Transkranielle Pulsstimulation bei Alzheimer: Wirksamkeit weiterhin nicht ausreichend belegt
Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) wird als neue, scheinbar „bahnbrechende“ Therapiemethode zur Behandlung von Alzheimer angepriesen. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten die Behandlung nicht, sie muss privat finanziert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V. hat die Datenlage bewertet und unter der Federführung von Vorstandsmitglied Prof. Ulf Ziemann, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie und Co-Direktor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen, eine aktualisierte Stellungnahme ausgearbeitet. Das Resümee: Auch die im April 2025 neu veröffentlichte, erstmals kontrolliert randomisiert durchgeführte Studie zur TPS bei Menschen mit Alzheimer (1) liefert keinen eindeutigen Wirksamkeitsnachweis. Es ist laut DGKN daher aktuell weiterhin nicht gerechtfertigt, TPS als neue effektive Therapieform der Alzheimer-Erkrankung anzusehen und zu bewerben.
Die neue Therapie soll die Regeneration des Gehirns stimulieren. Laut Aussage der Studienautoren ist es damit „weltweit erstmalig möglich, mit einem Ultraschall-Puls direkt am Schädelknochen, nicht-invasiv, schmerzfrei und bei vollem Bewusstsein in alle Bereiche des Gehirns vorzudringen und dort ganz gezielt Hirnareale anzusteuern und diese zu aktivieren“. In einigen überregionalen Medienberichten wird TPS bei Alzheimer als „bahnbrechender Fortschritt“ oder „Durchbruch“ bezeichnet. Die „Ärztliche Interessensgemeinschaft Alzheimer-Demenz-Therapie“ bezeichnet die Methode als „sicher und gut verträglich“. Dort sind auch die internationalen Behandlungsstandorte gelistet.
Erste randomisierte kontrollierte Studie zur Wirksamkeit von TPS bei Alzheimer
2025 wurde die erste durch eine Scheinstimulation kontrollierte randomisierte doppelt verblindete Crossover-Studie bei Patient:innen (n=60) mit klinisch diagnostizierter Alzheimer-Erkrankung im Alter zwischen 51 und 82 Jahren publiziert (1). Die Studie wurde unter anderem von der Firma Storz Medical AG finanziert. Diese Firma hat auch bei der Entwicklung des Studiendesigns beraten und eine Clinical Research Organization (CRO) beauftragt, eine statistische Interimsanalyse durchzuführen. Die Behandlung umfasste entweder 6 Sitzungen mit transkranieller Stimulation frontoparietaler Hirnregionen innerhalb von 2 Wochen oder eine Scheinstimulation. Nach einer 4-monatigen Washout-Periode wurde die jeweils andere Behandlung appliziert.
Primärer Endpunkt der Studie war der korrigierte Gesamtwert nach dem Consortium to Establish a Registry for Alzheimers Disease (CERAD), ein spezifisch für Alzheimer-Patient:innen validierter neurokognitiver Test.Der über 3 Monate nach der Stimulation nachbeobachtete primäre Endpunkt zeigte einen signifikanten Anstieg (Besserung des CERAD) über die Zeit. Es konnte bezogen auf die Gesamtpopulation aber keine signifikante Interaktion zwischen Sitzung (die verschiedenen Messzeitpunkte vor und nach Intervention) und Intervention (TPS vs. Scheinstimulation) gezeigt werden, sodass ein Wirksamkeitsnachweis von TPS für den primären Endpunkt deutlich verfehlt wurde.
Post-hoc-Analysen der Altersuntergruppen: Besserung nur bei Jüngeren
Die beiden Therapiegruppen (zuerst TPS, dann Scheinstimulation vs. zuerst Scheinstimulation, dann TPS) unterschieden sich signifikant im Alter. Die Gruppe, die zuerst TPS erhielt, war jünger. Das veranlasste die Autor:innen zu nicht geplanten Sekundäranalysen. Es zeigte sich eine signifikante Interaktion, wenn zusätzlich zu Sitzung und Intervention noch das Alter (< 70 Jahre vs. > 70 Jahre) als Variable eingeführt wurde. Spezifisch für die Gruppe der Patient:innen, die jünger als 70 Jahre waren, wurde eine signifikante Interaktion zwischen Zeit und Intervention gefunden, mit einer Verbesserung der kognitiven Leistung ausschließlich nach echter TPS, nicht nach Scheinstimulation. Dieser Effekt war in der Gruppe der Patient:innen, die älter als 70 Jahre waren, nicht nachweisbar. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die beobachteten Effekte allein durch Lerneffekte (bei in kurzen Intervallen wiederholter Testung des CERAD) erklären lassen, die bei der Gruppe < 70 Jahre stärker ausgeprägt waren als bei der Gruppe > 70 Jahre.
Zudem zeigt die Studie eine große Gruppe von „non-Respondern“ (d. h. die neurokognitive Leistung im CERAD wurde schlechter), insbesondere in der Gruppe, die zuerst die Scheinstimulation und dann TPS erhielt. Möglicherweise könnte TPS also jüngeren Menschen mit Alzheimer helfen, aber unspezifische Effekte sind nicht ausgeschlossen. Die Autor:innen resümieren selbst: „Based on our data and given the large interindividual variability, we suggest sample sizes exceeding 100 participants and longer follow-up periods to optimize future therapeutic research“ (1).
Kritik am Studiendesign: Dünne Studienlage und unklare Wirkung
Trotz interessanter Ergebnisse: Zahlreiche Kritiker, darunter die Selbsthilfeorganisation Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. und Forschende unterschiedlicher Universitäten, zweifeln an der Aussagekraft der Studien und an der (Langzeit-)Wirkung der neuen Therapie. Auch die DGKN sieht die neue Methode auf Basis der aktuellen Datenlage unverändert kritisch.
Prof. Ziemann fasst das Fazit und die Bewertung der DGKN wie folgt zusammen: „Sieht man sich die publizierten Studien im Detail an, so gibt es derzeit keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der neuen Methode. Für einen Wirksamkeitsnachweis der neuen Therapie sind mittels Scheinstimulation kontrollierte, randomisierte verblindete Studien mit höherer Patientenzahl, Parallelgruppendesign und längerer Nachbeobachtungszeit erforderlich. Die erste 2025 publizierte Studie (1) geht hierin den richtigen Weg, die Ergebnisse zeigen gute Verträglichkeit aber keinen Wirksamkeitsnachweis für den primären Studienendpunkt und Einschränkungen in der Beurteilbarkeit der durchgeführten Sekundäranalysen.“
Quelle:Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V.
Literatur:
- (1)
Matt et al. JAMA Netw Open 2025; 8(2):e2459170. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.59170