12. Juli 2022
Zum 11. Mal fand die Fortbildungsveranstaltung „Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos“ statt. Der Mensch als Patient:in stand auch 2022 im Mittelpunkt. Die 2 Tage boten wieder eine umfassende Fortbildungsmöglichkeit in Klinik und Praxis. Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger, Diabetologin, Ärztliche Direktorin, Zentrum Innere Medizin, 5 Höfe, München, und wissenschaftliche Leiterin des Kongresses, der vom Berufsverband Deutscher Internisten e.V. (BDI) ausgerichteten Veranstaltung, sagte: „Das wesentliche Anliegen von „Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos“ ist es, weit über die Diabetologie hinaus Diagnostik und Therapie in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei werden die Schnittstellen zu anderen Erkrankungen der Inneren Medizin und angrenzender Gebiete gebührend berücksichtigt. Meine Botschaft ist: „Die Patient:innen bleiben im Mittelpunkt aller Diagnostik und Behandlung trotz der zunehmenden Ökonomisierung der Medizin“.
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Zahl der Menschen mit Diabetes steigt
Laut Gesundheitsbericht 2022 der Deutschen Diabetes Gesellschaft (1) wird auch in Zukunft mit einem Anstieg der Diabetesprävalenz gerechnet. Diabetes ist eine der am schnellsten wachsenden Gesundheitsherausforderungen unserer Zeit. Mehr als 8,5 Millionen Menschen leiden vermutlich in Deutschland an Diabetes, mit steigendem Alter nimmt die Prävalenz deutlich zu. Das Maximum sowohl bei Frauen (30,4%) als auch bei Männern (34,7%) liegt in der Altersgruppe der 75- bis 79-Jährigen. Trotz aller Bemühungen, so der Gesundheitsbericht weiter, deutet gegenwärtig nichts darauf hin, dass die kontinuierlich steigende Neuerkrankungsrate eingedämmt werden könnte, im Jahr 2040 werden schätzungsweise 11,5 Millionen Menschen die Diagnose Typ 2 Diabetes haben.
Prävention der Folgeschäden von Diabetes gewinnt an Bedeutung
Menschen mit Diabetes haben eine geringere Anzahl gesunder Lebensjahre und auch eine verminderte Lebenserwartung, insbesondere in jüngeren und mittleren Altersgruppen, deshalb wird die Prävention gesundheitlicher Einschränkungen bei Menschen mit Diabetes zunehmend an Bedeutung gewinnen.
COVID belastet Diabetes-Patient:innen mehr als Normalbevölkerung
Selbstverständlich beschäftigt sich die Fortbildungsveranstaltung „Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos 2022“ ausführlich mit dem Thema COVID-19. „Seit Behandlung der ersten COVID-19 Patient:innen in Deutschland im Januar 2020 und den ersten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu SARS-CoV-2, gibt es ein deutlich größeres medizinisches Wissen und auch eine Professionalisierung im Umgang mit COVID-19 (2, 3)“, betonte Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt München Klinik Schwabing, München. „Die jüngste Omikron-Welle bedeutet neue Herausforderungen in der Behandlung, dafür steht seit Mitte Januar die zweite Generation neutralisierender Antikörper zur Verfügung, (4,5) ebenso orale Präparate für leicht Erkrankte, die nicht beatmet werden müssen und zu Hause behandelt werden können“.
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Erschienen am 30.06.2022 • Was treibt Patient:innen mit Typ-2-Diabetes um? Lesen Sie hier 3 Kasuistiken aus dem Praxisalltag!
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10 kg Gewichtsverlust können bei Typ 2 Diabetes zu Remission führen
„In der Therapie des Typ 2 Diabetes haben sich in den letzten Jahren entscheidende Veränderungen ergeben“, so Prof. Dr. Jens Aberle, leitender Arzt, Ambulanzzentrum des UKE, Hamburg. „So konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass eine Gewichtsreduktion von etwa 10 Kilogramm bei ca. 50% der Menschen mit neu-manifestiertem Typ 2 Diabetes zu einer Remission führen kann. Die Verfügbarkeit neuer medikamentöser und nichtmedikamentöser Therapieoptionen für die Behandlung von Typ 2 Diabetes ermöglicht eine individualisierte Patient:innenversorgung unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes, der Begleiterkrankungen, der Wirksamkeit und des Sicherheitsprofils der Medikamente, der Patient:innenpräferenzen und der Kosten“.
