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Schwerpunkt November 2024
Herztage der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK)

Herzmedizin zwischen Herausforderungen und Chancen

von Birgit Frohn

Herzmedizin zwischen Herausforderungen und Chancen
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Was gibt es Neues in der kardiologischen Forschung? Die Herztage informierten darüber. Dieses Jahr ging es darüber hinaus um den künftigen Stellenwert der künstlichen Intelligenz (KI) in der Kardiologie, warum dringend mehr Laienreanimation nötig ist und welche Hürden in der kardiologischen Intensiv- und Notfallmedizin zu nehmen sind. Auch die Gendermedizin war ein wichtiges Thema.
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Nationale Herz-Allianz: Hand in Hand für die Herzgesundheit der Bundesbürger

Das gab´s noch nie: In einem breiten landesweiten Bündnis haben sich alle großen herzmedizinischen Fachgesellschaften Deutschlands und die Patientenvertretung zusammengeschlossen. Sein Name lautet Nationale Herz Allianz. Erklärtes Ziel dieser Allianz ist die Verbesserung der Versorgung von Herzpatient:innen in Deutschland. Die Initiative unter Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Gesundheit ist die größte und langfristigste, die es je in der deutschen Herz-Kreislauf-Medizin gab.

Mehr Laienreanimation: denn jeder kann Leben retten

Die schönsten Tore der diesjährigen Fußball-EM in Deutschland? Für den Hamburger Kardiologen Prof. Dr. Alexander Ghanem die des dänischen Fußballers Christian Eriksen. Der Nationalspieler erlitt im Juni 2021 einen Herzstillstand – direkt während eines Turnierspiels auf dem Platz. Seine Teamkameraden haben ihn umgehend wiederbelebt. Dadurch hat er überlebt. „Und schießt heute, drei Jahre später, wieder Tore“. Dieser weltweit bekannte Fall hat einmal mehr gezeigt, wie essentiell umgehende erste Hilfe und Reanimation für die Überlebenschancen bei einem Herzstillstand sind: „Hier entscheiden die ersten 10 Minuten über das Schicksal der Betroffenen“, so Prof. Ghanem.

Reanimation: Gehirn im Fokus

In der konkreten Wiederbelebungssituation ist das Hauptorgan laut Prof. Ghanem nicht das Herz, sondern das Gehirn: „Es ist das empfindlichste Organ und wird während eines Herzstillstands nicht mit Sauerstoff versorgt“. Bereits nach wenigen Minuten ohne ausreichende Sauerstoffversorgung erleidet das Gehirn irreparable Schäden, so der Hamburger Kardiologe weiter. Genau deshalb ist schnelle erste Hilfe vor Ort durch Laienreanimation so wichtig. Sie sorgt dafür, dass der Blutfluss aufrechterhalten wird und das Gehirn weiter Sauerstoff erhält, bis das Herz wieder selbstständig zu schlagen beginnt. Das kann über Leben und Tod entscheiden: „Je schneller damit begonnen wird, desto besser stehen die Überlebenschancen“, weiß Prof. Ghanem.

Die goldene Stunde

Dass jede Minute zählt, liegt an der sogenannten Golden Hour of Return of Spontaneous Circulation (ROSC). So heißt das kritische Zeitfenster von rund einer Stunde, in der alle wichtigen Maßnahmen abgeschlossen sein sollten, um die Überlebenschancen nach einem Herzstillstand zu maximieren – von der Erstversorgung vor Ort, über den Transport ins Krankenhaus und den Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine.

„Prüfen, rufen, drücken“

Die Quote der Laienreanimation liegt in Deutschland nur bei 40 bis 50%. Lediglich knapp die Hälfte der Bundesbürger leistet mithin sofortige Hilfe, bis die Rettungskräfte eintreffen. Laut Prof. Ghanem besteht hier ein erhebliches Verbesserungspotenzial: „Die Bevölkerung muss sehr viel besser befähigt sein. Ersthelferkurse gibt es überall und regelmäßig auch kostenlos – jeder kann Leben retten“. Mit einer Herzdruckmassage werden wertvolle Minuten überbrückt, die für einen Menschen allesentscheidend sind. So lautet der eindringliche Appell des Hamburger Kardiologen: „Prüfen, rufen, drücken“. Nämlich prüfen des Patientenzustands, rufen des Notarztes und drücken zur Sicherung der Herzleistung.

