Was soll der EHDS leisten?
Nick Schneider, Leiter Referat Grundsatzfragen neue Technologien und Datennutzung im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), fasste zunächst die Eckpunkte des 130-Seiten-Entwurf zusammen (1):
- Alle Bürger:innen der EU sollen über eine elektronische Patientenakte (ePA) direkt auf ihre Gesundheitsdaten zugreifen und diese kontrollieren können.
- Die ePA-Systeme müssen interoperabel sein, um miteinander kommunizieren zu können.
- Für die Primärversorgung von Patient:innen im europäischen Ausland sollen Leistungserbringern personenbezogene Gesundheitsdaten zur Verfügung gestellt werden.
- Im Rahmen der Sekundärnutzung soll es Akteuren aus Forschung und Innovation, politischen Entscheidungsträgern und Regulierungsbehörden ermöglicht werden, elektronische Gesundheitsdaten für bestimmte Zwecke zu nutzen. Die Daten selbst bleiben am Ursprungsort.
- Basis ist eine stabile und sichere digitale Infrastruktur.
EHDS wird nach Inkrafttreten noch nicht komplett ausgereift sein
Die Verordnung soll 2024/25 in Kraft treten. Schneider dämpfte jedoch zu hohe Erwartungen: „Keinesfalls werden wir in 2 bis 3 Jahren fertig sein“, stellte er klar. Weder seien dann alle Daten verfügbar noch alle Leistungserbringer europaweit schon angebunden. „Wichtig ist, dass wir dann im iterativen Prozess das Thema weiter ausbauen“. Dies klang ein wenig nach dem „Chiquita-Prinzip“ („Grün ernten, beim Kunden reifen lassen“), das Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, wenige Stunde vorher in seinem Vortrag mit Blick auf das
E-Rezept kritisiert hatte.
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Empowerment für Patient:innen – EHDS soll Rolle der Patient:innen aufwerten
Das EHDS werte die Rolle der Patient:innen deutlich auf, betonte Dr. Bettina Zippel-Schultz vom Vorstand der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke. Diese seien sich des Mehrwerts bewusst und würden auch erwarten, dass ihre Gesundheitsdaten genutzt werden, um Versorgungsprozesse zu vereinfachen und eine
individualisierte Therapie zu ermöglichen. Die Hoheit über die eigenen Daten zu besitzen, sei ein wichtiges Empowerment, sagte sie. Da die Vorgaben im EHDS-Entwurf zum Teil jedoch noch sehr unkonkret sind, forderte sie, gemeinsam Modelle zu entwickeln, aus denen hervorgeht, was mit den Gesundheitsdaten geschieht, wenn Industrie oder Universitäten damit forschen. Interessant war in diesem Zusammenhang eine von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Konferenz geäußerte Überlegung, wonach Patient:innen beim Datenschutz gemäß ihren individuellen Bedürfnissen unterschiedliche Optionen wählen können.
Pharmaindustrie fordert für EHDS einheitliche Regelung
Auch die Pharmabranche setzt auf den EHDS. Delia Strunz, Director Government Affairs & Policy Germany Johnson & Johnson, sprach von „enormen Chancen für die Versorgung und die Forschung“. Eine personalisierte Therapie, wie sie in der Onkologie bereits praktiziert werde, rücke dann auch in anderen Indikationen näher. Insbesondere Patient:innen mit seltenen Erkrankungen würden davon profitieren, dass europäische Daten aggregiert werden können, sagte sie. Zudem forderte sie ein konsistentes Antragsrecht. „Wir erhoffen uns von der DSGVO eine einheitliche, harmonisierte Interpretation, also nicht 17 Datenschutzbeauftragte, die alle eine eigene Meinung haben, denn damit sterben viele Projekte.“
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Europäisches Recht hat beim EHDS Vorrang
Diese Befürchtung konnte Schneider zum Teil entkräften. Er wies darauf hin, dass der EHDS-Entwurf einen „Anwendungsvorrang für EU-Recht“ vorsehe und Rechte der Mitgliedsländer hintenanstehen. Damit biete der EHDS für Länder mit einer föderalen Struktur wie Deutschland eine Chance, die
bekannten Probleme im Datenschutz zu umgehen. „Nicht umsonst haben wir während der Pandemie mit dem §287a eine federführende Datenschutzaufsicht für Forschungsvorhaben eingeführt. Diesen Schritt sollten wir auch weitergehen“, betonte er. „Wir müssen aus diesen Schwierigkeiten herauskommen: dass Forschung nur lokal in einzelnen Krankenhäusern betrachtet wird. Forschung muss mindestens bundesweit, möglichst aber auf europäischer Ebene stattfinden können.“