Mit der Schlafqualität hapert es gewaltig. Rund 10% der Bundesbürger leiden unter einer
Insomnie, d.h. nicht organisch bedingten Ein- und/oder Durchschlafstörungen, die mindestens einen Monat bestehen und zu einer beeinträchtigten Leistungsfähigkeit oder Befindlichkeit am Tag führen. In anderen Industrieländern sieht es nicht anders aus. Hier wie dort sind bereits Kleinkinder davon betroffen. Nicht nur die Älteren schlafen mithin schlecht. Woran liegt das und was kann dagegen helfen?
Was uns den Schlaf raubt
Der erste große Schlafräuber in unseren modernen Industriegesellschaften sind nach den Worten des psychologischen Psychotherapeuten Dipl.-Psych. Markus B. Specht, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Schlafmedizin der DKD HELIOS Klinik Wiesbaden, die
sozialen Medien. „Deren intensive Nutzung hat erhebliche Konsequenzen für den Schlaf“. Besonders dann, wenn dies bis in die späte Nacht hinein erfolgt. Denn das stört die sogenannten circadianen Rhythmen – sprich, es bringt unsere innere Uhr aus dem Takt. Auch über soziale Medien verbreiteter Hass und Hetze setzen die Schlafqualität massiv herab. Interessanterweise betrifft das Opfer wie Täter von
Cybermobbing gleichermaßen: Auf beiden Seiten kommt es zu einer Verkürzung der Gesamtschlafdauer sowie zu Ein- und Durchschlafstörungen (1). Als Auslöser dafür vermutet man Ängste und
Depressionen unter den Opfern, bei den Tätern wiederrum Scham und Schuldgefühle.
Schlafräuber Nummer 2 ist der Klimawandel. „Er führt auf unterschiedlichen Wegen zu negativen Effekten in Bezug auf den Schlaf“, so Dipl.-Psych. Specht. Zum Einen bewirkt eine erhöhte Temperatur in der Schlafumgebung, dass die Körperkerntemperatur zu wenig sinkt und damit Müdigkeitsgefühl und Einschlafen erschwert werden. Darüber hinaus zieht die Erderwärmung auch Veränderung in unserem Schlafmuster nach sich (2). Zum Anderen schürt die globale Klimaveränderung bei immer mehr Menschen Ängste. Diese haben inzwischen bereits eine eigene Bezeichnung erhalten: Klimaangst, medizinisch Eco-Anxiety genannt. Vor allem gekennzeichnet durch Depressivität und Hoffnungslosigkeit trägt sie auf ihre Weise zu Schlafstörungen bei. Doch das ist noch lange nicht alles. „Auch die für den Klimawandel verantwortliche zunehmende Luftverschmutzung, besonders die wachsende Feinstaubbelastung, kann die Schlafqualität indirekt verschlechtern“. Denn sie erhöht das Risiko für die Entwicklung einer Depression oder Angststörung sowie die Wahrscheinlichkeit der Häufung von Psychosen (3). Beschwerden, die bekanntlich ebenso den Weg in die Insomnie ebnen.
Frauen sind anfälliger für Schlafprobleme
Im Leben einer Frau gibt es verschiedene Faktoren, die zu Schlafstörungen führen können, betont Dr. Dora Triché, Pneumologin und Leiterin des Schlaflabors und der Abteilung für nichtinvasive Beatmung am Klinikum Nürnberg: Sie durchlaufen mehrere Lebensabschnitte, in denen sie dafür gefährdet sind. Obwohl Frauen grundsätzlich die besseren Schläfer sind. „Sie können länger schlafen und sind in Ihren Schlafenszeiten flexibler“. Dennoch haben Frauen so einige Handicaps hinsichtlich einer erholsamen Nachtruhe. Verantwortlich dafür sind allen voran hormonelle Faktoren. So kann es bei Schwangeren zu einer Schlafapnoe, einer schlafbezogenen Atmungsstörung oder zu gehäuftem Wasserlassen in der Nacht kommen. Nach der Geburt stellen nächtliches Stillen und postnatale Depressionen weitere störende Einflüsse dar. In der Menopause macht sich die nachlassende Produktion von Östrogen und Progesteron auch beim Schlaf bemerkbar. „Selbst bei Frauen, die zuvor einen stabilen Schlaf hatten, kann es zu Störungen kommen“, so Dr. Triché. Diese Genderaspekte sind jedoch viel zu lange vernachlässigt worden. „Doch wie es mit dem Schlaf bei Frauen aussieht, welche erhebliche Rolle er für sie spielt und was ihn beeinträchtigen kann, ist enorm wichtig“.