Typ 2 Diabetes + Menopause führt oft zu massiver Gewichtszunahme
„Deutlich mehr als für Frauen ohne Diabetes ist das Klimakterium eine Phase des massiven Umbruchs: Eine ausgeprägte Neigung zur Gewichtszunahme kombiniert mit hormonellen Schwankungen macht eine stabile, normnahe Einstellung des Blutzuckers äußerst schwierig“, erklärte Schumm-Draeger. „Hier sollten bei Typ 1 Diabetes eine konsequentere Blutzuckerkontrolle und Insulintherapie erfolgen und bei Typ 2 Diabetes Antidiabetische Medikamente (Metformin, inkretinbasierte Therapieformen, SGLT2-Inhibitoren) eingesetzt werden, die ohne Hypoglykämierisiko eine Gewichtszunahme verhindern bzw. eine Gewichtsreduktion unterstützen, bei gleichzeitiger gesunder Lebensführung wie körperlichen Aktivitäten, ausgewogene Ernährung und Entspannungsübungen, aber auch eine positive Einstellung gegenüber der Lebenssituation in der Menopause“.
Testosteronmangel bei älteren Männern mit Typ 2 Diabetes mit GLP-1 Analogon behandeln
„Nicht nur Frauen mit Diabetes sind in der Menopause stärker betroffen, auch bei Männern führt ein Typ 2 Diabetes mit zunehmendem Alter zu Stoffwechselstörungen und Testosteronmangel“, so Dr. Cornelia Jaursch-Hancke, Leiterin Fachbereich Endokrinologie-Diabetologie, Helios Klink, Wiesbaden. „Der durch Lebensstilfaktoren und einer genetischen Disposition bedingte Testosteronmangel kann sich mit Hilfe von Gewichtsreduktion, Verminderung des Bauchumfangs und der krankhaft vermehrten Fettzellen normalisieren. Internationale und nationale Leitlinien empfehlen keine Testosteron-Therapie des älteren Mannes mit Diabetes, sondern eine herkömmliche Diabetestherapie mit einem GLP-1 Analogon zur Verbesserung der metabolischen Parameter und der Lebensqualität“.
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„Die Herzinsuffizienz ist eine der schwerwiegendsten und tödlichsten kardiologischen Erkrankungen. Wegen keiner anderen Erkrankung müssen mehr Menschen stationär in den Kliniken behandelt werden“ (6), zitierte Prof. Dr. Claudia Eberle, Medizin mit Schwerpunkt Innere Medizin und Allgemeinmedizin, Hochschule Fulda, aus einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. vom vergangenen Jahr. „2021 wurde von 3 internationalen Fachgesellschaften ein Konsensuspapier mit einer verbindlichen Definition der Herzinsuffizienz vorgestellt, darin heißt es, Herzinsuffizienz ist ein klinisches Syndrom mit aktuell bestehenden oder zuvor aufgetretenen Symptomen und/oder Zeichen, die durch strukturelle und/oder funktionelle kardiale Störungen verursacht werden (8). Für die individuelle Therapie der Herzinsuffizienz stehen verschiedenste Therapieoptionen zur Verfügung, wie z.B. die Kombination von unterschiedlichen Substanzen, wie ACE- Hemmer, Betablocker und SGLT2-Hemmer (7).
LDL-Cholesterin muss bei Diabetes unbedingt gesenkt werden
„Erhöhtes LDL-Cholesterin ist ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Krankheiten und für kardiovaskuläre Ereignisse“, so Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Medizinische Klink 1, Universitätsklinikum Aachen. „Die Therapie wird risikobezogen, leitlinienbasiert und individualisiert festgelegt. Neben der klassischen selektiven Hemmung von Enzymen durch Medikamente, wie z.B. Statinen, werden Antikörper (PCSK-9) eingesetzt zur gezielten Neutralisierung von Proteinen (9). Neue Ansätze sind Bempedoinsäure, das nur in der Leber in eine wirksame Form umgewandelt wird und die Produktion von Cholesterin bremst. Hinzukommt Inclisian, dass erst nach 3 Monaten, dann alle 6 Monate injiziert wird und die Produktion von PCSK-9 blockiert (10, 11). Es gilt für alle Therapien: Eine frühzeitige, effektive LDL-Cholesterinsenkung kann langfristig das Auftreten kardiovaskulärer Komplikationen drastisch reduzieren und damit die Medizin und Gesellschaft tiefgreifend verändern“ (12), beendete Müller-Wieland seinen Vortrag.
