Mängel in den Vorschlägen zur Überarbeitung der EU-Luftqualitätsrichtlinie
Derzeit wird die EU-Luftqualitätsrichtlinie überarbeitet, die auch Grenzwerte für Deutschland festlegt. Die kürzlich veröffentlichten Vorschläge der EU-Kommission zur Revision der Grenzwerte werden auf europäischer und nationaler Ebene kontrovers diskutiert, da sie die Feinstaubempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation nur unzureichend umsetzen und zu viele Schlupflöcher zur Einhaltung der Grenzwerte lassen. Die deutsche Ärzteschaft und das Gesundheitswesen sehen dringenden Handlungsbedarf, um die Krankheitslast durch Feinstaub zu reduzieren.
Ärzt:innen müssen bei gesundheitsschädigenden Umweltrisiken aufklären
Laut Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, ist die Feinstaubbelastung ein großes Risiko, das von den Menschen wenig gespürt wird, da es weder gerochen noch gesehen werden kann. Dadurch wird der Zusammenhang zu Gesundheitsrisiken durch Feinstaub nicht oder nur sehr wenig wahrgenommen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sich Ärzt:innen und die BÄK mit gesundheitsschädigenden Umweltrisiken befassen. „Aufgabe von Ärzt:innen ist es nicht nur sich mit der individuellen Gesundheit des Einzelnen zu beschäftigen sondern eben auch mit den Lebensumständen und den Bedingungen, die es Menschen möglich machen gesund zu leben, auf ihre Gesundheit zu achten und den Gesundheitserhalt sicherzustellen.“ Notwendige Veränderungen können nur stattfinden, wenn die Menschen die Notwendigkeit ihr Verhalten zu ändern, erkennen. Diese Veränderungen müssen aber nicht zwingend mit Einbußen der Lebensqualität zusammenhängen.
EU-Feinstaub-Grenzwerte deutlich unter den WHO-Empfehlungen
Prof. Dr. Barbara Hoffmann MPH von der Universität Düsseldorf erläuterte die wissenschaftlichen Grundlagen. Feinstaub kann durch die Lungen ins Blut eintreten, was oxidativen Stress und Entzündungsreaktionen hervorruft. Dies kann Auswirkungen auf alle Organe haben. Die wichtigsten Gesundheitseffekte von Luftverschmutzung beinhalten
chronische Lungenerkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen sowie
Diabetes und haben auch Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung und
Demenz, sowie auf die Gesundheit Ungeborener. In diesem Zusammenhang ging die Expertin auf die Luftqualitätsleitlinien der WHO aus dem Jahr 2021 ein. Dabei werden nur Schadstoffe aufgeführt, bei denen ein ursächlicher Zusammenhang mit Krankheiten zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Die Richtwerte der WHO sind keine Schwellenwerte, sondern Konzentration oberhalb derer schwerwiegende Gesundheitseffekte mit großer Sicherheit nachzuweisen sind. Hierbei zeigt sich eine Diskrepanz zwischen den WHO-Empfehlungen für Feinstaub (PM
2,5: 5µg/m
3) und NO
2 (10µg/m
3) und den tatsächlichen EU-Grenzwerten (PM
2,5: 25µg/m
3 bzw. 40µg/m
3). Deutschland liegt dabei bei der Feinstaubbelastung (12µg/m
3) unter dem europäischen Mittelwert, ist jedoch beim Ausstoß von NO
2 ein starker Faktor in Europa. Bezogen auf die Sterblichkeit konnte in aktuellen Studien zweifelsfrei ein direkter Zusammenhang zu Feinstaub und NO
2 nachgewiesen werden (1). Hoffmann bekräftigte abschließend, dass Veränderungen in allen 4 für die Feinstaubbelastung verantwortlichen Sektoren Straßenverkehr, Industrie, Landwirtschaft, und Heizen durchgeführt werden müssen, da die Größe der Auswirkungen für die Gesundheit der Menschen und auch für das Klima und die Umwelt inakzeptabel sind.
