Donnerstag, 21. November 2024
Navigation öffnen
Podcast

Geschlechter-Bias in der Pharmakotherapie

von Dr. rer. nat. Carola Göring und Prof. Dr. med. Stefan Engeli

Geschlechter-Bias in der Pharmakotherapie
Ob ein Arzneistoff von einem männlichen Körper oder einen weiblichen Körper aufgenommen wird, macht einige Unterschiede. Aber welche Unterschiede sind das genau und wie findet man diese heraus? Fachkundige Antworten gibt Prof. Dr. Stefan Engeli, Uni Greifswald. Der Pharmakologe und erfahrene Prüfarzt zeigt auch die zahlreichen Wissenslücken in diesem Bereich auf. Zum Schluss gibt er noch praktische „Hacks“ für eine geschlechter-sensible Pharmakotherapie in der Praxis.
Anzeige:
Programmatic Ads
 

Was erwartet Sie in der siebten und letzten Folge des Podcasts „GENDERMED – Geschlechter-sensible Medizin“?

Dies sind die Highlights (Minuten:Sekunden)
 
  • 00:48 Vorstellung von Prof. Dr. Stefan Engeli
  • 01:40 Arzneimittel werden nicht nur an Männern geprüft – dennoch gibt es ein Problem
  • 03:15 Grundlagen der Pharmakologie: Wovon hängen Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneimitteln ab?
  • 05:52 Wie wichtig ist das Therapeut:in-Patient:in-Verhältnis in der Arzneimitteltherapie?
  • 07:22 Wie werden die geschlechter-spezifischen Unterschiede zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Arzneimittel untersucht?
  • 11:51 Wie aussagekräftig sind die generierten Ergebnisse zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Arzneimitteln hinsichtlich geschlechter-spezifischer Unterschiede?
  • 13:05 Die Berücksichtigung der geschlechter-spezifischen Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln anhand des Beispiels „Herzinfuffizienz“
  • 15:24 Welche Studienphasen existieren bei der Erprobung von Arzneimitteln?
  • 20:07 Welche Rolle spielen Transpersonen bei Arzneimittel-Studien?
  • 21:39 Woher resultieren geschlechter-spezifische Unterschiede in der Wirkung und Nebenwirkung von Arzneimitteln?
  • 24:02 Beispiele für geschlechter-spezifische Unterschiede in der Pharmakotherapie
  • 26:55 Weshalb weisen Frauen mehr Nebenwirkungen bei Arzneimitteltherapien auf als Männer?
  • 30:45 Weitere Beispiele für Nebenwirkungen von Arzneimitteln bei Frauen
  • 35:28 Prof. Dr. Engelis Zugang zur geschlechter-sensiblen Pharmakologie
  • 37:51 Welche Rolle werden geschlechter-sensible Aspekte in der Pharmakologie der Zukunft spielen?

Hören Sie rein!

GENDERMED – ein Podcast von journalmed.de · Geschlechter-Bias in der Pharmakotherapie

Shownotes zur Podcast-Folge „Geschlechter-Bias in der Pharmakotherapie“

Unser Newsletter. Einfach mehr Fachwissen.        

Abonnieren und rezensieren Sie den Podcast GenderMed bei: Soundcloud oder YouTube!

Transkript zur Podacastfolge: „Geschlechter-Bias in der Pharmakotherapie“

(Es gilt das gesprochene Wort)

Patientin oder Patient. Das macht einen Unterschied. Medizinjournalistin Dr. rer. nat. Carola Göhring erklärt Geschlechter-sensible Aspekte der Medizin gemeinsam mit Expert:innen hier im GenderMED-Podcast von journalmed.de.

Carola Göring: Schön, dass Sie wieder ganz Ohr sind bei dieser Folge des GenderMed-Podcasts. Heute geht es um das wichtige Thema Arzneimittelwirkungen und Geschlecht. Ich freue mich sehr, einen tollen Experten von der Universität Greifswald als Gesprächspartner zu haben und er kann diesen manchmal wirklich trockenen Stoff sehr anschaulich darstellen. Herzlich willkommen, Herr Professor Engeli!

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ja, vielen Dank für die Einladung.

Carola Göring: Ich darf Ihnen Professor Dr. med. Stefan Engeli ganz kurz vorstellen. Er ist Facharzt für Klinische Pharmakologie und leitet an der Universitätsmedizin Greifswald das Institut für Pharmakologie. Professor Engeli hat sich die letzten Jahre unter anderem mit dem großen Themenfeld Arzneimittelwirkungen und Adipositas beschäftigt. Habe ich jetzt etwas Wichtiges zu Ihrer Person vergessen?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Na, vielleicht passend hier zu dem Podcast kann ich noch sagen, dass ich früher in Hannover gearbeitet habe und da mehrere Jahre die Ethikkommission geleitet habe und in Greifswald eine sozusagen eine Abteilung in der Administration leite, die hilft, klinische Studien mit Arzneimitteln zu planen und durchzuführen. Jenseits der Medizin hilft das natürlich, so einen Einblick zu kriegen in Studien-Protokolle und eben auch die Frage der Berücksichtigung der Geschlechter. Also es ist nicht nur die Medizin, die hier relevant ist.

Carola Göring: Ja, die Frage der Geschlechter, frage ich gleich etwas zugespitzt: Bekommen Frauen Arzneimittel, die in den Studien fast nur an Männern geprüft wurden?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Also ich würde genauso zugespitzt antworten und sagen: „Nein, das stimmt so nicht.“ Und dann kann man es natürlich ein bisschen relativieren und sagen, dass den Eindruck kann man haben, aber in der Summe ist das zu einfach und zu pauschal. Gesagt. Hm hm. Aber was wahrscheinlich stimmt. Vielleicht, um das hinterherzuschicken, ist, dass wir aus den Arzneimittelstudien wahrscheinlich viel mehr Informationen über Geschlechterunterschiede oder zumindest die Betrachtung der Geschlechter haben, als es dann tatsächlich berichtet wird. Also die Studien dokumentieren ja einfach alles und wenn man sie in diese Richtung auswerten würde, würde man wahrscheinlich auch fündig werden. Und entweder sagt man gut mit gutem Recht sagen können, da gibt es keine Unterschiede oder eben Unterschiede finden die so sagen wir mal, nicht den Weg in die Öffentlichkeit finden und auch nicht in die Fachinformationen usw.. Also ich glaube da ja, es gibt mehr Daten als wir kennen und das ist vielleicht das Problem in dem ganzen Thema.

Carola Göring: Aber das ist ja vielleicht auch ein positiver Fakt, weil die Daten kann man ja auch auswerten, würde ich jetzt einfachmal so sagen.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ja klar, Man kann versuchen, an die Daten ranzukommen. Man muss vielleicht auch noch ein bisschen relativierend sagen, wenn wir über Arzneimitteltherapie reden, dann reden wir ja auf der einen Seite natürlich über viele hunderte Krankheiten. Wir reden aber auch über in Deutschland ungefähr 8000 Arzneimittel und Wirkstoffe, und das sind so viele, dass es praktisch unmöglich ist, da einen umfassenden Überblick zu bekommen. Insofern, glaube ich, ist es gut, immer so gezielt sich Gebiete herauszugreifen, wo man denkt, da ist es besonders relevant.

Carola Göring: Ja, das werden wir jetzt hier in diesem Gespräch glaube ich mal versuchen.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Wir werden es versuchen. Genau.

