Samstag, 30. November 2024
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Long Covid: Wenn die Symptome bleiben

von Antje Blum

Long Covid: Wenn die Symptome bleiben
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Manche Menschen weisen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 weiterhin Symptome einer COVID-19-Erkrankung auf (1). Die Symptome sind dabei nicht unbedingt auf die Lunge beschränkt, sondern können von Nierenfunktioneinschränkungen, starker Müdigkeit und Kopfschmerzen bis zu Sehstörungen alles mögliche umfassen. Auch Reaktivierungen von persistierenden Viren wie Epstein-Barr werden beschrieben (postvirales Fatigue-Syndrom), was eine Gemeinsamkeit von Long Covid mit dem ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) darstellt. Das Phänomen einer anhaltenden (oder sogar neu auftretenden) Symptomatik 28 Tage nach Beginn der COVID-19-Erkrankung wird als „Long Covid“ bezeichnet. Seit Juli 2021 gibt es eine S1-Leitlinie zur Behandlung von Long Covid, aufgrund der weiterhin geringen Datenlage sind allerdings noch sehr viele Fragen zu dieser Spätkomplikation einer Corona-Infektion offen.
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Wie viele Menschen sind von Long Covid betroffen?

Laut Robert Koch-Institut benötigen 40% der in der Klinik behandelten COVID-19-Patient:innen längerfristig Unterstützung, weil Müdigkeit, Fieber, Kurzatmigkeit, Geruchsverlust, Muskelschwäche, Kopfschmerzen, Durchfall, Hautausschlag, starkes Herzklopfen, Angststörungen etc. neu auftreten oder nicht mehr „weggehen“ (2). In einer Studie mit App-Nutzer:innen mit positivem Corona-Test (PCR-Nachweis) und Krankheitssymptomen zeigte sich, dass 13% der Patient:innen nach Tag 28 noch Symptome aufwiesen, nach 12 Wochen waren es noch 2% (3).

S1-Leitlinie Long Covid für Behandler seit Juli 2021

„Wenn nach 6-8 Wochen noch Atemnot vorherrscht, sollte das unbedingt untersucht werden“, sagt Prof. Dr. med. Claus Vogelmeier, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lungenstiftung e. V. (DLS). Zu Long Covid ist im Juli 2021 eine S1-Leitlinie erschienen, die Behandelnden eine diagnostische und therapeutische Anleitung an die Hand gibt. Sie wird unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) entwickelt. Die Leitlinienautoren haben betont, dass die weiterhin begrenzte Datenlage noch keine auf formaler Evidenz beruhenden Empfehlungen ermöglicht.

Die MedUni Wien und AKH Wien haben Selektionsleitlinien für Lungentransplantationen bei COVID-19 entwickelt und in Lancet Respiratory Medicine veröffentlicht. Rund 40 Eingriffe wurden bereits durchgeführt. Als Kriterien für eine mögliche Transplantation wurden folgende Faktoren festgelegt: Ausschöpfung aller konservativen Therapieoptionen, keine Erholung der durch Covid-19 geschädigten Lunge trotz mindestens 4-wöchiger Beatmung/ECMO-Therapie, Nachweis des fortgeschrittenen und irreversiblen Lungenschadens in mehreren aufeinanderfolgenden CT- Untersuchungen, Alter unter 65 Jahren und keine relevanten Begleiterkrankungen. Weiters müssen Kandidat:innen für eine Lungentransplantation in einem guten körperlichen Zustand sein oder eine reelle Chance auf eine volle körperliche Rehabilitation nach der Transplantation haben. „Diese Leitlinien lassen sich weltweit umsetzen, um besser selektieren zu können, welche Patientin bzw. welcher Patient tatsächlich für eine Lungentransplantation nach einer Covid-19-Erkrankung in Frage kommt", so Konrad Hötzenecker, Leiter des weltweit renommierten Lungentransplantationsprogramms.

