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Schwerpunkte

Wie viele Patient:innen versorgen Sie jährlich auf der Palliativstation, und wie lange bleiben diese im Durchschnitt dort?

In den Jahren 2012 bis 2016 hatten wir eine Palliativstation mit 10 Betten und im Schnitt 300 Patient:innen pro Jahr betreut. Seit 2017 haben wir 2 Stationen und sind inzwischen die zweitgrößte Palliativeinheit Deutschlands mit 21 Betten, die jederzeit belegbar sind. Durchschnittlich betreuen wir nun 400 Patient:innen im Jahr.

Die Liegezeit beträgt bei unseren Patient:innen normalerweise etwa 12 Tage – dann haben wir die Symptome meist kontrolliert, und es erfolgt die Verlegung entweder in stationäre Hospize, andere Krankenhäuser oder nach Hause – das hängt vom häuslichen Umfeld ab – aber die Patient:innen dürfen natürlich auch bei uns sterben. Durch die Pandemie sind diese Prozesse allerdings etwas verlangsamt, was z.B. bedeutet, dass die Hospize nicht mehr so schnell übernehmen können, sodass die Patient:innen oft wochen- oder sogar monatelang auf unserer Palliativstation liegen.

Dadurch haben wir auch nicht die Möglichkeit, alle, die bei uns anfragen, immer bei uns aufzunehmen. Tatsächlich aber könnten wir mit unseren beiden Palliativstationen 500 bis 600 nicht heilbar erkrankte Menschen pro Jahr qualitativ hochwertig versorgen. Das bedeutet einen hohen Durchlauf, und das ist eine enorme Herausforderung, vor allem für den Pflegedienst. Es sind ja die Pflegefachkräfte, die nachts, also gerade dann, wenn viele Patient:innen sterben, alleine sind und daher möglicherweise mit 2 bis 3 Todesfällen in der Nacht konfrontiert werden. Daher ist es bei dieser hohen Anzahl von Patient:innen sehr wichtig, die besonders belasteten Pflegekräfte zu schützen – das heißt, wir müssen auch „die Pflege pflegen“.

Handelt es sich auf Ihrer Station zum Großteil um Patient:innen mit einer onkologischen Erkrankung? Wie ist die Altersstruktur der Patient:innen?

Der Anteil der onkologischen Patient:innen liegt bei 97,5% und ist damit extrem hoch. Im palliativen Bereich gibt es außerdem noch Erkrankungen aus dem kardialen und pulmologischen Formenkreis. Ihre Erkrankung befindet sich in einem sehr fortgeschrittenem Stadium. Das Alter unserer Patient:innen liegt zwischen 18 Jahren bis ins höchste Alter. Das Durchschnittsalter liegt etwa bei ca. 60 Jahren.
Aufgrund einer Spezialisierung unserer Klinik auf Sarkom-Patient:innen sowie das Vorhandensein einer großen gynäkologischen Onkologie, haben wir nicht selten 4 bis 5 etwa 30- bis 40-jährige Patient:innen. Dies ist dann natürlich eine große Belastung für das Team, gerade, wenn es sich um junge Patient:innen, junge Väter und Mütter handelt, da sie nur noch eine sehr begrenzte Lebenserwartung haben.

Gibt es bei Ihnen auch eine ambulante Palliativbetreuung?

Wir sind eine stationäre Pflegeeinrichtung, mit einem spezialisierten Team, das eine umfassende Betreuung anbietet. Es gibt bei uns und bei vielen Palliativstationen keine eigene ambulante Betreuung, da dies ein ganz eigener Sektor ist. Hierfür bräuchte man zusätzliches
Personal, das in unserer Klinik momentan nicht zur Verfügung steht. Eine eigene Palliativsprechstunde befindet sich im Aufbau, sodass Menschen
vorbeikommen und sich vorab beraten lassen können.

Wer ist in die Palliativversorgung neben den Pflegern und Ärzten eingebunden – unter anderem auch Sozialarbeiter, Psychologen und ehrenamtliche tätige Menschen? Haben Sie ein spezielles Palliative-Care-Team?

