Defizite bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK) begrüßt die Publikation dieser Studie (1) und die neue Aufmerksamkeit, die das Thema dadurch hoffentlich erfährt. Die kardiologischen Fachgesellschaften beklagen seit Jahren die Missstände in der Gesundheitspolitik, die Unterfinanzierung des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislaufforschung sowie die Defizite hinsichtlich der Aufklärung der Gesellschaft bei Präventions- und Notfallmaßnahmen, (Früh-) Selbst-Diagnostik und der Wahrnehmung von gesundheitsfördernden Angeboten (siehe hierzu u.a. das Positionspapier zur Forderung einer Nationalen Herzkreislauf-Strategie, Herbst 2021).
Nationale Herz-Allianz zur Verbesserung der Herzforschung und Patient:innenversorgung
Auf die Initiative der DGK hin wurde deshalb die Nationale Herz-Allianz (NHA) ins Leben gerufen, das langfristigste Aktionsbündnis in der Geschichte der deutschen Herzmedizin. Es vereint alle großen herzmedizinischen Gesellschaften Deutschlands sowie die Patientenvertretung mit dem Ziel, Konzepte zur Forschungsförderung, zur Verbesserung der Digitalisierung im Gesundheitswesen, zu Präventionsmaßnahmen und zur Verzahnung zwischen Kliniken und Niedergelassenen Ärzt:innen zu entwickeln, um so die Situation der Herz-Forschung und -Patient:innenversorgung in der Bundesrepublik nachhaltig zu verbessern.
Gründe für die niedrige Lebenserwartung der Deutschen
Zu den näheren Gründen für die niedrige Lebenserwartung der Deutschen im internationalen Vergleich, trotz der finanziellen Vorzüge, die die Bundesrepublik als führende Volkswirtschaft in Europa genießt, werden von der DKG folgende Gründe aufgeführt.
Prävention als Schwerpunkt in Deutschland noch nicht ausreichend etabliert
Prävention ist als Schwerpunkt in Deutschland noch nicht ausreichend etabliert. Als Beispiel sei hier aufzuführen, dass weniger als 20% der Hoch-Risiko-Patient:innen für Atherosklerose in Deutschland die gewünschten Zielwerte beim LDL-Cholesterin erreichen.
Lesen Sie mehr zu diesem Thema:
Bluthochdruck erfordert eine sorgfältige Diagnostik und Therapieüberwachung
Erschienen am 17.05.2023 • Einen Überblick zur Diagnostik und Therapie des Bluthochdrucks in der Hausarztpraxis zum Welt-Hypertonie-Tag, lesen Sie hier!
Erschienen am 17.05.2023 • Einen Überblick zur Diagnostik und Therapie des Bluthochdrucks in der Hausarztpraxis zum...
© Zerbor - stock.adobe.com
Frühkindliches Screening auf familiäre Hypercholesterinämie – Weniger als 5% der Fälle werden erkannt
Darüber hinaus ist in Deutschland – anders als in anderen Ländern – das frühkindliche Screening für die relativ häufige Erbkrankheit familiäre
Hypercholesterinämie (FH) nicht etabliert. Weniger als 5% der Fälle werden erkannt, Betroffene erleiden häufig bereits in jungen Jahren ohne Selbstverschulden durch ungünstige Lebensumstände einen
Herzinfarkt durch Gefäßverschluss. Ein einfacher, kostengünstiger Bluttest im Rahmen der U9- bis J1-Untersuchung bei Kleinkindern könnte hier wichtige Hinweise auf Vorhandensein einer FH geben und eine rechtzeitige Therapie der Betroffenen ermöglichen.