Carola Göring: Und beginnen wir vielleicht mit den Grundlagen zur Arzneimittelwirkung. Jetzt mal ganz unabhängig von Geschlecht. Wovon hängen denn Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneimitteln ab?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Also man sagen, wenn Arzneimittel und Patient:in zusammenpassen. Na dann ist in den meisten Fällen die Wirkung da. Und die, die unerwünschten Wirkungen sind, sagen wir mal überschaubar. Aber der Teufel liegt natürlich dann im Detail. Denn die Frage, Was ist jetzt das richtige Arzneimittel für den / die richtige Patientin ist natürlich ein bisschen komplexer und hängt von vielen Faktoren ab. Also man kann hier dieses Stichwort der individualisierten Therapie bringen. Das ist ja heutzutage immer sehr stark eingegrenzt auf die Frage, welche genetischen Faktoren spielen, sagen wir wir jetzt für die eine Therapie eine Rolle, für die Auswahl einer Therapie und für die Wirksamkeit usw.. Wenn man es genau nimmt, dann ist individualisierte Therapie aber natürlich viel, viel mehr. Der umfasst ja im Grunde alles, was eine einzelne Person als Patient oder Patientin ausmacht. Und da wird es dann sozusagen umfangreich.

Das heißt, erster Punkt für die Sicherung der Wirksamkeit ist natürlich, dass ich die richtige Behandlungsindikation stelle. Ne falsche Diagnose wird dann wahrscheinlich auch mit dem falschen Arzneimittel behandelt. Das ist sehr banal, wenn ich das jetzt hier so sage. Aber im Alltag sieht man natürlich häufiger mal, dass das nicht so richtig zusammenpasst. Also man könnte es auch noch weiterführen und können sagen, wenn ich eine Krankheit behandele, die gar nicht da ist, dann kann ich keine keinen gewünschten Effekt sehen, aber ich kann natürlich trotzdem die gleichen unerwünschten Wirkungen sehen wie bei Patientinnen, wo das Arzneimittel das richtige wäre. Also das ist so der der eine Punkt.

Der andere Punkt ist - auch das ist als Pharmakologe gesprochen banal -, aber die richtige Dosis ist natürlich ganz relevant. Da kommen wir nachher dann auch noch mal darauf, denke ich. Und für die Auswahl der richtigen Dosis muss man die Nierenfunktion kennen. Man muss die Leberfunktion kennen, was ganz schwierig ist im klinischen Alltag, weil wir dafür keine guten Parameter haben. Wir wissen eigentlich nur, wann die Leber kaputt ist, aber der Weg dahin sozusagen mit Funktionseinschränkungen, der ist gar nicht gut beschrieben. Wir müssen Begleiterkrankungen kennen, weil die natürlich mit Arzneimitteltherapie interagieren können. Und zu Begleiterkrankungen gehört die Begleitmedikation und das Thema Arzneimittel Interaktion ist natürlich ein ganz wichtiges. Also die Frage wie beeinflussen sich 2 und mehr Arzneimittel gegenseitig? Ne, gibt es Wirkverstärkung? Gibt es Wirkabschwächung? Wie passiert das alles? Und das spielt alles eine Rolle bei der Sicherung der Wirksamkeit und vor allem aber auch der Verträglichkeit. Und dann kommen so Sachen rein wie zum Beispiel das Geschlecht und das Alter und das Körpergewicht und dann noch genetische Variabilität. Und das alles zusammen macht eigentlich den Begriff der individualisierten Therapie aus und der Versuch, das alles zu berücksichtigen. Da sind wir noch nicht besonders weit, muss man sagen.

Carola Göring: Verstehe. Und wie wichtig ist in diesem ganzen Zusammenhang das Therapeutin Patientin Verhältnis?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ich glaube, es spielt eine größere Rolle, als wir es vielleicht im Bereich dieser, naja, etwas nüchternen Arzneimitteltherapie betrachten. Aber ich glaube schon, dass ein gutes Verhältnis zwischen Therapeutinnen-Patientinnen dazu führen kann, dass sozusagen das Verständnis für für den Ansatz, den man da wählt bei einer Arzneimitteltherapie verbessert wird und nicht frustriert eine Therapie zu beenden. Ne, Und ich glaube, wie schlimm oder wie unangenehm eine unerwünschte Wirkung ist, hängt sicherlich auch davon ab, was man insgesamt über die Therapie denkt. Und da spielt sicher das Verhältnis eine wichtige Rolle. Aber diese Wirkung, die ist sozusagen in den, insbesondere den Zulassungsstudien von neuen Arzneimitteln natürlich überhaupt nicht abgebildet.

Und ein anderer Aspekt, den ich selber auch erst vor kurzem mal gelesen habe, ist, Frauen als Therapeutinnen neigen eher dazu, sich an Leitlinien und solche Dinge zu halten und das zu berücksichtigen, wogegen Männer eher ein bisschen großzügiger in der Auslegung sind. Das klingt jetzt wahnsinnig pauschal, aber das ist kurz zusammengefasst das, was man finden kann. Und insofern spielt das Verhältnis Therapeutin Patientin natürlich eine Rolle.

Carola Göring: Also wenn ich das ganz kurz mal zusammenfassen darf. Es kommt darauf an, erst mal den richtigen Wirkstoff zu finden. Also Grundlage ist natürlich die richtige Diagnose, die richtige Dosierung und dann sollte auch das Therapeut:in-Patient:in-Verhältnis stimmen und vor allen Dingen auch eine Einigkeit über die Therapie bestehen. Genau. Und Sie haben ja jetzt eben im letzten Punkt schon gesagt, es gibt geschlechterspezifische Unterschiede, auch in diesem Verhältnis Patientin-Ärztin. Aber bleiben wir erst mal eher bei diesen biologischen Faktoren. Wie werden diese Unterschiede denn zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen überhaupt untersucht?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Also die Frage ist nicht schwierig, aber sie ist nicht leicht zu beantworten, weil es im Grunde wenig Studien mit Arzneimitteln gibt, die genau diesen Geschlechteraspekt betrachten. Und wir reden ja jetzt von Krankheiten, die es sowohl bei Männern als auch bei Frauen gibt und von Arzneimitteln die nicht geschlechtsspezifisch entwickelt werden, sondern natürlich erst mal für die Gesamtheit der Patient:innen in einer Krankheit gelten. Und hier ist es eben so, dass es zwar internationale Regularien gibt, die den den Initiatoren von Arzneimittelstudien und von Zulassungsstudien sagen, dass das Geschlechterverhältnis in einer Zulassungsstudie für ein Arzneimittel die Situation widerspiegeln soll, von der Verteilung, wie sie auch in der Realität in einer Bevölkerung auftritt. Also wenn die Krankheit bei Männern und Frauen gleich häufig ist, dann sollen auch gleich viele Männer wie Frauen in eine Studie eingeschlossen werden. Und da muss man aber sagen, diese Berücksichtigung der Geschlechterproportionalität in der Häufigkeit von Erkrankungen, die sieht man in Studien nicht unbedingt.  Das heißt, es ist durchaus die Frage, die Sie am Anfang gestellt haben sind kriegen jetzt Frauen Arzneimittel, die nur von Männern getestet wurden? Ja, das mag bei manchen Indikationen eher zutreffen als bei anderen. Also ich mach mal ein Beispiel

