Therapie mit Antisense-RNA senkt Anfallslast bei schwerer frühkindlicher Epilepsie
Ein Kind kommt im LMU Klinikum Großhadern zu früh auf die Welt und leidet fast ununterbrochen an epileptischen Anfällen. Das Mädchen hat eine ultraseltene Erkrankung: eine frühe und schwerste Epilepsie mit einer sogenannten Natriumkanalmutation, eine „SCN2A-assoziierte Entwicklungs- und epileptische Enzephalopathie“ (SCN2A-DEE). Alle herkömmlichen, anfallsunterbrechenden Therapien bleiben erfolglos. Dann wagt ein Team des Dr. von Haunerschen Kinderspitals zusammen mit der Neonatologie und dem pädiatrischen Epilepsiezentrum am LMU Klinikum sowie dem TUM Klinikum einen neuen Behandlungsansatz. Die Therapie führt zunächst zu einer Unterbrechung der epileptischen Anfallsserie und schließlich zu einer deutlichen Reduktion der Anfallsfrequenz (1).
SCN2A-Mutation: Ursache früher epileptischer Anfälle im Säuglingsalter
Entwicklungsstörungen und Epilepsien des Kindesalters sind häufig genetisch bedingt. Die SCN2A-DEE wird durch Mutationen im SCN2A-Gen verursacht. Dieses Gen führt zur Produktion eines speziellen Proteins: ein Natriumkanal, der eine entscheidende Rolle bei der Funktion von Nervenzellen spielt. Veränderungen in diesem Gen führen zu einem fehlerhaften Protein und zu einer gestörten Signalübertragung im Gehirn. Die Folge: sehr frühe epileptische Anfälle mit Beginn vor dem 3. Lebensmonat und schwere Entwicklungsstörungen.
Im Falle des betroffenen Kindes aus München wurde der genetische Defekt bereits im Mutterleib diagnostiziert. Der Wert solcher genetischen Testungen ist mit dem Einzug neuer Präzisionstherapien erheblich gestiegen, da im besten Fall auf der Grundlage einer spezifischen Diagnose ein innovatives personalisiertes Therapiekonzept erarbeitet werden kann. Die Neuropädiatrie - also das Fachgebiet, das sich mit neurologischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt - ist hier Vorreiter-Disziplin, auch wenn diese Therapien bisher nur für wenige Diagnosen zur Verfügung stehen und noch viele wissenschaftliche, technische, ethische und versorgungsspezifische Fragen offenbleiben.
Gezielte Therapie mit Antisense-Oligonukleotiden senkt Anfallshäufigkeit um mehr als 60 %
In Kontext von Präzisionstherapien spielen die Antisense-Oligonukleotide (ASOs) eine besondere Rolle. Das sind kleine Nukleinsäure-Fragmente, die RNA binden, zellbiologisch modulierend eingreifen können und als besondere Hoffnungsträger der Präzisionsmedizin gelten. Sie können beispielsweise die Produktion krankheitsfördernder Proteine hemmen. Das in der neuen Studie verwendete ASO ‚Elsunersen‘ zielt auf die mRNA des SCN2A-Gens ab und führt zu dessen Abbau. So kann kein fehlerhaftes Protein hergestellt werden, welches die Krankheitssymptome verursacht.
Die Ärzte spritzten dem Mädchen das Elsunersen direkt in den Rückenmarkskanal. Parallel erfolgte eine konventionelle Therapie. Ergebnis: eine Durchbrechung der permanent bestehenden Anfälle sowie im Verlauf die Reduktion der Anfallshäufigkeit um mehr als 60% auf 5 bis 7 Anfälle pro Stunde, die bis zum Alter von 22 Monaten anhielt und eine klinische Versorgungsstabilität ermöglicht. Gleichwohl blieben die gravierenden neurologischen Entwicklungsstörungen, möglicherweise aufgrund der schon langen Zeit mit der Erkrankung im Mutterleib. Was die Sicherheit der Behandlung betrifft, zeigten sich keine schwerwiegenden Nebenwirkungen über einen Zeitraum von 20 Monaten Therapie mit 19 Verabreichungen.
Präzisionstherapien werden in der Medizin an Bedeutung gewinnen
„Die Studie unterstreicht das Potenzial von ASO-Therapien für genetische Erkrankungen“, sagt Dr. Matias Wagner, Gruppenleiter für Nukleinsäuretherapien im Institut für Humangenetik am TUM Klinikum und während der Studienphase auch am LMU Klinikum tätig: „In Zukunft wird es einerseits den Einsatz von zugelassenen Medikamenten für Präzisionstherapien geben bzw. werden wir diese im Rahmen von klinischen Studien am Zentrum hinsichtlich ihrer Wirksamkeit erproben. Andererseits gibt es Patient:innen, für die noch keine derartige Therapieoption zur Verfügung steht. Für diese möchten wir wirksame ASO-Therapien entwickeln.“
Quelle:LMU Klinikum München
Literatur:
- (1)
Wagner M et al. Nat Med (2025). doi: https://doi.org/10.1038/s41591-025-03656-0