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Früh übt sich, wer gut schlafen will
„Schlafen wie ein Baby…“. Von wegen. Bereits im frühkindlichen Alter sind Schlafprobleme verbreitet. Dafür besteht laut Prof. Dr. Kerstin Hödlmoser, Verhaltenspsychotherapeutin am Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg, bei Kleinkindern und Kindern aufgrund der raschen entwicklungsbedingten Veränderungen des Gehirns ein erhöhtes Risiko. Äußerst problematisch, denn Schlafstörungen in der Kindheit können langfristige kognitive Folgen haben (4-6). So erhöhen sie das Risiko für die Entwicklung von Psychopathologien wie Angststörungen und Depressionen, aber auch für Aufmerksamkeitsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens sowie Autismus-Spektrum-Störungen (4-6): „Denn in diesem Alter werden die Weichen gestellt, da jetzt während des Schlafs neuronale Netze aufgebaut und so die neuronalen Fähigkeiten geprägt werden“. Vermeintliche Verhaltensauffälligkeiten können mithin durchaus im schlechten Schlaf des Kindes begründet sein, so die Salzburger Expertin weiter. Das ärztliche Bewusstsein dafür ist jedoch in der Regel zu gering: „Hier gibt es noch enorm viel zu tun“.
Schlafedukationen ab dem Säuglingsalter
Zur Förderung von ausreichendem Schlaf und einem gesunden Schlafverhalten in dieser sensiblen Lebensphase werden präventiv psychologische Maßnahmen wie beispielsweise Schlafedukationen bereits ab dem Säuglingsalter empfohlen. Zudem sollte das Thema in die verpflichtenden kinderärztlichen Untersuchungen sowie in die Kindertagesbetreuung integriert werden. Prof. Hödlmoser plädiert dafür, dass die hier Tätigen in speziellen Fortbildungen hinsichtlich einer optimalen Schlafqualität geschult werden. „Weiterhin wären Leitlinien für die optimale Gestaltung der Schlaf- und Ruhephasen in diesen Einrichtungen wünschenswert“. Natürlich sind auch die Eltern frühzeitig und ausführlich über die Wichtigkeit von gesundem Schlaf aufzuklären.
Die Schlaf-Fee kommt
Ab der Grundschule sollten dann auch die Kinder selbst für das Thema gesunder Schlaf sensibilisiert werden. Ähnlich wie ihnen die „Zahnputzfee“ die Notwendigkeit einer guten Zahnpflege spielerisch nahebringt, könnte eine „Schlaf-Fee“ sie über die große Bedeutung einer gesunden Nachtruhe informieren. Dipl.-Psych. Specht spricht sich sogar dafür aus, „dass sowohl in den Grund- wie auch in den weiterführenden Schulen der richtige Umgang mit dem Schlaf Teil des Unterrichts wird“.
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Auch die Schlafqualität kommt in die Jahre
Laut PD Dr. Anna Heidbreder, Oberärztin und Stellvertreterin des Vorstands der Universitätsklinik für Neurologie am Kepler Universitätsklinikum Linz, unterliegen auch der Schlaf und dessen Qualität dem natürlichen Alterungsprozess. „Mit zunehmendem Alter wird er oberflächlicher, leichter und fragmentierter. Die tiefen Schlafstadien nehmen ab, die leichten Schlafstadien und die Wachanteile nehmen zu“. Dadurch wird der Schlaf bereits ab dem 50. Lebensjahr störanfälliger und häufiger unterbrochen, was wiederum die subjektive Erholsamkeit des Schlafs einschränkt. „Ab dem 65. Lebensjahr addieren sich dann oftmals altersbedingte Beschwerden hinzu, welche die Schlafqualität weiter herabsetzen“. Dabei spielt auch die Einnahme von Medikamenten eine wichtige Rolle: „Mit ihrem Nebenwirkungsprofil können viele von ihnen den Schlaf stören“, so Dr. Heidbreder.
Als Alterszipperlein akzeptieren? Keinesfalls!
Lange Zeit wurde Schlafstörungen im Alter mit therapeutischem Nihilismus begegnet. Doch als älterer Mensch muss man sich damit nicht einfach abfinden, betont Dr. Heidbreder. „Inzwischen ist belegt, dass die meisten bewährten Therapien gegen Schlafstörungen auch im höheren Alter wirken“. Als ersten Schritt empfiehlt die Linzer Neurologin, mögliche organische oder psychische Ursachen in der hausärztlichen Praxis abklären zu lassen. Hier kann, sofern erforderlich, auch eine adäquate Behandlung eingeleitet werden. Bei Verdacht auf eine Schlafapnoe ist eine Untersuchung im Schlaflabor angezeigt. „Nicht-invasive nächtliche Beatmungen wirken unabhängig vom Alter und können die Lebensqualität deutlich verbessern“. Neurologisch verursachte Störungen des Schlafs, wie etwa das
Restless-Legs-Syndrom sollten von neurologisch versierten Schlafmedizinern diagnostiziert und therapiert werden.
