Neue Erkenntnisse zur Entstehung des Immunsystems im Gehirn
Bislang hatte man angenommen, dass die Entstehung des Immunsystems im Gehirn in der Embryonalentwicklung abgeschlossen ist. Doch Untersuchungen, die im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurden (1), zeigen, dass wichtige Immunzellen an den Blutgefäßen im Gehirn erst nach der Geburt ausreifen. Die Analysen erfolgten zunächst an genetisch veränderten Mauslinien und wurden an menschlichen Proben bestätigt. Sie dürften wichtige Erkenntnisse für die Entstehung und Behandlung von Krankheiten des Gehirns liefern.
Immunzellen an den Hirnblutgefäßen reifen erst nach der Geburt aus
„Wir konnten zeigen, dass die von uns untersuchten Immunzellen beim Menschen kurz vor der Geburt von der Hirnhaut an die Blutgefäße in das Gehirn einwandern und dort ausreifen (Abb. 1). Dieser Prozess ist vermutlich erst Wochen nach der Geburt abgeschlossen und könnte zum Teil erklären, warum das Gehirn zu Beginn des Lebens so verletzlich ist“, sagt Prof. Dr. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg und Leiter des Sonderforschungsbereichs/Transregio 167 (NeuroMac) und Mitglied im Exzellenzcluster CIBSS (Centre for Integrative Biological Signalling Studies) der Universität Freiburg.
Abb. 1: Nachbearbeitete mikroskopische Aufnahme verschiedener Gewebsmakrophagen (cyan, magenta oder grün) im Maushirn. Makrophagen (magenta) an Blutgefäßen entstehen durch Einwandern von Makrophagen (cyan) aus den Hirnhäuten (© Universitätsklinikum Freiburg/Dr. Lukas Amann)
|
Bluthirngefäße sind für die normale Entwicklung der Hirnmakrophagen wichtig
„Der späte Zeitpunkt der Reifung der Makrophagen hat uns sehr überrascht, da die Vorläuferzellen bereits lange vorher im Gehirn vorhanden sind“, so Prinz. Außerdem konnten die Wissenschaftler:innen erstmalig zeigen, dass die Gefäße als strukturgebende Zellen des Gehirns wichtige Signale für eine normale Entwicklung der Hirnmakrophagen aussenden.
Bedeutung der Blut-Hirn-Schranke
Die Blut-Hirn-Schranke wird durch Zellen an den Blutgefäßen des Gehirns gebildet. Sie kontrollieren, welche Stoffe ins Gehirn eindringen können und welche nicht. Das schützt das Gehirn vor schädlichen Stoffen und Krankheitserregern. Die Blut-Hirn-Schranke ist bei Infektionserkrankungen, bestimmten
Hirntumoren und Sauerstoffmangel besonders durchlässig.
Lesen Sie mehr zu diesem Thema:
Wie Immunzellen ins Gewebe gelangen
Erschienen am 27.04.2022 • Wie schaffen es Immunzellen ins Gewebe? Könnte die Antwort darauf, immunonkologische Fortschritte bedeuten? Die Antworten lesen Sie bei uns!
Erschienen am 27.04.2022 • Wie schaffen es Immunzellen ins Gewebe? Könnte die Antwort darauf, immunonkologische Fortschritte...
© nobeastsofierce - stock.adobe.com
Bedeutung für Alzheimer, Multiple Sklerose und Co.
„Die von uns untersuchten Immunzellen kontrollieren zusätzlich zur Blut-Hirn-Schranke, was aus dem Blut an die Hirnzellen gelangen kann, sie fressen Krankheitserreger und verhindern übermäßige Entzündungen. Auch an der Entstehung von Krebs,
Alzheimer und
Multipler Sklerose sind sie beteiligt. Unsere Erkenntnisse könnten für ein besseres Verständnis dieser Krankheiten und künftige Therapien von Bedeutung sein“, so Prinz weiter.
Angewandte Methoden: Farbmarkierte Zellen und Gen-Analysen an genetisch veränderten Mauslinien
Für ihre Studie nutzten die Forscher:innen um die beiden Erstautoren Dr. Takahiro Masuda von der Kyushu University, Japan, und Dr. Lukas Amann von der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg mehrere neu etablierte Mauslinien. Mit diesen ließen sich erstmalig gezielt verschiedene Typen von Hirnmakrophagen und deren Vorläuferzellen markieren und später mittels hochauflösender Mikroskopie in den verschiedenen Hirnregionen wiederfinden. Zusätzlich untersuchten sie die Genaktivität einzelner Zellen und bestimmten so deren Reifegrad.
Ergebnisse wurden an menschlichen Proben bestätigt
„Wir konnten die Daten auch an menschlichen Gehirnen bestätigen. Dadurch erzielen wir ein wesentlich tieferes Verständnis des zeitlichen Ablaufs und der molekularen Mechanismen in der Entwicklung der Zellen. Dieses Wissen kann nun genutzt werden, um neue und spezifischere Therapieansätze für Hirnerkrankungen zu erforschen“, sagt der Biologe Dr. Lukas Amann, der am Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg tätig ist.
(1) Masuda T, Amann L, Prinz M et al. Specification of CNS macrophage subsets occurs postnatally in defined anatomical niches. Nature 2022; DOI: 10.1038/s41586-022-04596-2.