Montag, 23. Dezember 2024
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Gesundheitspolitik

Lauterbach: „Explosionsartiger“ Anstieg bei Pflegebedürftigen

Lauterbach: „Explosionsartiger“ Anstieg bei Pflegebedürftigen
© Robert Kneschke - stock.adobe.com
Trotz eines massiven Anstiegs bei den Pflegebedürftigen sieht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) keine Chance mehr auf eine Pflegereform in dieser Wahlperiode. „Demografisch bedingt wäre 2023 nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen zu rechnen gewesen. Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360 000“, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau.“ In der Pflegeversicherung gebe es „ein akutes Problem“.
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Zeitnahe Finanzreform in der Pflege unrealistisch

Eine umfassende Finanzreform in der Pflege werde in dieser Legislaturperiode trotz steigender Notwendigkeit wahrscheinlich nicht mehr zu schaffen sein, so Lauterbach weiter. Eine interministerielle Arbeitsgruppe zu dem Thema soll laut Gesundheitsministerium Ende Mai ihre Beratungen beenden. Sie werde aber „wohl kaum zu einer einheitlichen Empfehlung“ kommen, räumte der Minister bereits ein. „Dafür sind die Ansichten der verschiedenen Ministerien beziehungsweise der Koalitionspartner zu unterschiedlich.“ Lösungs­möglichkeiten würden nebeneinander­gestellt werden – und dienten als Grundlage für eine große Reform in der nächsten Wahlperiode. „Dann muss sie aber auch kommen.“

Anzahl der Pflegebedürftigen steigt

Der Spitzenverband der Krankenkassen erläuterte, seit 2017 steige die Anzahl der Pflegebedürftigen jedes Jahr im Durchschnitt um rund 326.000. Damals wurden Menschen mit Demenz in neuen Pflegegraden in die Versicherung aufgenommen. „In dem jährlichen Anstieg enthalten ist jeweils ein Zuwachs um durchschnittlich 50.000 Pflegebedürftige, der sich direkt aus der demografischen Entwicklung ableiten lässt“, so der GKV-Verband weiter. 2023 aber habe es einen überdurchschnittlichen Zuwachs um 361.000 Pflegebedürftige gegeben.

Lauterbach: „In den letzten Jahren ist die Zahl der Pflege­bedürftigen geradezu explosionsartig gestiegen.“ Er gehe von einem Sandwicheffekt aus. „Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen kommen die ersten Babyboomer, die nun ebenfalls pflegebedürftig werden. Es gibt also erstmals zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen sind: die Babyboomer und deren Eltern.“ Eine Sprecherin Lauterbachs sagte: „Wir untersuchen die Ursachen.“

Leistungsniveau nicht zu halten

Laut bisherigen Prognosen aus der Wissenschaft erhöht sich die Zahl der Pflegebedürftigen binnen 15 Jahren von heute rund fünf auf sechs Millionen. Regional dürfte der Anstieg von Pflegebedürftigen sehr unterschiedlich ausfallen, besonders stark aufgrund der Demografie etwa in Bayern und Baden-Württemberg. Zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte werden laut Statistischem Bundesamt bis 2049 nach Vorausberechnung vom Februar bundesweit fehlen.

Das Leistungsniveau der Pflegeversicherung kann nach Einschätzung von Lauterbach mit dem jetzigen Beitragssystem allein nicht erhalten werden, wie er deutlich machte.  Die Koalition hatte zum vergangenen Juli eine Beitragserhöhung für Kinderlose auf 4% und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4% beschlossen. Die Betriebskrankenkassen schlugen Anfang Mai mit Hochrechnungen Alarm, nach denen für dieses Jahr ein Defizit der Pflegeversicherung von einer Milliarde Euro und für 2025 von 4,4 Milliarden droht.

Die Sozialvorständin der Diakonie Deutschland, Maria Loheide, hatte zum Tag der Pflegenden im Mai gemahnt: „Wenn das Geld der Pflegeversicherung nicht mehr ausreicht, ist die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen gefährdet.“ Heute schon ignorierten Krankenkassen, aber auch Kommunen oft wegen Tarifsteigerungen in die Höhe gehende Personalkosten, sagte Loheide der Deutschen Presse-Agentur.

Union: Bankrotterklärung Lauterbachs

Die Union im Bundestag kritisierte es als Bankrotterklärung, dass Lauterbach keine mittelfristige Chance mehr für eine Reform sieht. „Das ist für die Ampel ein Scheitern mit Ansage“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU). „Wenn die Koalitionäre keine Lösungen mehr finden, weil ihre Ansichten zu weit auseinander liegen, dann sollten sie den Gestaltungsanspruch im Gesundheitsbereich aufgeben.“

Bayerns CSU-Fraktionschef und Ex-Gesundheitsminister Klaus Holetschek sagte: „Die geplante große Pflegeform in der nächsten Wahlperiode kommt viel zu spät.“ Holetschek forderte eine Lohnersatzleistung wie beim Elterngeld für pflegende Angehörige.

Die Angehörigen gelten seit Langem als „der größte Pflegedienst Deutschlands“. Doch viele Familien seien seelisch, körperlich und finanziell am Ende, mahnte vor wenigen Tagen die Deutsche Stiftung Patientenschutz. „Damit die Bundesregierung unmittelbar helfen kann, muss das Pflegegeld sofort und pauschal um 300 Euro erhöht werden“, forderte Vorstand Eugen Brysch.
 

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Pflegepersonal fehlt

Laut einer Befragung des Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege vom Februar müssen vier von fünf Pflegeeinrichtungen ihr Angebot einschränken, weil Personal fehlt. Neun von zehn ambulanten Dienste lehnten 2023 Neukunden ab. Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg führt Pflegekräfte an der bundesweit ersten Position unter allen Berufsgruppen mit einem Engpass. Knapp 1,7 Millionen Pflegekräfte in der Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflege waren 2023 in regulären Jobs beschäftigt – 10.000 Beschäftigte mehr als im Vorjahr. 82% aller Pflegekräfte sind Frauen. Von diesen 1,39 Millionen Frauen arbeitet etwas mehr als jede zweite in Teilzeit.

Die Pflege im Heim wird unterdessen immer teurer. Die Zuzahlungen für Pflegebedürftige sind trotz Entlastungszuschlägen zuletzt weiter gestiegen. Zum 1. Januar waren im ersten Jahr im Heim im bundesweiten Schnitt 2.576 Euro pro Monat aus eigener Tasche fällig – 165 Euro mehr als Anfang 2023.

Lauterbach hatte bereits bisher deutlich gemacht, dass er die reine Beitragsfinanzierung der Pflegeversicherung vor dem möglichen Ende sieht. Langfristig komme man um Steuermittel hierfür nicht herum, sagte er im April auf der Altenpflegemesse in Essen.

Quelle: dpa


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