Leptin wird in den Adipozyten von Menschen mit Adipositas überexprimiert
Mit der Klonierung des obesity (ob)-Gens 1994 (1) und der Identifizierung von dessen Produkt Leptin im Fettgewebe (2) wurde der Startpunkt für die Leptin-Forschung gesetzt. Durch Leptingabe konnte die
Adipositas von ob/ob-Mäusen, denen das Protein fehlte, rückgängig gemacht werden. Hoffnungen auf eine Leptin-Behandlung bei menschlichem Adipositas zerschlugen sich jedoch schon bald, da die meisten adipösen Menschen eine Leptin-Überexpression in den Adipozyten aufweisen und nicht an einem Leptin-Mangel, sondern an einer Leptin-Resistenz leiden (3-5).
Bei Lipodystrophie wird das Sättigungshormon Leptin unzureichend gebildet
Mittlerweile weiß man, dass Leptin ein Schlüsselhormon des Glukose- und Fettstoffwechsels ist. Aufgrund einer negativen Feedback-Hemmung vermittelt es die homöostatische Kontrolle des Fettgewebes und gilt als „Hunger-/Sättigungshormon“ (6). Bei LD-Patient:innen wird aufgrund des Mangels an subkutanem Fettgewebe Leptin unzureichend gebildet, so dass die Betroffenen häufig an unstillbarem Hunger und Hyperphagie leiden. Es kommt zu einer ektopischen Fettablagerung in der Muskulatur und verschiedenen Organen, z.B. der Leber, dem Herzen und den Nieren. Dies wiederum hat unter anderem Insulinresistenz, Diabetes, Hypertriglyceridämie und nicht-alkoholische Fettlebererkrankung zur Folge (7).
Metreleptin ist zur Behandlung eines Leptinmangels mit einer Diät zugelassen
Mit der Entwicklung von Metreleptin ab 2010 stand erstmals eine kausale Therapie der Folgen des Leptinmangels für eine bessere metabolische Kontrolle zur Verfügung (8, 9). Seit 2018 ist Metreleptin in Kombination mit einer Diät in der Europäischen Union zur Behandlung der Folgen eines Leptinmangels bei LD-Patient:innen zugelassen (10).
Lesen Sie mehr zu diesem Thema:
Lipodystrophie: Diagnose-Check für die Sprechstunde
Erschienen am 08.10.2023 • Für die Diagnostik der Lipodystrophie steht ein neuer Diagnose-Check zur Verfügung. Lesen Sie hier die Details!
Erschienen am 08.10.2023 • Für die Diagnostik der Lipodystrophie steht ein neuer Diagnose-Check zur Verfügung. Lesen Sie hier die...
© Siniehina – stock.adobe.com
Noch immer Unsicherheit bei der Prävalenz und verzögerte Diagnose
Nach wie vor ist die LD jedoch unterdiagnostiziert. Die tatsächliche Prävalenz ist schwer zu fassen. Im prospektiven Diabetes-Register DPV sind nach einer aktuellen Auswertung 25 LD-Fälle bei insgesamt knapp 640.000 Menschen mit Diabetes dokumentiert (11). Mehrere Studienteams haben auf Basis von Krankenkassendaten versucht, die genaue Prävalenz abzuschätzen. Dabei ergaben sich jedoch unterschiedliche Ergebnisse (12, 13). Aktuelle Kohortenstudien aus verschiedenen europäischen Ländern zeigen eine nach wie vor verzögerte Diagnosestellung, oft mehr als 10 Jahre nach den ersten Symptomen. Als Konsequenz haben die meisten Betroffenen bei Diagnose bereits ein erhebliches Spektrum an Komorbiditäten (14-16). Eine frühzeitige Diagnose ist jedoch wichtig. Aktuelle Daten zeigen, dass ein entsprechend frühzeitiger Therapiebeginn (hinsichtlich Alter oder vor dem Auftreten metabolischer Komorbiditäten) mit Metreleptin insbesondere bei generalisierter LD den langfristigen Krankheitsverlauf und die Prognose verbessert (17).
Neue Leptin-Varianten und ein neuer LD-Subtyp erschweren die Therapie
Kürzlich wurden die 2 neuen Leptin-Varianten P64S und G59S mit antagonistischem Verhalten am Leptinrezeptor und den Folgen Hyperphagie und Adipositas beschrieben. Dadurch konnten zusätzliche Erkenntnisse zur Bedeutung von Leptin in diesem Regelkreis gewonnen werden (18). Als ursächlich für einen neuen LD-Subtyp wurden homozygote Loss-of-Function-Mutationen im Gen der Phospholipase A/Acyltransferase 3 (PLAAT3) erkannt, die zusätzlich neurologische Veränderungen auslösten und daher in der genetischen Bestätigung einer Lipodystrophie berücksichtigt werden sollten (19). Zukünftig wird die Leptin-Forschung weitere Indikationen miteinbeziehen und neue Untergruppen mit partiellem Leptinmangel als Grundlage für neue klinische Studien definieren. Zudem wird ein metabolisches Frühwarnsystem für koronare Herzkrankheiten entwickelt.
Negativer Einfluss der LD auf die Lebensqualität
Eine erst Anfang 2024 publizierte Fragebogenstudie zum psychoemotionalen Wohlbefinden belegt den erheblichen negativen Einfluss der LD auf die Lebensqualität. Die Betroffenen fühlen sich häufig müde und energielos. Fast ein Drittel hat eine psychiatrische Diagnose (z.B. Depressionen, Angststörungen), die teilweise gar nicht in den Krankenakten vermerkt ist. Auch die Bedeutung der Hyperphagie wird von Behandelnden oftmals unterschätzt, obwohl sie maßgeblich den Alltag der Betroffenen beeinflusst (20).
(1) Zhang Y, et al. Nature 1994;372(6505):425–432.
(2) Halaas JL, et al. Science 1995;269(5223):543–546.
(3) Masuzaki H, et al. Diabetes 1995;44:855-858.
(4) Lonnquist F, et al. Nature Med 1995;1:950-953.
(5) Heymsfield SB, et al. JAMA 1999;282(16):1568–1575.
(6) Friedmann J. J Clin Invest 2016;126(12):4727–4734.
(7) Brown RJ, et al. J Clin Endocrinol Metab 2016;101(12):4500–4511.
(8) Diker-Cohen T, et al. J Clin Endocrinol Metab 2015;100(5):1802–1810.
(9) Meehan CA, et al. Expert Rev Clin Pharmacol 2016;9(1):59-68.
(10) Fachinformation Myalepta®, Stand März 2023.
(11) Kamrath C, et al. Endocrine Connections 2023;12: e220333.
(12) ChiquetteE, et al. Diabetes Metab Syndr Obes 2017;10:375–383.
(13) Gonzaga-Jauregui C, et al. Diabetes. 2020;69(2):249-258.
(14) Fernández-Pombo A, et al. Front Endocrinol 2023;14:1250203.
(15) Simsir IY, et al. Diabetes Obes Metab 2023;25:1950–1963.
(16) Mosbah H, et al. Eur J Endocrinol 2024;190:23–33.
(17) Brush M, et al. J Endocrine Soc 2023;7(Suppl. 1): A511-512. DOI: 10.1210/jendso/bvad114.955.
(18) Funcke JB, et al. N Engl J Med 2023;388(24):2253-2261.
(19) Schuermans N, et al. Nat Genet 2023;55:1929–1940.
(20) Demir T, et al. Orphanet J Rare Dis 2024;19:10.