Bei schweren und unheilbaren Erkrankungen und auch in Anbetracht einer immer älter werdenden Gesellschaft gewinnt die Palliativmedizin zunehmend an Bedeutung. In dieser letzten Lebensphase ist das Ziel vor allem die Versorgung und die Lebensqualität der Patient:innen, aber auch die Unterstützung der ihnen nahestehenden Bezugspersonen spielt eine wesentliche Rolle. Mit einer achtsamen Behandlung durch ein spazialisiertes Team sollen die letzten Lebensmonate weitgehend schmerzfrei erlebt werden, und die Patient:innen sollen keine Angst vor unerträglichen Schmerzen haben, sondern ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tode leben. Unserem multiprofessionellen Team ist es wichtig, individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen. Körperliche Beschwerden sollen so gut es möglich ist, gelindert werden.
Neben dem spezialisierten Pflegepersonal, der palliativen Pflege und den spezialisierten Ärzten ist die Physiotherapie sehr wichtig, da dies eine sehr gute Mischung aus adjuvanter Schmerztherapie, aber auch körperlicher Nähe ist, was gerade für Menschen ohne Angehörige eine große Rolle spielt. So sagen uns viele Patient:innen, dass das Schönste am Tag die Physiotherapie war, denn es war ein Mensch da, der sich Zeit genommen und den Patient:innen auch berührt hat. Daher befürworten wir die Physiotherapie auch am Wochenende. Denn gerade diese Tage sind für palliative, einsame Patient:innen oft nicht leicht und dann können „kleine Dinge“ sehr viel bewirken.

Wir haben auch einen sehr liebevollen Psychoonkologen, der für alle Patient:innen zuständig ist. Es gibt aber auch Patient:innen, die keine psychoonkologische Betreuung möchten. Sehr wichtig sind für uns ebenfalls die kompetenten Sozialarbeiterinnen. Sie erledigen die Dinge, die für eine Verlegung noch zu klären sind, beispielsweise, was für die Verlegung nach Hause gebraucht wird, wie ein Pflegebett o.ä. Zu unserem Team gehören zudem kreative Therapeutinnen für die Bereiche Kunst und Musik. Ehrenamtliche Mitarbeiter, wie die Hospizhelfer, werden zunehmend häufiger integriert. Sie kommen von den Einrichtungen, die Hospize betreiben und helfen, indem sie z.B. Wäsche der Patient:innen holen oder Organisatorisches bei den Patient:innen zuhause erledigen. Das ist eine große Erleichterung für viele Patient:innen, die nur wenige oder keine Angehörigen haben. All diese Angebote sind auch in COVID-19-Zeiten möglich. Ein spezielles Palliative-Care-Team gibt es nicht, aber es ist eine Verbesserung der Patient:innenversorgung im Konsiliardienst durch ein spezialisiertes Pflege- und Ärzteteam geplant.

Worauf wird bei der Unterbringung geachtet, und wie sieht der Alltag auf der Palliativstation aus?

Bevorzugt erfolgt das Aufnahmegespräch durch eine Pflegekraft und einen Arzt, damit die Patient:innen erst einmal gut ankommen können und wissen, wer ihnen helfen wird. Im Aufnahmegespräch wird der Schwerpunkt auf die Symptomlast gelegt. Eine Hauptaufgabe der palliativen Versorgung ist die Beachtung und Behandlung aller Symptome und Belastungen, ob somatisch oder psychologisch, die den Sterbeprozess begleiten. Die Symptomlast gilt es „maximal zu minimieren“, damit dieser letzte Abschnitt im Leben möglichst lebenswert gestaltet wird. Neben der Symptomkontrolle ist ebenso die Einbindung der An- und Zugehörigen in diesen individuellen Sterbeprozess und den Prozess der Verabschiedung von wesentlicher Bedeutung. Es zeigt sich, dass sich über 95% der Patient:innen sehr gut bei uns aufgenommen fühlen, weil jemand für sie da ist und sie ernst genommen werden. So sagen viele Patient:innen: „Am liebsten würde ich für den Rest meines Lebens hierbleiben.“ Das ist natürlich ein schönes Lob an die ganze Abteilung. Ein persönliches und warmes Umfeld ist bei uns sehr wichtig. Gerne sage ich den Patient:innen auf den Stationen, sie seien hier bei „Wünsch Dir was“. Das ist unser Ziel, und wir alle tun eine Menge dafür, die Wünsche zu erfüllen. Für die einen ist es nur die Schmerztherapie, ein anderer wünscht sich wiederum, noch einmal die Mutter in Armenien zu sehen. In diesem Fall spendeten sowohl die Pflegekräfte als auch die Ärzte Geld, um das Ankommen in Armenien etwas zu erleichtern.
 

Jeder Palliativpatient hat ein eigenes Zimmer, in dem die Möglichkeit besteht, ein weiteres Bett einzustellen, sodass Angehörige hier jederzeit übernachten können. Auch werden die Räume und Korridore schön gestaltet, z.B. mit einem Aquarium, einer Modelleisenbahn und Dekorationen je nach Jahreszeit. Es ist also sehr heimelig mit Pflanzen und Bildern, und viele Patient:innen und Angehörigen sagen uns, dass das mit einem Krankenhaus nichts mehr zu tun hat.