Verformte Blutzellen nach SARS-CoV-2-Infektion

Die Pathogenese der durch SARS-CoV-2 ausgelösten Erkrankung COVID-19 wird noch nicht vollständig verstanden. Hyperinflammatorische Reaktionen und Gerinnungsstörungen werden als Hauptursachen für die COVID-19-assoziierten Todesfälle angesehen. Bislang wurde nicht berücksichtigt, dass physikalische Veränderungen von Blutzellen eine Rolle bei COVID-19-bedingten Gefäßverschlüssen und Organschäden spielen. Erlanger Forscher:innen berichten über eine Auswertung u.a. mechanischer Eigenschaften von Erythrozyten, Lymphozyten, Monozyten, Neutrophilen und Eosinophilen. Mehr als 4 Millionen Blutzellen von 17 COVID-19-Patient:innen in verschiedenen Schweregraden, 24 Freiwilligen ohne infektiöse oder entzündliche Erkrankungen und 14 genesenen COVID-19-Patient:innen wurden analysiert. Es wurden signifikante Veränderungen in der Steifigkeit der Lymphozyten, der Größe der Monozyten, der Größe und Verformbarkeit der Neutrophilen und der Heterogenität der Verformung und Größe der Erythrozyten festgestellt. Während sich einige dieser Veränderungen nach dem Krankenhausaufenthalt wieder auf normale Werte erholten, blieben andere noch Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bestehen, was auf die langfristige Prägung des Körpers durch COVID-19 hindeutet und eine Ursache von Long Covid darstellen könnte.

Hilft eine Corona-Impfung gegen Long Covid-Symptome?

Es gibt Hinweise darauf, dass ein Drittel der Long Covid-Patient:innen von einer Covid-19-Impfung profitieren könnte (11). Eine mögliche Erklärung, warum die Symptome nach der Impfung schwächer werden oder verschwinden, sind eventuell noch verbliebene kleine Viruspopulationen, die durch den „Immunboost“ durch die Impfung schließlich doch gänzlich eliminiert werden; dies sind allerdings nur Beobachtungen mit kleiner Fallzahl bei Impfungen mit den Biontech- und Moderna-Vakzinen, die in Studien erst weiter untersucht werden müssen. Auf der anderen Seite wurden bereits einige Fälle eines Post-Vakzin Long Covid beschrieben, das durch die Corona-Impfung ausgelöst sein könnte. Möglicherweise liegt dem die grundsätzliche Disposition zu Autoimmunitätsvorgängen zugrunde.

Post-Covid-Ambulanzen und Selbsthilfegruppen

Anlaufstellen für die eigentlich als genesen geltenden Patient:innen mit Langzeitsymptomatik gibt es mittlerweile in Form sogenannter „Post-Covid-Ambulanzen“ – in Kiel, Hamburg, Hannover, Jena, Frankfurt und München (4) – weitere sind geplant. In der Oberpfalz hat die Klinik Donaustauf eine Post-Covid-Ambulanz als Anlaufstelle eröffnet. In diesen Nachsorgesprechstunden werden die Patient:innen interdisziplinär (Kardiologie, Augenarzt, Neurologe, Psychiatrie etc.) und angepasst auf ihr Beschwerdebild untersucht sowie zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch häufig in Studien eingeschlossen.

Die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation hat Mitte April 2021 vor Engpässen bei der Behandlung von Corona-Patient:innen mit Langzeitschäden gewarnt, da Rehakliniken bei der Behandlung von Long Covid-Patient:innen an ihre Kapazitätsgrenzen kommen und lange Wartezeiten daruas resultieren. Dem Verband zufolge gebe es in Deutschland zwar mehr als tausend Rehakliniken, doch nur ca. 50 Einrichtungen hätten auch eine pneumologische Abteilung und seien auf Patienten mit Lungenkrankheiten spezialisiert.

