16. Juli 2022
Jahre oder gar Jahrzehnte vergehen bei vielen Patient:innen, bis endlich die Diagnose Morbus Gaucher gestellt wird – zu selten ist die Krankheit, zu vielfältig die Symptome. Tragen Sie dazu bei, schneller die richtige Diagnose zu stellen und lesen Sie im Folgenden, wie die Gaucher-Krankheit diagnostiziert und therapiert wird. Außerdem erfahren Sie, welche Irrtümer über das Gaucher-Syndrom noch immer weit verbreitet sind.
Auch wenn der Film „Le Gaucher“ nicht durch Sehenswürdigkeit besticht, bietet das Filmplakat von damals alle 5 Merkmale des Morbus Gaucher auf einen Blick:
Erstmals beschrieben wird die Krankheit in der Doktorarbeit von Ernst Philipp Carl Gaucher, der 1881 an einer 31-jährigen Frau mit nur 35 kg Körpergewicht eine Autopsie vornahm. Er ging von einer malignen Erkrankung der Milz aus.
Inzidenz des Morbus Gaucher
Die angeborene Stoffwechselstörung zählt zu den lysosomalen Speicherkrankheiten. Sie gehört zu den orphan dieseases. Mit einer Inzidenz von 1:60:000-80.000 (1, 2) galt sie lange als die häufigste lysosomale Speicherkrankheit. Mittlerweile ist bekannt, dass Morbus Fabry noch häufiger auftritt (> 1:80.000) (3). Es werden 3 verschiedene Typen unterschieden.
Wie entsteht Morbus Gaucher?
Ausgelöst wird die Krankheit durch ein nicht funktionierendes Enzym, das Glukosylzeramid. Genauer gesagt, akkumulieren die Glukosylzeramide in den Gewebsmakrophagen. Dadurch erklärt sich ein Großteil der Pathologie. Der Abbau der Leukozyten und Erythrozyten findet vor allem in der Milz, zum Teil in der Leber und auch in der Lunge sowie im Knochenmark statt. Das führt zu denpathologischen Veränderungen an diesen Organen.
Im Knochen zeigt sich eine Pathologie jenseits der Makrophagen. Diese wird aber noch nicht vollständig verstanden. Noch unklarer ist die Frage, wie es zur Beteiligung des ZNS bei der schweren neuronopathischen Verlaufsform kommt.
Sie wird autosomal-rezessiv vererbt. Der Defekt liegt auf Chromosom 1, wobei mehr als 650 Mutationen möglich sind.
Die 3 Typen des Morbus Gaucher
Morbus Gaucher Typ 1
Milzvergrößerung in jedem Alter,
Behandlung: Enzymersatztherapie und Substratreduktion
Häufigste nicht-neuronopathische Form
Morbus Gaucher Typ 2
Säuglinge mit raschem neurodegenerativen Verlauf; Tod binnen 1 Jahres
Eine weitere Manifestation ist der akute Knocheninfarkt. Er ist mit schwersten Schmerzen verbunden. Außerdem kommt es zur Osteopenie. Auch sie wird noch nicht vollständig verstanden. Man weiß, dass es bei manchen Gaucher-Patient:innen zu einer Mineralisierungsstörung des Knochens kommt. Die Behandlung gestaltet sich oft schwierig, insbesondere bei postmenopausalen Frauen.
Leberfibrose – Hepatozelluläres Karzinom. Bei etwa 10% der Patient:innen ist eine Eisenspeicherung in der Leber sichtbar.
Gammopathie, die unbehandelt, bei vielen Gaucher-Patient:innen zu Multiplem Myelom führt.
Wie wird Morbus Gaucher diagnostiziert?
Bestehen diese Symptome, sollte an Morbus Gaucher gedacht werden:
Diagnose des Morbus Gaucher
Abgrenzung von anderen Erkrankungen mit überlappender Symptomatik: Saurer Sphingomyelinase Mangel (ASMD) und andere
Saurer Sphingomyelinase Mangel = Le Droiter
Für diese Erkrankung steht seit Juni 2022 ein Wirkstoff zur Verfügung: Olipudase alfa
Wenn man maligne Erkrankungen, infektiöse Erkrankungen und Erkrankungen, die mit Hämolyse einhergehen, ausgeschlossen hat, landet man – bei vergrößerter Milz – zwangsläufig bei den seltenen Erkrankungen. Hier sind 4 Erkrankungen zu nennen:
Morbus Gaucher (horizontale Blickparase)
ASMD (Lungenbeteiligung, Fibrose ausgeprägter als bei Gaucher)
Saurer Lipasemangel (LAL-D) – HDL-c besonders niedrig und
Typ C der Niemann-Pick Krankheit (NP-C) – neurologische Störungen stehen im Vordergrund (Ataxie, kognitiver Verfall, Dysarthrophonie)
Kasuistik – 18 Jahre bis zur Diagnose Morbus Gaucher
Diagnose M. Gaucher: 26 Jahre mit ausgeprägter Hepatosplenomegalie mit Thrombopenie und Transaminasenerhöhung
20-26 Jahre: universitäre Spezialambulanz; dort ITP
Junger Arzt rollt Diagnostik nochmal auf wegen Transaminasenerhöhung
Morbus Gaucher und ASMD sind 2 Krankheitsbilder, die einander stark ähneln. Deshalb sollten beide gleichzeitig untersucht werden. Die „red flags“ für die Hepatologie sind die Befunde an der Leber, in Verbindung mit Splenomegalie.
