75 genetische Regionen sind mit der Alzheimer-Demenz assoziiert
„Der Artikel in Nature Genetics ist das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung des größten europäischen Konsortiums für die
Alzheimer-Krankheit, der Europäischen Alzheimer DNA Biobank (EADB). In dieser Studie konnten wir die Anzahl der genetischen Regionen verdoppeln, die das Risiko der Alzheimer-Krankheit modulieren. Damit haben wir nun 75 Regionen, die Varianten tragen, die das
Risiko einer Alzheimer-Demenz erhöhen. Wir zeigen in dieser Veröffentlichung, dass, wenn diese 75 genetischen Regionen in einem Score zusammengefasst werden, der die genetische Belastung für die Alzheimer-Krankheit widerspiegelt, Personen mit einem höheren Score eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, in das Endstadium der Alzheimer-Krankheit, das heißt das Demenzstadium, zu gelangen. Schließlich haben wir mehrere molekulare Signalwege identifiziert, die mit dem Alzheimer-Risiko in Verbindung stehen und die ein interessantes Ziel für zukünftige Interventionen darstellen“, erklärt Ramirez. Ramirez forscht auch am CECAD Exzellenzcluster für Alternsforschung der Universität zu Köln.
Neue Therapieziele durch die Erforschung genetischer Risikofaktoren
Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz; in Deutschland sind rund 1,6 Millionen Menschen betroffen. Sie ist eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung, die in der Regel erst nach dem 65. Lebensjahr auftritt und bei der die genetische Komponente eine große Rolle spielt. In den meisten Fällen wird sie auf ein Zusammenwirken verschiedener genetischer Dispositionen mit Umweltfaktoren zurückgeführt. Die gängigen Medikamente zielen hauptsächlich darauf ab, den kognitiven Abbau zu verlangsamen und bestimmte Verhaltensstörungen zu reduzieren. Um der Entstehung der Krankheit weiter auf den Grund zu gehen, besteht eine der Hauptaufgaben der Forschung darin, die genetischen Risikofaktoren durch die Identifikation der beteiligten pathophysiologischen Prozesse genauer zu kennzeichnen und in der Folge neue Therapieziele zu formulieren.
Millionen spezifische genetische Varianten werden verglichen
Genomweite Assoziationsstudien untersuchen die Proben von mehreren zehntausend gesunder und erkrankter Personen mit dem Ziel, ob sich genetische Varianten bei Alzheimer-Patienten von denen bei Gesunden unterscheiden. Um das gesamte Genom zu erforschen, werden mehrere Millionen spezifische genetische Varianten verglichen, die über das gesamte menschliche Genom verteilt sind. Mit dieser Methode konnten Wissenschaftler 75 mit Alzheimer assoziierte Regionen (loci) des Genoms identifizieren, von den 42 zuvor nie mit der Erkrankung in Verbindung gebracht wurden.
Zwei charakteristische pathologische Vorgänge sind für die Alzheimer-Demenz dokumentiert
Zum einen wird die Akkumulation von Beta-Amyloid-Peptiden beschrieben, zum anderen die Veränderung des Tau-Proteins und dessen Aggregation in den Neuronenzellen. Diesbezüglich bestätigten die Wissenschaftler die Bedeutung dieser pathologischen Prozesse. Ihre Analysen der verschiedenen Genomregionen bestätigen, dass einige davon an der Produktion des Peptids Amyloid und der Funktion des Tau-Proteins beteiligt sind. Des Weiteren zeigen die Analysen auch, dass bei der Alzheimer-Krankheit eine Dysfunktion der angeborenen Immunantwort und der Mikroglia vorliegt. Schließlich zeigt die Studie erstmals, dass die Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α)-abhängige Signaltransduktion an der Erkrankung beteiligt ist. Diese Ergebnisse bestätigen und erweitern das Wissen über die an der Krankheit beteiligten pathologischen Prozesse und öffnen der Therapieforschung neue Wege. Beispielsweise bestätigen sie den Nutzen der Durchführung klinischer Studien mit Therapien, die auf das Amyloid-Precursor-Protein abzielen, die Fortsetzung der vor einigen Jahren begonnenen Erforschung der Bedeutung von Mikrogliazellen und die gezielte Beeinflussung der TNF-α-Signaltransduktion.
Genetischer Risiko-Score für eine bessere Einschätzung des Fortschreitens in eine Alzheimerdemenz
Auf der Grundlage seiner Ergebnisse erstellte das Forschungsteam einen genetischen Risiko-Score für eine bessere Einschätzung des Fortschreitens in eine Alzheimerdemenz bei Patienten mit leichten kognitiven Störungen innerhalb von 3 Jahren. „Obwohl dieses Instrument noch nicht für den Einsatz in der klinischen Praxis vorgesehen ist, könnte es aber bei der Erstellung von Therapiestudien sehr nützlich sein, um die Teilnehmer nach ihrem Risiko zu kategorisieren und die Bewertung der getesteten Medikamente zu verbessern“, so Ramirez.
Entwicklung zell- und molekularbiologischer Ansätze zur Bestimmung ihrer Beteiligung an der Krankheit
Über die vollständige Charakterisierung der genetischen Faktoren bei Alzheimer hinaus arbeitet das Team auch an der Entwicklung zahlreicher zell- und molekularbiologischer Ansätze zur Bestimmung ihrer Beteiligung an der Entwicklung der Krankheit. Da die genetische Forschung bislang primär in Populationen mit europäischer Abstammung durchgeführt wurde, wird für die Zukunft außerdem erwogen, den gleichen Studientyp in anderen Gruppen durchzuführen, um festzustellen, ob die Risikofaktoren von Population zu Population gleich sind, was ihre Bedeutung für den pathophysiologischen Prozess untermauern würde.
New insights into the genetic etiology of Alzheimer’s disease and related Dementias, Bellenguez et al. Nature Genetics 2022; DOI: 10.1038/s41588-022-01024-z. https://www.nature.com/articles/s41588-022-01024-z