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INTERVIEW mit Dr. med. Oskar Oehling

„Ein Lipödem sollte operiert werden, aber der Eingriff erfordert spezielle Expertise“

von Dr. rer. nat. Claudia Schöllmann und Dr. med. Oskar Oehling

„Ein Lipödem sollte operiert werden, aber der Eingriff erfordert spezielle Expertise“
© ADEPOS Fachklinik
Dr. Oskar Oehling, Internist und Lymphologe mit Spezialgebiet Lipödem-Chirurgie, hat in den vergangenen Jahren mehr als 2.000 therapeutische Liposuktionen bei Patientinnen mit Lipödem durchgeführt – zunächst in seiner ambulanten OP-Praxis im bayerischen Klosterlechfeld und nun in der jüngst eröffneten ADEPOS-Klinik, einer Fachklinik für Lipödem-Chirurgie in Graben/Bayern. Der Mediziner betreut auch Patientinnen, die sich aus verschiedenen Gründen für eine konservative Behandlung ihrer Erkrankung entscheiden. Journalmed.de sprach mit dem Experten über die rätselhafte Pathogenese des Lipödems, den richtigen Blick für die Krankheitszeichen, die Vorteile einer Liposuktion und die Bedeutung der Erfahrung der Operateurin/des Operateurs.
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Herr Dr. Oehling, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Krankheitsbild des Lipödems. Was zeichnet die Erkrankung aus?

Das Lipödem ist eine potentiell progrediente, symmetrische Vermehrung des Unterhautfettgewebes an den unteren und zum Teil auch oberen Extremitäten, die ausschließlich Frauen betrifft und familiär gehäuft auftritt. Die Krankheit beginnt fast immer, wenn sich der Status weiblicher Geschlechtshormone ändert – in der Pubertät, bei Schwangerschaften oder in der Menopause. Häufig ist auch eine antihormonelle Behandlung bei Brustkrebs oder Hormonbehandlungen bei unerfülltem Kinderwunsch der Auslöser, seltener tritt die Krankheit bei An- oder Absetzen hormoneller Verhütung auf. Typisch für das Lipödem ist ein Missverhältnis zwischen schlanker Taille und breitem Becken (gemessen an der breitesten Stelle der “Reithose“) mit einer Waist-to-Hip-Ratio unter 0,7. Im Falle zusätzlich bestehender Adipositas kann dieser Quotient verfälscht sein, liegt aber niemals über 0,8. Bei etwa jeder 2. Patientin sind neben den Beinen auch die Arme betroffen; das Über-Kopf Arbeiten fällt dann sehr schwer.

Tragisch ist, dass das Lipödem oft als Adipositas fehldiagnostiziert wird, wenngleich Adipositas durchaus koinzident zum Lipödem auftreten kann. Den Frauen wird eine Gewichtsreduktion durch Diäten und/oder Sport ans Herz gelegt – in Unkenntnis, dass sich ein Lipödem damit nicht effektiv bekämpfen lasst. Das kann bei Betroffenen einen hohen Leidensdruck, zum Teil auch psychische Probleme auslösen. Deshalb ist es so wichtig, die Erkrankung möglichst früh zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern.

„Ein Lipödem ist mit Sport und Diäten nicht effektiv behandelbar“

Wie erkennt man ein Lipödem im klinischen Alltag?

Das Lipödem ist eine klinische Diagnose. Ähnlich wie bei Multipler Sklerose oder rheumatoider Arthritis wird die Diagnose gestellt, wenn gewisse Symptome/Befunde zusammentreffen, wenngleich kein Parameter letztlich beweisend ist. Ein erster Hinweis ist die erwähnte Waist-to-Hip-Ratio; für die Bestimmung reicht ein Maßband aus. Liegt der Wert unter 0,7 (bei begleitender Adipositas unter 0,8), besteht bereits Verdacht auf ein Lipödem. Kommen Symptome wie Druckschmerz, Berührungsempfindlichkeit, das Gefühl bleischwerer Beine und ausgeprägte Hämatom-Neigung ohne erinnerliche Traumata hinzu, erhärtet sich der Verdacht. Ein weiterer Hinweis ist die im Tagesverlauf zunehmende Ödemneigung in den unteren Extremitäten. Schmerz ist für mich das Leitsymptom beim Lipödem. Ich teste deshalb immer, ob die Patientin ein leichtes Kneifen des Gewebes an den Beinen als unangenehm oder schmerzhaft empfindet; dies ist beim Lipödem praktisch immer der Fall.

