NALL: Jahrzehntelanger Einsatz bei Schwindel
NALL ist Bestandteil eines Präparats (sog. Racemat), das vor allem in Frankreich jahrzehntelang zur
Therapie von Schwindel eingesetzt wurde. Effektive Medikamente gegen Schwindel würden meist am Kleinhirn ansetzen – warum also, so Strupps Gedanke, „sollte man ein solches Medikament nicht therapeutisch für Erkrankungen testen, an denen das Kleinhirn primär beteiligt ist?“ Auch ein großer Teil der Symptome beim Morbus Niemann-Pick Typ C wird durch Störungen der
Nervenzellen im Kleinhirn verursacht. Deshalb lag es nahe, in Studien den Patient:innen NALL zu geben – NALL deshalb, weil sich in den Tiermodellen der Erkrankung herausgestellt hatte, dass diese spiegelbildliche Molekül-Variante die wirksame Komponente ist. So rekrutierten die Mediziner binnen 3 Monaten 60 Niemann-Pick-Patient:innen im Alter von 5-67 Jahren aus Australien, Europa und den USA. Strupp: „Das war bei einer derart seltenen Erkrankung eine große Herausforderung.“ Die Teilnehmenden erhielten entweder 12 Wochen lang NALL und anschließend 12 Wochen lang Placebo oder umgekehrt.
Frühzeitige Behandlung mit NALL
„Auf einer validierten Skala der Symptomatik verbesserte sich die Krankheitslast unter der neuen Medikation um 2 Punkte, was funktionell sehr relevant ist“, wie Strupp betont. Nebenwirkungen: bislang keine. Sobald die Patient:innen, die das Medikament anfangs 12 Wochen lang einnahmen, NALL wieder absetzten und stattdessen das Placebo bekamen, verschlechterte sich ihr Zustand. „Außerdem haben wir Hinweise darauf, dass das Medikament das Fortschreiten der Erkrankung verzögert“, sagt der Neurologe. Das bedeutet: Je früher im Leben die Erkrankung erkannt wird und die Therapie beginnt, umso besser. Typischerweise beginnt das Leiden schon im frühen Kindesalter.
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Erschienen am 09.01.2023 • Was leistet KI bei seltenen Erkrankungen? Lesen Sie das Update zu den orphan diseases von Dr. rer. nat. med. habil. Eva Gottfried!
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NALL: Deutliche Verbesserung der Symptomatik und zellschützender Effekt
Mit den Kolleg:innen der Universität Oxford haben die Wissenschaftler:innen des LMU Klinikums auch den Grund für die deutliche Verbesserung der Symptomatik und den zellschützenden Effekt aufgeklärt. NALL – anders als die normale Aminosäure Leucin – wird über einen speziellen Transporter mit hoher Kapazität durch Zellmembranen geschleust und erreicht so hohe Konzentrationen in allen Zellen einschließlich Nervenzellen. In Zellen beeinflusst es den Glukosestoff- und Energiestoffwechsel positiv. Resultat: Es wird mehr ATP aus jedem Glukosemolekül produziert. Dieser Energieschub „bringt Nervenzellen und andere Zellen in eine deutlich robustere Verfassung“, sagt Strupp, „und dann funktionieren die Lysosomen auch besser“. Überdies stellt NALL die normale Erregbarkeit der Nervenzellen wieder her, die ebenfalls gestört ist. Auch bei anderen Erkrankungen ist diese Erregbarkeit von Nervenzellen beeinträchtigt. Kleinere Studien der Münchner Mediziner:innen deuten an, dass NALL auch hier einen positiven Effekt hat. Möglicherweise kann NALL auch bei weiteren Erkrankungen, vor allem solchen mit einem vorzeitigen Altern von Nervenzellen, wirksam sein.
(1) Bremova‑Ertl T et al. Trial of N-Acetyl-l-Leucine in Niemann–Pick Disease Type C. N Engl J Med 2024;390:421-31. DOI: 10.1056/NEJMoa2310151