Das Gesundheitsunternehmen MEDICLIN mit Klinikstandorten in ganz Deutschland versucht, ein bislang bundesweit einzigartiges Konzept für eine adäquate Post-Covid-Reha zu entwickeln, um Patient:innen mit Long Covid bestmöglich zu behandeln. Ein systematisches, standortübergreifendes konsiliarisches Netzwerk ist die Basis dieses Konzepts, das auch MEDIAN-Kliniken aufsetzen.

Immer mehr Patient:innen schließen sich zudem in neu geründeten Selbsthilfegruppen zusammen, z.B. über Facebook (https://www.facebook.com/jungeselbsthilfe/) und Twitter. Spätfolgen werden bislang vom Robert Koch-Institut (RKI) nicht regulär im Meldesystem erfasst.

Gesangprofis helfen beim Training der Atemmuskulatur bei Long Covid

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und die Staatsoper Hamburg kooperieren in einem neuen Projekt der sozialmedizinischen Patient:innenrehabilitation. Das Projekt startete im April und wird von PD Dr. Hans Klose, Leiter der Pneumologie der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik des UKE, wissenschaftlich begleitet. Insgesamt 15 Patient:innen nehmen daran teil, ihre Rekrutierung erfolgte in Kooperation mit niedergelassenen Hamburger Pneumolog:innen. Sänger:innen der Staatsoper helfen COVID-19-Patient:innen in digitalen Coachings, ihre durch die Infektion geschwächte Atemmuskulatur zu trainieren und durch Atemübungen wiederaufzubauen und dadurch die Luftnot zu reduzieren. In der gesundheitlichen Rehabilitation können Gesangsprofis ganz konkret Hilfe leisten, indem sie 2x pro Woche für 30 Minuten mit den COVID-19-Patient:innen gezielte Atemübungen durchführen und so ihre Atemmuskulatur schrittweise wiederaufbauen. Es handelt sich um eine sozialmedizinische, nicht-klinische Intervention, die Gesangstechniken einsetzt, um die Genesung von COVID-19-Erkrankten zu unterstützen. „Wir wissen, dass Singen bei Menschen mit chronischen respiratorischen Erkrankungen die Lungenfunktion und die Lebensqualität verbessert“, so Klose.

Welche Risikofaktoren bestehen für Long Covid?

Jüngere Frauen haben ein höheres Risiko für Long Covid als Männer, was möglichersweise hormonell bedingt ist. Ansonsten gelten höheres Alter und ein hoher BMI, aber auch Lungenvorschädigungen wie z.B. durch Asthma als Risikofaktoren für längere Verläufe. Auch die Höhe der Symptomlast in Woche 1 korreliert mit der Länge des Verlaufs.

Als mögliche Prädiktoren für Long Covid gelten:
  • weibliches Geschlecht,
  • höheres Alter,
  • höherer BMI und
  • mehr als 5 Symptome in Woche 1 der Infektion: Fatigue, Kopfschmerz, Kurzatmigkeit, Heiserkeit, Muskelschmerz, Fieber, Geruchsverlust und Begleiterkrankungen.

Auch ein milder Verlauf einer Corona-Infektion kann Long Covid auslösen

Die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC (US Centers for Disease Control and Prevention), Atlanta, hat unterschiedliche Bezeichnungen für die verschiedenen COVID-19-„Zustände“ vorgeschlagen (6); neben der akuten COVID-19-Erkrankung gibt es einen – selten auftretenden – postakuten, hyperinflammatorischen Status, der 2 bis 5 Wochen nach Beginn der Infektion einsetzt und mehrere Organsysteme, auch solche, die zunächst nicht vom Virus befallen waren, betreffen kann. Man weiß heute, dass auch sehr milde Verläufe Long Covid auslösen können.

