Priorisierung und Triage bei COVID-19: DIVI-Empfehlungen aktualisiert
Dr. rer. physiol. Ute MayerAus aktuellem Anlass wurden die klinisch-ethischen Empfehlungen zur Entscheidung über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie überarbeitet. Die wesentlichen Neuerungen der mit den Fachgesellschaften abgestimmten Vorabfassung der aktualisierten AWMF S1-Leitlinie 040-013 vom 23.11.2021 sind, dass der Impfstatus einer/eines intensivpflichtigen Patientin/Patienten bei der Priorisierung keine Rolle spielen darf und die Betonung der Gleichbehandlung von COVID- und Nicht-COVID-Patient:innen.
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Der Impfstatus darf kein Entscheidungskriterium für die Priorisierung bei Ressourcenknappheit sein
Im Kern sind die klinisch-ethischen Empfehlungen zu Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie gleich geblieben, stellte Prof. Dr. Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, LMU München, klar. „Wenn priorisiert werden muss, dann sollte das nach dem Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht erfolgen, gemessen an der Überlebenswahrscheinlichkeit im Hinblick auf den aktuellen Intensivverlauf“, so Marckmann. Damit werde sichergestellt, dass mit den begrenzt verfügbaren Ressourcen möglichst viele Menschenleben gerettet werden könnten, da bei diesem Vorgehen allenfalls solche Patient:innen nicht behandelt werden, die trotz Intensivmedizin mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin versterben würden. Den Impfstatus sehen die Expert:innen nicht als zu berücksichtigendes Priorisierungskriterium an, da die ärztliche Hilfspflicht in lebensbedrohlichen Situationen unabhängig davon gilt, wie das Verhalten des Betroffenen vorher war. Marckmann zitierte einen Kollegen mit dem treffenden Satz „Wir sind Retter, keine Richter“. In einer solidarischen Krankenversicherung werde der Zugang zu medizinischen Leistungen nicht davon abhängig gemacht, ob jemand durch sein Verhalten die Erkrankung oder Gesundheitsstörung selbst verursacht habe, führte der Ethiker weiter aus. Als Beispiele nannte er die Behandlung von Verletzungen von Risiksportler:innen, die Lungenkrebsbehandlung von Raucher:innen oder die Behandlung der koronaren Herzerkrankung von Übergewichtigen. Genauso müsse die Corona-Erkrankung von Ungeimpften behandelt werden, da hier nicht sicher sei, auf welcher Informationsgrundlage die Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, getroffen wurde, also ob das Verhalten auf einer selbstbestimmten Entscheidung beruhe oder z.B. auf Falschinformationen von Querdenkern. Man müsse bedenken, dass die Impfquoten in sozioökonomisch benachteiligten Gruppen am niedrigsten seien. „Wenn wir das Kriterium Impfstatus anwenden würden, bekämen wir eine ganz bedenkliche soziale Schieflage beim Zugang zu intensivmedizinischen Ressourcen“, meinte Marckmann.Lesen Sie mehr zu diesem Thema:
DIVI spricht sich für Impfpflicht aller Erwachsenen aus
Erschienen am 26.11.2021 • Die Impfpflicht für Erwachsene sei alternativlos, um die Pandemie auch langfristig hinter sich zu lassen.
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Der Grundsatz der Gleichbehandlung von COVID- und Nicht-COVID-Patient:innen muss gelten
In der Ergänzung der Leitlinie wurde nochmals klargestellt, dass die Gleichbehandlung von COVID- und Nicht-COVID-Patient:innen gelten muss. Wegen der sich aktuell abzeichnenden bzw. bereits eingetretenen Ressourcenknappheit werde zunächst versucht, durch Einschränkungen des Regelbetriebs Kapazitäten für alle zur Verfügung zu stellen, die dringlich intensivmedizinischer Maßnehmen bedürfen, erklärte Prof. Dr. Jan Schildmann, Internist und Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Halle. „Aus ethischer Perspektive ist eine Aufschiebung von Behandlungen unproblematisch, wenn durch die zeitliche Verzögerung keine Verschlechterung der Prognose, keine irreversiblen Gesundheitsschädigungen oder der vorzeitige Tod zu erwarten sind“, sagte der Ethiker. Bei der Priorisierung aufgrund intensivmedizinischer Ressourcenknappheit dürfe jedoch keine Patient:innengruppe bevorzugt (COVID-Patient:innen) bzw. benachteiligt (z.B. Tumorpatient:innen) werden, insbesondere auch die nicht, bei denen absehbar sei, dass sie im Verlauf durch die Verschiebung gesundheitlich Schaden nehmen könnten. Als Beispiel führte er an, dass die Verzögerung von Krebstherapien um einen Monat mit einer Erhöhung der Sterblichkeit einher geht. Die außergewöhnlichen Belastungen im Gesundheitswesen dürfen nicht einseitig zur Benachteiligung von Patient:innen ohne COVID-19 gehen, forderte Schildmann.Forderungen an die Politik in der aktuellen Phase der Pandemie
Marckmann wünscht sich für die Ärzt:innen, die letztlich Entscheidungen über eine Behandlungspriorisierung treffen müssen, eine klare Rückendeckung der Politik, damit sie Rechtssicherheit haben. Janssens richtete warnende und kritische Worte an die Entscheidungsträger der letzten Monate und Wochen, dass jetzt endlich durchgreifend gehandelt werden müsse, und schnellstens einheitliche Maßnahmen für ganz Deutschland eingeleitet werden müssen, die sicherstellen, dass Infektionsketten abbrechen, damit man nicht in die Situation einer Triage kommt.Quelle:Press-Briefing „Priorisierung und Triage bei COVID-19 der DIVI“, 26.11.2021; Veranstalter: DIVI
Literatur:https://www.divi.de/joomlatools-files/docman-files/publikationen/covid-19-dokumente/211125-divi-covid-19-ethik-empfehlung-version-3-vorabfassung.pdf