In Studien zur Gewichtsreduktion wo Arzneimittel angewendet werden, wenn es „in Anführungsstrichen“ nur um die Gewichtsreduktion geht, dann sieht man einen relativ hohen Anteil von Frauen, die als Studien-Patientinnen mitmachen, also oft so im Bereich 75 % der der Patientinnen, die eingeschlossen werden, sind Frauen. Das spiegelt nicht die Häufigkeit der Adipositas in der Bevölkerung wider, weil da gibt es zwischen Männern und Frauen kaum Unterschiede. Wenn jetzt diese Arzneimittel weiter untersucht werden, zum Beispiel hinsichtlich Blutzuckersenkung. Weil viele der Gewichtsreduktions-Arzneimittel, die wir heute kennen, haben auch einen Effekt auf die Blutzuckersenkung. Wenn also beides untersucht wird, Einfluss auf den Blutzucker plus Einfluss auf das Gewicht, dann nimmt der Männeranteil in den Studien zu, dann ist es relativ ausgeglichen. Und wenn für diese Arzneimittel jetzt noch untersucht werden soll, ob sie. Einen günstigen Effekt haben auf auf kardiovaskuläre Ereignisse, also zum Beispiel Herzinfarkte und solche Komplikationen. Dann ist der Männeranteil in diesen Studien noch mal größer, obwohl es immer noch um das gleiche Medikament geht. Also das ist sehr indikationsabhängig, Tatsächlich. Und es gibt wenig Studien, die von vornherein so aufgelegt werden, dass man eben einen Geschlechtsunterschied testet.

Normalerweise ist es so, es gibt eine Indikation und dafür gibt es ein neues Medikament. Und das wird dann eben in Phase 3 Studien - auf den Begriff kommen wir vielleicht noch mal - untersucht und dann gibt es einen Wirksamkeitsnachweis. Und wenn dieser Wirksamkeitsnachweis in der Gesamtpopulation der eingeschlossenen Patient:innen erreicht wurde, dann kann man sich dran machen und dann werden alle möglichen vordefinierten. Gruppen sozusagen innerhalb dieser Gesamt-Studienpopulation untersucht. Und dann werden Altersunterschiede getestet, Geschlechterunterschiede getestet, es wird auf die Nierenfunktion getestet usw.. Aber das sind alles sogenannte Subgruppenanalysen, die uns dann Informationen liefern. Diese Subanalysen sind streng genommen aber eben nur dann möglich, wenn das primäre Ziel der Studie erfolgreich gefunden wurde. Das heißt, in einer negativ verlaufenden Studie sind solche Subgruppenanalysen aus statistischen Erwägungen heraus eigentlich nicht aussagekräftig. Das ist so eine Einschränkung. Die andere Einschränkung ist, wenn ich auf einen Geschlechterunterschied teste, aber bei der Rekrutierung nicht darauf geachtet habe, dass die Geschlechter auch gleichmäßig repräsentiert sind in der Studie, dann kriege ich eben unter Umständen einen Vergleich von na 4 Männern zu einer Frau und das dann multipliziert auf die Anzahl der Studienteilnehmer, was unter Umständen ja gar nicht so aussagekräftig ist, weil sozusagen eine Proportionalität, also ein Proporz von 4 zu 1 in der Häufigkeit einer Erkrankung ist relativ ungewöhnlich. Meistens sind dann doch relativ gleichmäßig Frauen und Männer betroffen. Also diese Subgruppen, Analysen, die haben viele Probleme. Und natürlich auch aus statistischer Sicht wieder selbst wenn es erlaubt ist, eine Gruppenanalyse zu machen, die vorher festgelegt wurde. Wenn ich deutlich unterschiedlich große Gruppen habe von Männern und Frauen, dann ist die Aussagekraft natürlich unter Umständen auch gar nicht so besonders. Und es gibt wirklich wenig Studien, die von vornherein so aufgelegt wurden, dass man einen Geschlechterunterschied überprüfen wollte. Und das gilt insbesondere für die Zulassungsstudien von Arzneimitteln.

Carola Göring: Aber das sollte eigentlich gemacht werden, oder?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ja, es wäre wünschenswert. Zumindest wäre wünschenswert, dass die Studien von vornherein so rekrutieren, also Studienpatientinnen einschließen, dass man hinterher auch sinnvolle Subgruppenanalysen ermöglichen kann.

Carola Göring: Jetzt noch mal zu den Subgruppenanalysen, weil sie hatten ja gesagt, das Problem ist, wenn es weniger Frauen anteilsmäßig sind als Männer. Also sagen wir mal, es sind 200 Frauen in der Studie, aber 2.000 Männer. Dass dann aber eben eigentlich wär‘ die Krankheit bei beiden Geschlechtern gleich häufig, dann die Aussage zum Medikament wie die Wirkung ist bei den Frauen oder die Nebenwirkung ist dann wahrscheinlich sehr begrenzt.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Genau. Das ist genau das ist genau das Problem.

Carola Göring: Weil die Schwankungsbreite sehr hoch ist und man keine statistische Aussage machen kann?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Genau, und was ja in den in den Arzneimittelstudien oft gemacht wird, ist diese sogenannte Randomisierung, also die zufällige Zuteilung in in die Behandlungsgruppen. Und wie kann man diese zufällige Zuteilung in die Behandlungsgruppen kann man so steuern - und es bleibt immer noch zufällig - dass aber sozusagen die die Geschlechter gleichermaßen berücksichtigt werden bei der Verteilung auf die Behandlungsgruppen. Das nennt man stratifizieren. Also es könnte ja sein, wenn ich, wenn ich jedes Mal eine Münze werfen, wenn ein Patient oder eine Patientin in die Studie geht, dann könnte ich ja Pech haben und es gehen alle Männer in die eine Gruppe und also Behandlungsgruppe und alle Frauen in die andere Behandlungsgruppe. Dann könnte ich schon mal überhaupt keine Geschlechterunterschiede feststellen. Also das heißt, diese die, die die Verteilung auf die Interventionsgruppen muss, muss natürlich solche Merkmale wie Geschlecht berücksichtigen, aber auch dann, wenn ich deutlich mehr Männer oder Frauen rekrutiere. Als als das andere Geschlecht bleibt die Aussagekraft immer eingeschränkt.

Carola Göring: Haben Sie ein konkretes Beispiel zu so einer Studie, dass Sie kurz erklären könnten in einem Indikationsbereich?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Im Bereich der Herzinsuffizienz - anders als in anderen Erkrankungsgebieten - gibt es einen relativ ausgeprägten Blick schon auf Geschlechterunterschiede, weil man auch irgendwann gesehen hat, die Herzinsuffizienz als solche, die ja in 2 Formen kommt, gibt es durchaus Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Also machen wir es mal ein bisschen konkret: Es gibt die Herzinsuffizienz, wo die Auswurfleistung des Herzens messbar reduziert ist. Das ist die heart failure with reduced ejection fraction HFrEf, sagen die Kardiologen. Und diese Form der Herzinsuffizienz, da sind viel mehr Männer betroffen als Frauen. Die meisten Studien sind aber natürlich für diese Form der Herzinsuffizienz gemacht worden, weil die meisten Arzneimittel bislang auch da wirksam waren und nicht bei den anderen Formen der Herzinsuffizienz. Und da gibt es ein Beispiel für einen, ja jetzt auch nicht mehr neuen Wirkstoff,  diese Kombination aus Sacubitril und Valsartan, das ist vor ein paar Jahren publiziert worden mit deutlichen Wirksamkeitsnachweisen. Und da wurde dann natürlich auch geguckt, gibt es ein Männer-Frauen-Unterschied? Es gab da keinen, aber da waren die Männer 4-mal häufiger repräsentiert als die Frauen in der Gruppe. So, und dann hat man aber später mit dem gleichen Wirkstoff eine andere Studie gemacht bei dieser anderen Form der Herzinsuffizienz, die mit der erhaltenen Auswurf Leistung, die bei Frauen die typische Form der Herzinsuffizienz ist.
Und da wurde in so einer 2 mal 2 Felder-Tafel rekrutiert. Also man hat die Intervention gehabt, also Sacubitril plus Valsartan versus die Vergleichssubstanz, das war nur Valsartan und gleichzeitig, das heißt, das waren 2 Felder und dann hat man noch Männer und Frauen mit eingeführt und damit hatte man also 4 Gruppen, die gleichberechtigt tatsächlich rekrutiert waren. Und da hat man erstaunlicherweise gefunden, dass die Frauen, die das neuere Sacubitril plus Valsartan gekriegt haben, die waren die, die am meisten von der Therapie profitiert haben.
Das war erstens interessant, weil es für diese Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion wenig Therapieoptionen bislang gibt. Und zum anderen war das mal so eine Studie, die gut rekrutiert hat, sodass man auch wirklich einen belastbaren Ausgangsbasis hatte, um zu sagen, ob es einen Geschlechterunterschied gibt. Aber das ist so eins der ganz wenigen Beispiele, was ich ich im Moment kenne. Es gibt natürlich noch viele andere Studien Daten, wo man Männer-Frauen-Unterschiede auslesen kann. Aber das war mal eine Studie, wo man sagen kann okay, die wollten genau das wirklich mal wissen und das hat dann auch funktioniert. Aber das ist so eins der wenigen gut belastbaren Beispiele, muss man sagen.