Wie wird Morbus Gaucher therapiert?
Enzymersatztherapie und Substratreduktionstherapie bei Morbus Gaucher
Für die Therapie ist es wichtig, zu wissen, welche Störung die Symptome verursacht: Bei dieser angeborenen Stoffwechselkrankheit liegt ein isolierter Gendefekt vor, der Glycosylzeramidase, auch saure Beta-Glucosidase oder auch Glucocerebrosidase, GBA 1q21, genannt. Dieses Enzym ist defekt, weshalb das in allen Zellen vorhandene Glucosylzeramid nicht mehr abgebaut werden kann und sich ablagert. Die Grundproblematik ist also in der Ablagerung von Glucozerebrosiden zu finden. Die Akkumulation der Ablagerungen führt letztlich zu den typischen massiven Organvergrößerungen.
Dagegen stehen 2 Therapieoptionen zur Verfügung – entweder man verhindert die Ablagerung oder man unterstützt den Abbau der bereits abgelagerten Stoffe.
Substratreduktionstherapie bei Morbus Gaucher
Man stört das Enzym, das das Glycosylzeramid produziert, nämlich die Glycosylzeramid-Synthase, sodass sich gar nicht erst soviel bildet, dass es abgelagert wird. Dafür stehen wiederum 2 Optionen zur Verfügung: entweder ein Ceramidanalog oder ein Glucoseanalog.
Zur Substratreduktion stehen diese beiden Wirkstoffe zur Verfügung – Miglustat und Eliglustat
Miglustat ist ein Aminozucker, der als Zweitlinientherapie, 3x täglich 100 mg oral (p.o.) gegeben wird, und die Glycosylzeramidsynthese verhindert. Zugelassen ist es für Typ 1, falls die EET nicht in Frage kommt und eine leichte bis mittelschwere Form vorliegt.
Eliglustat ist ein Ceramidanalogon, das bei Erwachsenen mit Typ 1 2x täglich 84 mg p.o. verabreicht wird und die Glycosylzeramidsynthese verhindert. Zugelassen ist es für Typ 1, nach CYP2D6-Metabolisierungsstatus.
Substitutionstherapie (Enzymersatztherapie) bei Morbus Gaucher
Man führt extern saure Beta-Glucosidase zu, wodurch es möglich wird, die angehäufte Glycosylzeramidase abzubauen. Sie muss über Infusionen (i.v.) verabreicht werden, um einer Zerstörung durch die Magensäure zu entgehen.
Bei der EET sind 2 Wirkstoffe verfügbar: Imiglucerase und Velaglucerase-Alpha. Beide werden alle 2 Wochen mit 60E/kg über eine Infusion verabreicht.
Registerdaten der EET
Die EET steht seit 20 Jahren zur Verfügung. Mit der Markteinführung wurde auch ein Register implementiert, sodass nun Registerdaten von 2 Jahrzehnten zur Verfügung stehen:
Die Studien zu den Registerdaten umfassen 3 Endpunkte, nämlich die Ansprechraten auf die hämatologischen, viszeralen und osteologischen Symptome, getrennt nach Splenektomie-Status. Die eingeschlossenen Patient:innen werden im Mittel seit 20 Jahren behandelt. Dabei wird ersichtlich, dass nur ein Bruchteil der Patient:innen (6,1%), ihre Milz nach Beginn der EET verloren hat.
Mit der EET werden gute Hämoglubinwerte erreicht, mit einem leichten Vorteil bei der Patient:innengruppe ohne Splenektomie. Auch die Anämie verbessert sich deutlich. Während Baseline noch 42% eine Anämie aufweisen (Hb <11g/dl Frauen, <12g/dL Männer), sind nach 10 bzw. 20 Jahren unter EET nur noch 3 bzw. 5% der Patient:innen anämisch. Bei den Patient:innen mit Splenektomie liegt der Anteil mit Anämie bei 6%.
Auch die Thrombozytenzahl steigt unter EET auf einen niedrigen Normwert (168.000) – auch bei den Patient:innen mit Splenektomie.
