Donnerstag, 21. November 2024
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Medizin
Neues DMP Adipositas

Adipositas ist kein Lifestyle-Problem, sondern eine chronische Erkrankung

Adipositas ist kein Lifestyle-Problem, sondern eine chronische Erkrankung
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Adipositas ist eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung, die mit zahlreichen Beschwerden und Folgeerkrankungen assoziiert ist. Ein wichtiger Schritt zu einer leitliniengerechten Regelversorgung erfolgt nun mit dem Disease-Management-Programm (DMP) Adipositas. Das DMP Adipositas unterstreicht, dass Adipositas kein Lifestyle-Problem ist, sondern eine chronische Erkrankung, die einer strukturierten Therapie durch geschulte Behandler:innen bedarf. Auf einem Symposium im Rahmen des DGIM-Kongresses 2024 erläuterten Expert:innen, wie Menschen mit Adipositas künftig besser unterstützt werden können.
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Lebensstilanpassungen sind für Adipositas-Patient:innen oft schwierig

„Bei Adipositas liegen sowohl im Hypothalamus als auch im Belohnungszentrum massive funktionelle Einschränkungen vor, die es unseren Patient:innen sehr schwer machen, den Lebensstil umzustellen“, erläuterte Dr. Ruth Hanßen, Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin, Universitätsklinik Köln. Die Veränderungen spielen sich sowohl in der homöostatischen Essverhaltensregulation als auch im mesolimbischen System (Belohnungszentrum) ab (1, 2). Eine Belohnung signalisiert, dass eine Verhaltensweise gut war und wiederholt werden sollte. Im nächsten Schritt wird daraus eine Tat abgeleitet. Bei Patient:innen mit einer Insulinresistenz und einem hohen BMI gibt es Einschränkungen sowohl beim assoziativen Lernen als auch bei der Motivationsbildung. Funktionelle Veränderungen im Gehirn erschweren es, die Motivation anzupassen (3).

Langfristige ärztliche Begleitung der Patient:innen ist wichtig

Aufgrund dieser Veränderungen im Gehirn ist eine Lebensstiländerung für Einzelne schwer umzusetzen. Daher sind Versorgungsstrukturen erforderlich, die Menschen mit Adipositas effektiv dabei unterstützen, ihr Gewicht zu reduzieren, um damit mögliche Folgeerkrankungen zu vermeiden. Denn schon eine moderate Gewichtsabnahme im Bereich von 5 bis 15% des Ausgangsgewichtes kann diverse klinisch relevante Risikofaktoren verbessern und sich vorteilig auf Komorbiditäten auswirken – etwa auf Typ-2-Diabetes, Schlafapnoe und andere Atemwegserkrankungen, nichtalkoholische Fettlebererkrankung, Osteoarthritis oder kardiovaskuläre Erkrankungen (4). „Adipositas ist keine Willensschwäche, sondern eine chronische Erkrankung“, so Dr. Engin Osmanoglou, Kardiologisch-Internistisches Zentrum der MEOCLINIC, Berlin. Deshalb sei es wichtig, einerseits Patienten:innen zu identifizieren und eine Diagnose zu stellen. Und andererseits Betroffene intensiv aufzuklären und ihnen therapeutische Optionen aufzuzeigen sowie Menschen mit Adipositas langfristig zu begleiten.
 
 

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DMP Adipositas: Verbesserung der Versorgungslandschaft in Deutschland

Laut Prof. Osmanoglou werden nur etwa 30% der Betroffenen mit Adipositas diagnostiziert, und nur etwa ein Drittel bekommt ein Therapieangebot (5). Um die Versorgungslandschaft in Deutschland zu verbessern und eine leitliniengerechte und bedarfsorientierte Regelversorgung von Menschen mit Adipositas über die gesetzlichen Krankenkassen zu ermöglichen, wurde durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein DMP Adipositas für Erwachsene initiiert. Das Gesundheitsministerium hat den Beschluss des G-BA zum DMP Adipositas geprüft und freigegeben. Der Beschluss wurde jetzt im Bundesanzeiger veröffentlicht und tritt zum 1. Juli 2024 in Kraft. Damit können die Krankenkassen ab sofort mit Praxen und Krankenhäusern Verträge aushandeln. In der Praxis ist es für die Zukunft wichtig, die Patient:innen, die vom DMP Adipositas profitieren können, direkt anzusprechen. Eine konsequente Nutzung der spezifischen Adipositas-Codierung nach ICD-10 hilft Patient:innen zu erkennen und ermöglicht es, ihnen die passenden Versorgungsangebote bereitstellen zu können.

Gesamtgesellschaftliche Strategie für Adipositas notwendig

Das DMP Adipositas ist ein wichtiger Schritt hin zu einer leitliniengerechten Regelversorgung von Menschen mit Adipositas. Aber viele Aspekte sind bis jetzt offen. So finden die Verhandlungen über die Ausgestaltung des Programms auf regionaler Ebene erst noch statt. „Das kann zu einer ungleichen Versorgung in den Regionen führen“, sagt Prof. Dr. Dr. Christine Joisten, Sporthochschule Köln. Wichtig sei es daher, dass alle Beteiligten, also Patient:innen, Selbsthilfegruppen und die Behandelnden der verschiedenen Fachrichtungen, miteinander sprechen und sich austauschen. „Wir benötigen Screeningverfahren im hausärztlichen Setting zu Komorbiditäten und Funktionseinschränkungen sowie niederschwellige Strukturen“, fordert Joisten. Letztere seien besonders für bestimmte Zielgruppen erforderlich, die schwer zu erreichen sind, zum Beispiel junge Erwachsene. „Das Ziel ist eine gesamtgesellschaftliche Strategie, ein Bewusstsein für die Erkrankung – nicht nur im hausärztlichen Setting, sondern auch in der Politik und in allen Bereichen, in denen Menschen mit Adipositas leben und arbeiten“, so Joisten abschließend.

Quelle: Novo Nordisk

Literatur:

(1) World Health Organization. Obesity and Overweight Factsheet no. 311.
(2) Rossi MA, Stuber GD. Overlapping Brain Circuits for Homeostatic and Hedonic Feeding. Cell Metab. 2018;27(1):42-56.
(3) Hanssen R, Rigoux L, Kuzmanovic B, et al. Liraglutide restores impaired associative learning in individuals with obesity. Nat Metab. 2023;5(8):1352-1363.
(4) Ryan DH, Yockey SR. Weight Loss and Improvement in Comorbidity: Differences at 5%, 10%, 15%, and Over. Curr Obes Rep. 2017;6(2):187-194.
(5) Ma J, Xiao L, Stafford RS. Adult Obesity and Office‐based Quality of Care in the United States. Obesity. 2009;17(5):1077-1085.


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