Carola Göring: Wir reden ja jetzt die ganze Zeit über Zulassungsstudien, also Phase 3 Studien. Aber es gibt ja auch noch eben vor der Phase 3 kommt ja ist vor der Phase 3, sind ja auch noch andere Studien angesiedelt, wenn man das. Vielleicht können Sie diese verschiedenen Studienphasen mal kurz.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ja gerne. Also die Idee ist, wenn ich für eine Krankheit einen neuen Wirkstoff entwickle, dann mache ich das ja zunächst mal in-vitro, also in sehr guter Modellen und dann in Tiermodellen. Und irgendwann ist man an dem Punkt, dass man sagt gut, wir haben genug Daten zur Sicherheit des Wirkstoffs in Tieren und zur Wirkung. Und jetzt können wir in den Menschen gehen. Dann fängt es eben mit Phase 1 an und die Phase 1 ist im Grunde so gestaffelt: In dem ersten Abschnitt schließt man so nach und nach kleine Kohorten von so 6 bis 8 Personen ein und die kriegen zu Beginn der Phase 1 einen Wirkstoff einmal, das geht in der ganz niedrigen Dosis los. Und wenn man keine Sicherheitshinweise gesehen hat, dann kommt die 2. kleine Kohorte, dann steigert man die Dosis und dann kommt irgendwann die dritte kleine Kohorte. Und das passiert meistens so in je nach Wirkstoff, so in 3 bis 5 oder 6 Kohorten. Und dann ist sozusagen die erste Phase 1 Studie durch. Und dann gehts weiter. Dann macht man Mehrfachgaben. Das ist immer noch Phase 1 und irgendwann ist man so weit, dass man sagt Gut, also diese, diese Varianten, das haben wir jetzt ausprobiert und wir haben eine Dosis gefunden, die verträglich ist und mit der kann man die dann in die Phase 2 gehen.

In Phase 1 muss man sagen, werden oft noch gesunde Menschen eingeschlossen. Und einfach, weil man nur Sicherheitsdaten haben möchte und keine Wirksamkeit. Und in diesen Phase 1 Studien, die ja auch die Erstanwendung am Menschen beinhaltet. Irgendein Mensch ist eben der Erste oder die Erste, die dann einen neuen Wirkstoff kriegt. Da ist der Frauenanteil vergleichsweise niedrig. Es gibt so ein paar Studien, die das mal untersucht haben. Der liegt so um die 20 bis 25 %. Das heißt also aus Phase 1, da gibt es viel mehr Daten für Männer als für Frauen. Aber viel mehr stimmt, wenn man die Proportionen betrachtet. Aber viel mehr stimmt nicht, wenn man die Zahl der Menschen, die exponiert wurden, betrachtet. Das sind dann nämlich mal knappe 100 oder so, also es sind jetzt noch nicht besonders viele.
 Aber wenn es keine Sicherheitsbedenken gibt in Phase 1, dann geht es halt in Phase 2 und da gibt es Daten von der niederländischen Gruppe, die das mal vor 3 oder 4 Jahren publiziert haben. Die haben das mal bei Zulassungsstudien in den USA angeguckt und alle Studien, die irgendwie zur Zulassung von Arzneimitteln geführt haben, mit berücksichtigt. Und die haben gesagt, also Phase 1 sind ungefähr 20 bis 22 % Frauen rekrutiert worden, in Phase 2 sind es dann schon 48 % Frauenanteil. Und das bleibt dann auch so, also fast die Hälfte. Und das ist aber der Mittelwert über alle Studien in Phase 2 oder 3, die sich angeguckt haben. Natürlich gibt es da Unterschiede, wie ich es vorhin gesagt habe. Bei manchen Indikationen sind mehr Frauen und bei anderen sind mehr Männer dran. Aber insofern, sagen wir mal, ab Phase 2 gleicht sich das ungefähr aus. Und Phase 2 dient im Wesentlichen dazu, jetzt eine gute, wirksame Dosis zu finden und dann nach wie vor Berücksichtigung der Sicherheit. Das heißt, in Phase 2 sind immer Patientinnen eingeschlossen. Und wenn man da erfolgreich ist, dann kann man Phase 3 machen, wo es im Grunde darum geht, den Therapieerfolg, die man in Phase 2 jetzt für eine bestimmte Dosis sozusagen gesehen hat, den wenn man dann in Phase 3 noch mal in größeren Studien bestätigen, das ist jetzt ein sehr grobes Schema für Phase 1, weil da gibt es viele Varianten aber ich glaube, für unser Thema heute ist das reicht das so. Und mit Phase 2, die sind deutlich größer als Phase 1 und Phase, daher ist nochmal deutlich größer als Phase 2 und dann steigen natürlich die Informationen zur Wirksamkeit und zur Sicherheit. Und dann? Kriegt man auch mehr über Frauen raus. So ist ein bisschen einfach gesagt.

Carola Göring: Aber wenn ich das richtig verstehe, heißt das schon, dass man in der Phase 1, also bei Frauen eventuell doch größere Sicherheitsbedenken noch hat, weil die Aussage unsicherer ist als bei Männern.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Das kann man, glaube ich so sagen. Auf der anderen Seite ist natürlich der Gedanke dahinter, warum man so zurückhaltend ist, Frauen einzuschließen ist im Wesentlichen ja der Aspekt der möglichen Schwangerschaft. Also man will eben insbesondere nicht bei Erstanwendungen am Menschen ne Schwangerschaft erleben unter Exposition mit einem neuen Wirkstoff. Das ist sicherlich der Hauptgesichtspunkt, der heutzutage auch noch dazu führt, dass weniger Frauen eingeschlossen werden. Aber es ist nicht grundsätzlich verboten und wie man ja an dem Anteil von 20 % sieht. Es gibt eben sehr strenge Vorschriften an die an die Empfängnisverhütung oder an die Gebärfähigkeit.

Andererseits gibt es Wirkstoffe, die durchaus die Empfängnisverhütung durch Hormone zum Beispiel negativ beeinflussen können, und dann ist das natürlich keine geeignete Situation.