Eine mögliche Corona-Folge bei Kindern: PIMS

Bei Kindern kann nach COVID-19 (auch asymptomatischer Infektion) das sogenannte „Paediatric inflammatory multisystem syndrome“, kurz PIMS, auftreten. Dieses Syndrom kann sich mit Atemnot, hohem Fieber, kardiovaskulären, gastrointestinalen Symptomen sowie als Ausschlag an Haut und Schleimhäuten äußern. Gefäße erweitern sich, der Blutdruck sinkt, Flüssigkeit sickert durch Gefäßwände z.B. in die Lunge. Es können je nach befallenem Organ auch Krampfanfälle oder Nieren- und Leberschädigungen im Rahmen von PIMS vorkommen. Hoch dosiertes Kortison, auch in Verbindung mit Immunglobulinen, ist das Mittel der Wahl. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie hat ein PIMS-Register für Deutschland und Österreich angelegt. PIMS ist dem Kawasaki-Syndrom sehr ähnlich, das sich durch Fieber und Entzündungen kleiner und mittlerer Arterien äußert, ebenfalls auf Kortison anspricht  und möglicherweise auch eine Spätfolge einer anderen Virusinfektion wie Influenza sein könnte.
 
Nach entsprechenden Berichten aus USA und Großbritannien werden auch in Deutschland inzwischen PIMS-Fälle bei Erwachsenen berichtet, hier bezeichnet als Multisystem Inflammatory Syndrome Adults (MIS-A). In einigen Fällen zeigte z.B. ein erhöhter NT-proBNP eine sich entwickelnde Herzschwäche an.

Long Covid: Manifestation in verschiedenen Organen

EIne ameikanische Studie mit 73.000 Patienten (US-Veteranen, medianes Alter 61 Jahre), deren SARS-CoV-2-Infektion im Verlauf nicht so schwer war, dass sie ins Krankenhaus mussten, hat eine erhöhte Sterblichkeit über die ersten 30 Tage der Erkrankung hinaus gezeigt. Zudem hatten die Patient:innen ein höheres Risiko dafür, Gesundheitsressourcen in Anspruch zu nehmen; da das Long-Covid-Syndrom so heterogen ist, dass es neben Lungeschäden auch viele andere Organsysteme betriffen kann (ZNS, Neurokognition, Stoffwechselstörungen, kardiovaskuläre, gastrointestinale Störungen, Unwohlsein, Müdigkeit, Schmerzen des Bewegungsapparates und Anämie), werden verschiedenste Schmerzmittel (Opioide und Nicht-Opioide), Antidepressiva, Anxiolytika, Antihypertensiva und orale Hypoglykämika benötigt.

Welche Folge hat Long Covid der Lunge?

Wenn die Lunge betroffen ist, liegt entweder eine Überempfindlichkeit der Atemwege vor (d.h. z.B. kalte oder trockene Luft führt zu Hustenreiz), oder eine Belastungsluftnot aufgrund von strukturellen Veränderungen des Lungengewebes (nachweisbar in der  Lungenfunktionsprüfung). Darüber hinaus kann auch die allgemeine Schwäche der Patient:innen die Atmung herabsetzen, sodass die Patient:innen nicht tief durchatmen können. Wenn die Patient:innen noch dazu künstlich beatmet werden mussten, können intersti­tielle Lungenveränderungen entstehen, die die  Lungenfunktion nachhaltig beeinträchtigen (5).

COVID-19 kann zu Schlafstörungen führen

COVID-19 ist für manche Betroffene eine traumatische Erfahrung. Dies gilt nicht nur für Patient:innen, die auf einer Intensivstation waren, sondern auch für Menschen mit eigentlich minderschwerem Verlauf. Studien zeigen, dass es z.B. während und in Folge einer COVID-19-Erkrankung auch zu Schlafstörungen (Einschlafstörung, zu frühes Aufwachen, nicht erholsamer Schlaf, Schlaflosigkeit, Albträume) kommen kann. Als Ursachen werden z.B. diskutiert, dass die vermehrte Stressbelastung zu einem Zustand von mehr sogenannten „Arousals“ mit Mikro-Weckreaktionen führt. EIne Studie der Universität Innsbruck hat außerdem gezeigt, dass bei den Patient:innen im REM-Schlaf der Muskeltonus nicht aufgehoben war, wie es normalerweise der Fall ist. Dies ist ein neuer Hinweis auf die ZNS-Beteiligung bei einer Infektion mit SARS-Cov-2. Um hier zu helfen, hat die Universität ein Interventionsprogramm gestartet.

