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Kardiologie
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Eine Dysbiose im Darm steht mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung

Ein Mikrobiom ist eine Gemeinschaft symbiotischer Mikroorganismen und deren Genome, die im menschlichen Körper in großer Zahl vorkommen, insbesondere im Magen-Darm-Trakt. Dort übernehmen sie essenzielle Funktionen wie die Fermentation unverdaulicher Ballaststoffe, die Regulierung des Immunsystems, die Synthese bestimmter Vitamine und den Erhalt der Darmbarriere. Fortschritte in der metagenomischen Sequenzierung haben gezeigt, dass das Darmmikrobiom aus über 2.000 Arten besteht, wobei Firmicutes und Bacteroidetes mehr als 90% der Mikrobenpopulation ausmachen. Studien legen nahe, dass eine gestörte Darmflora (Dysbiose) mit verschiedenen Erkrankungen wie chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Allergien, Diabetes, Adipositas und kardiovaskulären Erkrankungen in Verbindung steht, wobei moderne Analysetechniken neue Zusammenhänge zwischen dem Darmmikrobiom und CVDs aufdecken.

Signifikante Korrelation zwischen Darmmikrobiom und koronarer Herzkrankheit

Mehrere Studien haben gezeigt, dass es eine signifikante Korrelation zwischen der Zusammensetzung des Darmmikrobioms und der koronaren Herzkrankheit (KHK) gibt. So fand eine Studie heraus, dass KHK-Patient:innen eine verringerte mikrobielle Vielfalt sowie eine erhöhte Präsenz des proinflammatorischen Bakteriums Ruminococcus gnavus aufwiesen, während butyratproduzierende Bakterien wie Lachnospiraceae und Ruminococcus gauvreauii reduziert waren. Ähnliche Ergebnisse zeigte eine andere Studie, die eine Anreicherung von Lactobacillus, Streptococcus und Enterococcus bei KHK-Patient:innen sowie eine Abnahme von Bacteroides und Prevotella feststellten, die SCFAs produzieren. Trotz leichter Unterschiede in den untersuchten Mikrobiomen kamen alle Studien zu dem Schluss, dass eine reduzierte Produktion von SCFAs mit KHK in Verbindung steht und eine entscheidende Rolle in der Pathogenese kardiovaskulärer Erkrankungen spielt (1).

Herzleistung und Darmdurchlässigkeit stehen in enger Verbindung

Eine gestörte Darmflora kann z. B. durch Ernährungsumstellungen, Antibiotika und Infektionen ausgelöst werden und wurde auch bei Patient:innen mit Herzinsuffizienz (HF) nachgewiesen, was auf eine wichtige Rolle des Darmmikrobioms in der Krankheitsprogression hindeutet. Die „Darm-Hypothese der HF“ von Nagatomo und Tang besagt, dass eine reduzierte Herzleistung zu Ischämie und Störungen der Darmbarriere führt, wodurch die Darmdurchlässigkeit steigt und Entzündungsprozesse gefördert werden. Eine unzureichende Durchblutung des Darms verstärkt die Barrierefunktionsstörung, wodurch bakterielle Metaboliten in den Kreislauf gelangen und Entzündungen weiter verstärken. Zudem zeigen HF-Patient:innen strukturelle Veränderungen wie Verdickungen und Fibrosen der Darmwand, die nicht nur die Nährstoffaufnahme, sondern auch die Wirksamkeit von HF-Medikamenten beeinträchtigen und somit die Krankheit verschlimmern können (2).

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Darmmikrobiota beeinflussen auch den Blutdruck

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Veränderungen in der Darmmikrobiota auch mit Bluthochdruck in Verbindung stehen. So stellten Li et al. fest, dass die Transplantation von Darmmikrobiota hypertensiver Patient:innen in keimfreie Mäuse deren Blutdruck erhöhte, begleitet von einer Abnahme der mikrobiellen Vielfalt und einer Zunahme pathogener Bakterien wie Prevotella und Klebsiella (3). Ähnliche Untersuchungen von Yan et al. und Kim et al. zeigten eine Zunahme von TMAO-produzierenden Mikroben sowie einen Rückgang von SCFA-produzierenden Bakterien wie Roseburia und Faecalibacterium prausnitzii (4, 5). Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung des Gleichgewichts zwischen TMAO und SCFAs für die Regulation des Blutdrucks und die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen.

