Überraschend hohe Zahlen müssen diskutiert werden
Es sei auffällig, dass vor allem hochaltrige Patient:innen sehr häufig auf den Intensivstationen beatmet würden, aber dennoch versterben. „Wir müssen uns deshalb die Frage stellen, ob wir ethisch und medizinisch das Richtige tun, wie auch gesellschaftlich-ökonomisch“, so der Prof. Matthias Kochanek, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN). Es gelte, die harten Fakten der Studie genau anzusehen, dann aber erst einmal sacken zu lassen, plädieren Windisch wie Kochanek. Anschließend müsse man sich als Pneumolog:innen und Intensivmediziner:innen jedoch ernsthaft die Frage stellen: Beatmen wir die richtigen Patient:innen? Sollten wir eventuell andere Wege gehen? Fallzahlen, Mortalität und Kosten, so sagen beide, hätten sie in dieser Höhe doch überrascht. „Wir müssen uns auch die Frage nach dem Warum gefallen lassen“, sagt der DGIIN-Präsident. Beatmung bringe in Deutschland Geld in die Klinik.
Über 10% der beatmeten Menschen in Deutschland versterben
Das Forschungsteam um Hauptautor Prof. Christian Karagiannidis wertete die Routinedaten aller 1.003.882 Patient:innen ab 18 Jahre aus, die zwischen 2019 und 2022 in 1.395 deutschen Krankenhäuser beatmet wurden. Insgesamt verstarben 43,3% der Beatmeten im Krankenhaus. Dabei beobachteten die Autor:innen einen Anstieg der Krankenhausmortalität mit dem Alter: So verstarben 27,6% bei den 18- bis 59-Jährigen, aber 59,0% bei den ≥ 80-Jährigen. Insgesamt verstarben somit in Deutschland über 10% aller Personen mit Beatmung. Die Anzahl der beatmeten Patient:innen innerhalb der Gesamtbevölkerung war insbesondere bei den über 80-Jährigen mit >1% pro Jahr sehr hoch. Die Autor:innen ermittelten die durchschnittlichen Kosten pro beatmeten Patient:innen mit 22.000 Euro für das Jahr 2019 und > 25.500 Euro für 2022.
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Mehr Prävention und weniger Beatmung?
„Haben wir also so viele Beatmungsbetten, weil die Patient:innen sie brauchen? Oder brauchen wir so viele Patient:innen in diesen Betten, damit sich die Klinik finanzieren kann?“, fragt Wolfram Windisch. Gleichzeitig sei Deutschland Schlusslicht bei der Tabakprävention, so der DGP-Präsident. Und Tabakkonsum sei einer der größten Risikofaktoren für viele und schwere Herz- wie auch Lungenerkrankungen, die wiederum die Hauptgründe für Beatmung auf Intensivstationen in Deutschland darstellen. Denn auch in puncto Erkrankung liegen die Daten vor. „Wir sind also in einem ganz ungünstigen Spagat: Wir verhindern die Krankheiten nicht, die wir dann aber maximal mit allem, was geht, behandeln“, so Windisch. Wäre es nicht andersherum deutlich besser?
Strukturqualität durch die Krankenhausreform
Die Lancet-Studie gibt viele Antworten, wirft aber noch mehr Fragen auf. DGIIN-Präsident wie auch DGP-Präsident sind sich entsprechend einig: „Es ist enorm wichtig, zukünftig noch mehr Studien zur Qualitätssicherung auf den Weg zu bringen! In erster Linie muss jetzt aber mit der Krankenhausreform eine Strukturqualität eingeführt werden, die es bisher nur unzureichend gibt! Wir brauchen vor allem hervorragend ausgebildetes Personal und nicht mehr das Prinzip ‚Jeder macht alles‘.“ Es gelte, die Studienergebnisse auch mit der Brille der Krankenhausreform zu betrachten, ordnete der Arzt und Gesundheitsökonom Prof. Reinhard Busse die Ergebnisse ein. Busse ist selbst Letztautor der Studie sowie Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. „Wir brauchen diese Beatmungsbetten nicht alle!“ Man müsse sich in Deutschland klar werden, dass eine Beatmung einen primär kurativen Ansatz hat, so der Universitätsprofessor für Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin. Generell zeige die Studie aber auch, dass die Beatmung, also die Intensivmedizin, derzeit ein wichtiger und ökonomisch relevanter Bereich einer Klinik sei. „Es ist entsprechend sehr wichtig, dass wir bei der Bildung von Leistungsgruppen die Intensivmedizin eigenständig und differenziert in Versorgungsstufen abbilden, um hierüber eigene scharfe und qualitätsorientierte Strukturvoraussetzungen zu definieren. Hier darf es bei der jetzigen Reform keine weitere Verwässerung geben.“
Quelle: Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
(1) Karagiannidis et al. In-hospital mortality, comorbidities, and costs of one million mechanically ventilated patients in Germany: a nationwide observational study before, during, and after the COVID-19 pandemic, the Lancet Regional Health 2024, abrufbar unter: https://www.thelancet.com/journals/lanepe/article/PIIS2666-7762(24)00121-2/fulltext, letzter Zugriff: 13.06.2024.