Carola Göring: Verstehe.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Das heißt, dieses Argument, da sind zu wenig Frauen drin, beißt sich so ein bisschen den Schwanz, man kann es schon verstehen, warum es so ist. Und eine Frau, die keine hormonelle Kontrazeption macht, also wirklich sichere Methoden anwendet, die kann man nicht davon überzeugen, dass er zu tun, nur damit sie dann in so eine Studie reingehen kann. Also das ist ja aus ethischer Sicht nicht zu tolerieren und insofern ist das, glaube ich eine Situation, mit der man insgesamt. Leben muss.

Wenn wir jetzt sagt, wir nehmen nur Frauen, die nicht mehr gebärfähig sind, dann hätte man aber natürlich auch wieder eine spezielle Altersgruppe im Schnitt. Und das würde natürlich die Aussagekraft dann auch wieder relativieren. Wäre natürlich ein Weg und ist sicher für manche Arzneimittel auch durchaus passend, weil sie eher für vielleicht fürs höhere Lebensalter typischerweise infrage kommen. Dann kann man das natürlich berücksichtigen.

Carola Göring: Okay, also eine offene Frage, ein offenes Problem. Da könnte es vielleicht auch irgendwie intelligente Lösungsmöglichkeiten.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Genau, aber so ganz aufzulösen wird es nie sein. Ich glaube eins wird’s nie: ne l50-50 Verteilung geben.

Carola Göring: Können Sie noch was sagen zur Beteiligung von Transpersonen in Studien? Gibt es da viele Daten oder auch zu Intersexpersonen?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Also ich fürchte, da gibt es überhaupt keine Daten. Natürlich gibt es Daten für die Arzneimittel, die man jetzt einsetzt, zum Beispiel um eine geschlecht-bestätigende Therapie durchzuführen. Das ist ja klar, wobei sicherlich auch keine Zulassungsstudie in diesem Sinne Phase 1, 2, 3. Aber sagen wir mal, für die meisten Studien, wo es darum geht, Wirksamkeit und und Sicherheit von Wirkstoffen zu testen, da ist denke ich das Thema Transsexualität oder Transpersonen überhaupt noch nie berücksichtigt worden.

Ich kann das auch sagen aus meiner eigenen Erfahrung. Ich habe ja viele Jahre in solchen Zulassungsstudien als Prüfarzt gearbeitet. Ilch würde mal behaupten, dass bis vor wenigen Jahren sozusagen überhaupt nur die Möglichkeit Mann Frau gab zum Ankreuzen in so einem Studiendokument und. Darüber hinaus - und das macht es noch kritischer - würde ich behaupten, dass in den meisten Fällen überhaupt nicht danach gefragt wird, sondern das wurde sozusagen nach Augenschein angekreuzt. Also das klingt natürlich schrecklich, aber ich glaube, das ist die Realität. Das heißt, alles das, worüber ich bisher gesprochen habe, über Männer-Frauen-Unterschiede oder Geschlechterunterschiede, das beruht eben wirklich auf diesem binären Blick Mann, Frau und Geschlecht, was bei der Geburt mal zugeordnet wurde. Ich habe noch nie Zahlen gesehen, aber ich bin jetzt auch noch ein bisschen neu in dem ganzen Gebiet, wie viele Transpersonen überhaupt in Zulassungsstudien drin waren. Das wird man wahrscheinlich gar nicht wissen. Es werden wahrscheinlich auch nicht so viele sein, weil … ich weiß nicht, wie groß die Bereitschaft wäre, an einen solchen Studien teilzunehmen.

Carola Göring: Jetzt haben wir viel über Studien und über Unterschiede zwischen den Geschlechtern gesprochen. Aber warum gibt es diese Unterschiede überhaupt zwischen den Arzneimittelwirkungen und auch den Nebenwirkungen bei Männern und Frauen?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Na, ich würde behaupten, es ist zum Teil noch gar nicht so ganz klar. Die Wirksamkeit von Arzneimitteln hat ja viel mit der Erkrankung selber zu tun. Also welches Organ ist betroffen, welche Moleküle sind die, die die Krankheit durch durch eine Dysfunktion hervorrufen? Und da wird es welche geben, wo Testosteron oder Östrogen einen Einfluss haben und und andere nicht. Das wäre die erste Frage, die man erklären muss. Die hat aber eher etwas mit der Ausprägung einer Krankheit in den Geschlechtern zu tun.
Für die Wirksamkeit habe ich ja schon gesagt, die Dosis eines Arzneimittels ist durchaus entscheidend und wir kommen da vielleicht noch mal darauf, dass man bei Männern und Frauen da manchmal Unterschiede sieht oder schon kennt. Und die Dosis von Arzneimitteln hat viel mit dem Begriff der Pharmakokinetik zu tun. Also wie kommt das Arzneimittel in den Körper rein? Wie kommt es ins Blut? Wie kommt es zu den Organen, wo es wirken soll? Wie wird es umgebaut, abgebaut und wie kommt es aus dem Körper wieder raus? Grob besprochen sind das so die Prozesse, die in der Pharmakokinetik eine Rolle spielen. Und da gibt es ein paar Unterschiede, die bei Männern und Frauen ganz gut belegt sind. Also zum Beispiel ist die Körperzusammensetzung von Männern und Frauen nicht identisch, also der Anteil des Körperwassers, der ist noch relativ gleich, aber der Anteil von Körperfettmasse und fettfreier Körpermasse, also am Gesamt-Körpergewicht, der ist unterschiedlich, typischerweise mit einem höheren Anteil des Fettgewebes bei Frauen.
Es gibt Arzneimittel, die sind eher wasserlöslich, es gibt Arzneimittel, die sind eher fettlöslich. Und wenn jetzt diese Verteilungsräume sich unterscheiden zwischen Menschen, dann kann das dazu führen, dass zum Beispiel die Blutkonzentration eines Arzneimittels bei gleicher Dosis unterschiedlich sind. Und wir haben im Moment muss man sagen, für die Arzneimittel, die es gibt, praktisch keine Dosisempfehlunglen, dass man bei Männern und Frauen unterschiedliche Dosierungen geben soll.

Die Dosierung richtet sich nach Indikation, nach Schweregrad. Oft gibt es ja ein Auftrittrieren von der niedrigen Dosis zu höheren, aber da gibt es keine Hinweise für geschlechterspezifische Vorgehensweisen. Und das heißt ja, dass Männer und Frauen gleiche Dosierung kriegen im gleichen Krankheitsstadium. Und wenn man jetzt diese verschiedene Körperzusammensetzung zugrunde legt, kann das schon zu, jetzt vielleicht nicht riesigen, aber möglicherweise doch messbaren Unterschieden in den Blutkonzentrationen von Arzneimitteln führen und auch in den Gewebekonzentrationen, also da, wo die Arzneimittel letztlich wirken sollen. Also das kann eine Rolle spielen.

Carola Göring: Haben Sie da einige Beispiele?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Es gibt vielleicht eher ein Beispiel zum Umbau von Arzneimitteln, der passiert ja weitgehend in der Leber. Da gibt es diese Cytochrom p 450 Enzyme, die die Arzneimittel zum Teil aktivieren, aber eben häufig auch inaktivieren. Und da gibt es so ein paar Hinweise darauf, dass eben bei bei Frauen und Männern mal das eine, mal das andere Cyp aktiver sozusagen ist. Das würde bedeuten, bei gleicher Dosis würde ein Wirkstoff bei einem aktiveren Sub schneller abgebaut werden können. Das sind oft ganz Daten aus ganz kleinen Fallzahlen, oft auch aus in-vitro Studien oder oder Ex-vivo Studien, wo man vielleicht mal ein Stück Leber gekommen ist und das verglichen hat zwischen Männern und Frauen. Also nicht gut belastbar.

