Ohne die Nieren läuft nichts im Organismus. Denn sie sind wahre Multitalente: Sie scheiden permanent Schadstoffe aus, regulieren den gesamten Salz- und Wasser- sowie den Säure-Basen-Haushalt, sind an der Regulation des Blutdrucks und der Blutbildung beteiligt und produzieren Hormone wie Vitamin D und Erythropoetin.
Ein beachtliches Leistungsspektrum… Medizinischen Laien ist dieses meist nicht so bekannt, der Ärzteschaft indessen schon. Dennoch wird der enorme Stellenwert der Nieren vielfach unterschätzt. Wie sehr, zeigt sich allen voran an der chronischen Nierenkrankheit (CKD). Diese führt zum fortschreitenden Verlust der Nierenfunktion, so dass die Betroffenen im Endstadium auf regelmäßige Dialyse oder eine Nierentransplantation angewiesen sind. Zudem erhöht eine CKD das kardiovaskuläre Risiko enorm; so beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, einen
Herzinfarkt zu erleiden (1).
Was ist neu an der Nephrologie?
Die diesjährige Jahrestagung der Nephrologen stand unter dem Motto „Neue Nephrologie“. Das hat gute Gründe. Denn lange standen Nierenerkrankungen nicht im Fokus, da es über viele Jahre hinweg nichts Neues in Diagnostik und Therapie gab, wie es Prof. Dr. Bernhard Baras, Leiter der Abteilung für Nephrologie und des Universitären Transplantationszentrums am Universitätsklinikum Regensburg, erklärt.
Das ändert sich jedoch gerade fundamental. „Wir erleben einen enormen Aufschwung, das Bewusstsein für die Bedeutung der Nieren steigt“. Inzwischen ist die Nephrologie in der Diagnostik besser und versteht die Erkrankungen anders, so der Nierenexperte aus Regensburg weiter. „Wir sind viel feinfühliger geworden“. So gibt es inzwischen eine ganze Reihe neuer Therapien. Nicht zuletzt dank der deutschen Nierenforschung: „In der waren wir schon immer gut: Viele wichtige Studien kommen nach wie vor aus deutschen Instituten“.
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CKD: die geheime Volkskrankheit
Als solche bezeichnet Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke, Leiterin der Klinik für Nephrologie, Rheumatologie und Nierentransplantation (NTX) am Universitätsklinikum Mainz, die CKD. Warum? Weil unter den über zehn Millionen Betroffenen bundesweit (2) drei von vier gar nichts von ihrer Erkrankung wissen. „Und lediglich zwei Drittel der Patienten mit bekannter CKD werden adäquat behandelt“.
Albumin und Kreatinin: eindeutige Indizien bei der Fahndung nach Nierenschädigungen
Denn anfangs macht eine CKD ebenso wie
Diabetes mellitus keine Beschwerden. „Bis zu 90% des Verlusts der Nierenfunktion können ohne Symptome verlaufen“, so die Mainzer Nierenärztin. Eindeutige Indizien bei der Fahndung nach Nierenschädigungen sind Albumin und Kreatinin: „Durch die chronische Erkrankung vernarbt die Niere und wird löchrig. Bereits in frühen CKD-Stadien ist die Durchlässigkeit deutlich erhöht, was sich als Erstes an zu hohen Albumin-Werten im Urin zeigt“. Zur Diagnose einer CKD genügt mithin die Kombination eines einfachen Bluttests mit einem Urintest, bei dem die eGFR und die Proteinwerte im Urin bestimmt werden. Der so essentielle Test auf Albumin und Kreatinin ist laut Prof. Weinmann-Menke weder aufwändig noch teuer: „Die Kosten belaufen sich auf rund 3,40 Euro pro Test“.
CKD ist dramatisch unterdiagnostiziert
Die jetzt veröffentlichte InspeCKD-Studie (3) kam zu besorgniserregenden Resultaten. Sie belegen, dass eine leitliniengerechte Labordiagnostik in deutschen Hausarztpraxen nicht ausreichend durchgeführt wird. Nur 43% der Hausärzte testen auf Kreatinin, auf Albumin nur weniger als 5%. „Selbst bei bekannten Risikopatienten, etwa Diabetikern, wird nicht ausreichend getestet“, gibt Prof. Weinmann-Menke zu bedenken. Nur bei 45,5% von ihnen wurde der eGFR-Wert in der Hausarztpraxis bestimmt. Eine Albumin-Bestimmung mit Teststreifen erhielten sogar nur 7,9%. Grund dafür ist laut der Mainzer Nephologin, dass die Testungen auf CKD nicht routinemäßig standardisiert ablaufen müssen und insofern nicht zu dokumentieren sind. „Also werden sie leider nur so selten durchgeführt“.