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Gesundheitsorganisationen fordern eine Angleichung an die WHO-Empfehlungen
Anne Stauffer, Stellvertretende Geschäftsführerin von HEAL betonte, dass ein Update der EU-Grenzwerte dringend notwendig sei, da durch die gültigen Werte, die seit 2008 in Kraft sind, die Gesundheit der Bevölkerung nur unzureichend geschützt ist. Ende Oktober 2022 hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Überarbeitung der EU-Luftqualitätsrichtlinie vorgelegt, welches vom EU-Parlament und den Umweltminister:innen beraten wird und auch die Grenzwerte im Deutschland regelt. Für Deutschland ist es dabei wichtig eine Vorreiterrolle für die Überarbeitung der Grenzwerte einzunehmen. „Saubere Luft ist eine Frage des politischen Willens. Und wir brauchen einen stärkeren politischen Willen von der Bundesregierung aber auch von den anderen EU-Mitgliedsstaaten, um unsere Gesundheit vor diesem größten umweltbedingten Risiko zu schützen.“ Die Forderungen der Gesundheitsorganisationen sind dabei eine Überarbeitung des Gesetzes für einen schnellen und langfristigen Schutz, eine vollständige Angleichung der rechtlich verbindlichen Grenzwerte an die von der WHO empfohlenen Grenzwerte und bis jetzt noch nicht vorhandene rechtlich bindende Grenzwerte für Ozon. Außerdem wird gefordert, dass Schlupflöcher im Gesetzesvorschlag, wie z.B. die Möglichkeit Tagesgrenzwerte zu überschreiten, geschlossen werden und dass die Nicht-Einhaltung der Grenzwerte stärker sanktioniert wird. Auch Informationspflichten für besonders sensible Gruppen, wie
Asthma-Patient:innen und ältere Menschen, müssen verbessert werden.
Hohe Feinstaubbelastungen auch durch die Holzverbrennung
Dr. Anja Behrens, Sprecherin der AG Saubere Luft, KLUG, ging auf die Auswirkung durch die Holzverbrennung auf die Feinstaubbelastung ein. Diese unterschätzte Quelle für Feinstaub und CO
2 nimmt seit Jahren zu und macht laut neuesten Zahlen des Umwelt-Bundesamtes insgesamt 19% der Feinstaubbelastung in Deutschland aus. Die Hauptquelle für diese Umweltbelastungen sind hierbei private Kamine und Pelletheizungen. Die Bundesförderung für effiziente Gebäude sieht vor, dass 65% der Heizungen erneuerbar werden sollen. Die Expert:innen von KLUG befürchten deshalb, dass dadurch noch sehr viel mehr Holzheizungen eingebaut werden, was zu weiteren Umweltbelastungen und Gesundheitsschädigungen führen wird. Die neuesten Bestimmungen für Holzheizungen senken die Emissionen zwar, sind aber immer noch auf dem Niveau von Öl-Heizungen. Neben Feinstaub und CO
2 geht bei der Holzverbrennung außerdem eine besondere Gefahr von den krebserregenden, polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs) aus, wobei 90% der PAK-Belastungen aus Kaminen und Öfen stammen. Zusätzlich entstehen Methan, Lachgas und Ruß, die alle einen Anteil an der globalen Klimaerwärmung tragen, wobei Ruß ebenfalls gesundheitsschädigend ist. Die toxische Mischung aus den Holzöfen verglich Behrens mit der Schädigung durch
Passivrauchen. Wegen diesen schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit und die Umwelt forderte Behrens abschließend, dass die Holzverbrennung im Rahmen der Überarbeitung der Luftqualitätsrichtlinie nicht als CO
2-neutral eingestuft werden sollte.
Quelle: Pressegespräch „Feinstaub: die unterschätzte Gesundheitsgefahr“, 23.2.23, Berlin; Veranstalter: Bundesärztekammer (BÄK)