Genetische Veranlagung allein führt nicht zu Multipler Sklerose
Studien der letzten Jahre zeigten deutlich, dass genetische Risikovarianten unabdingbar mit der Entstehung der MS verknüpft sind. „Durch unsere Studie konnten wir zeigen, dass ungefähr die Hälfte der Komposition unseres Immunsystems durch die Genetik bestimmt wird“, sagt Dr. Florian Ingelfinger, Doktorand am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich. Dass diese genetischen Einflüsse zwar bedeutsam sind, aber nicht ausreichen, um eine MS auszulösen, zeigt die Studie, die gemeinsam vom Team um den Immunologen Burkhard Becher, Professor am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich und den Arbeitsgruppen von PD Dr. Lisa Ann Gerdes und Dr. Eduardo Beltrán vom Institut für Klinische Neuroimmunologie des LMU Klinikums München durchgeführt wurde. In dieser Studie wurden 61 eineiige – also genetisch identische – Zwillingspaare untersucht, von denen jeweils ein Zwilling an MS leidet und der andere Zwilling gesund ist. „Obwohl auch die gesunden Zwillinge ein maximales familiäres Risiko für das Auftreten einer MS tragen, gab es bei ihnen keine klinischen Anzeichen für eine MS”, sagt PD Dr. med. Lisa Ann Gerdes, Neuroimmunologin am Institut für Klinische Neuroimmunologie des LMU Klinikums und Leiterin der MS TWIN STUDY.
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Zwillingsdesign eliminiert genetische Einflüsse der MS
Dank dieser weltweit einzigartigen Kohorte von eineiigen Zwillingspaaren konnten beim Vergleich von Zwillingen mit und ohne Multiple Sklerose die genetischen Einflüsse ausgeschlossen werden. „Wir wagen uns an die zentrale Frage heran, wie das Immunsystem von zwei genetisch identischen Individuen in nur einem Fall zu dieser deutlichen Entzündungsreaktion und massiven Nervenschäden führen kann, während es beim anderen Zwilling zu keinerlei Schäden kommt”, erläutert Prof. Becher vom Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich. Dadurch kann das internationale Wissenschaftsteam ganz gezielt und frei von genetischen Einflüssen die Veränderungen im Immunsystem verfolgen, die letztendlich die MS bei einem Zwilling auslösen, während die jeweilige Zwillingsschwester bzw. der Zwillingsbruder von der Erkrankung verschont bleibt.
Kommunikationsstörung zwischen Immunzellen löst MS aus
„Erstaunlicherweise fanden wir die grössten Unterschiede in den Immunprofilen von kranken Zwillingen in Zytokin-Rezeptoren, also in der Art und Weise, wie Immunzellen untereinander kommunizieren. Das Zytokin-Netzwerk ist quasi die Sprache des Immunsystems“, erklärt Dr. Ingelfinger. Die Forschenden fanden heraus, dass eine erhöhte Empfindlichkeit für bestimmte Zytokine zu einer stärkeren Aktivierung von T-Zellen im Blut von Patient:innen mit Multipler Sklerose führt. Diese sind besonders fähig, in das zentrale Nervensystem der Patient:innen einzuwandern und dort Schäden zu verursachen. Die identifizierten Zellen wiesen Merkmale von erst kürzlich aktivierten Zellen auf, welche sich in einer Entwicklung zu voll funktionsfähigen T-Zellen befanden. „Möglicherweise haben wir hier den zellulären Urknall der MS entdeckt – Vorläuferzellen, aus denen krankheitsverursachende T-Zellen entstehen“, erklärt Prof. Becher.