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Gepante erweitern die Möglichkeiten der individuellen Migränetherapie

Zugelassen sind sie in der EU schon lange, in den USA und im europäischen Ausland sind sie längst erhältlich, die Markteinführung in Deutschland ließ aber lange auf sich warten: Gepante gelten als vielversprechende neue Medikamente aus der Klasse der CGRP-Rezeptorantagonisten, die die Möglichkeiten der individuellen Migränetherapie erweitern. Als erster Vertreter der Wirkstoffgruppe wurde Rimegepant im April 2022 in der EU zugelassen, für die Akutbehandlung und Prophylaxe episodischer Migräne, zur Markteinführung in Deutschland gibt es aber noch keine Prognose. Im August 2023 folgte die EU-Zulassung von Atogepant für die Prophylaxe von episodischer und chronischer Migräne in Tablettenform.

„Die lange Wartezeit, bis eine vielversprechende Therapie in Deutschland verfügbar ist, ist bedauerlich. Wir möchten wirksame Behandlungen schneller zu den Patienten bringen“, sagt Prof. Uwe Reuter, künftiger Präsident der European Headache Federation (EHF), ärztlicher Vorstand der Universitätsmedizin Greifswald und Leiter der Kopfschmerzambulanz der Berliner Charité.

Atogepant senkt die Zahl der Kopfschmerztage

In den Phase-II-Zulassungsstudien PROGRESS und ADVANCE reduzierte sich unter Atogepant bei Patient:innen mit chronischer Migräne (mind. 15 Kopfschmerz tage/Monat, davon mind. 8 migräneartig) die Zahl der Kopfschmerztage um 6,8 Tage (vs. 5,1 Tage unter Placebo) (1, 2). Bei episodischer Migräne (4 bis 14 Migränetage pro Monat) sank die Zahl um 4,1 Tage (vs. 2,5 Tage unter Placebo). Atogepant eignet sich besonders für Patient:innen, die mindestens 4 Migränetage im Monat haben. Die ELEVATE-Studie hat die Wirksamkeit und Sicherheit bei Patient:innen mit episodischer Migräne untersucht, bei denen herkömmliche orale präventive Migränetherapien versagt haben. Atogepant war sicher und gut verträglich und zeigte im Vergleich zu Placebo eine signifikante klinisch relevante Reduktion der monatlichen Migränetage über 12 Wochen (3).

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Atogepant kann schnell wieder abgesetzt werden

„Wie Atogepant einzelnen Patienten individuell hilft, muss sich zeigen“, sagt Prof. Reuter. Patienten, die bisher die Antikörperspritze bekommen haben, könnten nach Einschätzung des Experten auch von Atogepant profitieren. Der Vorteil: Im Gegensatz zur monatelang anhaltenden Wirkung der Antikörperspritze kann Atogepant in Tablettenform schneller wieder abgesetzt werden, etwa bei Nebenwirkungen oder einer Schwangerschaft.

PACAP: Neues Signalmolekül im Fokus der Forschung

Neben Gepanten rücken auch andere vielversprechende Ansätze in den Fokus der Migräneforschung. Das Signalmolekül PACAP-38 (Pituitary Adenylate Cyclase-activating Peptide-38) ist ein potenzielles neues Ziel für künftige Therapien. Forschungen von Professor Dr. Messoud Ashina und seinem Team an der Universität Kopenhagen, die auch auf dem EHC vorgestellt wurden, haben hierzu wichtige Erkenntnisse geliefert. PACAP-38 ist wie CGRP an der Pathophysiologie der Migräne beteiligt. Die Hemmung der PACAP-Signalübertragung könnte somit ein wirksamer neuer Ansatz zur Migräneprävention sein. Ein PACAP-Inhibitor namens Lu AG09222, ein humanisierter monoklonaler Antikörper, wurde kürzlich in einer Phase-IIa-Studie (HOPE) mit 237 Erwachsenen untersucht, die zu Studienbeginn durchschnittlich an 16,7 Migränetagen pro Monat litten (4). Die Infusion des Antikörpers verringerte die Anzahl der Migränetage pro Monat um 6,2 Tage, verglichen mit 4,2 Tagen unter Placebo. Zudem erreichten in der Verumgruppe mehr Patient:innen eine mindestens 50%ige Verringerung der Anzahl der Migränetage pro Monat als in der Placebogruppe (32 vs. 27%). „Der Unterschied war geringer als erhofft, dennoch wurde ein weiterer potenzieller Angriffspunkt für Migräne identifiziert“, so Prof. Reuter.

KATP-Kanäle: Vielversprechendes Target für die Migränetherapie

Ein weiteres interessantes Wirkziel für die Migränetherapie sind KATP-Kanäle, ATP-abhängige Kaliumkanäle, die im trigeminovaskulären System weit verbreitet sind und unter anderem an der Regulierung von Anspannung von Arterien in Gehirn und Hirnhaut mitwirken. KATP-Kanäle stehen mit Substanzen in Verbindung, die Migräneattacken auslösen können, wie CGRP, Stickoxid, PACAP und Protaglandine. Studien haben außerdem gezeigt, dass Medikamente für andere Erkrankungen, die KATP-Kanäle öffnen, bei vielen Patient:innen zu Kopfschmerzen führen können. Beispiele sind Pinacidil (Bluthochdruck), Nicorandil (Angina Pectoris und Koronare Herzkrankheiten) und Levcromakalim (Asthma und Bluthochdruck). Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass KATP-Kanäle ein Ziel für zukünftige Migränetherapien sein könnten. Entsprechende Wirkstoffe, die auf KATP-Kanäle abzielen, müssen jedoch noch entwickelt werden. Bisher bekannte Substanzen wie Glibenclamid und PNU37883A sind aufgrund gefährlicher Nebenwirkungen nicht geeignet.

Quelle:

Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V.

Literatur

(1) Pozo-Rosich P. et al. (2023) Atogepant for the preventive treatment of chronic migraine (PROGRESS): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial Lancet. 2023;402(10404):775-785, DOI: 10.1016/S0140-6736(23)01049-8.
(2) Ailani J. et al. (2021) Atogepant for the Preventive Treatment of Migraine, The New England journal of medicine 385,8 (2021): 695-706, DOI: 10.1056/NEJMoa2035908.
(3) Tassorelli C. et al. (2024) Safety and efficacy of atogepant for the preventive treatment of episodic migraine in adults for whom conventional oral preventive treatments have failed (ELEVATE): a randomised, placebo-controlled, phase 3b trial, The Lancet. Neurology 23,4 (2024): 382-392, DOI: 10.1016/S1474-4422(24)00025-5.
(4) Ashina M. et al. (2024) Monoclonal Antibody to PACAP for Migraine Prevention, N Engl J Med, 2024;391(9):800-809, DOI: 10.1056/NEJMoa2314577.