Depression: Behandlung erfolgt erst bei klinischen Symptomen
Antriebsschwäche, Schlafschwierigkeiten, Interessenverlust und anhaltende Traurigkeit sind typische Merkmale einer Depression. Diese und andere Symptome treten mitunter schon in geringerem Maße auf, bevor Ärzt:innen von einer depressiven Störung sprechen würden. „In der Regel werden Betroffene erst dann behandelt, wenn ihre Symptome die klinischen Kriterien für eine Depression erfüllen“, sagt David Ebert, Professor für Psychology und Digital Mental Health Care an der Technischen Universität München (TUM).
Können frühe therapeutische Interventionen Depressionen verhindern?
„Es gibt aber mittlerweile ein Umdenken. Wir haben die existierenden wissenschaftlichen Studien zum Thema untersucht, um herauszufinden, ob Hilfsangebote, die früher ansetzen, eine depressive Störung verhindern können.“ Zu diesem Zweck hat das Forschungsteam mehr als 1.000 internationale Studien gesichtet. „Für unsere Metastudie haben wir erstmals die anonymisierten Daten zu individuellen Patientinnen und Patienten aus 30 dieser Studien zusammengeführt und analysiert“, sagt Claudia Buntrock, Juniorprofessorin am Institut für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Die Untersuchung ist im Fachmagazin „The Lancet Psychiatry“ erschienen (1).
Risiko einer Depression um 42% reduziert
In die Metastudie flossen Daten von jeweils rund 3.600 Personen in eine Behandlungs- und Kontrollgruppe ein. Die Menschen in der Behandlungsgruppe nahmen wegen subklinischer Symptome einer depressiven Störung an therapeutischen Interventionen teil. Diese Maßnahmen waren in der Regel auf einen kurzen Zeitraum angelegt – zwischen 6 und 12 Sitzungen – und konnten persönlich oder digital stattfinden. Die Interventionen beinhalteten zum Beispiel verhaltenstherapeutische Elemente, Problemlösungstraining oder Übungen für einen erholsameren Schlaf. Die Ergebnisse der Metastudie sind eindeutig: In den ersten 12 Monaten waren die Symptome der Teilnehmenden oft verringert. Das Risiko, an einer depressiven Störung zu erkranken war in den ersten 6 Monaten nach Ende der Intervention im Vergleich zur Kontrollgruppe um 42% verringert. Nach 12 Monaten waren es noch 33%. Aussagen über längere Zeiträume sind den Forschenden zufolge aufgrund fehlender Daten schwierig.
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Erfolg unabhängig von Faktoren wie Bildung und Geschlecht
„Bemerkenswert war, dass die Wirksamkeit der Maßnahmen nicht von Faktoren wie Alter, Bildungstand und Geschlecht abhängig zu sein scheint”, sagt Claudia Buntrock. Dagegen waren die Interventionen generell erfolgreicher, wenn die teilnehmenden Personen bislang noch nicht wegen Depressionen behandelt wurden.
Bedeutung der Prävention von Depressionen stärken
„Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass wir auch bei der psychischen Gesundheit durch Prävention viel erreichen können“, sagt David Ebert. Zwar sei aktuell vielerorts die Nachfrage nach Therapieplätzen viel größer als das Angebot. Dadurch könnten solche präventiven Konzepte auf den ersten Blick nicht umsetzbar scheinen. Digitale Angebote bieten hier aus Sicht der Forschenden vielversprechende Ansätze. Nicht zuletzt lasse sich durch Prävention verhindern, dass Betroffenen mit leichteren Symptomen überhaupt an Depressionen erkranken. Den Autor:innen zufolge sollten deshalb Präventionsmaßnahmen in die Betreuung von Betroffenen integriert werden. Insbesondere müsse durch weitere Studien herausgefunden werden, ab welchem Ausmaß der depressiven Symptome Präventionsmaßnahmen sinnvoll sind.
(1) Buntrock C. et al. (2024) Psychological interventions to prevent the onset of major depression in adults: a systematic review and individual participant data meta-analysis, The Lancet Psychiatry, DOI: 10.1016/S2215-0366(24)00316-X.