Auch Haustiere, wie Hunde und Katzen, sind bei uns erlaubt. Wir planen die Arbeit mit einem Therapiehund, und ich glaube, dass damit viel erreicht werden kann, da es bei uns auch oft um Kontakt geht, was mit Tieren gut funktioniert. Das erweist sich bei uns als gut machbar und erfreut ja nicht nur den Patient:innen, sondern auch das Umfeld, wie die Pflege, die ja, wie schon gesagt, auch gepflegt werden sollte. Die Menschen bei uns haben meist nur noch eine relativ kurze Lebenszeit, und wenn man diese Zeit für sie so schön wie möglich macht, bekommt man eine ganze Menge zurück.

Zum Tagesablauf: Allgemein beginnt der Tag um 6 Uhr mit der Verteilung der Medikamente. Es folgen Frühstück und die Reinigung der Zimmer. Nach der Übergabe der Pflegekräfte findet die ärztliche Visite statt. Je nach Patient oder in besonders schwierigen Fällen geht manchmal auch nur ein Arzt zu dem Patienten, denn nicht jeder, der ein schweres Tumorleiden hat, möchte von mehreren Ärzten täglich besucht werden. Wir setzen uns meistens zu dem Patienten, statt uns hinzustellen, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. Was auch eine Rolle spielt: Es ist vielleicht nicht das Wichtigste, aber ich finde es trotzdem erstaunlich, wie wohltuend und wichtig es für die Patienten ist, wenn sie erfahren, dass bei uns auch jederzeit geklingelt werden darf.

Welche Behandlungsmaßnahmen und Therapien bieten Sie zur Bewältigung körperlicher, aber auch emotionaler Belastungen an: Schmerzmittel, die Gabe von Antidepressiva, Massagen, Atemtherapie, Entspannungsverfahren?

Bei einer aktuellen Symptomlast wird grundsätzlich umgehend das Ärzteteam hinzugeholt, um Schmerzspitzen und Dyspnoeattacken zu kupieren. Wir bieten allgemein verschiedene Möglichkeiten zur Symptomkontrolle der fortgeschrittenen Erkrankung an, die sich natürlich von der pflegerischen Seite gesehen auf die professionelle Pflege, aber auch die emotionale Bindung stützt. Hier werden die unterschiedlichen Bedürfnisse der Patient:innen berücksichtigt. So gibt es Patient:innen, die einen sehen, aber nicht reden wollen, ebenso wie Patient:innen, die permanent jemanden um sich haben und reden möchten. Wichtig ist also, herauszufinden, was der einzelne Patient:innen im Sinne einer individualisierten Form der palliativmedizinischen Begleitung für diesen wichtigen Abschnitt und schweren Prozess des Abschiednehmens braucht. Es gibt hier kein Schema F, sondern es wird darauf geachtet, was dem jeweiligen Patient:innen gefällt, wie dieser „gestrickt“ ist, um die individuell richtige Unterstützung anzubieten.

In der Palliativmedizin stehen auch Trauer und Depression im Fokus. Als multidisziplinäres Team ziehen wir hier auch gerne die Fachdisziplin der Psychiater hinzu, um herauszufinden, ob es sich um eine normale Trauer oder um eine depressive Episode handelt. Eine solche Episode kann häufig auch in den letzten 2 bis 3 Monaten der Lebensphase noch etwas aufgehellt werden, um den Abschiedsprozess leichter zu machen. Sowohl für den, der sich verabschiedet als auch für die Angehörigen, die ja ebenfalls meistens stark trauern. Die Trauer ist wichtig, aber eine depressive Episode, die für den Patienten und die Angehörigen auch am Lebensende noch positiv beeinflusst werden kann, ist etwas sehr Wohltuendes für alle Beteiligten. Man schaut in der Palliativmedizin also nicht nur auf Schmerzen, Luftnot oder Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung, sondern auch, ob man im psychoonkologischen und psychiatrischen Sinne eingreifen kann. Der Schmerz wird ja auch manchmal etwas leichter, wenn Trauer oder Depressionen mit entsprechenden Maßnahmen gelindert werden.

