AMNOG-Report 2022: Preisexplosion bei Arzneimitteln geht weiter
Die Preisexplosion bei Arzneimitteln geht unvermindert weiter: Die Kosten für neu zugelassene Orphan Drugs – also Therapien für seltene Krankheiten – haben sich seit 2011 verfünffacht und liegen im Jahr 2020 im Durchschnitt bei 540.000 Euro pro Jahr und Patient. Das geht aus dem aktuellen AMNOG-Report 2022 der DAK-Gesundheit hervor. Der Vorstandschef der DAK-Gesundheit Andreas Storm begrüßt die Verfügbarkeit neuer Therapieformen, kritisiert jedoch die Preisfindung insbesondere bei Orphan Drugs. Um „Mondpreisen“ künftig effektiv entgegenzuwirken, sollten Orphan Drugs bei Markteintritt vollumfänglich der Nutzenbewertung unterzogen werden. Damit unterstützt die DAK-Gesundheit die jüngsten Forderungen des IQWiG.
Der AMNOG-Report 2022 zeigt, dass zu Orphan Drugs bei Markteintritt in der Regel zu wenige und qualitativ unzureichende Daten über den tatsächlichen Nutzen zur Verfügung stehen. Für knapp die Hälfte (46%) aller Orphan Drugs konnte seit 2011 demnach kein Zusatznutzen festgestellt werden, sobald sie sich einer regulären Nutzenbewertung unterziehen mussten. Dies ist über den gesamten Zeitraum seit Bestehen des AMNOG-Verfahrens zu beobachten und setzt sich weiter fort. Gleichzeitig steigen die Therapiekosten gerade für diese Arzneimittel immer weiter an. „Das IQWiG spricht von einem ‚fiktiven‘ Zusatznutzen, der momentan so nicht immer gerechtfertigt ist. Die Regelung, dass Orphan Drugs einen solchen Zusatznutzen qua Existenz zugebilligt wird, muss auch angesichts der hohen Markteintrittspreise dringend auf den Prüfstand“, so Andreas Storm.
Aus Sicht der DAK-Gesundheit sollten auch für Orphan Drugs daher spätestens ab Markteintritt verpflichtend valide Daten zum Zusatznutzen erhoben werden. Bis die Datengrundlage für eine Evaluation des Zusatznutzens ausreichend ist, soll ein Interimspreis zwischen Herstellern und der Solidargemeinschaft gelten. Dieser muss an klar definierte Kriterien geknüpft sein und gilt so lange, bis ausreichend Daten für eine Nutzenbewertung generiert wurden. Ein auf Basis dieser Daten vereinbarter Preis löst den Interimspreis ab. Um den Anreiz für eine rasche Datengenerierung durch die Pharmaunternehmen zu setzen, sollte der nachträgliche Rückzahlungszeitraum beschränkt werden. So würde ein fairer Risikoausgleich zwischen Pharmaunternehmen und Krankenkassen und -Versicherern geschaffen. Bereits im AMNOG-Report 2020 forderte der jetzige Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine solche Interimspreis-Lösung.
Insgesamt waren 28% aller seit 2011 neu zugelassenen Arzneimittel Orphan Drugs, mit weiter steigender Tendenz. Davon entfiel fast die Hälfte (41%) auf den Bereich der Onkologie. „Die anhaltende Entwicklung der Jahrestherapiekosten von Orphan Drugs stellt das AMNOG und sein System der nutzenbasierten Aushandlung fairer Preise auf die Probe“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom an der Universität Bielefeld und Autor des AMNOG-Reports 2022. „Gleichzeitig sind zunehmend Marktrücknahmen auch von Orphan Drugs zu beobachten. Im Regelfall sollte nicht mehr auf eine systematische Bewertung von Nutzen und Kosten neuer Therapien als zusätzliche Informationsgrundlage verzichtet werden.“
Lesen Sie mehr zu diesem Thema:
EU-HTA: BPI fordert enge Einbindung der pharmazeutischen Industrie
Erschienen am 17.01.2022 • Die Europäische Union will die Verfahren der Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Gesundheitstechnologien harmonisieren.
Erschienen am 17.01.2022 • Die Europäische Union will die Verfahren der Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Gesundheitstechnologien...
Bis Ende 2020 wurden insgesamt 299 neue Wirkstoffe in 527 Verfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf einen Zusatznutzen hin geprüft. Bei mehr als der Hälfte dieser Nutzenbewertungen (60%) konnte ein solcher belegt werden. Dieser Wert bleibt über die vergangenen Jahre konstant. Die verhandelten Preisabschläge, welche für die Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen den Preis neuer Arzneimittel reduzieren sollen, bleiben dabei ebenfalls auf einem weitgehend gleichbleibenden Niveau zwischen 18 und 27%. Dabei ist jedoch erkennbar, dass sich die Spielräume für Preisabschläge bei hochpreisigen Arzneimitteln nicht bedeutend vergrößern. Das heißt: Auch nach den Preisverhandlungen und entsprechenden Korrekturen nach unten werden die neu zugelassenen Arzneimittel im Durchschnitt immer teurer, da die durch die Pharma-Unternehmen aufgerufenen Preise immer höher werden. Die mittleren Jahrestherapiekosten neu zugelassener Arzneimittel im Allgemeinen sind in den vergangenen 10 Jahren um durchschnittlich 16% pro Jahr gestiegen. Bereits jetzt gibt die DAK-Gesundheit jährlich 4,02 Mrd. Euro für Arzneimittel aus; das sind 717 Euro pro Versicherten. Arzneimittel sind damit der zweitgrößte Ausgabenblock nach den Kosten für Krankenhausbehandlungen.Quelle:
DAK-Gesundheit