„Schmerz ist das Leitsymptom des Lipödems“

Wer noch mehr tun möchte, kann dem Lipödem mit einer Sonografie mit Linearschallkopf (am besten über 13,5 mHz), die in vielen Praxen verfügbar ist, weiter auf die Spur kommen. Typisch für die Erkrankung ist eine Kragenbildung des Fettgewebes im Bereich über dem lateralen bzw. medialen Malleolus bei gleichzeitig schlanken Füßen. Ist die Fettschicht über dem Knöchel im Sonogramm stärker als in der Unterschenkelmitte, ist das ein weiteres Zeichen für ein Lipödem. In fortgeschrittenen Stadien erkennt man im Ultraschall im Lipödem-Fettgewebe speziell im Bereich der Reithose zudem typische rotunde Formationen.

Bei Verdacht auf ein Lipödem sollte die Patientin in eine lymphologische Fachpraxis zur weiterführenden Diagnostik überwiesen werden. Damit können der Frau unter Umständen Fehldiagnosen und viel Leid erspart bleiben. Hier sind gerade auch Gynäkolog:innen gefragt, junge Frauen, die sich erstmals in der Praxis vorstellen, einem „Blick-Screening“ auf ein Lipödem zu unterziehen. Denn noch immer vergehen oft Jahre, bevor die richtige Diagnose gestellt und geeignete Therapieverfahren eingeleitet werden.
 
 

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„Die weiterführende Diagnostik sollte in einer spezialisierten Praxis erfolgen“

Was ist zur Pathogenese der Erkrankung bekannt?

Leider nicht allzu viel. Bis auf die Beobachtung, dass genetische und hormonelle Faktoren an der Krankheitsentstehung beteiligt sind, konnten bislang keine relevanten Unterschiede zwischen Speicher- und Lipödem-Fettgewebe gefunden werden. Es ist deshalb auch nicht möglich, die Diagnose über eine Biopsie des kranken Fettgewebes zu sichern. Die gängige These, das Lipödem sei eine Lipohyperplasie im Gegensatz zur Lipohypertrophie bei Adipositas, kann ich deshalb nicht unterschreiben. Entsprechend existiert bis heute (außer der operativen Lipektomie mittels Hochvolumen-Liposuktion) keine kausale Therapie des Lipödems. Wir selbst starten in unserer Tagesklinik bald eine Anwendungsbeobachtung mit 20 bis 30 Lipödem-Patientinnen und einer gleichen Anzahl Kontrollpatientinnen. Mittels Elastographie, einem neuartigen Ultraschallverfahren, vergleichen wir die Fettgewebselastizität bzw. -steifigkeit des Fettgewebes der Frauen und hoffen, Unterschiede zu finden, die unsere Erkenntnisse zur Pathogenese des Lipödems erweitern.

Wie sieht die konservative Behandlung des Lipödems aus?

Ist die Diagnose Lipödem Grad 1, 2 oder 3 gesichert, wird in der Regel zunächst eine klassische Entstauungstherapie eingeleitet – meist mit maßangefertiger, flachgestrickter Kompressionsbestrumpfung der Klasse II. Häufig wird begleitend manuelle Lymphdrainage verordnet, mitunter lebenslang. Etwa 70% der Frauen profitieren von der Kompression mit einer Linderung der Symptome, vor allem des Schmerzes. Bei einigen wenigen Prozent hilft zusätzliche Lymphdrainage bei der Symptomlinderung, obwohl das Lipödem rein gar nichts mit einer Störung im Lymphsystem zu tun hat, wie fälschlicherweise oft behauptet wird. Die verbliebenen 15 bis 20% haben keinen Vorteil von der konservativen Therapie; manche empfinden unter Kompression sogar verstärkten Schmerz. Diese Frauen müssen zur dauerhaften Symptombefreiung operiert werden, weil es keine therapeutische Alternative gibt.