Aber es gibt so ein paar Hinweise wieder aus der Herzinsuffizienz. Bei der Herzinsuffizienz-Therapie ist eigentlich die Idee man fängt mit relativ niedrigen Dosierungen der wirksamen Arzneimittel an und wirksam sind eben zum Beispiel ACE Hemmer, Angiotensin-Rezeptor Blocker, die Betablocker selber und noch ein paar andere. Und die Idee ist eigentlich oft, man fängt mit niedrigen Dosierungen an und erhöht die Dosis dann so weit, wie die Patientinnen es vertragen. Im Grunde ist die Idee immer eine, möglichst die Dosis möglichst so weit zu steigern, wie es halt geht. Und wenn jetzt in Metaanalysen verglichen wird, ob’s Unterschiede gibt in der Wirksamkeit dieser verschiedenen Wirkstoffe bei Männern und Frauen, dann sieht man relativ kleine Unterschiede, nur oder gar keine.

Und dafür könnte es aber eine einfache Erklärung geben aus neueren Analysen herausgekommen sind. Und in den Analysen wurde mal untersucht, welche Dosis denn eigentlich tatsächlich die wirksame war. Und bei den Männern hatte man gesehen, wenn Männer 100 % der Zieldosis genommen haben, dann haben die den den besten Therapieerfolg jetzt mit Blick auf die Herzinsuffizienz gehabt. Und bei Frauen scheint es aber anders zu sein. Da scheint es so zu sein, dass man weniger dieser Zieldosis braucht. Die Zieldosis war für beide Geschlechter gleich. Wenn man Studien zusammenwirft und damit die Patient:innen-Zahlen erhöht, dann sieht man, dass ab einer gewissen Dosis bei Frauen im Grunde kein weiterer positiver Effekt auf die Herzleistung und auf das kardiale Überleben usw. auftritt. Aber man braucht gar nicht so viel, man braucht ungefähr 50 % der Dosis wie bei Männern.

Carola Göring: Und das beachtlich.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Das ist beachtlich. Und das hat im Grunde 2 Implikationen. Die eine ist die Frage: Warum ist das so? Und das könnte mit dem Umbau in der Leber zum Beispiel von Arzneimitteln zusammenhängen, dass der doch unterschiedlich für manche Wirkstoffe ist. Wobei nicht alle von denen, die ich genannt habe, in der Leber abgebaut werden. Aber für die, die in der Leber abgebaut werden, könnte es eine Rolle spielen. Der andere Aspekt ist, wenn ich nicht mehr Positives erreichen kann durch eine Dosissteigerung, und tue es aber doch, weil ich es gar nicht weiß, dass ich nicht mehr Positives erreichen kann, dann kaufe ich damit aber unter Umständen natürlich noch mehr unerwünschte Wirkungen oder stärkere unerwünschte Wirkungen ein. Das ist schon. Ich denke, das ist ein Bereich in der Medizin, der klinisch absolut relevant ist. Also die Frage, ist die Dosis eigentlich für beide Geschlechter gleich groß und notwendig? Und wie gesagt, aus der Herzinsuffizienz gibt es dazu ganz gute Daten inzwischen, aber aus anderen Bereichen wüsste ich es tatsächlich noch nicht.

Carola Göring: Ja, da haben Sie mir jetzt auch das Stichwort gegeben: Nebenwirkungen? In den anderen Podcastfolgen zu verschiedenen Erkrankungen wurde immer wieder berichtet, dass Frauen häufiger Nebenwirkungen haben als Männer. Können Sie das bestätigen oder haben Sie Gründe dafür?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Also ich kenne diese generellen Aussagen auch. Und ich zitiere jetzt nochmal diese niederländische Studie. Die hat einfach mal vor ein paar Jahren rückblickend Zulassungsprozesse von Arzneimitteln in den USA angeguckt. Und die haben eben, was ich vorhin beschrieben habe, diese Geschlechterrepräsentanz in den verschiedenen Studien Phasen daraus beschrieben. Die haben aber eben auch geguckt, wie oft werden denn überhaupt Geschlechterunterschiede berichtet. Das ist durchaus in einem Viertel der Fälle so, dass da überhaupt nicht darauf geachtet wird und es überhaupt nicht dokumentiert ist in Publikationen, in Studien, Berichten usw. Aber  dass in ungefähr 50 % aller Studien, die sie angeguckt haben, haben Frauen mehr unerwünschte Wirkungen berichtet als Männer. Und nur in 18 % haben Männer mehr unerwünschte Wirkungen berichtet als Frauen. Also da scheint es Unterschiede zu geben. Ich kann jetzt aber nicht genau sagen, weil das da nicht berichtet wurde, welche einzelnen unerwünschten Wirkungen das betrifft. Jetzt muss man natürlich immer fragen, wie gut ist denn die Datenbasis?

Also in Studien ist es natürlich so zu jeder Visite, wenn Studien-Patientinnen kommen, werden sie nach unerwünschten Wirkungen gefragt. Und alles, was sie berichten, wird aufgeschrieben. Und natürlich soll man als Prüfarzt Prüfärztin die Teilnehmenden auch ermuntern, wirklich alles zu beschreiben. Es hat nichts mit Kausalität zu tun, das hat nichts mit Schweregrad zu tun, sondern alles, was anders ist als sonst, soll eben berichtet werden. Das heißt, in den Zulassungsstudien oder anderen Arzneimittelstudien gibt es noch ein relativ engmaschiges System des Abfragens.

Und nun könnte es sein - und wieder bitte ich zu verzeihen, wenn das so platt klingt - aber es gibt die Interpretation, dass man sagt, dass Frauen eher bereit sind, auch in Anführungsstrichen Lappalien zu berichten. Also der Kopfschmerz oder Übelkeit oder so was und Männer - Ich weiß, das klingt furchtbar platt - eher geneigt sind, das nicht zu beschreiben. Also es könnte durchaus sein, dass es einfach einen Berichts-Bias gibt zwischen den Geschlechtern: Das ist gar nicht so ist, dass mehr unerwünschte Wirkungen bei Frauen auftreten als bei Männern, sondern dass es nur unterschiedlich wahrgenommen und berichtet wird. Das ist etwas, was man im Grunde nur durch andere Maßnahmen der Abfrage in den Studien klären kann.

Die andere Seite ist, dass natürlich unser Wissen über unerwünschte Wirkungen nicht nur aus den Zulassungsstudien kommt, sondern später auch aus dem klinischen Alltag. Und da gibt es aber das Problem, dass diese Daten, die berufen alle auf Spontanmeldungen. Manches wird halt gemeldet und wird dann bekannt, das geht zu Arzneimittelbehörden und anderes eben nicht. Also da gibt es natürlich einen großen Bias. Was kommt überhaupt an? Was da natürlich überhaupt nicht in dem Spontanmeldensystem abzubilden ist, ist, wie viele Menschen denn überhaupt ein Arzneimittel kriegen. Es werden unerwünschte Wirkung gemeldet, aber wie viele exponierte Personen es überhaupt gibt und wie viele exponierte Frauen und wie viele exponierte Männer, weiß man nicht. Insofern kann man da natürlich ganz schwer nur einen Geschlechterunterschied ausmachen.

