Wie schätzt der zuständige Minister die Lage ein?
Dramatisch. „Wir haben große Probleme in der Pflege zugelassen", sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Dienstag auf dem Ärztetag in Mainz. Jede sechste Schicht sei mittlerweile unterbesetzt. Auch in diesem Jahr dürfte beim Internationalen Tag der Pflegenden, der jährlich am 12. Mai begangen wird, der Frust von Betroffenen eine Rolle spielen. Den räumt auch Lauterbach ein: „Die hohe Desillusion in der Pflege geht auch auf
massive Arbeitsüberlastung der Pflegekräfte zurück."
Sieht die Lage in den Altenheimen besser aus?
Nein. „In der Altenpflege sind die personellen Reserven schon lange ausgeschöpft", sagt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Oft könnten die Einrichtungen ihre Schichten gar nicht mehr mit Fachkräften besetzen. Laut einer Befragung des Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege vom Februar müssen 4 von 5 Pflegeeinrichtungen ihr Angebot einschränken, weil Personal fehlt. 9 von 10 ambulanten Diensten lehnten 2023 Neukund:innen ab. Insgesamt kommen auf 100 gemeldete Arbeitsstellen für examinierte Pflegefachkräfte derzeit nur 44 Arbeitslose.
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Erschienen am 09.04.2023 • Die Zahl pflegebedürftiger Menschen könnte nach einer Berechnung des Statistischen Bundesamts allein durch die zunehmende Alterung bis zum Jahr 2055 in Deutschland ansteigen.
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Gibt es Berufe mit größeren Engpässen?
Nein. „Die ausgebildeten Pflegekräfte stehen an erster Position unter allen Berufsgruppen mit einem Engpass", so die Bundesagentur für Arbeit. Knapp 1,7 Millionen Pflegekräfte in der Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflege waren 2023 in regulären Jobs beschäftigt - 10 000 Beschäftigte mehr als im Vorjahr. 82 % aller Pflegekräfte sind Frauen. Von diesen 1,39 Millionen Frauen arbeitet etwas mehr als jede zweite in Teilzeit.
Wie geht es weiter?
Die Situation dürfte sich zuspitzen. Mit den immer zahlreicheren älteren Menschen in Deutschland gibt es auch immer mehr Pflegebedürftige. Laut Prognosen aus der Wissenschaft erhöht sich die Zahl der Pflegebedürftigen binnen 15 Jahren von heute rund 5 auf 6 Millionen. Regional dürfte der Anstieg von Pflegebedürftigen
sehr unterschiedlich ausfallen, besonders stark aufgrund der Demografie etwa in Bayern und Baden-Württemberg. Zwischen 280 000 und 690 000 Pflegekräfte werden laut Statistischem Bundesamt bis 2049 nach Vorausberechnung vom Februar bundesweit fehlen.
Was tut die Regierung?
Mehrere Dinge. So wirbt sie um ausländische Pflegekräfte. Tatsächlich geht das Beschäftigungswachstum in der Pflege seit 2022 ausschließlich auf Ausländer:innen zurück. Sie stellen inzwischen 16 % der Pflegenden. Aber die Möglichkeiten sind begrenzt. Lauterbach erklärte: „Wenn wir die Nachricht übermitteln müssen, hier darf man weniger als das, was man kann, wird auf keinen Fall besser bezahlt, muss eine schwere Sprache vorher nachweisen und bekommt keinen Kita-Platz ? so werden wir die Pflegekräfte aus dem Ausland nicht werben können."
Welche Versuche zur Abhilfe gibt es noch?
Nach jahrelangen Vorbereitungen stimmte der Bundesrat im April einer Verordnung Lauterbachs zu, die sogar der Deutsche Pflegerat als „Meilenstein" lobte. Verglichen werden soll Klinik für Klink, wie die Besetzung mit Pflegepersonal ist und wie sie sein soll. Auf ein Instrument zur Messung des
Pflegepersonalbedarfs hatten sich
Krankenhäuser und Arbeitnehmervertreter schon 2019 grundsätzlich geeinigt. In der Altenpflege gibt es eine ähnliche Personalberechnung seit 2023. Das Personal muss allerdings erst mal gefunden werden. Deshalb soll der Beruf attraktiver werden. So sollen Pflegekräfte mit einem Kompetenzgesetz mehr Kompetenzen erhalten, gemäß ihren
Qualifikationen. Die Bundesagentur für Arbeit fördert zudem die Weiterbildung von Pflegehelferinnen und -helfer zur Fachkraft - denn bei ihnen gibt es viel mehr Arbeitslose als gemeldete Stellen.
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Was belastet die Pflege in Deutschland noch?
Die steigenden Kosten - und die Frage, wer für sie aufkommt. Für die Altenpflege hatte die Koalition zum vergangenen Juli ein Beitragsplus für Kinderlose auf 4 % und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 % beschlossen. Die Betriebskrankenkassen schlugen am Montag mit Hochrechnungen Alarm, nach denen für dieses Jahr ein
Defizit der
Pflegeversicherung von einer Milliarde Euro und für 2025 von 4,4 Milliarden droht. Die Sozialvorständin der Diakonie Deutschland, Maria Loheide, mahnt: „Wenn das Geld der Pflegeversicherung nicht mehr ausreicht, ist die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen gefährdet." Heute schon ignorierten Krankenkassen, aber auch Kommunen oft erhöhte Personalkosten durch Tarifsteigerungen, sagte Loheide der Deutschen Presse-Agentur. Lauterbach sieht bereits die reine Beitragsfinanzierung der Pflegeversicherung vor dem möglichen Ende. Langfristig komme man um Steuermittel hierfür nicht herum, sagte er vor 2 Wochen auf der Altenpflegemesse in Essen. Aktuell will die Bundesregierung im Gegensatz dazu bekanntlich lieber Geld sparen als zusätzlich ausgeben.