Benachteiligung von Menschen mit Adipositas im Berufsleben
Es ist gut belegt, dass Menschen mit Adipositas im Berufsleben benachteiligt werden (3). So werden sie weniger häufig für Vorstellungsgespräche und Einstellungen in Betracht gezogen als normalgewichtige Kandidat:innen – besonders auf Posten mit repräsentativer Funktion. Zudem bestehen oft die Vorurteile, sie seien unfähig, wenig ambitioniert oder nicht beförderungswürdig. Epidemiologische Daten belegen auch, dass Menschen mit Adipositas seltener leitende Positionen in Unternehmen bekleiden als Menschen ohne die Erkrankung – besonders ausgeprägt sind diese Effekte bei Frauen. Geringere Vergütungen oder Kündigungen aufgrund ihres Gewichts machen das „Diskriminierungspaket“ komplett (3).
Diskriminierende Strukturen abbauen – Mehr Awareness bei den Arbeitgebern
Hilbert appelliert: „Gerade aufseiten der Arbeitgebenden braucht es dringend mehr Awareness, um diskriminierende Strukturen im Arbeitsumfeld nachhaltig abzubauen.“ Wie wichtig das für beide Seiten ist, belegen empirischen Studien: Negative Erfahrungen am Arbeitsplatz wirken sich einerseits oft nachteilig auf die Produktivität der Mitarbeitenden aus. Andererseits können sie den Gesundheitszustand mittel- und langfristig zusätzlich verschlechtern. Die Effekte reichen von Angststörungen und Depressionen bis hin zum Burn-out (4). In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, dass Arbeitnehmende mit Adipositas im Schnitt krankheitsbedingt 1–2 Wochen mehr auf der Arbeit fehlen als Normalgewichtige (5). Neben den physischen Auswirkungen der Adipositas haben daran sicher auch soziale und psychische Aspekte einen deutlichen Anteil.
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Gewichtsbedingte Vorurteile bei Angehörigen der Heilberufe
Doch nicht nur im Berufsalltag werden Menschen mit Adipositas benachteiligt. Auch im Gesundheitswesen gibt es ihnen gegenüber Stigmatisierung und Diskriminierung. Studien haben entsprechende Einstellungen unter Krankenpfleger:innen, Ernährungsberater:innen und Ärzt:innen festgestellt – also bei Berufsgruppen, die speziell mit Gewichtsabnahmetherapien betraut sind (6). Die Zuschreibungen reichen von mangelnder Selbstkontrolle und Willensstärke bis zu Hygieneproblemen. Auch wird häufig angenommen, dass Patient:innen mit Übergewicht Behandlungsempfehlungen nicht befolgen und sogar unehrlich oder feindselig sein können. Teile der medizinischen Fachwelt möchten laut eigener Aussage Patient:innen aufgrund ihres Übergewichts daher ungern behandeln. Auf der anderen Seite berichten Menschen mit Adipositas, dass sie sich gerade in Bezug auf ihr Körpergewicht medizinisch nicht gut betreut fühlen (3). Eine Erhebung unter Behandler:innen ergab, dass nur knapp 1/3 an die Motivation von Patient:innen glaubt, überhaupt Gewicht verlieren zu wollen. Rund 71% der Ärzt:innen sprechen Patient:innen mit Adipositas gar nicht erst an, weil sie annehmen, dass kein Interesse an einer Gewichtsabnahme besteht. Im Gegensatz dazu berichteten nur 7% der Betroffenen, dass sie tatsächlich nicht an einer Gewichtsabnahme interessiert sind (7).
Gesprächstipps zum Thema Adipositas
„Um sie zu überwinden, ist es wichtig, sich zunächst der eigenen Vorurteile bewusst zu werden. Hierzu können Aktionstage wie der Welt-Adipositas-Tag einen Anstoß geben“, erklärt Hilbert. „Im nächsten Schritt sollten Ärzt:innen ihre Patient:innen dann in jedem Fall proaktiv auf das Thema Adipositas ansprechen. Denn ohne diese Hilfe und eine entsprechende Diagnose kann keine strukturierte Therapie erfolgen“, so die Expertin. Informationen und Tipps dazu, wie sich ein Gespräch zu diesem sensiblen Thema beginnen lässt, sind auf der Internetseite
Rethink Obesity aufbereitet. Weiterhin stehen unter anderem
Gesprächstipps zu Gewichtsverlauf und Zielen sowie ein
Leitfaden zur Adipositastherapie im Allgemeinen bereit.
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Stellenwert der Adipositastherapie: Mortalität sinkt mit Reduktion des BMI
Jede nachhaltige Gewichtsabnahme hat positive Effekte auf die Gesundheit von Menschen mit Adipositas. Das zeigen etwa folgende Zahlen: Für eine Abnahme des BMI um 5 kg/m
2 oberhalb von 25 kg/m
2 sinkt die Gesamtmortalität um 30% (8). Schon eine moderate Gewichtsabnahme im Bereich von 5 bis 15% des Ausgangsgewichtes verbessert diverse klinisch relevante Risikofaktoren und kann sich vorteilig auf unterschiedliche Komorbiditäten auswirken – so zum Beispiel auf
Typ 2 Diabetes,
Schlafapnoe und andere Atemwegserkrankungen,
nichtalkoholische Fettlebererkrankung, Osteoarthritis oder kardiovaskuläre Erkrankungen (9). Eine
medikamentöse Therapie kann dabei ein wichtiger Baustein eines ganzheitlichen Adipositasmanagements sein. Der Glucagon-like-Peptide-1 (GLP-1)-Rezeptoragonist Liraglutid kann Menschen mit Adipositas, ergänzend zu einer kalorienreduzierten Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität, dabei helfen, deutlich Gewicht abzunehmen (10, 11).
Über Adipositas
Adipositas ist laut WHO eine chronische Erkrankung (12), die eine langfristige Behandlung erfordert. Sie kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben und mit einer verringerten Lebenserwartung einhergehen (7, 13, 14). Adipositas-assoziierte Komorbiditäten umfassen unter anderem: Typ-2-Diabetes, Herzerkrankungen, obstruktives Schlafapnoe-Syndrom und bestimmte Krebsarten (8, 12, 15, 16). Adipositas ist eine komplexe, multifaktorielle Krankheit, die durch genetische, physiologische, psychologische, sozioökonomische und Umweltfaktoren entstehen kann (17). Im Sommer 2020 wurde Adipositas auch durch den Deutschen Bundestag als chronische Erkrankung anerkannt. Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) ist u. a. die Etablierung eines Disease-Management-Programms (DMP) für Adipositas bis 2023 verbunden, um die defizitären Versorgungsstrukturen und damit die leitliniengerechte Behandlung von Menschen mit Adipositas langfristig zu verbessern (18). Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) erarbeitet in Kooperation mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wissenschaftlich fundierte Anforderungen an das geplante DMP (19). Der weltweite Anstieg der Adipositas-Prävalenz ist ein Problem für das Gesundheitswesen und führt zu hohen Kosten für die Gesundheitssysteme (22). 2016 wurden weltweit 13% der erwachsenen Männer und Frauen, d. h. über 650 Millionen Menschen, als adipös eingestuft (12).