Was an die Nieren geht…
… ist allgemein gar nicht so bekannt. Was das Risiko für eine nachhaltige Schädigung der Nieren erhöht, sind vor allem nicht steroidale Antirheumatika (NSAR): „Deren regelmäßige Einnahme begünstigt die Entstehung einer CKD“, so Prof. Weinmann-Menke. Aber auch bei den besonders unter Sportlern beliebten Protein-Shakes ist Vorsicht geboten. „Denn zu viel Eiweiß geht ebenso an die Nieren“, warnt die Nephrologin aus Mainz.
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Basisscreening auf Nierengesundheit unerlässlich
Die gerade aktualisierte internationale Leitlinie KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) empfiehlt nun explizit, Risikopersonen wie unter anderem Diabetes- und Herz-Kreislauf-Patient:innen auf CKD zu untersuchen (4). Prof. Weinmann-Menke geht indessen noch weiter. Angesichts des hohen Stellenwerts einer Früherkennung von CKD plädiert sie für „ein grundsätzliches Screening im Rahmen der von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlten Gesundheitsuntersuchungen ab dem 35. Lebensjahr“. Angesichts seiner hohen prognostischen Aussagekraft kann ein solches Basisscreening vielen Menschen helfen, die auf eine schwere Nierenkrankheit zusteuern. „Welche Relevanz ein Blick auf die Nierenfunktion hat, zeigt auch die Tatsache, dass die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) die Messung der eGFR und der UACR in ihr Update zur Prävention aufgenommen hat (5)“.
Paradigmenwechsel in der CKD-Therapie
Bei der Therapie der CKD trat man lange auf der Stelle. Nur allgemeine Empfehlungen zur Behandlung wie regelmäßiges Blutdruck kontrollieren, gesünder ernähren, mehr bewegen, nicht rauchen – mehr nicht. „Jahrzehntelang gab es keine substanziellen Fortschritte“, so Prof. Dr. Martin K. Kuhlmann, Leiter der Klinik für Nephrologie, Klinikum im Friedrichshain, Berlin. Das hat sich grundlegend geändert. Neue medikamentöse Wirkstoffe greifen direkt in das Krankheitsgeschehen ein und können das irreversible Nierenversagen, das am Ende der CKD steht, aufhalten. „Sie haben die Welt der Nephrologie verändert“, wie es der Berliner Nierenexperte ausdrückt.
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SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Rezeptor-Agonisten im Fokus
Die Substanzklasse der
SGLT-2-Hemmer wertet Prof. Kuhlmann „als großen Fortschritt“, da sie das Fortschreiten des Funktionsverlusts der Nieren signifikant verlangsamen können. Das haben verschiedene Studien eindrucksvoll gezeigt (6, 7). „Wir sind zuversichtlich, die CKD damit deutlich positiv zu beeinflussen“.
Zu den Game-Changern gehören laut Prof. Kuhlmann auch die GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Wie die kürzlich publizierte
FLOW-Studie (8) ergab, senken sie bei Patient:innen mit Typ-2-Diabetes und CKD das Risiko für schwere Nierenkrankheiten und Tod durch Herz-Kreislauf-Komplikationen um 24%. „Unabhängig davon, ob bereits eine Therapie mit einem SGLT-2-Hemmer durchgeführt wurde“. Die Studie zeigte auch, dass der Nutzen von Semaglutid insbesondere bei Menschen, die keine SGLT2-Inhibitoren einnahmen, besonders hoch ist.
Ebenfalls wirksam bei der durch Diabetes ausgelösten CKD, so die
FIDELIO-Studie (9), ist der neuartige, nicht-steroidale und selektive Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonist Finerenon. „Er verhindert den Fibrose-Prozess und kann auch in Kombination mit ACE-Hemmern sowie SGLT-2 angewendet werden“, wie Prof. Kuhlmann betont.