Forschungsergebnisse (Ratchford et al., Riou et al.) zeigen die möglichen langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von COVID-19 auf junge, relativ gesunde Erwachsene, die nicht hospitalisiert werden mussten und nur geringe Virus-Symptome hatten. Insbesondere wurde bei den jungen Erwachsenen eine erhöhte Steifigkeit der Arterien festgestellt. Das bedeutet, dass junge, gesunde Erwachsene mit leichten COVID-19-Symptomen ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen haben, die auch noch einige Zeit nach der COVID-19-Infektion auftreten können.

Bereits im akuten Stadium von COVID-19 Herzauffälligkeiten

Eine chinesische Studie bei COVID-19-Patient:innen ohne Lungenentzündung hat in der Herz-Magenteresonanztomographie (MRT) bei den Patient:innen innerhalb der ersten 10 Tage der akuten Infektion häufig myokardiale Ödeme, erhöhte erhöhte Kreatininkinase sowie funktionelle Auffälligkeiten (Palpitation) festgestellt.

Auf bei mildem Verlauf: Subtile Myokarditis durch Myokard-Vernarbungen

Dass auch bei einem milden Verlauf der Corona-Erkrankung eine subtile Myokarditis anhaltenden Herzbeschwerden zugrundeliegen kann, die in  Routineuntesuchungen übersehen werden, hat die Studie "Long-term cardiac pathology in individuals with mild initial COVID-19 illness"  von 2022 gezeigt: Bei unauffälligen Laboruntersuchungen und Magnetresonanztomografien zeigten sich zunächst keine Ursachen für die Symptome Belastungsintoleranz und Herzrasen. Doch mittels Kardio-MRT fielen Myokardnarben auf.

Diabetes-ähnliche Symptomatik bei COVID-19

Auch die für die Insulinproduktion verantwortlichen Zellen in der Bauchspeicheldrüse können von SARS-Cov-2 betroffen sein, sodass eine Insulinunsuffizienz entsteht, was die Erklärung für Diabetes-ähnliche Krankheitssymptome bei COVID-19-Patienten sein könnte.

Umfrage: Bei vielen COVID-19-Patient:innen noch nach 7 Monaten Symptome

Eine Web-basierte Umfrage (7) von 3.762 COVID-19-Fällen aus 56 Ländern (Verdacht oder bestätigt) zeigte, dass 8,4% von ihnen im Krankenhaus wegen COVID-19 behandelt worden waren. 96% der Befragten berichteten über weiter bestehende Symptome über 90 Tage hinaus. Die Teilnehmenden berichteten über die häufigsten Symptome nach 6 Monaten; dies waren Fatigue (Müdigkeit), absolute Erschöpfung nach moderater körperlicher Ertüchtigung (sog. Post-exertional Malaise (PEM)) sowie kognitive Dysfunktion (Beeinträchtigung des Denkens).
Bei Patient:innen, die sich <  90 Tagen erholten, traten die meisten Symptome in Woche 2 auf. Bei Patient:innen, die > 90 Tage noch keine Besserung ihrer Symptome erfuhren, wurde dagegen die höchste Symptomlast in Monat 2 berichtet.

