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Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten meist mit einer gestörten Darmbarriere assoziiert

von Martin Wiehl

Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten meist mit einer gestörten Darmbarriere assoziiert
© Sebastian Kaulitzki – stock.adobe.com
Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten äußern sich durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Beschwerdebildern, die oftmals als Reizdarmsyndrom zusammengefasst werden. Selbst eine vermeintlich genaue Phänotypisierung der Symptomatik erlaubt keine eindeutige Klassifizierung der dafür verantwortlichen Krankheitsprozesse. Das macht nicht nur die individuelle Ursachenforschung schwierig und langwierig, sondern auch die Suche nach einer Erfolg versprechenden Therapie. Allen Ausprägungen gemeinsam scheint jedoch eine gastrointestinale Barrierestörung als wesentlichem Pathomechanismus zugrundezuliegen. Durch die Stabilisierung der Darmbarriere im Rahmen eines multimodalen Therapieansatzes könnten sich neue Perspektiven für die Therapie ergeben.
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Darm als Immunorgan: erste Abwehr durch mechanische und antimikrobielle Barriere

Um die Pathogenese von Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten sowie die daraus abgeleiteten Möglichkeiten einer rationalen therapeutischen Intervention besser verstehen zu können, ist es lohnenswert, sich eingehender mit den besonderen Eigenschaften der Darmbarriere zu befassen. Das versprach Prof. Dr. Jürgen Stein vom Krankenhaus Sachsenhausen in Frankfurt am Main auf einer Veranstaltung des Ärzteverbands Deutscher Allergologen (AeDA). Dabei verwies er auf den Darm als Immunorgan mit mehrstufiger Barrierefunktion, angefangen bei erster, unspezifischer Abwehr von potentiell pathogenen Keimen bis hin zur differenzierten und spezialisierten Immunantwort auf potentiell bedrohliche Erreger – und auch auf Allergene, die im Grunde genommen überhaupt keine eigene pathogene Potenz besitzen. Dabei kommt nicht erst die Mukosabarriere als dichter Verbund epithelialer Zellen mit ihrer rein mechanischen Funktion in einer Dicke von 2 mm zum Einsatz. Vorgelagert ist eine biochemisch vermittelte Barriere, die durch aktive Substanzen gebildet wird. Diese werden von den epithelialen Zellen produziert und verstärken einerseits die rein mechanische Barrierefunktion durch Schleimbildung und haben andererseits eine unspezifische antimikrobielle Wirksamkeit. Diese als äußere Mukusschicht bezeichnete Schleimschicht bildet mit etwa 7 mm Dicke den größten Anteil der gesamten Darmbarriere, während die nahezu sterile innere Mukusschicht mit nur 1 mm den geringsten Anteil ausmacht. Darüber hinaus werden im Bereich der zellulären Barriere schließlich auch Zellen des innaten wie des adaptiven Immunsystems aktiviert, wodurch verschiedene Prozesse einer unspezifischen, aber auch spezifisch wirksamen Immunantwort ausgelöst werden. Diese Aktivierung des zellulären Immunsystems geht dann auch mit einer Ingangsetzung einer ganzen Kaskade proinflammatorischer Zytokine sowie ihrer antiinflammatorischen Gegenspieler im Rahmen eines komplexen, individuell mehr oder weniger gut kontrollierten (Auto)-Immungeschehens einher.

Dreiteilige Architektur der Darmbarriere mit jeweils besonderer Funktionalität

Zur genaueren Aufschlüsselung der mehrteiligen Architektur der gastrointestinalen Barriere wies Stein auf die jeweils besonderen Funktionen der drei Schichten hin. So konnten für die epitheliale Tight Junctions-Schicht mittlerweile neun Claudine identifiziert werden, die durch Schließen und Öffnen den kontrollierten Durchtritt von Wasser und Elektrolyten bis hin zu Makromolekülen ermöglichen. Eine weitere Aufgabe der Epithelzellen der Darmbarriere besteht laut Stein in der Sekretion von Muzinen für die darüberliegende schützende Schleimschicht sowie in der Sezernierung antibakterieller Proteine, der sogenannten Defensine. Diese finden in beiden, funktionell unterschiedlichen Mukusschichten Anwendung. Während die innere, dünnere Schicht nahezu steril ist und praktisch keine Keime durchlässt, bietet die äußere, bis zu 7 mm dicke Schleimschicht insbesondere auch durch verschiedenartige Defensine und weitere antibakterielle Peptide sowie durch alkalische Phosphatase aus Epithelzellen eine erste unspezifische Abwehr gegen potentiell pathogene Keime und Allergene.