„Ein Potpourri an Möglichkeiten…“
… eröffnet sich laut dem Berliner Nephrologen durch die neuen Medikamente. „Unsere Hoffnungen sind, dass wir damit weniger Patient:innen in der Dialyse haben und mehr zur Transplantation bringen können“. Was Prof. Weinmann-Menke bestätigt: „Mit den SGLT-2-Hemmern, den nicht-steroidalen Mineralkortikoid-Rezeptor-Antagonisten für Diabetes-Pateinten mit CKD und der bevorstehenden Zulassung der GLP-1-Rezeptor-Agonisten für CKD bei Typ-2-Diabetes stehen erstmals Therapieoptionen zur Verfügung, die den Nierenfunktionsverlust verlangsamen (10), (11). Es herrscht mithin einiges an Aufbruchstimmung in der Nephrologie. Und Prof. Kuhlmann ist überzeugt: „Da kommt sicherlich noch mehr“.
Dialyse sollte nicht die Dauerlösung sein
Jedem in Deutschland kann laut Prof. Dr. Bernhard Baras, Leiter der Abteilung für Nephrologie und des Universitären Transplantationszentrums am Universitätsklinikum Regensburg, ein Weiterleben trotz kranker Niere garantiert werden. Denn aktuell stehen ausreichend Dialysekapazitäten zur Verfügung. „Doch eine Dialyse kann nicht alle Funktionen einer Niere 24/7 ersetzen.“ Für die Mehrzahl der Patient:innen wäre eine Transplantation die bessere Behandlungsoption, so der Transplantationsmediziner weiter. „Im Vergleich zu Dialysepatienten leben Transplantierte signifikant länger und haben eine bessere Lebensqualität“.
Mehr Transplantationen durch Widerspruchslösung
Ungeachtet dessen klafft hier im Vergleich zu unseren Nachbarländern eine große Lücke: „In Deutschland werden viele Dialysen, aber erheblich weniger Transplantationen durchgeführt“. Zum Teil gibt es jenseits deutscher Grenzen sogar mehr Transplantierte als Dialysepatient:innen. Alleiniger Grund dafür ist, dass hierzulande zu wenige Spenderorgane zur Verfügung stehen. Was laut Prof. Baras nicht an der Einstellung der Bevölkerung liegt. Denn über 80% der Bundesbürger befürworten Organspenden und Transplantationen. „Das Problem ist vielmehr die mangelnde Realisierung potenzieller Organspenden“, so Prof. Baras. Er empfiehlt, zu erkennen, was unsere Nachbarn besser machen: „Die Mehrzahl hat eine Widerspruchsregelung als gesetzliche Grundlage der Organspende eingeführt. Sie ist ein Türöffner für mehr Transplantationsaktivitäten, da sie Angehörigen die Entscheidung für oder gegen eine Organspende abnimmt“.
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(1) Colombijn J.M.T. et al. (2024) Representation of Patients With Chronic Kidney Disease in Clinical Trials of Cardiovascular Disease Medications: A Systematic Review. JAMA 2024, DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2024.0427.
(2) Liyanage T. et al. (2015) Worldwide access to treatment for end-stage kidney disease. A systematic review. The Lancet, DOI: 10.1016/S0140-6736(14)61601-9.
(3) Wanner C. et al. InspeCKD - Analyse zur Nutzung von Labordiagnostik im Kontext der chronischen Nierenerkrankung. MMW Fortschr Med 2024; 166 (4): 9 – 17.
(4) KDIGO-Leitlinien-Update Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease, Volume 105, Issue 4S, April 2024, abrufbar unter: https://kdigo.org/wp-content/uploads/2024/03/KDIGO-2024-CKD-Guideline.pdf, letzter Zugriff: 22.10.2024.
(5) Visseren F.L.J et al. (2022) ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur J Prev Cardiol., DOI: 10.1093/eurheartj/ehab484.
(6) GBD Chronic Kidney Disease Collaboration (2020( Global, regional, and national burden of chronic kidney disease, 1990–2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017, Lancet, DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30045-3.
(7) Gudzune K.A. et al. (2024) Medications for Obesity: A Review, JAMA, DOI: DOI: 10.1001/jama.2024.10816.
(8) Mann, J.F.E. et al. (2024) Effects of semaglutide with and without concomitant SGLT2 inhibitor use in participants with type 2 diabetes and chronic kidney disease in the FLOW trial. Nat Med, DOI: 10.1038/s41591-024-03133-0.
(9) Bakris G.L. et al. (2020) Effect of Finerenone on Chronic Kidney Disease Outcomes in Type 2 Diabetes. N Engl J Med, DOI: 10.1056/NEJMoa2025845.
(10) Hiddo J.L. et al. (2020) Dapagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease. N Engl J Med, DOI: 10.1056/NEJMoa2024816.
(11) The EMPA-KIDNEY Collaborative Group (2023) Empagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease. N Engl J Med, DOI: 10.1056/NEJMoa2204233.