85,9% hatten Rückfälle, die durch Sport, körperliche oder geistige Anstrengung oder Stress ausgelöst wurden. Von den Personen, die sich als erholt bezeichneten, berichteten trotzdem immerhin noch 44,7% von Fatigue-Symptomen. 45,2% berichteten von der Notwendigkeit, ihre Arbeitsstunden reduzieren zu müssen. 22,3% konnten aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation zum Zeitpunkt der Befragung überhaupt nicht arbeiten.
Die WHO hat Long Covid im Februar 2021 in den Blick genommen und dazu ein kurzes Dossier veröffentlicht. Darin werden interdisziplinäre Maßnahmen, vor allem auch im Bereich Rehabilitation, und Patientenregister für diese Fälle gefordert.

Arbeitsfähigkeit mit Long Covid auch mitelfristig beeinträchtigt

„Insgesamt erhielten von den 13,2 Millionen AOK-versicherten Erwerbstätigen in Deutschland von März bis Oktober 2020 circa 155.610 Beschäftigte eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Zusammenhang mit einer Covid-19-Diagnose“, so Helmut Schröder, Stellvertretender Geschäftsführer Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin. „Bei fast jedem siebten AOK-versicherten Beschäftigten, der vom Arzt wegen einer Covid-19-Erkrankung als arbeitsunfähig erklärt wurde, machte ein besonders schwerer Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion einen Krankenhausaufenthalt notwendig (13,6%). Die gravierenden Auswirkungen der Erkrankung zeigen sich auch in der hohen Sterblichkeitsrate der stationär behandelten Beschäftigten, die bei 3,3% lag. AOK-versicherte Erwerbstätige, die im Frühjahr 2020 wegen einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden mussten, wiesen auch nach der stationären Behandlung lange krankheitsbedingte Fehlzeiten in ihren Betrieben auf", so Schröder (8). Eine spezifische Rehabilitation für Long Covid-Patient:innen gebe es zur Zeit noch nicht, so die Deutsche Rentenversicherung (9).

Das für Leistungssportler:innen entwickelte GRTP-Protokoll (Graduated Return to Play) ist auch eine sehr gute Grundlage für die Begleitung von anderen Berufstätigen und Genesenen. Unter Berücksichtigung des 5-Stufen-Ansatzes des GRTP-Protokolls haben Dr. Lutz Graumann und sein Team mit der IAPM Richtlinien entwickelt, die eine schrittweise Rückkehr zur Arbeit und zu einem aktiven Leben unterstützen.

Autoimmunität als Kofaktor für Long Covid?

Eine prospektive Kohortenstudie die Universität Heidelberg kommt zu dem Ergebnis, dass nur ein Fünftel (22,9%) der Patient:innen nach COVID-19-Erkrankung nach 1 Jahr symptomfrei sind.

Die häufigsten weiter vorhandenen Symptome waren verminderte körperliche Leistungsfähigkeit (56,3%), Müdigkeit (53,1%), Dyspnoe (37,5%), Konzentrationsprobleme (39,6%), Wortfindungsprobleme (32,3%) und Schlafstörungen (26,0%). Frauen zeigten signifikant mehr neurokognitive Symptome als Männer. Mehrere neurokognitive Symptome waren mit ANA-Titererhöhungen assoziiert. Dies könnte auf Autoimmunität als Kofaktor in der Ätiologie von Long Covid hinweisen.

Noch sehr viele offene Fragen zur Entstehung von Long Covid

Eine Erhebung um Tim Spector vom King’s College in London stellte fest, dass offenbar gerade ein milder Verlauf einer Coronainfektion eher Long Covid nach sich zieht als ein moderater oder schwererer (10). Dass Patient:innen nach viralem Infekt wie z.B. der Influenza oder M. Pfeiffer (EBV) noch Wochen oder Monate danach unter Fatigue und kognitiven Problemen leiden können, ist ein bekanntes Phänomen. Im Zusammenhang mit COVID-19 wird ein sogenanntes postvirales Fatigue-Syndrom diskutiert, aber auch Autoimmuneffekte (Autoantikörper) und eine persistente, also anhaltende Virusinfektion könnten ursächlich sein. Zur Klärung dieser Fragen werden aktuell verschiedenste Studien durchgeführt (z.B. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04411147). Die Ähnlichkeit eines schweren Long Covid Krankheitsbildes mit der neuroimmunologischen Erkrankung ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) ist frappant und bedarf weiterer Forschungsanstrengungen

Ist Long Covid bei vielen Betroffenen in Wahrheit ein Long Epstein-Barr?