Auch das orale Mikrobiom hat einen Einfluss auf den Blutdruck

Auch das Interesse an der Rolle des oralen Mikrobioms bei Bluthochdruck hat zugenommen. Bestimmte orale Bakterien sind in der Lage, Speichel- und Nahrungsnitrat zu Nitrit zu reduzieren, das intern weiter zu NO reduziert wird. Daher kann ein Mangel an nitratzersetzenden Mitgliedern des oralen Mikrobioms die NO-Bioverfügbarkeit verringern und folglich den Blutdruck erhöhen. In einer systematischen Übersichtsarbeit wurden dazu 17 Studien mit 6.007 Teilnehmer:innen analysiert, die signifikante Unterschiede in der mikrobiellen Zusammensetzung zwischen hypertensiven und normotensiven Personen zeigten. Bestimmte Bakterien wie Atopobium, Prevotella und Veillonella wurden in den Studien, die für Störfaktoren kontrollierten, konsistent mit Bluthochdruck in Verbindung gebracht (6).

Darmdysbiose begünstigt die Entstehung und das Fortschreiten der Atherosklerose

Eine Dysbiose im Darm spielt zudem eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung und dem Fortschreiten der Atherosklerose. Eine westliche Ernährung, die reich an gesättigten Fetten und Zucker und arm an Ballaststoffen ist, fördert eine Dysbiose, indem sie pathogene Bakterien begünstigt und nützliche Mikroben wie Bifidobacterium und Roseburia reduziert. Diese Veränderungen führen zu einer erhöhten Darmpermeabilität, wodurch schädliche Bakterienbestandteile wie Lipopolysaccharide (LPS) in den Blutkreislauf gelangen, was zu systemischen Entzündungen und Atherosklerose beiträgt. Darüber hinaus begünstigt eine Dysbiose die Produktion von TMAO und reduziert SCFAs, was zu einer Verschärfung der Entzündungsreaktionen und einer Erhöhung des Atherosklerose-Risikos führt (7).

Darm

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Zusammenhänge zwischen mikrobiellen Metaboliten und PAVK entdeckt

In diesem Zusammenhang gibt es auch erste Forschungen zu den Auswirkungen des Darmmikrobioms auf die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK). Hier wurden v. a. erste Zusammenhänge zwischen mikrobiellen Metaboliten und PAVK mit schweren kardiovaskulären Ereignissen festgestellt. Studien zeigten, dass PAVK-Patient:innen mit schweren Komplikationen erhöhte Werte von Indoxylsulfat, 3-Hydroxyanthranilsäure und p-Cresylsulfat sowie niedrigere Werte von Serotonin, Kynurenin (KYN), Indol-3-propionsäure (IPA) und Indol-3-Aldehyd (I3A) im Plasma aufwiesen. Diese Erkenntnisse könnten zur Entwicklung neuer Biomarker für die Diagnose und Prävention von PAVK sowie zur gezielten probiotischen Therapie mit Mikroben, die IPA, I3A und KYN produzieren, genutzt werden. Zudem könnten Strategien zur Stärkung der Darmbarriere und zur Reduktion von TMAO eine vielversprechende Rolle bei der Prävention und Behandlung von PAVK spielen (1).

Bestimmte bakterielle Metaboliten halten uns gesund oder machen uns krank

Zahlreiche Studien sind sich mittlerweile einig, dass die Mikroorganismen im Darm die menschliche Gesundheit durch ihre Metaboliten, einschließlich SCFAs und TMAO, beeinflussen, indem diese Metaboliten mit verschiedenen Zelltypen interagieren, spezifische Signalwege auslösen und u. a. das kardiovaskuläre System beeinflussen. SCFAs wie Butyrat, Acetat und Propionat sind Stoffwechselprodukte von Darmbakterien, die starke entzündungshemmende Wirkungen haben, insbesondere bei entzündlichen Erkrankungen wie KHK und Bluthochdruck, aber auch bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. SCFAs tragen zur Aufrechterhaltung der Integrität der Darmbarriere, zur Regulierung des Stoffwechsels und zur Modulation der Immunantworten bei. Ihre Produktion wird durch die Aufnahme von Ballaststoffen und die Zusammensetzung der SCFA-produzierenden Mikroben im Darm beeinflusst.