Also wenn jetzt sagen wir mal, für ein neues Arzneimittel, was ein Jahr auf dem Markt ist, jetzt für irgendeine unerwünschte Wirkung nur Meldungen für Frauen kommen, dann kann es so sein, dass nur Frauen diese unerwünschte Wirkung in dieser Ausprägung bekommen. Es kann aber genauso gut sein, dass nur die Fälle von Frauen oder über Frauen berichtet wurden oder dass diese Arzneimittel fast nur Frauen verordnet würden. Das wäre ja theoretisch auch noch möglich. Das weiß man alles nicht. Deswegen ist die Beurteilung dieser. Sind es jetzt wirklich mehr unerwünschte Wirkung bei Frauen? Das ist wahnsinnig schwer und ich finde das enorm unbefriedigend, dass es so ist. lAber tatsächlich muss man in der Bewertung einen Schritt zurückgehen und überlegen. Okay, ist es jetzt wirklich so gravierend, wie es klingt?

Auf der einen Seite gibt es schon Beispiele für unerwünschte Wirkungen, die häufiger bei Frauen auftreten, auch wenn es in den Fachinformationen nie so beschrieben wird. Da stehen halt Häufigkeiten für alle. Ich habe ja vorhin die ACE-Hemmer erwähnt. Da gibt es so eine typische unerwünschte Wirkung, diesen trockenen Reizhusten; kann wahnsinnig nerven, ist nicht gefährlich, aber kann sehr ärgerlich sein. Und der scheint bei Frauen häufiger auftzutreten. Zum Beispiel.

Carola Göring: Haben Sie noch andere Beispiele?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ja, ich habe noch ein paar andere Beispiele. Tatsächlich. Also es gibt auch aus dem Bereich Bluthochdruck-Therapie die Kalziumkanalblocker; Amlodipin wäre so ein Beispiel und das macht also eine typische unerwünschte Wirkung Knöchelödeme. Das ist eine Wirkung des Arzneimittels auf die Endothelzellen. Und das ist auch etwas, was bei Frauen häufiger auftritt. Aber auch hier, das ist so ein Symptom oder eine unerwünschte Wirkung. Wo es durchaus sein kann, dass Frauen mehr darauf achten. Also ich kann durchaus sein, dass Männern das ein bisschen egal ist und insofern, aber es wird häufiger für Frauen berichtet. Sagen wir es mal so.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Also vielleicht ein Letztes. Es gibt ja verschiedene Arzneimittel, die die Salzausscheidung und die Wasserausscheidung verstärken. Die Diuretika, und auch da wird berichtet, dass Störungen der Elektrolyte, also Natrium, Kalium, vor allem, die durch diese Arzneimittel dann hervorgerufen werden aufgrund ihrer Wirkung, dass die bei Frauen wiederum häufiger auftreten. Also das sind so kleine Hinweise, die man so in Übersichtsarbeiten findet. Ähm. Wie gut die Datenlage da jeweils ist, ist ein bisschen schwierig. Es gibt vielleicht einen letzten Punkt, wenn ich den noch erwähnen darf.

Carola Göring: Unbedingt.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Wo es mal tatsächlich besser angeguckt wurde. Das aber sind schon relativ alte Daten aus dem Anfang 2000er Jahre, die kommen aus den USA und da ist mal gefragt worden zu neuen Arzneimitteln, die nach der Zulassung relativ bald wieder vom Markt genommen wurden. Und diese Marktrücknahme basiert ganz oft auf unerwünschten Wirkung.

Und da war tatsächlich die konkrete Frage, ob mehr unerwünschte Wirkungen bei Frauen aufgetreten sind, die dann zur Marktrücknahme geführt haben. Und die haben das für Marktrücknahmen innerhalb von 5 oder 8 Jahren angeguckt und die haben tatsächlich gefunden, dass einige der Arzneimittel vom Markt genommen wurden wegen bestimmter Herzrhythmusstörungen - kann ich gleich noch ein bisschen erklären - die häufiger bei Frauen aufgetreten sind. Also insofern, in dem Bereich gibt es tatsächlich was.

Und diese diese Art der Herzrhythmusstörungen, die nennt man QT-Zeit Verlängerung. Die macht für sich noch keine Rhythmusstörung, aber es ist halt eine Auffälligkeit im EKG. Und QT-Zeit, da gibt es natürlich Normwerte und die gibt es auch geschlechterspezifisch, weil Frauen eine etwas längere QT-Zeit ohnehin haben. Also ohne jedes Arzneimittel ist die QT-Zeit bei Frauen ein bisschen länger. Und das Risiko für QT-Zeit-Verlängerung ist bei Frauen durch Arzneimittel, die das tun, dann erhöht. Und diese QT-Zeit-Verlängerung kann zu zu bestimmten ventrikulären Herzrhythmusstörungen führen. Die nennt man Torsade-de-Pointes-Arrhythmen. Die können tödlich enden, sind also jedenfalls mal lebensbedrohlich. Und die treten auch häufiger bei Frauen auf in Assoziation mit Arzneimitteln.

Also da ist schon ein Punkt, wo sicherlich Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden soll und QT-Zeit verlängernde Arzneimittel gibt es ziemlich viele. Also ganz viele Antipsychotika tun das, ganz viele Antidepressiva tun das und da muss man immer, das braucht halt EKG Kontrollen um das zu überwachen und da ist eben sagen wir mal der Fokus auf auf auf Frauen sicherlich noch mal gerechtfertigt dass so der noch ein bisschen stärker ist.

Carola Göring: Das ist sicher ein sehr wertvoller Tipp noch mal darauf zu achten.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ich hoffe.

Carola Göring: Gut, wir haben jetzt schon eine ganze Zeit lang geredet. Würden Sie vielleicht ganz kurz und knapp noch mal zusammenfassen, was jetzt wirklich wichtig ist, wenn man Pharmakologie und Geschlechteraspekte zusammenwirft?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Wichtig ist, darauf zu achten und im klinischen Alltag, wenn man den Eindruck hat, dass Frauen - es ja meistens dann erstmal die eine, die einem etwas berichtet, zum Beispiel über eine unerwünschte Wirkung - dass man, eben so wie man lernt, dass Symptome bei bestimmten Erkrankungen bei Frauen und Männern ein bisschen unterschiedlich sein können, dass das natürlich für unerwünschte Wirkungen ganz genauso gelten kann und für fehlende Wirkung letztlich auch. Also ich glaube, das Bewusstsein dafür, dass man das einfach grundsätzlich akzeptiert, dass das auftreten kann und dass man das von dem einen Geschlecht öfter hört als von dem anderen. Ich glaube, das ist das Entscheidende.

Ich würde, wenn unerwünschte Wirkungen berichtet werden von Frauen tatsächlich über die Frage, „Macht es Sinn, die Dosis zu reduzieren?“ nachdenken. Na klar, bei Männern, wenn die unerwünschte Wirkung da ist, denkt man darüber auch nach. Aber der Gedanke, vielleicht hat die Frau sowieso schon von vornherein eine zu hohe Dosis bekommen, das ist, glaube ich, ein Aspekt, auch wenn der noch nicht gut belegt ist insgesamt. Aber den sollte man auch berücksichtigen. Bei Arzneimitteln, wo das möglich ist, eine Dosisreduktion zu machen. Und tatsächlich dieser Aspekt, der QT-Zeitverlängerung. Also angeborene Long-QT-Syndrome sind selten, aber Arzneimittel, die die QT- Zeit verlängern, sind häufig - und leider auch oft so, dass sie kombiniert werden. Die Situation jetzt bei Menschen, die mehrere Arzneimittel kriegen, die Chance, dass sie 2 Arzneimittel bekommen, die die QT-Zeit verlängern, die ist nicht so klein. Und der Blick dafür, der ist sicherlich wichtig. Und in manchen Fachgebieten ist man sozusagen damit groß geworden. Ich glaube, für Psychiater innen ist das jetzt kein großes Thema, weil die das alle in ihrer Ausbildung lernen, darauf zu achten. In anderen Bereichen ist das Bewusstsein dafür wahrscheinlich eher ein bisschen weniger ausgeprägt. Also das ist sicherlich ein Hinweis, den ich, den ich sehr wichtig finde. Hm hm.