In einer aktuellen Studie von Klein J et al., die zunächst nur als Preprint veröffentlicht wurde ("Distinguishing features of Long COVID identified through immune profiling"), wurden bei Long Covid-Betroffenen erschöpfte T-Zellen gefunden, die vermutlich durch dauerhaft vorhandene Antigene fortwährend stimuliert werden. Außerdem konnte ein Anstieg der Antikörper gegen virale Krankheitserreger beobachtet werden, vor allem gegen das Epstein-Barr-Virus. Dies kann einer Reaktivierung von EBV durch die Corona-Infektion geschuldet sein, was auch beim ME/CFS als eine mögliche Ursache angesehen wird.

Ist ein niedriger Cortisol-Spiegel ein Biomarker zur Diagnose eines Long Covid?

Ein weiterer überraschender Befund der obengenannten Studie war, dass die Betroffenen mit Long Covid im Vergleich zu den Kontrollgruppen niedrigere Cortisolspiegel hatten, sodass Cortisol als potenzieller Biomarker zur Diagnose von Long Covid in de Fokus rückt.
 

Experimentelle Therapieansätze

Experimentelle Therapieansätze sind zum Beispiel die H.E.L.P. (Heparin-induziertes extrakorporales Lipoprotein/Fibrinogen Niederschlag)-Apherese. In dieser Blutwäsche, die akuten Ent­zündungsprozessen des Endothels entgegenwirkt, werden unter anderem Mikrogerinnsel, Fibrinogen und Autoantikörper herausgefiltert. Federführend ist hier das Lipidzentrum Nordrhein in Mühlheim an der Ruhr. Ein weiterer Ansatz ist das Aptamer BC 007. Es soll die Autoantikörper neutralisieren und wird in individuellen Heilversuchen getestet.

Red. journalmed.de

Literatur:

(1) Editorial „Facing up to long COVID“, unter https://www.thelancet.com/journals/ebiom/article/PIIS0140-6736(20)32662-3/fulltext (zuletzt abgerufen am 08.03.21)
(2) https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html
(3) https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.10.19.20214494v1.full
(4) https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/post-covid-patientin-101.html
(5) Podcast "Das Coronavirus-Update von NDR Info", Folge 67, 1.12.2020, Skript unter https://www.ndr.de/nachrichten/info/Coronavirus-Update-Die-Podcast-Folgen-als-Skript,podcastcoronavirus102.html (zuletzt abgerufen am 08.03.21)
(6) https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/hcp/clinical-care/late-sequelae.html (zuletzt abgerufen am 08.03.2021)
(7) Davis, Hannah E., Gina S. Assaf, Lisa McCorkell et al. Characterizing Long COVID in an International Cohort: 7 Months of Symptoms and Their Impact. MedRxiv, 2020. https://doi.org/10.1101/2020.12.24.20248802.
(8) DEGEMED: https://rehanews24.de/post-covid-rehabilitation-degemed-mit-einer-der-ersten-fachtagungen/ (letzter Zugriff: 09.03.2021)
(9) https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/FAQ/reha_corona/FAQ_Listen/15_faq_liste_reha_nach_covid19_erkrankung.html (letzter Zugriff: 09.03.2021)
(10) https://covid.joinzoe.com/post/covid-long-term?fbclid=IwAR1RxIcmmdL-EFjh_aI-
(11) https://www.newscientist.com/article/2270186-coronavirus-vaccines-may-reduce-or-eliminate-symptoms-of-long-covid/

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