Harnröhrenkatheter oder Bauchdeckenkatheter – Was bietet mehr Lebensqualität?
Wiedemann sieht sich als einer der ersten Uro-Geriater in Deutschland. Mit seiner Professur an der Universität Witten/Herdecke vereint er das Wissen aus 2 medizinischen Welten: Wiedemann forscht und lehrt zu vielfältigen Themen an der Schnittstelle von Urologie und Geriatrie. Zuletzt untersuchten er und sein uro-geriatrisches Team die Lebensqualität von Menschen, die lebenslang einen Katheter tragen müssen. „Anders als erwartet haben wir herausgefunden, dass fast alle Betroffenen kaum einen Unterschied zwischen einem Harnröhren- und einem Bauchdeckenkatheter ausmachen“, so Wiedemann. Viele Mediziner:innen waren bisher davon ausgegangen, dass ein Bauchdeckenkatheter eine bessere Lebensqualität mit sich bringt. Das sei nicht der Fall.
Bauchdeckenkatheter bietet keinen signifikanten Mehrwert
„Zwar entscheiden sich Frauen eher gegen die Bauchdecken-Variante, weil einige Betroffene weiterhin Urin verlieren und durch Schließmuskelprobleme untenherum nass werden. Aber es gibt auch unter den Untersuchungsteilnehmerinnen keine eindeutige Präferenz“. Die Wissenschaftler:innen haben bei 427 Proband:innen beispielsweise geschaut, wie sich das Leben mit Blasenkatheter hinsichtlich des Wohlbefindens, Hautirritationen, Geruch, Nässe, Infektionen oder auch Sexualität und Sturzgefährdung insbesondere bei älteren Patient:innen entwickelt. „Erfreulicherweise war weder eine zusätzliche Gefährdung noch eine besonders ausgeprägte Beeinträchtigung festzustellen, die für oder gegen eine bestimmte Katheter-Variante spräche“, sagt Wiedemann. Gleiches gilt für Katheter mit zusätzlichem Auslassventil: „Wir dachten immer, unseren Patient:innen damit etwas Gutes zu tun. Tatsächlich aber gibt es durch diese Ventilversorgung keinen nennenswerten Vorteil in puncto Lebensqualität“, erklärt Wiedemann.
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ISAR-Screening gibt Auskunft über Risikofaktoren bei uro-geriatrischen Patient:innen
Darüber hinaus gibt es neue Erkenntnisse über die Häufigkeit von Tumorerkrankungen der Harnorgane. „Wir haben 300 älteren Patient:innen mit Blut im Urin sowie mindestens 2 weiteren Risikofaktoren wie Multimorbidität und kognitiven Einschränkungen untersucht. Bei jedem vierten von ihnen konnten wir einen Tumor erkennen“, erklärt Wiedemann. „Das sind wichtige Anhaltspunkte für die zukünftige medizinische Versorgung.“ Grundlage zur Erkennung dieser Risikofaktoren ist das sogenannte ISAR-Screening – das steht im Englischen für Identification of Seniors at risk – an dem das Team von Andreas Wiedemann forscht. Dabei geht es im Wesentlichen um einen Fragebogen, der schlussendlich darüber Auskunft gibt, ob betroffene hochaltrige Patient:innen bei der Krankenhausentlassung zusätzliche Hilfe benötigen. Hier werden fortlaufend Daten ausgewertet zu der Frage, welche Aussagen dieses geriatrische Assessment für die urologische Praxis hat. „Wir haben hier Zusammenhänge zwischen Makrohämaturie und Hilfebedarf belegen können. Nun geht es uns noch darum, zu erkennen, wie und wann es zum Blut im Urin kommt und welche Rolle blutverdünnende Mittel dabei spielen“, sagt Wiedemann.
Nebenwirkungen von Medikamenten gegen Harninkontinenz
Von der Deutschen Kontinenz Gesellschaft ausgezeichnet wurde Andreas Wiedemann zudem bereits im Rahmen eines Projektes, bei dem er die Nebenwirkungen von
Medikamenten gegen Harninkontinenz bei 1.000 ambulant urologischen Patient:innen untersucht hat. Sein Ergebnis: 11,75% dieser Patient:innen besaßen schon eine relevante „anticholinerge Last“ und müssen schon vor der Gabe eines urologischen Anticholinergikums als gefährdet im Hinblick auf Konzentrationsstörungen, Schlafprobleme, Schwindel und Sturzgefahr gelten – eine wichtige Information zur adäquaten Behandlung der urologisch-geriatrischen Patient:innen.
Wittener Harntrakt-Nebenwirkungsrechner wertet 170 Medikamente gegen Harninkontinenz aus
Auf Basis dieser Ergebnisse hat das Team um Wiedemann an der Universität Witten/Herdecke den sogenannten Wittener Harntrakt-Nebenwirkungsrechner aufgebaut. Eine einfache Web-Anwendung, mit der die Nebenwirkungen von aktuell rund 170 Medikamenten ausgewertet werden, die Auswirkungen auf die Harntrakt-Behandlung haben. „Insbesondere bei der Multimedikation geriatrischer Patientinnen und Patienten ist das eine wichtige Unterstützung. Aufgeführt sind hier Schmerzmittel genauso wie Antidepressiva oder augenärztliche Medikamente“, erklärt Wiedemann. Über seine Erfahrungen und den Nutzen dieser Anwendung wird er ebenfalls im Rahmen seiner Kongress-Keynote in Frankfurt am Main eingehen.