Kardiovaskuläre Risikofaktoren besser mit Kombipräparaten therapieren

Hypertonie und zu hohe Blutfettwerte gehören zu den wichtigsten auslösenden kardiovaskulären Risikofaktoren. Ihre Kontrolle durch medikamentöse Therapien ist unerlässlich. Idealerweise erfolgt dies durch Kombinationsmedikamente. Sie vereinfachen die Anwendung und sorgen so dafür, dass die Arzneimittel zuverlässiger eingenommen werden. Klare Vorteile, weshalb die europäischen Fachgesellschaften in ihren Leitlinien explizit Kombinationsmedikamente zur Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfehlen (1, 2) . „Dennoch werden sie in Deutschland immer seltener verschrieben“, so der Homburger Kardiologe Dr. Felix Götzinger. Wie er und sein Team analysiert haben (3), ging die Verordnung von Kombinationsmedikamenten von Juli 2018 bis Juni 2023 um 21% zurück. Die Gründe dafür liegen laut Dr. Götzinger überwiegend in den falschen Annahmen, dass Kombipräparate teurer als Einzelpräparate seien, potenziell krebserzeugende Substanzen (HCT) enthielten oder nicht alle Dosierungen abdecken könnten. Diese Sorgen entsprechen nicht der Realität. „Unsere Analyse klärt darüber auf und will niedergelassene Allgemeinmediziner, Internisten und Kardiologen zum verstärkten Einsatz von Kombinationsmedikamenten animieren“, so Dr. Götzinger weiter: Damit können Volkskrankheiten wie koronare Herzerkrankungen und Bluthochdruck besser behandelt werden.

Künstliche Intelligenz in der Kardiologie ja, aber…

Die Kardiologie, und besonders die Rhythmologie, ist nach den Worten von Prof. Dr. Thomas Arentz, Universitäts-Herzzentrum Freiburg, Bad Krozingen, geradezu prädestiniert für die Anwendung von Künstlicher Intelligenz. „Die Unmengen von Daten, die vor allem durch EKGs standardisiert produziert werden, können KI-gestützte Systeme problemlos analysieren“. Sie gewinnen daraus Ergebnisse, deren Genauigkeit und Vorhersagekraft laut Prof. Arentz weit über die menschlichen Fähigkeiten hinaus geht. Die KI der renommierten US-amerikanischen Mayo Clinic konnte beispielsweise aus einem normalen Sinusrhythmus nicht nur Vorhofflimmern erkennen, sondern auch zusätzliche Informationen über Alter, Geschlecht, Blutfarbstoff und Kaliumwerte ableiten (4). „Derart präzise schafft es kein Mediziner“, so Prof. Arentz.
 
 

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Nicht überwachtes Lernen: das Problem

Scheinbar perfekt. Doch der Haken daran ist: Bei den Resultaten der KI aus der Mayo Clinic handelt es sich gewissermaßen um eine Black Box. Denn sie stammen aus „unsupervised learning“, zu Deutsch nicht überwachtem Lernen. „Selbst Spezialisten können anhand dessen nicht nachvollziehen, wie die Resultate zustande kommen“, gibt Prof. Arentz zu bedenken. Komplett anders ist das bei einer KI, die durch „supervised learning“, also überwachtem Lernen trainiert wurde. Als Prof. Arentz und sein Team einer KI kontrolliert beibrachten, die sogenannte P-Welle im EKG zu analysieren, lies sich deren Diagnose eindeutig verifizieren. Der Vorteil. Der Nachteil: „Die supervised KI ist auch nicht besser als ihre menschlichen Kollegen“.

