären Immunsystems. Das zeigte sich nicht zuletzt in zahlreichen Wirksamkeitsstudien, in denen Schutzraten vor Herpes Zoster in allen Altersgruppen bis hin zu Personen über 85 Jahren von durchgängig über 90% erzielt werden konnten, während im Gegenzug allerdings mit häufigeren lokalen, stets harmlosen, selbstlimitierenden und folgenlos verschwindenden Impfreaktionen zu rechnen ist. Dies scheint auch bei der Wirksamkeit des RSV-Impfstoffes ganz ähnlich zu beurteilen zu sein. Auch hier sollte das parallel applizierte Adjuvanssystem gegenüber dem alleinig verabreichten RSV-Antigen in stabilisierter Präfusionskonformation (RSVPreF3 Antigen) mit einer insgesamt überlegenen Immunogenität aufwarten, die eine gesteigerte Aktivierung von CD4+ T-Zellen einschließt. Im Unterschied zum rekombinanten inaktivierten Zoster-Impfstoff wird allerdings beim adjuvantierten RSV-Impfstoff nur die halbe Adjuvans-Dosierung zur Sicherstellung der verbesserten Immunogenität benötigt, was andererseits die Reaktogenität günstig beeinflusst und zu weniger unangenehmen Begleiterscheinungen im Rahmen der Impfung selbst führt.
Eine Übersicht über RSV und Präventionsmöglichkeiten in allen Altersgruppen sind hier:
Immunprophylaxe gegen RSV-Erkrankungen und die aktuellen STIKO-Empfehlungen zu RSV sind hier zu finden:
RKI - Archiv 2024 - Epidemiologisches Bulletin 32/2024
Impfung gegen SARS-CoV-2 für gefährdete Personen auch in dieser Saison ratsam
Bezüglich der aktuellen Gefährdungslage durch SARS-CoV-2 gibt es kaum Neues zu vermelden. Aufgrund nur leichter Veränderungen der vorherrschenden Omikron-Variante, die sich anscheinend immer besser an den Menschen anpasst, bieten die aktualisierten mRNA-Impfstoffe wohl den besten Schutz, der insbesondere bei besonders gefährdeten Hochrisikopersonen durch Wiederholungsimpfung optimiert werden kann. Die entsprechenden aktuellen STIKO-Empfehlungen sind hier zu finden:
RKI - Impfen - COVID-19-Impfempfehlung (Stand 26.9.2024)
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Impfung gegen Gürtelrose auch zur Verhinderung eines Zoster-Rezidivs geeignet
Erschienen am 01.07.2024 • Schützt die Impfung gegen Gürtelrose auch vor einem Zoster-Rezidiv? Antworten darauf gibt der neue Schwerpunkt auf journalmed.de ► Lesen Sie rein!
Erschienen am 01.07.2024 • Schützt die Impfung gegen Gürtelrose auch vor einem Zoster-Rezidiv? Antworten darauf gibt der neue...
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Nicht zu vergessen: Impfungen gegen bakterielle (Super-)Infektionen
Über alle Vorsicht gegenüber viralen ARE-Erregern sollte der Impfschutz gegenüber bakteriellen ARE-Keimen nicht in Vergessenheit geraten – bloß, weil diese nicht explizit aufgrund einer etwaigen Saisonalität im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Gerade aber die permanente Besiedlung der Atemwege mit potentiell pathogenen Keimen,
zu denen insbesondere die Pneumokokken zählen, birgt – vor allem in Kombination mit viralen ARE-Erregern als Wegbereiter – die Gefahr von schwerwiegenden Komplikationen. Um diesen von vornherein wirksam zu begegnen, erscheint es ratsam, den Impfschutz gegen Pneumokokken zu überprüfen und gegebenenfalls gemäß STIKO-Empfehlung mit dem 20-valenten Impfstoff Prevenar 20
® (vormals Apexxnar
®) zu aktualisieren (6). Und allein schon aus Aktualitätsgründen sei hier auch die
Impfung gegen Pertussis als häufige ARE im Alter erwähnt (7).
Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.