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Hämatologie
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Was ist Polycythaemia vera? Was sind die Symptome?

Die Polycythaemia vera zählt zu den myeloproliferativen Neoplasie (MPN). Bei diesem Krankheitsbild vermehren sich Erythrozyten (rote Blutzellen), Thrombozyten (Blutplättchen) und Leukozyten (weiße Blutzellen) ungehindert und sammeln sich an. Die Ursache liegt in einer im Leben erworbenen Mutation in einem Signalmolekül (JAK2) einer hämatopoetischen Stammzelle im Knochenmark, die Ausgangszelle der Blutzellen ist. Zu den vielfältigen Symptomen zählen Durchblutungsstörungen (Mikrozirkulationsstörungen), Sehstörungen, Müdigkeit, Schwindel, Missempfindungen (Parästhesien), Hautrötung, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Juckreiz u.a. (1, 2).

Wie wird eine PV festgestellt?

Die Mehrzahl der Erkrankungen wird im Alter zwischen 60 und 65 Jahren entdeckt, häufig durch einen ersten Hinweis in einer routinemäßigen Blutuntersuchung. Neben erhöhtem Hb-Wert (Männer > 16,5 g/dl; Frauen > 16 g/dl) und/oder erhöhtem Hämatokrit (Hkt, Blutvolumen, Männer > 49%, Frauen > 48%) sind speziell Erythrozyten, Thrombozyten und Leukozyten vermehrt. Zur Erstdiagnose ist häufig auch eine Knochenmarksbiopsie mit histologischer Untersuchung erforderlich (1, 2). Darüber hinaus können Störungen im Eisenhaushalt oder ein veränderter Spiegel des blutbildenden Hormons Erythropoetin (EPO) als Hinweise dienen. Im Verlauf der Erkrankung vergrößert sich die Milz (Splenomegalie), weil sich die überschüssigen Blutzellen dort ansammeln, anstatt abgebaut zu werden, und es kann zur Ansammlung von Harnsäure mit nachfolgenden Gelenkentzündungen, Gicht oder Nierensteinen kommen.

Allerdings ist die Diagnose nicht immer einfach. So können starke akute oder chronische Blutungen oder besonders kleine Blutzellen (Mikrozytose) die Zellvermehrung maskieren und die Diagnose erschweren (1, 2).

Was sind Ursache und Komplikationen der PV?

Im Gesunden ist das Hormon Erythropoetin (EPO) an der Vermehrung von Blutzellen beteiligt. Bei mehr als 90% der Patient:innen ist eine Mutation im Gen für JAK-2 (Januskinase 2) nachweisbar, die eine übermäßige Vermehrung von Blutzellen unabhängig von EPO antreibt (1, 2). Für Diagnose und Verlaufskontrolle ist die Allellast ein wichtiger Parameter, der anzeigt, wie hoch der Anteil an mutierten Zellen ist (1).

Zu den häufigsten und potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen zählen arterielle und venöse Thromboembolien, d.h. Blutgerinnsel, die bei etwa 40% der Patient:innen auftreten. Das Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt, tiefe Venenthrombose u.a. Formen von Gefäßproblemen ist bei einem Hkt > 45% vierfach höher ist als bei einem Hkt < 45%. Folglich gilt das Absenken des Hkt als erstes wichtiges Therapieziel (1, 2).

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Akutbehandlung mit Aderlass und ASS

Zu Beginn der Behandlung einer PV wird bei den meisten Patient:innen ein Aderlass (Phlebotomie) durchgeführt, um das Blutvolumen zu senken. Dafür wird den Patient:innen alle paar Monate Blut über eine Vene entnommen (1, 2). Zusätzlich kann anfangs niedrig-dosiertes Acetylsalicylsäure (ASS, 100 mg/Tag) zur Vermeidung von Akutkomplikationen verabreicht werden (1, 2). Nachdem die häufigen Blutentnahmen langfristig jedoch zu problematischem Eisenmangel führen und die Ursache, nämlich die überschießende Vermehrung der Zellen, nicht beheben, schließt sich in der Regel eine weitere medikamentöse Behandlung an.

Ropeg-Interferon alfa-2b braucht Zeit zum Wirken

Als Hauptziele der längerfristigen Therapie gilt es, die Symptome wie Mikrozirkulationsstörungen zu bessern, Folgen von Blutgerinnseln zu vermeiden und Spätfolgen wie sekundäre Myelofibrose und  akute lymphatische Leukämie (ALL) hinauszuzögern (1-3).

