Arbeiten Sie engmaschig mit Hospizen zusammen?
Sehr eng. Vor allem die Sozialarbeiter sind in die Verlegung in ein Hospiz involviert. Wir arbeiten mit allen Hospizen in Berlin und Brandenburg zusammen. Es werden aber auch Hospize im gesamten Bundesgebiet angefragt, sollten es die Patient:innen und ihre Angehörigen wünschen. In Berlin und Brandenburg schaue ich mir die Einrichtungen gerne persönlich an und nehme das dann als Anlass, einen meiner Patient:innen zu besuchen.
Was bewegt Sterbende tatsächlich in den letzten Tagen/Stunden?
Ich erlebe zu 99%, dass die Sterbenden in den letzten Tagen bzw. Stunden so gut wie ausschließlich „Menschliches oder Lebendiges“ bewegt. Die Materialität rutscht in dieser Zeit komplett in den Hintergrund. So hat mir noch nie ein Patient gesagt, er werde seine Häuser oder seine Autos vermissen. Es sind die zwischenmenschlichen Verbindungen – das finde ich sehr spannend. Es kann natürlich auch mal ein Haustier sein, das bei uns meistens verweilen darf.
Wie werden die Patient:innen und deren Angehörige in dieser Situation betreut?
Für den einsamen Menschen/Patienten ist das oft sehr schwierig, da keiner zu Besuch kommt und er auch wenig Austausch hat, außer mit den lieben Mitarbeitern von den Stationen. Ist die Symptomkontrolle adäquat abgeschlossen, bieten wir den Angehörigen eine psychoonkologische Begleitung an. Die Pflegekräfte sind in dieser Situation eine enorm wichtige Unterstützung, da sie ja diejenigen sind, die mehrmals täglich mit den Patient:innen intensiv Kontakt haben. Auch von ärztlicher Seite erfolgt natürlich eine Betreuung. Ebenso erlebe ich häufig, dass die Seelsorger eine große Stütze sind, gerade für Kinder, die ihre Eltern viel zu früh verabschieden müssen. Es ist wunderbar, mit welcher Wärme, aber auch Klarheit und Stärke sie die Kinder bei der Hand nehmen und ihnen sagen „Wir beide machen das jetzt und gehen zu deiner Mama.“
Für mich ist es bei der Begleitung des sterbenden Menschen und der Betreuung der Angehörigen wichtig, eine professionelle, individuelle Mischung aus Vertrauen und Empathie anzubieten, sich dabei gleichzeitig aber auch bewusst zu sein, „das ist weder meine Tochter, noch meine Frau, noch mein Mann, der hier stirbt“, sodass man sich in diesem Prozess auch professionell zurückziehen kann – das ist sehr wichtig! Ebenfalls finde ich, dass es eine ganz wichtige Aufgabe eines Palliativmediziners ist, verschiedene Möglichkeiten bei diesen zum Teil ja elementar wichtigen Entscheidungen aufzuzeigen, wie: „Wollen wir weitermachen oder aufhören, was soll man noch geben oder eben nicht mehr geben“, das heißt, herauszufinden und zu dem stehen, was der Patient wollte und bei dieser Entscheidung auch bleiben. Hier können wir aus der eigenen Erfahrung eine Hilfestellung anbieten, und die Angehörigen können diese annehmen, müssen es aber nicht. Viele sind für diese Unterstützung sehr dankbar sowie dafür, wenn wir ihnen auch einmal eine schwierige Entscheidung abnehmen, denn oft können sie in diesen Extremzuständen alleine keine Entscheidung mehr treffen. Wir nehmen sie dann an die Hand, lassen dabei aber dennoch immer Raum für den Menschen, der stirbt, und ebenso für die Menschen, die ihn umgeben.
In einer besonders schwierigen Zeit auf unserer Station und für das gesamte Team habe ich ein Mantra entworfen, das ich allen Ärzten und Pflegekräften mitgegeben habe und das wir uns auch heute immer noch sagen. Dieses lautet: „Anderen zu helfen tut gut, sich um sich selbst zu kümmern, ist wichtig, sich nicht so wichtig zu nehmen, hilft.“ Ich bin der Meinung, wenn es einem gelingt, diese 3 Dinge zu beachten, ist es eine gute Voraussetzung zur Ausübung dieses sehr erfüllenden und berührenden Berufs, mit sterbenden Menschen zu arbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte
Dr. med. vet. Astrid Heinl