Zusammengefasst bieten wir folgende Formen der Unterstützung an:
  •  nicht komplexe und komplexe Schmerztherapie: Grundsätzlich ist die Schmerztherapie am wichtigsten, ebenso das Dyspnoe-Management (Behandlung der Atemnot).
  • medizinische Behandlung aller belastenden Symptome
  • palliative und aktivierende Pflege
  • physiotherapeutische Behandlung
  • psychoonkologische Behandlung
  • soziale Beratung/Sozialarbeit
  • interdisziplinäre Hilfe bei der Entlass- und Versorgungsplanung
  • Kunst- und Musiktherapie zur Entlastung und Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung
  • Begleitung in der letzten Lebensphase
  • spirituelle Begleitung
  • Begleitung, Beratung und Unterstützung von An- und Zugehörigen
  • Integration von ehrenamtlichen Mitarbeitern

Welche Symptome oder onkologischen Notfälle beobachten Sie bei Ihren Palliativpatient:innen?

Es gehören für uns u.a. Atemnot, Schmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Ernährungsprobleme, Verdauungsprobleme sowie allgemeine körperliche und
seelische Erschöpfung und Abgeschlagenheit zu der häufigsten und damit wichtigsten Symptomlast. Ein onkologischer Notfall ist eher selten. Aber es gibt sie durchaus, so können z.B. Tumoren sowie deren Metastasen in Gefäße, die Trachea oder auch Nerven destruieren. Hier ist die Anamnese der Patient:innen besonders wichtig. Bei einem Leiden, bei dessen Metastasierungsweg man weiß, dass es zu einer Blutung oder zum Ersticken kommen kann, wird bei uns ein Notfallplan erarbeitet, um entsprechend handeln zu können. Wir lehnen die aktive Sterbehilfe in unserer Klinik ab. Sollten wir z.B. unerträgliche Schmerzen mit allen vorhandenen modernen Mitteln sowie den stärksten Analgetika nicht mehr kontrollieren können, suchen wir gemeinsam nach möglichen Strategien. Hier sieht man, wie wichtig eine gute stationäre Zusammenarbeit zwischen ärztlichem und pflegerischem Personal ist, da wir mit hochpotenten Medikamenten arbeiten, die einer genauen ärztlichen Anordnung und einer entsprechenden Ausführung bedürfen.

Inwiefern werden die Bedürfnisse der Angehörigen berücksichtigt? Sehen Sie, was die optimale Palliativversorgung angeht, wesentliche Unterschiede bezüglich der Zeit vor der COVID-19 -Pandemie?

Bei uns wird eine maximal mögliche Einbindung der Angehörigen angestrebt. Meistens ist es sowohl für den Patienten als auch für die Angehörigen wohltuend und beruhigend, wenn sie wissen, dass sie noch etwas Gutes für ihre Liebsten tun können, auch wenn es nur ihre Anwesenheit ist. Mir fällt häufig auf, dass sich die Patient:innen im Finalstadium mehr Sorgen um ihre Angehörigen als um sich selbst machen. So versteht es sich von selbst, dass die Kommunikation und die gemeinsame Arbeit mit den Angehörigen, sollte es denn welche geben, sehr sinnvoll und auch eigentlich zwingend notwendig ist. Natürlich wird diese maximale Einbindung der Angehörigen durch COVID-19 momentan auch in unserer Klinik der Maximalversorgung erheblich eingeschränkt. So haben die Patient:innen in unseren Aufenthaltsräumen z.B. „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt und gemeinsam gegessen, auch zusammen mit den Familien. Das geht jetzt natürlich nicht mehr, aber für den Palliativbereich gelten Ausnahmen. Es darf jeden Tag jemand mit Anmeldung zu Besuch kommen und nach einer negativen Abstrichprobe auch über Nacht bleiben. Während des Sterbeprozesses dürfen mehrere Besucher – der Partner, die Partnerin, die Eltern, die Kinder – zur selben Zeit kommen. Das darf man in den anderen Abteilungen nicht mehr. Die optimale Palliativversorgung ist bei uns durch COVID-19 also kaum eingeschränkt: Das Besuchsrecht ist etwas heruntergefahren, nicht jedoch im Sterbeprozess.

Wie hoch ist der Anteil der Patient:innen, die nach der Palliativstation in ein Hospiz oder nach Hause gehen?

Wenn der Allgemeinzustand der Patient:innen schlecht ist, dürfen sie bei uns versterben. Generell kann man sagen, dass über die letzten Jahre ein Drittel der Patient:innen von uns entlassen wurde und zwei Drittel bei uns versterben. Von den Entlassenen gehen ein Drittel ins Hospiz und immerhin zwei Drittel nach Hause. Die Verlegung der Patient:innen in ein Hospiz ist durch COVID-19 erschwert. Die Wartezeiten auf einen Hospizplatz scheinen deutlich länger geworden zu sein: War es früher eine Wartezeit von 2 bis 3 Wochen, betragen die Wartezeiten jetzt eher 2 bis 3 Monate. Zwar bleiben unsere Patient:innen gerne in unserer Klinik, aber auf der anderen Seite möchten wir natürlich auch anderen Menschen mit starker Symptomlast helfen.    