Niedrige Influenza-Impfquoten in Deutschland
Es ist seit Jahren bekannt, dass Herz-Patient:innen ein 6-mal höheres Risiko haben, einen Myokardinfarkt zu erleiden, wenn sie sich mit Grippe infizieren. Dennoch hat Deutschland eine der niedrigsten Impfquoten für
Influenza überhaupt, insbesondere innerhalb der Gruppe der Hoch-Risiko-Patient:innen mit Herzerkrankungen. Durch routinemäßiges Impfen, zum Beispiel in Kliniken bei Patient:innen mit akutem Herzinfarkt, könnten viele Sterbefälle verhindert werden, wie die IAMI-Studie gezeigt hat.
Screening für arterielle Hypertonie oder Hypercholesterinämie nicht etabliert
Screenings, etwa für arterielle Hypertonie oder Hypercholesterinämie sind anders als zum Beispiel Colon-CA-Screening, Prostata-CA Screening oder
Brust-Krebs-Screening in Deutschland nicht etabliert. Dabei machten im Jahr 2021 laut der aktuellsten Erhebung des Statistischen Bundesamtes kardiovaskuläre Ereignisse ein Drittel (33,3%) der Todesursachen in der Bundesrepublik aus, Krebserkrankungen hingegen weniger als ein Viertel (22,4%). Dem ist hinzuzufügen, dass die Number-needed-to-screen für arterielle
Hypertonie bzw. Hypercholesterinämie um ein Vielfaches geringer als bei den genannten Krebs-Erkrankungen ist und damit eine viel höhere Effektivität erreichen kann. Die DGK plädiert daher für die Aufnahme eines regelmäßigen Herz-Check-Ups ab einem Alter von 50 Jahren in die medizinische Grundversorgung.
Lesen Sie mehr zu diesem Thema:
Optimierte Versorgung herzinsuffizienter Patient:innen
Erschienen am 09.05.2023 • Über die optimale Versorgung von herzinsuffizienten Patienten in Bezug auf Infektionen und Eisenmangel, erfahren Sie hier mehr!
Erschienen am 09.05.2023 • Über die optimale Versorgung von herzinsuffizienten Patienten in Bezug auf Infektionen und Eisenmangel,...
© peterschreiber.media - stock.adobe.com
Screening für Herzinsuffizienz ebenfalls nicht in Deutschland etabliert
Ebenfalls nicht in Deutschland etabliert ist ein Screening für Herzinsuffizienz. In Deutschland haben ca. 4 Millionen Einwohner:innen eine Herzinsuffizienz, die damit zu den Volkskrankheiten gehört. Basierend auf anderen Studien kann man davon ausgehen, dass für jede:n erkannte:n Patient:in mit Herzinsuffizienz mindestens genauso viele Patient:innen unerkannt bleiben. Da insbesondere Herzinsuffizienz besser behandelt werden kann, je früher sie erkannt wird, könnten die Betroffenen bei rechtzeitiger Diagnose und Therapie nicht nur länger leben, sondern auch eine weitaus höhere Lebensqualität genießen.
Geringe Bereitschaft zur Durchführung einer Herz-Lungen-Reanimation in der Deutschen Bevölkerung
Deutschland liegt im europäischen Vergleich im unteren Drittel bei der Bereitschaft in der Bevölkerung, im Notfall eine Herz-Lungen-Reanimation bei einer fremden Person durchzuführen. Diese Quote könnte durch verpflichtenden Unterricht in Schulen für Reanimationsschulungen perspektivisch wie in anderen Ländern deutlich erhöht werden. Zusätzlich wird in Deutschland das eigentlich in den Leitlinien empfohlene telefonische Anleiten von Laien bei der Reanimation durch die Rettungsleitstellen viel zu selten angewendet.
App-basierte Alarmierung für Ersthelfer:innen wird zu wenig genutzt
Auch eine App-basierte Alarmierung für Ersthelfer:innen wird in Deutschland nur in weniger als 5% der Fälle genutzt. Dabei könnten geschulte Ersthelfer:innen, die sich in der Nähe befinden, mittels dieser Software zielgenau zu den Patient:innen geführt werden, wo sie ihnen lebenswichtige Zeit durch Reanimation und Anleitung von Umstehenden erkaufen könnten, bis die Rettungskräfte eintreffen.