Die Lebergröße verkleinert sich unter EET massiv. Von 1,8 – also einer fast doppelt so großen Leber wie normal – auf, 1,0 – sowohl bei den Patient:innen mit als auch ohne Milz.
Noch deutlicher wird der Erfolg bei der Milz. Vor Beginn der EET wiesen die Betroffenen eine im Schnitt 18,2-fach vergrößerte Milz auf – nach 10, bzw. 20 Jahren ist sie auf das 5,1- bzw. das 4,2-fache verkleinert.
In Bezug auf die Knochen-Krisen ist ein deutlicher Unterschied zwischen den Patient:innen mit und ohne Splenektomie erkennbar: Während die Patient:innen, die ihre Milz behalten konnten, die Knochenkrisen auf 2-3% unter EET beschränkt bleiben, sind bei Patient:innen ohne Milz nach 10 Jahren noch 9% mit Knochen-Krisen zu verzeichnen, nach 20 Jahren erreichen sie aber die gleichen Werte wie die Vergleichsgruppe mit Milz.
Auch der BMI stabilisiert sich über die Jahre von einem deutlich zu geringen Körpergewicht hin zu einem Wert im unteren Normbereich.
Registerdaten der Substratredukation
Bei der Substratreduktion stehen nur 2 Jahre Registerdaten zur Verfügung (4). Eingeschlossen waren 231 Patient:innen mit Morbus Gaucher, von denen 19 Therapie-naiv waren und 212 von Enzymersatztherapie umgestellt wurden. Davon hatten 36 Patient:innen keine Milz mehr.
Patient:innen mit Milz unter Substratredukation
Dabei ergibt sich bei den auf Substrattherapie umgestellten Patient:innen mit Milz folgendes Bild:
die Hämoglubinwerte bleiben unverändert,
die Thrombozytenzahl steigt leicht an
das Lebervolumen verändert sich nicht,
Größe der Milz signifikant reduziert (von vormals 3,3 auf 2,8).
Patient:innen ohne Milz unter Substratredukation
Bei den auf Substrattherapie umgestellten Patient:innen ohne Milz ergeben sich ähnliche Werte: Auch hier bleibt das Hämoglubin auf vergleichbarem Niveau, die Thrombozytenzahl erhöht sich leicht, und auch die Leber bleibt konstant auf Normalgröße.
Bei den Therapie-naiven Patient:innen unter Substratreduktion zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Allerdings gilt es zu bedenken, dass die Fallzahl mit n=19 recht klein ist. Die Besserungen sind bei jungen Patient:innen (18-30 Jahre) deutlicher als bei den älteren (30-50 Jahre). Außerdem muss beachtet werden, dass diese Patient:innengruppe weniger schwer erkrankt war. Im Schnitt ergab sich zum Beispiel eine „nur“ 7,5fach vergrößerte Milz.
Welche Biomarker können bei Morbus Gaucher herangezogen werden?
Um nicht erst tätig werden zu können, wenn die Organe bereits geschädigt sind, haben sich 2 Biomarker etabliert: Chiotriosidase und Glykosylsphingosin (Lyso-GL1). Die Chiotriosidase stammt aus aktivierten Makrophagen und weist genetische Besonderheiten auf. Bei 40% liegt eine heterozygote 24bp CHIT1-Duplikation vor, 6% treten mit einer homozygoten Variante auf. Dieser Biomarker spricht für die Substratreduktion, weil sich hier die Werte noch einmal verbessern. Allerdings sollte auch hier bedacht werden, dass erst 2 Jahre Registerdaten vorliegen.
Was bedeutet die Registerdaten für die Therapie des Morbus Gaucher?
Therapie in der Erstlinie
In der Erstlinie kann sowohl die Enzymersatztherapie als auch die Substratreduktion zum Einsatz kommen – je nach Metabolisierungsstatus und Progress. Grundsätzlich ist es für die Patient:innen aber einfacher mit Enzymersatztherapie zu beginnen, weil diese unkompliziert in Tablettenform gegeben wird, während die Substratreduktion i.v. verabreicht wird, also zwingend einen Praxisbesuch erforderlich macht.
Bei der Enzymersatztherapie sind bislang hinsichtlich Dosierung, Wirksamkeit und Verträglichkeit keine signifikanten Unterschiede zwischen Velaglucerase und Imiglucerase bekannt.
Therapie in der Zweitlinie
Ob ein Switch von Enzymersatztherapie auf Substratreduktion sinnvoll ist, muss individuell mit den Patient:innen entschieden werde.
Literatur:
(1) Meikle et al. Prevalence of Lysosomal Storage Disorders. JAMA 1999.
(2) Poorthius et al. The Frequency of Lysosomal Storage Diseases in the Netherlands. Hum Gen. 1999