Cave im Hochrisikobereich Medizin

Trotz aller vielversprechenden Möglichkeiten und dem großen Potenzial zur Optimierung von Diagnose- und Therapieprozessen: „Der Einsatz von KI sollte vorzugsweise auf supervisiertem, also überwachtem Machine Learning basieren“, fordert Prof. Arentz. „Denn gerade im Hochrisikobereich Medizin ist es zwingend erforderlich, dass Entscheidungen auf der Basis von nachvollzieh- und erklärbaren Ergebnisse getroffen werden“. Während nicht überwachtes Lernen beeindruckende Resultate liefern kann, bleibt oft unklar, wie diese Resultate zustande kommen. „Da stehen wir auch vor ethischen Herausforderungen“. Denn, so Prof. Arentz: „Ungeachtet der Möglichkeiten bleibt es unerlässlich, dass KI-Anwendungen sowohl effektiv als auch ethisch vertretbar sind“.

„Die Intensivmedizin gehört in die Kardiologie“

Diese klare Ansicht vertritt Prof. Dr. Marcus Hennersdorf, SLK-Kliniken Heilbronn GmbH – wie viele andere seiner kardiologischen Kollegen. „Die kardiovaskuläre Intensivmedizin stellt einen zentralen Bestandteil der Kardiologie dar und ist eine der wesentlichen Säulen der internistischen Intensivmedizin“. So überschneiden sich allgemeine Intensivmedizin und kardiologische Intensivmedizin in sehr vielen Bereichen stark. „Besonders im Hinblick auf die Erkrankungen und die Charakteristika der Patienten“. Darüber hinaus, so der Heilbronner Kardiologe weiter, machen Herz-Kreislauf-Erkrankungen fast die Hälfte der Fälle auf Intensivstationen aus. „In den USA beginnen sich kardiologische Intensivstationen bereits fest zu etablieren“.

Große Herausforderungen sind zu meistern

Aus der Schwere der Erkrankungen ergeben sich große therapeutische Herausforderungen für die kardiologische Intensiv- und Notfallmedizin. Angesichts derer bedarf es einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit aller Fachkräfte. „Damit lässt sich im Team ein hohes Maß an Expertise gewährleisten“. Nach den Worten von Prof. Hennersdorf ist das vor allem zur Reduktion der nach wie vor alarmierend hohen Mortalitätsrate bei plötzlichem Herzstillstand essenziell. „Um die Überlebensrate zu erhöhen, sind Optimierung der Rettungsketten, Einsatz innovativer Technologien und ganz besonders die intensive Weiterbildung des Personals erforderlich“.

Frauen- und Männerherzen sind anders krank

Lange belegt und bekannt, dennoch viel zu lange unzureichend berücksichtigt – ausgerechnet in der Kardiologie, wo der sogenannte Gender Gap mit am größten ist. Um den Stellenwert der Gendermedizin als Fachdisziplin auszubauen und zu stärken, wurde in einem Positionspapier der aktuelle Stand der gendermedizinischen Forschungen zu kardiovaskulären Erkrankungen zusammengefasst (5). Ziel dessen ist, Ärzt:innen und Patient:innen auf die wissenschaftlich belegten geschlechtsspezifischen Unterschiede hinzuweisen und so die individualisierte Versorgung zu optimieren. Denn laut Prof. Dr. Andrea Bäßler, Leiterin der kardiologischen Ambulanz am Universitätsklinikum Regensburg, die mit ihrem Team das Positionspapier verfasst hat, sind Frauen in Studien nach wie vor unterrepräsentiert. „Das Bewusstsein für die Unterschiede in Diagnostik wie Therapie, gerade der medikamentösen, muss noch viel stärker geschärft werden“.
 
 

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Literatur:

(1) Byrne R. A. et al. (2023) 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes, Eur Heart J., DOI: 10.1093/eurheartj/ehad191.
(2) Mancia G. et al. (2023) 2023 ESH Guidelines for the management of arterial hypertension, J Hypertens, DOI: 10.1097/hjh.0000000000003480.
(3) Götzinger F. et al. (2024) Use of fixed-dose combinations for cardiovascular indications from 2018 to 2023: a nationwide population-based study, J Hypertens, DOI: 10.1097/HJH.0000000000003789.
(4) Attia Z. I. et al (2021): Application of artificial intelligence to the electrocardiogram, DOI: 10.1093/eurheartj/ehab649
(5) Bäßler A. et al. (2024) Geschlechterspezifische Aspekte kardiovaskulärer Erkrankungen. Kardiologie, DOI: 10.1007/s12181-024-00694-9.


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