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Herausforderungen des Diabetes: kardiovaskuläre Erkrankungen, Adipositas, Lipidstoffwechselstörungen
„Trotz aller Fortschritte: Die Herausforderungen bleiben für alle Beteiligten in Prävention, Früherkennung und Bekämpfung u.a. von Typ 2 Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen, Lipidstoffwechselerkrankungen und Übergewicht groß“, so Schumm-Draeger zum Abschluss der Pressekonferenz. „Der bisherige Erfolg bestätigt die Notwendigkeit unserer Fortbildungsveranstaltung auch nach 11 Jahren. Wir haben mit 1.600 Anmeldungen für die beiden Kongresstage einen absoluten Rekord erreicht. Die Bekämpfung der Pandemie ist durch aktuelle Erkenntnisse, Impfungen, Boosterung und wirksame Medikamente, trotz neuer Virusvarianten, ein gutes Stück vorangekommen. Allerdings bleibt abzuwarten, ob auch 2023 COVID-19 ein wichtiges Thema bleiben wird“.
Quelle: Diabetologie grenzenlos
Literatur:
(1) Gesundheitsbericht Diabetes 2022
(2) Roman Wölfel, Victor M Corman, Wolfgang Guggemos, Michael Seilmaier, Sabine Zange, Marcel A Müller, Daniela Niemeyer, Terry C Jones, Patrick Vollmar, Camilla Rothe, Michael Hoelscher, Tobias Bleicker, Sebastian Brünink, Julia Schneider, Rosina Ehmann, Katrin Zwirglmaier, Christian Drosten, Clemens Wendtner. Virological assessment of hospitalized patients with COVID-2019. Nature 2020 May;581(7809):465-469.
(3) Christoph Kreer, Matthias Zehner, Timm Weber, Meryem S Ercanoglu, Lutz Gieselmann, Cornelius Rohde, Sandro Halwe, Michael Korenkov, Philipp Schommers, Kanika Vanshylla, Veronica Di Cristanziano, Hanna Janicki, Reinhild Brinker, Artem Ashurov, Verena Krähling, Alexandra Kupke, Hadas Cohen-Dvashi, Manuel Koch, Jan Mathis Eckert, Simone Lederer, Nico Pfeifer, Timo Wolf, Maria J G T Vehreschild, Clemens Wendtner, Ron Diskin, Henning Gruell, Stephan Becker, Florian Klein. Longitudinal Isolation of Potent Near-Germline SARS-CoV-2-Neutralizing Antibodies from COVID-19 Patients. Cell 2020 Aug 20;182(4):843-854.
(4) Anil Gupta, Yaneicy Gonzalez-Rojas, Erick Juarez, Manuel Crespo Casal, Jaynier Moya, Diego R Falci, Elias Sarkis, Joel Solis, Hanzhe Zheng, Nicola Scott, Andrea L Cathcart, Christy M Hebner, Jennifer Sager, Erik Mogalian, Craig Tipple, Amanda Peppercorn, Elizabeth Alexander, Phillip S Pang, Almena Free, Cynthia Brinson, Melissa Aldinger, Adrienne E Shapiro, COMET-ICE Investigators. Early Treatment for Covid-19 with SARS-CoV-2 Neutralizing Antibody Sotrovimab. New Engl J Med 2021 Nov 18;385(21):1941-1950.
(5) Jinhui Dong, Seth J Zost, Allison J Greaney, Tyler N Starr, Adam S Dingens, Elaine C Chen, Rita E Chen, James Brett Case, Rachel E Sutton, Pavlo Gilchuk, Jessica Rodriguez, Erica Armstrong, Christopher Gainza, Rachel S Nargi, Elad Binshtein, Xuping Xie, Xianwen Zhang, Pei-Yong Shi, James Logue, Stuart Weston, Marisa E McGrath, Matthew B Frieman, Tyler Brady, Kevin M Tuffy, Helen Bright, Yueh-Ming Loo, Patrick M McTamney, Mark T Esser, Robert H Carnahan, Michael S Diamond, Jesse D Bloom, James E Crowe Jr. Nat Microbiol 2021 Oct:6(19):1233-1244.
(6) Webseite der DGK
(7) 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure, ESC European Heart Journal, Volume 42, Issue 36, 21 September 2021, Pages 3599–3726,
(8) Kardiologie.org: „Erste Universelle Definition der Herzinsuffizienz‘ vorgestellt“, Nachricht vom 15.03.2021
(9) Mach F, Baigent C, Catapano AL et al. 2019 ESC/EAS guidelines fort he management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J 2019.
(10) Ballantyne CM et al. Bempedoic acid plus ezetimibe fixed dose combination in patients with hypercholesterolemia and high CVD risk treated with maximally tolerated statin. Eur J Prev Cardiol 2020; 27: 593-603.
(11) Ray KK et al. Incliseran in patients at high cardiovascular risk with elevated LDL cholesterol. New Engl J Med 2017; 376: 1430-40.
(12) Brandts J & Ray KK Familial hypercholesterolemia. JACC Focus Seminar 4/4. J Am Col Cardiol 2021; 78:1831-43.