Totgeburtenrate sinkt in Europa, jedoch nicht in Deutschland
Die Totgeburtenrate in Europa hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich verbessert, allerdings mit einigen Ausnahmen. In Deutschland und Belgien ist die Totgeburtenrate seit 2010 deutlich angestiegen, während sie in anderen europäischen Ländern weiter gesunken oder stabil geblieben ist. Wissenschaftler:innen haben untersucht, wie das steigende Alter der Mütter und Veränderungen von Mehrlingsgeburten diese Trends und Unterschiede in Europa beeinflusst haben könnten. Die Analysen zeigen, dass die untersuchten Faktoren nur einen kleinen Teil erklären.
Totgeburtenrate sinkt in den meisten europäischen Ländern
Ähnlich wie die Lebenserwartung hat sich auch die Totgeburtenrate in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich verbessert. In Europa ist die Entwicklung der Totgeburtenrate jedoch uneinheitlich. In den meisten europäischen Ländern sinkt die Rate kontinuierlich auf weniger als 3 Totgeburten pro 1.000 Geburten. In einigen Ländern stagniert die Rate jedoch oder steigt wieder an. Zudem gibt es zwischen den Ländern deutliche Unterschiede. Wissenschaftler:innen des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock haben gemeinsam mit Forschenden des University Medical Center Rotterdam, der University of Iceland und des National University Hospital of Iceland in einer aktuellen Studie mögliche Ursachen für die Veränderungen analysiert.
Entwicklung der Totgeburtenrate zwischen 2010 und 2021
„Wir haben zunächst untersucht, wie unterschiedlich sich die Totgeburtenraten in Europa zwischen 2010 und 2021 entwickelt haben. Uns hat die Frage beschäftigt, ob der jüngste Anstieg der Totgeburtenraten nur in Deutschland zu beobachten ist“, erklärt Maxi Kniffka, Wissenschaftlerin am MPIDR. „Dann haben wir uns angesehen, wie das steigende Alter der werdenden Mütter und die Veränderung des Anteils von Mehrlingsgeburten Ursachen für verschiedene Trends und Unterschiede zwischen den Ländern erklären könnten. Denn beide Faktoren gehören zu den wohl populärsten Begründungen für die Veränderungen der Raten.“ Für die Studie nutzten die Forschenden Daten des Euro-Peristat-Netzwerks, das 1999 im Rahmen des EU Health Monitoring Programm eingerichtet wurde. „Wir haben Zeitreihen von Totgeburten nach Alter der Mutter und von Mehrlingsgeburten verwendet. Dieser Datensatz wurde länderübergreifend auf eine weitgehend einheitlichen Definition von Totgeburten abgestimmt, so dass Verzerrungen bei Vergleichen zwischen den Ländern reduziert werden konnten“, sagt Kniffka
Deutschland und Belgien mit auffällig steigenden Totgeburtenraten
Die Analysen zeigen, dass die Totgeburtenraten in Europa mehrheitlich weiter rückläufig oder auf niedrigem Niveau stabil sind. Ausnahmen in Europa sind Deutschland und Belgien, die beide seit mindestens 2010 einen stabilen und deutlichen Aufwärtstrend bei den Totgeburten aufweisen: In Deutschland ist die Zahl der Totgeburten pro 1.000 Geburten von 2,8 im Jahr 2010 auf 3,7 im Jahr 2021 gestiegen. In Belgien stieg die Rate im gleichen Zeitraum von 4.6 auf 5.6“, so Kniffka. In Ländern wie Spanien und Dänemark hingegen sank sie von 3.1 auf 2.7 (Spanien) bzw. 3.1 auf 2.9 (Dänemark), während sie unter anderem in Österreich und Italien stagnierte.
Rückgang von Mehrlingsgeburten und höheres Alter von Müttern
Die Forschenden kommen zu dem Ergebnis, dass das steigende Alter der Mütter und Veränderungen des Anteils von Mehrlingsgeburten nur einen kleinen Teil der beobachteten Trends bei den Totgeburten erklären. „Generell ist das Alter der Mütter bei der Geburt gestiegen. Diese Zunahme von Schwangerschaften in höherem Alter, die mit einem höheren Risiko für Totgeburten verbunden sind, trägt zu einem Anstieg oder einer Abschwächung des Rückgangs der nationalen Totgeburtenraten bei. Gleichzeitig ist der Anteil der Mehrlingsgeburten in den meisten untersuchten Ländern zurückgegangen. Da diese Schwangerschaften ebenfalls mit einem höheren Risiko für Totgeburten verbunden sind, hat dieser Rückgang in den meisten Ländern zu einer Verringerung der Totgeburtenraten beigetragen“, erklärt Kniffka. Auch in Deutschland ist der Anteil der Mehrlingsgeburten leicht gesunken, was dem Anstieg der Rate entgegenwirkt.
Das Alter der Mütter und die Zahl der Mehrlingsgeburten haben nur eine geringe Erklärungskraft für die Unterschiede in den Raten zwischen den Ländern, da sich die Länder bei diesen Faktoren zunehmend angleichen. Hinzu kommt, dass das Risiko einer Totgeburt im höheren Alter der Mütter zwischen 2010 und 2021 in den untersuchten Ländern abgenommen hat. „So hat beispielsweise Deutschland im Jahr 2021 eine höhere Totgeburtenrate als der Durchschnitt aller untersuchten Länder. Unterschiede im Alter der Mütter oder eine höhere Zahl von Mehrlingsschwangerschaften spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle.“
Weitere Forschung zu den Ursachen des Anstiegs notwendig
Eine Erklärung für die Entwicklung der Totgeburtenrate in den meisten europäischen Ländern und insbesondere in Deutschland haben die Forschenden in dieser Studie noch nicht. Zumindest für Belgien könnte es aber auch an einer Veränderung der späten Schwangerschaftsabbrüche liegen, da diese in Belgien nicht aus den Totgeburtenzahlen herausgerechnet werden konnten. Es gibt eine Vielzahl möglicher Ursachen, die zu einem Anstieg der Totgeburtenrate führen könnten. Aufgrund der geringen Datenverfügbarkeit wurden zunächst nur zwei Determinanten untersucht. Die eigentlichen Ursachen sollen jedoch Gegenstand zukünftiger Forschungsprojekte sein. „Denn Totgeburtenraten sind ein Qualitätsmerkmal für das Gesundheitssystem eines Landes. Wenn die Raten nicht mehr sinken oder sogar steigen, wie in Deutschland, muss dies zu weiteren Untersuchungen der Ursachen führen“, so Maxi Kniffka.
Quelle:Max-Planck-Institut für demografische Forschung