Carola Göring: Ja, super, vielen Dank noch für diese wirklich praktischen Aspekte jetzt noch mal zusammenfassend zum Schluss. Und jetzt wird es wie immer etwas persönlicher. Herr Professor Engeli, wie sind Sie denn darauf gekommen, sich mit den geschlechterspezifischen Aspekten in der Pharmakologie zu befassen? Und was motiviert Sie, dabei zu bleiben?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ehrlich gesagt, eigentlich 2 Dinge. Und das eine ist relativ banal. Ich habe 2 Töchter, die - und einen Sohn, aber dem war das Thema vielleicht nicht ganz so wichtig - die haben mich so ein bisschen sozusagen darauf getrimmt auf auf solche Geschlechterthemen nen bißchen zu achten. Fing natürlich irgendwann mal an mit Sprache usw. und unsere heißen Diskussionen zu Hause, ob jetzt gendergerechte Sprache wichtig ist oder nicht. Ich habe versucht, das nachzuvollziehen und irgendwann gedacht, ja sie haben recht, man sollte es tun.

Aber letztlich die Initialzündung, dass jetzt sozusagen professionell auch ein bisschen anzugehen, kam letztlich durch mehrere Studierende in Greifswald, die mich vor einer knappen Jahr mal gefragt haben, weil sie das Thema die haben eine Arbeitsgruppe gebildet zu geschlechtersensibler Medizin im Fachschaftsrat und die wollten dann anfangen mit Einzelvorträgen usw. und die haben mich am Anfang mal gefragt, ob ich einen Vortrag halten würde zu Covid-19-Ausprägungen und Therapien und Impfungen und ob es da Unterschiede gibt bei den Geschlechtern. Und die waren dann aber, als ich den Vortrag gehalten habe, schon viel weiter und haben gedacht, sie wollen eigentlich im Wintersemester eine Ringvorlesung auflegen zu dem Thema und haben mich dann gefragt, ob ich da nicht auch was zu Pharmakotherapie erzählen möchte. Und ich finde das einen sehr sinnvollen Weg sozusagen sich dieses Themas anzunehmen. Und letztlich ist es ja egal, ob man was findet oder nicht. Der Punkt ist, dass wir viel zu wenig in den letzten Jahren darüber nachgedacht haben. Deswegen bin ich denen durchaus auch dankbar für diese Anregungen.

Ich kann ja nur aus meiner eigenen Lehre erzählen. Seit Jahren mache ich Seminare und Vorlesungen zu Pharmakotherapie und rede über spezielle Populationen und erzähle immer, was ist jetzt bei einer bestimmten Erkrankung, jetzt bei alten Menschen und bei den Arzneimitteln wichtig oder in der Schwangerschaft oder auch bei Adipositas, weil ich mich da ein bisschen auskenne. Und tatsächlich den Schritt zu überlegen, was ist denn eigentlich zwischen Geschlechtern zu beachten, den bin ich nie gegangen, und nachdem die beiden mich dann Greifswald angesprochen haben, habe ich so überlegt … das hat mich so ein bisschen fassungslos gemacht selber, warum ich eigentlich die Idee noch nicht längst gehabt habe.

Es macht Spaß, sich damit zu beschäftigen und ich glaube, lrückblickend muss man sagen, 20 Jahre Pharmakotherapie. Es hat halt niemanden so richtig interessiert und das ist, glaube ich, ein Punkt, wo man ansetzen muss und wo man versuchen muss, mehr Klarheit zu schaffen. Und wenn es keinen Unterschied gibt, umso besser. Aber ich glaube, wir werden noch einige Überraschungen erleben in der Zukunft.

Carola Göring: Genau. Sie sagten rückblickend, die letzte Frage: Wagen Sie einen Blick voraus in die Zukunft! Wie wird es in 10 Jahren aussehen, wenn Sie an geschlechtersensible Pharmakologie oder geschlechtersensible Medizin denken?

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ich weiß nicht, ob es angebracht ist, optimistisch zu sein, weil ich glaube, der Zulassungsprozess, so wie er im Moment läuft, der ja im Grunde nichts anderes vorsieht, als dass Geschlechter gleichermaßen repräsentiert sein müssen, aber nicht automatisch fordert, dass Geschlechterunterschiede auch im Zulassungsprozess schon erforscht werden müssen. Ich glaube nicht, dass sich das ändern wird in den nächsten 10 Jahren. Aber ich hoffe, dass sich das Bewusstsein sozusagen der der Anwenderinnen, also von uns, letztlich Ärztinnen, Ärzten ändert und wir auch mehr eigene Studien vielleicht zu dem Bereich machen. Die sind dann natürlich nicht nie so groß, das ist ja klar. Aber ich bin insofern optimistisch, dass ich denke, wir werden in 10 Jahren ein ganz anderes Bewusstsein dafür haben, wie Geschlechter sozusagen mit Blick auf Pharmakotherapie angeguckt werden müssen und ob die Daten jetzt schon aus den Zulassungsstellen kommen oder auf anderem Weg oder eben retrospektiv aus der Auswertung von den Daten, die es schon gibt aus den letzten 20 Jahren Zulassungsstudien, das muss man mal sehen. Aber ich denke, wir werden viel mehr wissen auf besserer Datenbasis. Im Moment ist sehr vieles doch noch ein bisschen Fischen im Trüben, muss man sagen. Aber das wird sich definitiv ändern. Und auch ich denke, das ist vielleicht auch einfach eine Generationenfrage. Ich glaube, alle die, die jetzt noch Medizin studieren und die dann ins Berufsleben gehen, die gehen an dieses Thema mit einer ganz anderen Bewusstsein. Und ich glaube, das ist total wichtig, dass wir da hinkommen.

Carola Göring: Ja, danke auch noch für diesen Ausblick. Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Es war total interessant für mich. Ich habe wieder viel gelernt und für unsere Hörerinnen. Einige der Studien, die Sie erwähnt haben, werden wir sicher verlinken in den Shownotes. Und ja, herzlichen Dank für Ihr Kommen ins virtuelle Studio.

Prof. Dr. Stefan Engeli: Ja, sehr gerne. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Vielen Dank.

Quelle: journalmed.de


Anzeige:
V116
V116
 

Sie können folgenden Inhalt einem Kollegen empfehlen:

"Geschlechter-Bias in der Pharmakotherapie"

Bitte tragen Sie auch die Absenderdaten vollständig ein, damit Sie der Empfänger erkennen kann.

Die mit (*) gekennzeichneten Angaben müssen eingetragen werden!

Die Verwendung Ihrer Daten für den Newsletter können Sie jederzeit mit Wirkung für die Zukunft gegenüber der MedtriX GmbH - Geschäftsbereich rs media widersprechen ohne dass Kosten entstehen. Nutzen Sie hierfür etwaige Abmeldelinks im Newsletter oder schreiben Sie eine E-Mail an: rgb-info[at]medtrix.group.