Arbeiten Sie engmaschig mit Hospizen zusammen?

Sehr eng. Vor allem die Sozialarbeiter sind in die Verlegung in ein Hospiz involviert. Wir arbeiten mit allen Hospizen in Berlin und Brandenburg zusammen. Es werden aber auch Hospize im gesamten Bundesgebiet angefragt, sollten es die Patient:innen und ihre Angehörigen wünschen. In Berlin und Brandenburg schaue ich mir die Einrichtungen gerne persönlich an und nehme das dann als Anlass, einen meiner Patient:innen zu besuchen.

Was bewegt Sterbende tatsächlich in den letzten Tagen/Stunden?

Ich erlebe zu 99%, dass die Sterbenden in den letzten Tagen bzw. Stunden so gut wie ausschließlich „Menschliches oder Lebendiges“ bewegt. Die Materialität rutscht in dieser Zeit komplett in den Hintergrund. So hat mir noch nie ein Patient gesagt, er werde seine Häuser oder seine Autos vermissen. Es sind die zwischenmenschlichen Verbindungen – das finde ich sehr spannend. Es kann natürlich auch mal ein Haustier sein, das bei uns meistens verweilen darf.

Wie werden die Patient:innen und deren Angehörige in dieser Situation betreut?

Für den einsamen Menschen/Patienten ist das oft sehr schwierig, da keiner zu Besuch kommt und er auch wenig Austausch hat, außer mit den lieben Mitarbeitern von den Stationen. Ist die Symptomkontrolle adäquat abgeschlossen, bieten wir den Angehörigen eine psychoonkologische Begleitung an. Die Pflegekräfte sind in dieser Situation eine enorm wichtige Unterstützung, da sie ja diejenigen sind, die mehrmals täglich mit den Patient:innen intensiv Kontakt haben. Auch von ärztlicher Seite erfolgt natürlich eine Betreuung. Ebenso erlebe ich häufig, dass die Seelsorger eine große Stütze sind, gerade für Kinder, die ihre Eltern viel zu früh verabschieden müssen. Es ist wunderbar, mit welcher Wärme, aber auch Klarheit und Stärke sie die Kinder bei der Hand nehmen und ihnen sagen „Wir beide machen das jetzt und gehen zu deiner Mama.“
Für mich ist es bei der Begleitung des sterbenden Menschen und der Betreuung der Angehörigen wichtig, eine professionelle, individuelle Mischung aus Vertrauen und Empathie anzubieten, sich dabei gleichzeitig aber auch bewusst zu sein, „das ist weder meine Tochter, noch meine Frau, noch mein Mann, der hier stirbt“, sodass man sich in diesem Prozess auch professionell zurückziehen kann – das ist sehr wichtig! Ebenfalls finde ich, dass es eine ganz wichtige Aufgabe eines Palliativmediziners ist, verschiedene Möglichkeiten bei diesen zum Teil ja elementar wichtigen Entscheidungen aufzuzeigen, wie: „Wollen wir weitermachen oder aufhören, was soll man noch geben oder eben nicht mehr geben“, das heißt, herauszufinden und zu dem stehen, was der Patient wollte und bei dieser Entscheidung auch bleiben. Hier können wir aus der eigenen Erfahrung eine Hilfestellung anbieten, und die Angehörigen können diese annehmen, müssen es aber nicht. Viele sind für diese Unterstützung sehr dankbar sowie dafür, wenn wir ihnen auch einmal eine schwierige Entscheidung abnehmen, denn oft können sie in diesen Extremzuständen alleine keine Entscheidung mehr treffen. Wir nehmen sie dann an die Hand, lassen dabei aber dennoch immer Raum für den Menschen, der stirbt, und ebenso für die Menschen, die ihn umgeben.

In einer besonders schwierigen Zeit auf unserer Station und für das gesamte Team habe ich ein Mantra entworfen, das ich allen Ärzten und Pflegekräften mitgegeben habe und das wir uns auch heute immer noch sagen. Dieses lautet: „Anderen zu helfen tut gut, sich um sich selbst zu kümmern, ist wichtig, sich nicht so wichtig zu nehmen, hilft.“ Ich bin der Meinung, wenn es einem gelingt, diese 3 Dinge zu beachten, ist es eine gute Voraussetzung zur Ausübung dieses sehr erfüllenden und berührenden Berufs, mit sterbenden Menschen zu arbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dr. med. vet. Astrid Heinl

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