Epidemiologisch auffällige Zunahme von intestinalen (Auto-) Immunerkrankungen

Vor diesem Hintergrund des physiologischen Aufbaus der gastrointestinalen Schleimhautbarriere konnte Stein einen Erklärungsansatz für die offensichtliche Zunahme von intestinalen (Auto-)Immunerkrankungen liefern. Dazu zählte er nicht nur chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED), sondern auch Nahrungsmittelintoleranzen und eben auch Nahrungsmittelallergien, die in ihrer derzeitigen Häufung sicherlich nicht allein auf die Genetik zurückzuführen seien. Epidemiologisch auffällig sei vielmehr der Anstieg dieser immunvermittelten intestinalen Probleme seit der industriellen Revolution in der Mitte des 19. Jahrhunderts sowie in allen anderen Ländern und im Speziellen auch in den Entwicklungsländern weltweit direkt nach Übernahme des sogenannten westlichen Lebensstils.
 
 
 

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Zerstörte Mukusschichten durch Lebensmittelzusatzstoffe begünstigen Allergenkontakte

So führen exogene Noxen, insbesondere als Zusatzstoffe in hochverarbeiteten Lebensmitteln, tendenziell zu einer Zerstörung beider Mukusschichten und damit zu einer pathologisch erhöhten Darmpermeabilität. Dies führt zu einer verstärkten Konfrontation mit Allergenen und mündt schließlich in einen Teufelskreis aus weiterer Sensibilisierung und erhöhter Antigenexposition. Insgesamt gibt es etwa 500 dieser Substanzen, die in Europa offiziell als unbedenklich eingestuft und deshalb unbeschränkt als Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen sind, berichtete Stein. Obwohl diesen Substanzen keine toxische Wirkung zugeschrieben werden kann, ist es wissenschaftlich unbestritten, dass eine ganze Reihe von ihnen problematisch sind. Da sie nicht mit den zugeführten Nährstoffen resorbiert werden, sondern den Darmtrakt durchwandern können sie die Mukusschichten schädigen. Dies führt zu einem direkten, ungeschützten Kontakt der Mikrobiota und einer Vielzahl potentieller Allergene mit der Epithelschicht, was letztlich eine Störung der gesamten Barrierefunktion begünstigt. Als klassischen Vertreter solcher Zusatzstoffe nannte Stein die Carboxymethylcellulose, die unter der EU-Deklarationsnummer E466 in der Lebensmittelindustrie häufig eingesetzt wird. Die unter die Kategorie der Füllstoffe fallende Substanz wird unter anderem zur Herstellung von Speiseeis verwendet, um der Kristallbildung entgegenzuwirken und eine angenehme Empfindung im Mund hervorzurufen. Allein von diesem Zusatzstoff nehme ein durchschnittlicher Europäer jährlich akkumuliert etwa 250 g zu sich. Und beim Polysorbat 80 (E433), welches als Emulgator und Stabilisator eingesetzt wird, sei es sogar ein ganzes Kilogramm pro Jahr.

Systematische Einordnung der Symptome bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergien

Um die Symptome einer Nahrungsmittelunverträglichkeit einzuordnen scheint es zunächst sinnvoll festzustellen, ob klinisch sichtbare Reaktionen auf vermutete Nahrungsmittelallergene durch Immunglobulin E (IgE) ausgelöst werden oder nicht. Das betonte Prof. Dr. Ludger Klimek, Wiesbaden. Dies würde zumindest die Unterscheidung erlauben, ob es sich um eine generelle IgE vermittelte Sensibilisierung handelt (Atopie) oder aber um eine lokal begrenzte Unverträglichkeit (Entopie), erläuterte Prof. Dr. Martin Raithel, Erlangen. Das klinische Erscheinungsbild allein ist jedoch nicht aussagekräftig. Denn auch bei Patienten mit Blähungen lässt sich ein lokal erhöhtes IgE im Darm nachweisen. Umgekehrt kann bei Patienten mit generalisierter Hautsymptomatik eine Histaminintoleranz vorliegen, die ansonsten eher auf ein lokal begrenztes Geschehen hindeutet. Als wesentlich für beide Phänotypen charakterisierte der Experte allerdings, dass stets ein gestörtes Mikrobiom im Darm sowie pathologische Barriereveränderungen aufzufinden sind.

Barrierestörung kann in Bürstensaumschädigung und Histaminose münden

Während initial häufig ein enger zeitlicher Zusammenhang allergischer Symptomatik mit der Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel auffällt, gerät eine solche Verbindung im weiteren Verlauf zusehends aus dem Blickfeld. Das ist nach den Ausführungen von Raithel darauf zurückzuführen, dass sich eine fortgeschrittene Barrierestörung als Bürstensaumschädigung geltend machen kann. Der damit einhergehende Verlust an Diaminoxidase (DAO) äußert sich schließlich als Histaminempfindlichkeit- bzw. -intoleranz, da Histamin nicht mehr in physiologisch hinreichendem Maße abgebaut werden kann. Therapieoptionen bei Histaminintoleranz umfassen neben Ernährungsumstellungen die Substitution von DAO und die Gabe von Antihistaminika. Auch hochdosiertes Vitamnin C kann den Histaminspiegel weitgehend nebenwirkungsfrei senken. In der Naturheilkunde wird zudem häufig Heilerde eingesetzt, welche das Histamin im Darm binden kann. Dieser Aspekt wird derzeit genauer in einer prospektiven Studie untersucht.
Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.

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