Anti-inflammatorische Wirkmechanismen von SCFAs

SCFAs entfalten ihre entzündungshemmende Wirkung durch 2 Hauptmechanismen: Sie hemmen die Histondeacetylase, wodurch die Genexpression verstärkt und die Differenzierung von regulatorischen T-Zellen zur Produktion von IL-10 angeregt wird, und sie aktivieren G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die ebenfalls die Produktion von IL-10 fördern und die Integrität der Darmbarriere verbessern. SCFAs regulieren auch Darmhormone wie Glucagon-like Peptid 1, die entzündungsfördernde Zytokine wie TNF-α hemmen. Darüber hinaus inhibieren SCFAs die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-κB, wodurch entzündliche Gene herunterreguliert und entzündungshemmende Reaktionen verstärkt werden. Diese Hemmung von NF-κB trägt dazu bei, die Produktion von entzündungsfördernden Zytokinen wie TNF-α, IL-6 und IL-8 zu verringern (1, 3).

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TMAO fördert Entzündungen

TMAO ist ein pro-inflammatorischer bakterieller Metabolit, der eine Rolle bei der Entstehung von CVDs spielt, indem er Immun- und Entzündungsreaktionen aktiviert, die Expression entzündlicher Zytokine erhöht und die Gallensäuresynthese hemmt. TMAO wird von den Darmmikroben durch den Stoffwechsel von Nahrungsbestandteilen wie Cholin, L-Carnitin und Betaine produziert, die zu Trimethylamin (TMA) umgewandelt und dann in der Leber oxidiert werden. Studien haben einen Zusammenhang zwischen erhöhten TMAO-Spiegeln im Plasma und dem Risiko von CVDs sowie wichtigen kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall festgestellt. TMAO fördert Entzündungen und Atherosklerose, indem es Stress-induzierte Hitzeschockproteine aktiviert und inflammatorische Zytokine über das NLRP3-Inflammasom freisetzt, was zu einer verstärkten Bildung von Schaumzellen und Gefäßentzündungen führt (1).

Wechselspiel zwischen Gallensäuren, Bakterien und Herzinsuffizienz

Eine wichtige Rolle spielen auch Gallensäuren. Primäre Gallensäuren werden in der Leber produziert und über die enterohepatische Zirkulation in den Darm abgegeben, wo sie von der Mikrobiota in sekundäre Gallensäuren umgewandelt werden. Bei Patient:innen mit HF zeigt sich ein reduziertes Verhältnis von primären zu sekundären Gallensäuren, was die Mikrobiota und die Krankheitsprogression beeinflussen kann. Der Farnesoidhormon-X-Rezeptor (FXR) spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Gallensäuresynthese und schützt das kardiovaskuläre System durch Hemmung entzündungsfördernder Mechanismen wie des NF-κB-Signalwegs. Dies macht FXR zu einem vielversprechenden Ziel für therapeutische Ansätze bei der Behandlung von HF.

Weitere wichtige Metabolite für die Herz- und Gefäßgesundheit

IPA, ein Metabolit, der ebenfalls von der Mikrobiota produziert wird, ist bei Patient:innen mit HF mit erhaltenem Ejektionsfraktion (HFpEF) verringert und zeigt positive Effekte auf diastolische und metabolische Dysfunktionen. IPA kann durch die Korrektur der Mikrobiota-Dysbiose und die Verbesserung des NAD+-Stoffwechsels vor diastolischer Dysfunktion schützen. Mikronährstoffe wie Vitamin B12, A und K, die auch von Bakterien im Darm synthetisiert werden, sind ebenfalls entscheidend für die kardiovaskuläre Gesundheit, da sie Entzündungen regulieren und Atherosklerose sowie andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflussen. Ein Mangel an diesen Vitaminen fördert das Risiko für arterielle Verkalkung, Bluthochdruck und Herzinsuffizienz (2).