Dringender Verbesserungsbedarf in Alters- und Pflegeheimen
In Pflegeeinrichtungen ist die Situation besonders problematisch: „Wenn die Bewohner um 17 Uhr ihr Abendessen erhalten und dann um 20 Uhr viel zu früh zu Bett gebracht werden, können sie natürlich meist noch nicht einschlafen“. Dr. Heidbreder wie andere Experten fordern deshalb strukturelle Veränderungen in diesen Institutionen – etwa die stärkere Berücksichtigung natürlicher Zeitgeber wie Helligkeit und Dunkelheit.
Nicht reflexhaft auf Schlafmittel setzen
Besonders in der älteren Generation liegt der Griff zu
Schlafmitteln sehr nahe: Schlafgestörte Senioren sind eine Hauptzielgruppe der Verordnung. Zahlreiche Kliniker:innen und Wissenschaftler:innen sehen dies nach den Worten von Dr. Heidbreder allerdings als extrem kritisch an. Denn Hypnotika wie Benzodiazepine oder die strukturell verwandten Z-Rezeptor-Agonisten sind zwar akut und kurzfristig gut wirksam, bergen jedoch gerade bei älteren Menschen enorme Risiken: unter anderem Intoxikationen wegen eingeschränkter Nieren- und Leberfunktion, massive Absetzeffekte und substantielle Abhängigkeitsgefahr. „Eine Medikation mit hypnotisch-sedierenden Medikamenten muss deshalb immer sorgfältig im Einzelfall abgewogen werden und darf nicht reflexhaft erfolgen“. Zumal es ein breites Spektrum effektiver nicht-medikamentöser Alternativen gibt. Dazu gehören Maßnahmen wie eine gute Schlafhygiene, beispielsweise das Vermeiden stimulierender Substanzen wie Nikotin, Koffein und Alkohol kurz vor dem Schlafengehen. Als nicht-medikamentöse Therapie der ersten Wahl gilt indessen die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie.
Hohe Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie bei Insomnie wissenschaftlich belegt
Die DGSM und andere Fachverbände sowie die Insomnie-Leitlinie empfehlen, die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) als kausales Behandlungsverfahren der ersten Wahl einzusetzen. Dabei erlernen die Betroffenen spezielle Verhaltensweisen sowie Entspannungstechniken und erlangen das Vertrauen in ihre Schlaffähigkeit zurück. Die hohe therapeutische Effektivität dieser Methode – in jedem Alter, auch bei Kindern – ist mehrfach wissenschaftlich belegt worden (7). Ebenso wie ihre Vorteile gegenüber Schlafmitteln, die bekanntlich keine kausale Therapie sind.
Quelle: Pressekonferenz „Ein Recht auf Schlaf“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) zum diesjährigen Aktionstag Erholsamer Schlaf am 18.06.2024.
(1) Paulus, F. Digitale Medien und Schlaf bei Kindern und Jugendlichen: Grundlagen. Pädiatrie & Pädologie, 2024; 1-6.
(2) Minor K. et al. (2020): Ambient heat and human sleep, Front. Immunol., DOI: 10.48550/arXiv.2011.07161.
(3) Hahad O. et al. (2020). Auswirkungen von Umweltrisikofaktoren wie Lärm und Luftverschmutzung auf die psychische Gesundheit: Was wissen wir? DMW 2024; 145(23): 1701 - 1707.
(4) Hoedlmoser K. et al. (2021): The relation between sigma power and internalizing problems across development, J Psychiatr Res., DOI: 10.1016/j.jpsychires.2021.01.027.
(5) Gregory AM & O’Connor TG (2002): Sleep problems in childhood: A longitudinal study of developmental change and association with behavioral problems, J Am Acad Child Adolesc Psychiatry., DOI: 10.1097/00004583-200208000-00015.
(6) Hysing M. et al. (2016): Pediatric sleep problems and social-emotional problems. A population-based study, Infant Behav Dev., DOI: 10.1016/j.infbeh.2015.12.005.
(7) Baglioni C. et al. (2022): Cognitive-behavioural therapy for insomnia (CBT-I) across the lifespan. Guidelines and clinical protocols for health professionals, Wiley & Sons, Oxford.