Für Patient:innen ohne vergrößerte Milz ist der Wirkstoff Ropeg-Interferon alfa-2b zugelassen, unabhängig vom Risiko für thromboembolische Ereignisse (TE) und unabhängig vom Alter (1-3). Bei Ropeg-Interferon alfa-2b handelt es sich um ein weiterentwickeltes Interferon-alpha (INF-alpha). Es ist durch Pegylierung stabilisiert und damit länger wirksam ist als früher verfügbare Substanzen. Die Bindung an den Interferon-alpha-Rezeptor (IFNAR) führt zur Zytoreduktion, d.h. Verringerung der Menge an Zellen (1-3).

Bei Interferontherapie ist allerdings Geduld gefordert, weil die Wirkung erst nach längerer Zeit einsetzt. Nachdem IFN-alpha auch im gesunden Körper als Mediator bei Infektionen wirkt, sind grippeähnliche Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Fieber und depressive Verstimmungen nicht ungewöhnlich. Damit sich der Körper an die Substanz gewöhnen kann, wird die Therapie mit niedriger Dosis begonnen und langsam gesteigert (1-3).

Ruxolitinib und Hydroxyharnstoff

Mit der Empfehlung internationaler Leitlinien für den Einsatz von Ropeg-Interferon alfa-2b wurde die frühere Empfehlung von Hydroxyharnstoff zur Zellverringerung eingeschränkt. Nachdem das Risiko von Hydroxyurea unklar ist, wird insbesondere für jüngere Patient:innen empfohlen, Hydroxyharnstoff heute nur noch bei Nicht-Infragekommen einer Interferon-Therapie in Erwägung zu ziehen (1-3).

Für die Therapie im fortgeschrittenen Stadium oder nach wenig erfolgreicher Ersttherapie ist seit 2012 der Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) Ruxolitinib zugelassen. Dieser hemmt direkt die Januskinasen JAK1 und JAK2 und kann damit ebenfalls die Vermehrung der Zellen entgegenwirken (1, 2). Die Dosis ist abhängig von Stadium und Zellzahl und muss mit möglichen Nebenwirkungen wie Myelosuppression und Blutungen abgestimmt werden (1, 2).

Übergang zur Spent-Phase vermeiden

Mit einer diagnostizierten PV in chronischer, anfänglicher Phase können Überlebenszeiten von 30 Jahren und mehr erreicht werden. Problematisch ist der Übergang in die Spätphase, die sogenannte „Spent Phase“, in der sich die Symptome in die Gegenrichtung ändern. Neben einer weiteren Vergrößerung der Milz kommt es zum Überwachsen der Knochenmarkszellen durch Bindegewebszellen (Fibrosierung). Bei dieser Myelofibrose kann das Knochenmark immer weniger Blutzellen bilden. Infolge dessen kommt es zu Blutarmut (Anämie) mit niedriger Zahl von Erythrozyten, Thrombozytopenie mit niedriger Blutplättchenzahl und Leukopenie mit Bildung nur weniger weißer Blutkörperchen (1, 2).

Diagnose Polycythaemia vera: Was können Patient:innen selbst tun?

Eine Heilung der PV ist derzeit nicht möglich. Neben der medikamentösen Therapie können sich auch allgemeine Maßnahmen positiv auf die Erkrankung auswirken. Hierzu zählen Gewichtsnormalisierung, Bewegung, ausreichend Trinken, ggf. Kompressionsstrümpfe bei langem Sitzen und auch das Einschränken von Nikotinkonsum (1, 2).

Quelle:

8. digitale Patientensprechstunde „Ask an Expert“ 28.02.2025; Veranstalter: AOP Health

Literatur:

(1) Lengfelder, E. et al. Polycythaemia Vera (PV), Onkopedia Leitlinie, 2023, abrufbar unter: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/polycythaemia-vera-pv/@@guideline/html/index.html, letzter Aufruf 06.03.2025.
(2) Griesshammer, E. et al. Essenzielle Thrombozythämie und Polycythaemia vera, Onkologie. 2023 29:296–304, DOI: 10.1007/s00761-023-01313-0.
(3) Gisslinger et al., Event-free survival in patients with polycythemia vera treated with ropeginterferon alfa-2b versus best available treatment, Leukemia, 2023;37(10):2129-2132, DOI: 10.1038/s41375-023-02008-6.

Häufig gestellte Fragen zu Polycythaemia vera