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Mögliche Strategien zur Behandlung und Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT) ist ein Verfahren, bei dem eine Stuhlprobe von einem gesunden Spender in den Darm des Empfängers transplantiert wird, um Infektionen wie Clostridium difficile zu behandeln. Studien zeigen, dass FMT positive Auswirkungen auf die Wiederherstellung einer gesunden Mikrobiota hat und entzündliche Erkrankungen wie Myokarditis und Bluthochdruck lindern kann. In Tiermodellen zeigte sich, dass FMT das Fortschreiten der Arteriosklerose verlangsamen und die Bluthochdruckwerte senken kann. Obwohl FMT vielversprechende Ergebnisse in präklinischen Studien zeigt, sind weitere klinische Untersuchungen erforderlich, um die langfristigen Auswirkungen und Mechanismen der Behandlung, insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zu bestätigen (1).

Präbiotika als Bausteine für die SFCA-Produktion

Viel einfacher in der Anwendung, kann die Verabreichung von Präbiotika eine vielversprechende Methode zur Prävention und Behandlung von CVDs darstellen. Präbiotika sind Substanzen, die gesundheitsfördernde Darmmikroben unterstützen und das Wachstum schädlicher Bakterien hemmen können. Studien haben gezeigt, dass Präbiotika wie Inulin, Pektin und Beta-Glucan aus Hafer den Cholesterinspiegel senken, Atherosklerose verbessern und die Produktion von SCFAs erhöhen, was zur Verbesserung der kardiovaskulären Gesundheit beiträgt. Darüber hinaus wurden Synbiotika, die Präbiotika und Probiotika kombinieren, als vielversprechend bei der Behandlung von CVDs und verwandten Risikofaktoren wie Entzündungen und Insulinresistenz identifiziert.

Einsatz genetisch veränderter Bakterien noch nicht klinisch erforscht

Genetisch veränderte Bakterien werden erforscht, um gezielt Proteine oder molekulare Verbindungen zu produzieren, die zur Behandlung, Prävention oder Diagnose von CVDs eingesetzt werden können. Diese Bakterien müssen bestimmte Anforderungen wie Kolonisierungsfähigkeit, Sicherheit und therapeutische Wirksamkeit erfüllen. Präklinische Studien mit modifizierten Bakterien, wie Lactobacillus und Escherichia coli, haben vielversprechende Ergebnisse gezeigt, etwa bei der Behandlung von Bluthochdruck durch die Produktion von ACE-Hemmern. Trotz positiver Ergebnisse in Tierversuchen gibt es noch keine klinischen Studien zu genetisch veränderten Bakterien für die Behandlung von CVDs, was teilweise auf Sicherheitsbedenken und mögliche Pathogenität zurückzuführen ist (1).

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Literatur:

(1) Bui et al. (2023): The Gut-Heart Axis: Updated Review for The Roles of Microbiome in Cardiovascular Health. Korean Circulation Journal, DOI: 10.4070/kcj.2023.0048.
(2) Shen et al. (2025): Heart Failure and Gut Microbiota: What Is Cause and Effect? Research, DOI: 10.34133/ research.0610.
(3) Li et al. (2017): Gut microbiota dysbiosis contributes to the development of hypertension. Microbiome, DOI: 10.1186/s40168-016-0222-x.
(4) Yan et al. (2017): Alterations of the gut microbiome in hypertension. Frontiers in Cellular and Infection Microbiology, DOI: 10.3389/fcimb.2017.00381.
(5) Kim et al.(2020): Altered gut microbiome profile in patients with pulmonary arterial hypertension. Hypertension, DOI: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.119.14294.
(6) Al-Maweri et al. (2025): The association between the oral microbiome and hypertension: a systematic review. Journal of Oral Microbiology, DOI: 10.1080/20002297.2025.2459919.
(7) Alexandrescu et al. (2024): Intestinal Insights: The Gut Microbiome´s Role in Atherosclerotic Disease: A Narrative Review. Microorganisms, DOI: 10.3390/microorganisms12112341.