Dienstag, 21. Januar 2025
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Medizin

Minderung autoreaktiver Antikörper bei Myasthenia gravis durch Nipocalimab

von Martin Wiehl

Minderung autoreaktiver Antikörper bei Myasthenia gravis durch Nipocalimab
© Alessandro Grandini - stock.adobe.com
Aktuellen Schätzungen zufolge leiden in Deutschland mehr als 15.000 Menschen an einer Myasthenia gravis (MG). In etwa 20% der Fälle bleibt die Autoimmunerkrankung auf eine rein okuläre Myasthenie beschränkt. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Betroffenen weitet sich das Krankheitsbild im Verlauf aber doch über den ganzen Körper im Sinne einer generalisierten MG (gMG) aus. Der sprunghafte Anstieg der Erkenntnisse über die neuroimmunologischen Zusammenhänge hat in jüngster Zeit eine Reihe von innovativen Therapieansätzen hervorgebracht, mit deren Hilfe sich die Prognose der neuromuskulären Erkrankung wesentlich verbessern lässt. Einer davon zielt auf das Recycling von Autoantikörpern. So hat Nipocalimab nach positiven Ergebnissen der Phase-III-Zulassungsstudien gute Aussichten, die neue Substanzklasse der FcRn-Inhibitoren als weiterer Kandidat zu bereichern.

Nipocalimab fördert den lysosomalen Abbau von Autoantikörpern

Bei Nipocalimab handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper (mAb), der hochselektiv den neonatalen Fc-Rezeptor (FcRn) blockiert, welcher insbesondere von Endothelzellen exprimiert wird. Da der Fc-Anteil von Immunglobulin (Ig)G im Unterschied zu IgA und IgM stets frei ist, kann IgG immer – unabhängig davon, ob es funktional im Rahmen der körpereigenen Immunabwehr ist oder aber pathogen als Autoantikörper – an den FcRn binden. Diese Bindung ermöglicht in physiologischer Weise eine Wiederaufnahme des IgG zurück in das Serum, schützt somit das IgG vor übermäßigem lysosomalem intrazellulärem Abbau und trägt quasi im Recyclingverfahren zur verlängerten Plasmahalbwertszeit von IgG bei. Die Blockade des FcRn durch Nipocalimab wirkt diesem Recyclingprozess entgegen und erhöht folglich die lysosomale Abbauquote – und dies ist ja bei MG erwünscht, weil dadurch auch die an der Erkrankung maßgeblich beteiligten Autoantikörper dezimiert werden.

Autoantikörper richten Schaden an der neuromuskulären Synapse an

Die gMG ist eine Antikörper-vermittelte Autoimmunerkrankung des peripheren Nervensystems, bei der sich die Autoantikörper in 76% der Fälle auf Acetylcholinrezeptoren (AChR) richten, erklärte Prof. Dr. Sarah Hoffmann von der Berliner Charité. Das setze verschiedene immunologische Reaktionen, darunter die Komplementkaskade als Antwort des innaten Immunsystems, in Gang. Die dadurch ausgelöste Bildung von Membranangriffskomplexen führe zu Zell-Perforationen, die in spezifische Schädigungen an der neuromuskulären Endplatte münden. Am Ende dieses Prozesses stünden nicht mehr genügend funktionsfähige AChR für eine ordnungsgemäße Muskelkontraktilität zu Verfügung. In weiteren 4% der Fälle zielten Autoantikörper auf die Muskel-spezifische Tyrosinkinase (MuSK) und in 2% auf das Transmembranprotein Lrp4 (low density lipoprotein receptor-related protein 4), während für die verbleibenden 18% der Fälle derzeit noch keine spezifischen Autoantikörper ermittelt werden konnten. Aber auch hier bleibe der Verdacht bestehen, dass die pathologischen Vorgänge direkt an der neuromuskulären Synapse auf Autoantikörper zurückzuführen sind, die allerdings noch ihrer Identifizierung harren.
 
 

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Überlegene FcRn-Bindung durch aglykosyliertes Design

Der mAb Nipocalimab hat laut Prof. Hoffmann in dieser Hinsicht den Vorzug, dass er über die Inhibition des FcRn das Recycling von Autoantikörpern jedweder Ausrichtung behindert und somit vermutlich auch gMG-Ausprägungen jenseits der 3 genannten Autoantikörper-Spezifizierungen adressiert. Die somit erreichbare Reduktion pathogener Antikörper sei in ihrem Ausmaß zudem dadurch zu erklären, dass der Fc-Anteil des mAb aglykosyliert ist und deshalb besonders gut in die Bindungstasche des FcRn passt. Diese hohe Affinität zum Rezeptor erhöhe schließlich die Wahrscheinlichkeit, IgG, darunter eben auch die autoreaktiven Antikörper, in der Konkurrenz um die Bindungsstelle erfolgreich zu verdrängen und somit letztendlich der lysosomalen Eliminierung zu überlassen.

Positive Studiendaten bestätigen die Rationale der FcRn-Blockade

Diese Überlegenheit schlug sich den Ausführungen von Prof. Hoffmann zufolge nun in den positiven Resultaten der Phase-III-Studie VIVACITY-MG3 nieder. 199 Patient:innen, von denen 153 antikörperpositiv (AChR+, MuSK+ oder Lrp4+) waren, wurden in die 24-wöchige doppelblinde, Placebo kontrollierte Studie aufgenommen und auf Basis einer laufenden Standardtherapie (SOC) im Verhältnis 1:1 auf Nipocalimab/SOC oder Placebo/ SOC randomisiert. Bei den 77 Teilnehmer:innen, die Nipocalimab/SOC erhielten,  war die Verbesserung des MG-ADL-Scores in den Wochen 22, 23 und 24 im Vergleich zum Ausgangswert signifikant größer als in der Placebo/SOC-Gruppe mit 76 Teilnehmer:innen. So verringerte sich der Score unter Nipocalimab um durchschnittlich 4,70 und unter Placebo um 3,25 Punkte, was eine Differenz von 1,45 ausmachte. Für Betroffene kann eine Änderung von 1 bis 2 Punkten im MG-ADL-Score zum Beispiel den Unterschied zwischen normaler Nahrungsaufnahme und häufigen Erstickungsanfällen beim Essen oder den Unterschied zwischen Kurzatmigkeit in Ruhe und der Notwendigkeit eines Beatmungsgeräts ausmachen, verdeutlichte Prof. Hoffmann den Behandlungseffekt.

Quelle: Virtueller Pipeline-Presseworkshop „Nipocalimab bei Myasthenia Gravis: Neue Daten aus der Phase-III-Studie VIVACITY“ am 16. Juli 2024 und Satelliten-Symposium „Neue Visionen und Chancen: Aktuelle Entwicklungen in der Therapie der Myasthenia Gravis“ am 6. November 2024 im Rahmen der DGN-Jahrestagung in Berlin



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