„Die therapeutische Liposuktion ist der Königsweg beim Lipödem“

Aber auch die anderen Frauen mit Lipödem gehören meiner Meinung nach operiert; dazu habe ich eine klare Haltung. Denn die konservative Therapie ist nicht in der Lage, die Progredienz der Erkrankung aufzuhalten. Es gibt dazu keine sichere Datenlage, aber meiner Erfahrung nach – und in unserer Datenbank haben wir ca. 25.000 Lipödem-Patientinnen – ist die Erkrankung bei ca. 50 bis 60% der Betroffenen langsam progredient bzw. verläuft schubmäßig mit weiterer Volumen- und Schmerzzunahme im Bereich der Extremitäten und ggf. des Gesäßes. Deshalb ist die operative Intervention in Form der therapeutischen Liposuktion der Königsweg für alle Frauen mit Lipödem. In diesem Punkt bin ich mir mit allen Lipödem-Chirurgen in Deutschland – wir sind etwa 40 bis 50 – völlig einig. Ich plädiere deshalb dafür, die Entstauungstherapie nicht zu sehr in die Länge zu ziehen, sondern früh die therapeutische Liposuktion anzustreben. Aber natürlich ist das eine individuelle Entscheidung, die gemeinsam mit der Patientin getroffen wird. Manche Frauen möchten sich nicht operieren lassen, und das ist völlig in Ordnung. Hinzu kommt, dass die Liposuktion beim Lipödem erst ab dem fortgeschrittenen Stadium 3 in bestimmten Fällen zur Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehört.

Wie verläuft die therapeutische Liposuktion?

Zunächst einmal handelt es sich um ein schonendes operatives Verfahren, das eine langfristige Entfernung des Fettgewebes bei bestmöglicher Schonung der Nerven sowie der Lymph- und Blutgefäße ermöglicht; bei geringem Blutungsrisiko. Oft reichen 3 Eingriffe aus, um das Lipödem-Fettgewebe dauerhaft zu entfernen; das Rezidivrisiko ist gering. Kompressionsstrümpfe und auch Lymphdrainage gehören dann meist der Vergangenheit an, was für die Frauen eine enorme Erleichterung darstellt.
 
 

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„Eine ambulante OP unter Lokalanästhesie bietet Vorteile gegenüber einer OP in Vollnarkose“

Ich bevorzuge die ambulante Operation unter Lokalanästhesie, weil diese Strategie mit deutlich weniger Komplikationen verbunden ist als die stationäre OP unter Vollnarkose. Die Frauen sind direkt nach der OP wieder mobil, und das Risiko für beispielsweise Lungenembolien im ambulanten Setting ist minimal. Eine Vollnarkose ist im Vergleich dazu kostenintensiver und verlängert unnötigerweise die Rekonvaleszenz. Im Rahmen der OP infiltrieren wir zunächst mehrere Liter einer Lokalanästhetika-haltigen Tumeszenzlösung in den Subkutanraum. Nach ca. 30- bis 40-minütiger Einwirkzeit werden die Fettzellen, die sich nun leichter vom umliegenden Gewebe lösen lassen, mittels 4 bis 5 mm dicker Kanülen unter Vibration abgesaugt. Die Mini-Narben sind schon nach kurzer Zeit praktisch nicht mehr zu sehen.

Unterscheidet sich die therapeutische Liposuktion von Fettabsaugungen aus ästhetischen Gründen?

