Jeder fünfte gesetzlich Versicherte geht mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen zum Arzt - 27 Prozent davon suchen sogar vier Mal oder öfter einen Arzt auf. Dabei wären viele von den in Deutschland jährlich mehr als 38 Mio. rückenschmerzbedingten Besuchen bei Haus- oder Fachärzten und den dabei veranlassten sechs Mio. Bildaufnahmen vermeidbar. Jeder Zweite ist davon überzeugt, dass man immer einen Arzt aufsuchen muss. 60 Prozent der Bevölkerung erwarten außerdem schnellstens eine bildgebende Untersuchung - durch Röntgen-, Computertomografie- (CT) und Magnetresonanztomographie-Aufnahmen (MRT).
Rücken: Wenn es mal zwickt, ist nicht gleich Arzt nötig (Foto: © VadimGuzhva / Fotolia.com)
|
Dabei können Ärzte nur bei höchstens 15 Prozent eine Schmerzursache feststellen. Die meisten Bilder verbessern oft also weder Diagnose noch Behandlung. Die falschen Erwartungen rücken Ärzte oft nicht zurecht. Dadurch kommt es neben zu vielen Arztbesuchen auch zu unnötig vielen Bildaufnahmen. "Oft werden die Befunde der Bildgebung überbewertet. Dies führt zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Behandlungen, zur Verunsicherung des Patienten und kann sogar zur Chronifizierung der Beschwerden beitragen", verdeutlicht Jean-Francois Chenot von der Universität Greifswald.
Umdenken in der Diagnostik
Die bildgebende Diagnostik erfolgt zudem oft vorschnell. Bei 22 Prozent wurde eine Aufnahme vom Rücken bereits im Quartal der Erstdiagnose angeordnet. Bei jedem zweiten Betroffenen wurde ein Bild veranlasst, ohne vorher einen konservativen Therapieversuch, zum Beispiel mit Schmerzmitteln oder Physiotherapie, unternommen zu haben. 85 Prozent der akuten Rückenschmerzen gelten als medizinisch unkompliziert und nicht spezifisch. Ärztliche Leitlinien empfehlen bei Rückenschmerzen ohne Hinweise auf gefährliche Verläufe (beispielsweise Wirbelbrüche oder Entzündungen), körperliche Aktivitäten so weit wie möglich beizubehalten, Bettruhe zu vermeiden und keine bildgebende Diagnostik durchzuführen.
Ärzte weichen von diesen wissenschaftlichen Empfehlungen jedoch häufig ab. So wird 43 Prozent der Betroffenen Ruhe und Schonung empfohlen. Zudem verstärken Ärzte oft das Krankheitsgefühl der Betroffenen, anstatt sie zu beruhigen. 47 Prozent der Betroffenen wird vermittelt, dass der Rücken "kaputt" oder "verschlissen" sei. "Ärzte müssen falsche Kenntnisse und Erwartungen von Patienten korrigieren. Nur so werden sie ihrem eigenen Anspruch als vertrauenswürdige Experten gerecht", so Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.