Die therapeutische Liposuktion des Lipödems hat wenig bis nichts mit Liposuktionen in der kosmetischen Medizin zu tun. Bei der Lipödem-Chirurgie müssen große Volumina an Fettgewebe entfernt werden, weil das pathologische Gewebe sonst zurückkommt und die Schmerzen nicht verschwinden. Die Devise lautet: zirkulär und aggressiv vorgehen; also das Fettgewebe der Patientinnen rundherum radikal entfernen. Das ist etwas völlig anderes als die eher kleinen Korrekturen, wie sie in der Schönheitschirurgie üblich sind.

„Die Devise bei der therapeutischen Liposuktion lautet: zirkulär und aggressiv vorgehen“

Aber es gibt doch auch Schönheitschirurgen, die therapeutische Liposuktionen beim Lipödem vornehmen...

Ja, das stimmt. Einige plastische Chirurgen operieren auch nach den Kriterien der Lipödem-Chirurgie, die meisten allerdings nach den Gesichtspunkten der ästhetischen Medizin. Hier lautet häufig der Grundsatz: Es wird nur so viel abgesaugt, dass keine cutis laxa entsteht. Nicht selten wird auch behauptet, mit der Hochvolumen-Liposuktion sei es nicht möglich, glatte Ergebnisse zu erzielen. Beides ist falsch. Speziell bei jüngeren Frauen lässt sich die Kollagenneogenese durch bestimmte Techniken deutlich steigern. Auch spezielle, durch mich entwickelte Glättungstechniken, die nur wenige Lipödem-Chirurgen beherrschen, bringen kosmetisch trotz hoher Volumina perfekte Ergebnisse. Besonders bei älteren Patientinnen hat sich darüber hinaus der Einsatz des invasiven Diodenlasers bewährt.

Neben der richtigen Technik erfordert Lipödem-Chirurgie viel Erfahrung. So gibt es z.B. Körperregionen, in denen trotz des radikalen operativen Vorgehens ein wenig mehr Unterhaut-Fettgewebe zurückbleiben sollte, damit das Ergebnis für die Patientinnen voll zufriedenstellend ist. Um da die richtigen Entscheidungen zu treffen, braucht es einen großen Erfahrungsschatz. Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass Lipödem-Chirurgie ohne physische Fitness der Operateurin/des Operateurs nicht möglich ist. Einige Patientinnen haben ein überaus festes, schwer abzusaugendes Fettgewebe. Fehlt es an Kraft und Ausdauer, sind die abgesaugten Volumina meist deutlich zu gering.

Was kann passieren, wenn das Spezialwissen zur Lipödem-Chirurgie fehlt?

Ist die spezielle Expertise zur Lipödem-Chirurgie nicht vorhanden und stellt die therapeutische Liposuktion nur einen unter vielen anderen Eingriffen dar, führt das oft zu katastrophalen Ergebnissen. Ich sehe immer wieder Frauen, deren Beine nach Lipödem-Operationen Berg- und Tallandschaften ähneln. Die Korrektur kosmetisch missratener Hochvolumen-Liposuktionen gehört zu unserer Expertise. Erst neulich kam eine verzweifelte Patientin zu mir, deren Oberschenkelumfang an einem Bein um 7 cm (!) über dem des anderen lag. Ich rate Patientinnen mit Lipödem, die eine Liposuktion planen, dringend, sich Zeit zu nehmen, bevor sie sich für eine Operateurin/einen Operateur entscheiden. Auch das Einholen mehrerer Meinungen ist empfehlenswert.

Das Interview mit Dr. Oehling führte Dr. Claudia Schöllmann.

 
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Dr. med. Oskar Oehling
Internist und Lymphologe – Spezialgebiet Lipödem-Chirurgie

ADEPOS Fachklinik für Lipödem-Chirurgie & Internventionelle Adipositasmedizin
Hildegard-von-Bingen-Str. 1
86836 Graben
kontakt@adepos.de
Tel.: 08232 3060

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